Kurzinformation zur Autorin (aus dem Klappentext):
Christine Lavant, geboren 1915 in St. Stefan im Lavanttal/Kärnten, gestorben 1973 in Wolfsberg/Kärnten. Sie verfasste Lyrik und Erzählungen, für die sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, u.a. 1954 und 1964 mit dem Georg-Trakl-Preis und 1970 mit dem Großen Staatspreis für Literatur.
Inhalt (Klappentext):
Ein Klassiker der österreichischen Nachkriegsliteratur:
In intensiven Bildern erzählt vom Aufenthalt in einer "Irren-Anstalt". Selten zuvor wurde so offen, so schonungslos und so poetisch von den Abgründen der Psyche und dem Alltag der Psychiatrie erzählt, selten zuvor hat sich eine Autorin so radikal dem eigenen Leben genähert.
Eigentliche Rezension:
Die vorliegende Ausgabe ist gegliedert in eigentliches Werk, Nachwort und editorische Hinweise.
Den 1946 entstandenen, aber erst 55 Jahre später veröffentlichten Text erzählt Christine Lavant aus der Ich-Perspektive. In tagebuchartigen Einträgen beschreibt die Ich-Erzählerin unverblümt und präzise, was sie nach einem gescheiterten Selbstmordversuch während ihres freiwilligen Aufenthalts im "Irrenhaus" erlebt, was und wie sie sich fühlt, was sie denkt. Schonungslos sowohl gegenüber sich selbst als auch gegenüber anderen reflektiert sie über die alltäglichen Abläufe der "Station Zwei", welche ihre momentane Welt darstellt, über das Verhalten der Insassinnen, das des Pflegepersonals, das der Ärzte und das der Besucher, über ihre eigene chaotische Gefühls- und Gedankenwelt, über ihre Zukunft und darüber, wie die Gesellschaft, in die sie nach ihrem Aufenthalt zurückkehren wird, auf sie als nun "Irre" reagieren wird, über Liebe, über Religion und "Heilsangebote", über die allgegenwärtige Absurdität, welche sich weit über die Grenzen der "Station Zwei" erstreckt, und über den Sinn bzw. Unsinn des Lebens, freilich ohne diesen auch nur annähernd ergründen zu können.
Dies alles geschieht in einer meist sachlichen, deutlichen und klaren Sprache. Die Ich-Erzählerin schafft es, das Chaos ihrer momentanen Welt sowie ihre Emotionen, Überlegungen und Reflexionen sprachlich zu ordnen, zu strukturieren und zu kultivieren. Im Großen und Ganzen ähnelt der sprachliche Stil nicht den unkontrollierten Gedankenexplosionen Lieutenant Gustls, sondern eher den weitaus klareren Reflexionen Werthers, wobei letzterer eine wesentlich poetischere Sprache verwendet.
Die Ich-Erzählerin, die sich als Schreibende offenbart und als Schreibende wahrgenommen wird, wird so zum Medium der Wirklichkeit.
Darüber hinaus erkennt sie die Notwendigkeit dieser schriftlichen Kultivierung des Chaos; das Schreiben wird zum Versuch einer Selbstheilung, zur Therapie.
Die kritischen Töne, die im Text aufkommen, sind teilweise sehr subtil, sodass eine ausführliche Auseinandersetzung mit ihnen in einer Interpretation nicht fehlen darf, sie den Rahmen einer Rezension allerdings sprengen würde. Daher seien im Folgenden nur die drei offensichtlichsten Kritikfelder angerissen:
Ärzte und Pflegepersonal erscheinen in den Augen der Ich-Erzählerin teilweise gefühlskalt, distanziert und sogar herablassend. Doch bringt sie für dieses Verhalten noch ein gewisses Verständnis auf, indem sie erkennt, dass die angesprochene Distanz eine Art Selbstschutz und damit eine Notwendigkeit darstellt.
In der Hierarchie der Insassinnen steht sie an letzter Stelle. Einerseits stammt sie aus armen Verhältnissen, weshalb sie keinen Einlass in den "Club der besser Situierten" erwarten kann, andererseits ist sie nicht "verrückt" genug und daher nicht berechtigt, um dem "Club der hoffnungslosen Fälle" beitreten zu können. Sie steht alleine; selbst in einer "Irrenanstalt" ist sie eine klare Außenseiterin.
Von ihrer Rückkehr in die "normale" Gesellschaft, in der sie ebenfalls schon immer eine Außenseiterin war, erwartet sie eine Abstempelung als "Irre" und somit die Zuteilung einer noch dramatischeren Außenseiterrolle. Unter anderem aus dieser Überlegung heraus entwickelt sich sogar der Wunsch, wirklich "verrückt" zu werden und für immer im "Irrenhaus" zu bleiben.
Allerdings lese ich das Werk in erster Linie nicht als hyperkritischen Aufschrei oder aufklärerischen Beitrag zum Thema "psychische Erkrankungen", sondern vielmehr als Versuch, durch die Offenlegung der eigenen Gedanken- und Gefühlswelt und durch die Schilderung subjektiv wahrgenommener Ereignisse und Abläufe mit sich selbst, den Anderen, der Welt, dem Leben fertig zu werden, kurzum: als selbsttherapeutische Selbstentblößung ohne künstlich hinzugefügten moralischen Zeigefinger. Und gerade darin sehe ich die Stärke des Werkes: es bezieht seine ganze Gewalt aus seiner Authentizität.
Noch eine kurze Notiz zum Nachwort und zu den editorischen Hinweisen:
Sie geben Aufschluss über die Textentstehung und -veröffentlichung, vermitteln biografische und weiterführende Hintergründe, die äußerst hilfreich zur Erschließung des Werkes sind, und bilden daher alles in allem wertvolle Teile dieser Ausgabe.
Fazit:
Ehrlich, unverblümt, authentisch! Lesen!