Constance de Salm - 24 Stunden im Leben einer empfindsamen Frau

  • Kurzinformation zur Autorin (aus dem Klappentext):


    Constance de Salm (1767-1845) genoss eine für Frauen ihrer Zeit exzellente Ausbildung und trat früh mit Gedichten hervor. Nach geschiedener erster Ehe heiratete sie den deutschen Grafen Salm-Reifferscheidt-Dyck und lebte mit ihm abwechselnd in seinem Schloss am Rhein und in Paris. Dort leitete sie einen bedeutenden literarischen Salon, in dem u. a. Alexander von Humboldt, Stendhal und Alexandre Dumas verkehrten. Ihre größten literarischen Erfolge waren ihr einziger Roman 24 Stunden im Leben einer empfindsamen Frau und die Tragödie Sappho. Constance de Salm engagierte sich leidenschaftlich für die Emanzipation der Frau und wurde zum ersten weiblichen Mitglied in bedeutenden Pariser Akademien.


    Inhalt (von mir):


    Die eigentliche Handlung ist schnell erzählt, denn, um dies vorwegzunehmen, in 24 Stunden im Leben einer empfindsamen Frau steht nicht das Was, sondern das Wie im Vordergrund.
    Madame de *** führt eine von wahrer Liebe motivierte Beziehung, welche allerdings aus familienpolitischen sowie gesellschaftlichen Gründen vorerst nur hinter verschlossenen Türen ausgelebt wird. Als Madame de *** ihren Geliebten eines Abends nach einem Konzertbesuch mit einer anderen Dame in die Kutsche steigen sieht, ist sie erschüttert, ahnt sie doch das Schlimmste. In Panik geraten und von leidenschaftlicher Eifersucht getrieben, schreibt sie ihm einen von Emotionen nur so sprühenden Brief nach dem anderen - freilich ohne Antwort zu erhalten ...


    Eigentliche Rezension:


    Sobald man sich über den Inhalt des Buches informiert, vermutet man bereits, dass es sich hier um rein subjektive Darstellungen der chaotischen Gefühlswelt einer in den Flammen der Liebe stehenden und von Eifersucht getriebenen Frau handelt. Und schon nach dem Lesen der ersten Briefe bestätigt sich diese Vermutung. Von schierer Verzweiflung über wilde Spekulationen, mentale Zusammenbrüche, Bitten, Anschuldigungen, Vergebungen, erneute Anschuldigungen bis hin zu weiteren Zusammenbrüchen erlebt Madame de *** die gesamte emotionale Palette eines in Liebe brennenden und von gnadenloser Eifersucht heimgesuchten Menschen. Dennoch drückt sich dieses Gefühlschaos nicht in einer von wirren Gedankensprüngen beherrschten Sprache aus. Anstatt den inneren Monologen Lieutenant Gustls erwartet den Leser hier vielmehr eine Kultivierung der Gedanken und Gefühle im Stile Werthers. Madame de *** schafft es nicht nur, ihre Gefühlswelt in einer klaren Sprache zum Ausdruck zu bringen, sondern unterwirft sie teilweise sogar einer rationalen Analyse. Ein Textauszug soll das Gesagte (ansatzweise) verdeutlichen:
    "Je begründeter [die Sorge] zu sein scheint, desto mehr suche ich sie mir zu verhehlen. Seltsame Stärke, seltsame Schwäche des menschlichen Herzens. Wenn wir im Rausch der Leidenschaft tausend fantastische Ängste ersinnen, gefallen wir uns gewissermaßen darin, uns diesem Delirium hinzugeben. Gerade so, als sagte uns eine diskrete Stimme, dass alles nur ein Spiel unserer Einbildung sein kann. Kommt die Gewissheit, sagen wir: Das ist, dann ziehen wir uns in uns selbst zurück, werden scheu und versuchen vor uns selbst zu verleugnen, was doch ins Auge springt" (S. 37).
    Allerdings - und das ist der entscheidende Punkt - schafft Madame de *** es nicht, die zur Beendigung ihrer Pein notwendigen Schlüsse aus ihren rationalen Überlegungen zu ziehen, denn "die Natur hat mich so gemacht, ich kann mich nicht ändern, das wissen Sie" (S. 43).
    Im Kampf zwischen Gefühl und Verstand trägt letzten Endes - und dessen ist sie sich vollkommen bewusst - also immer ersteres den Sieg davon.


    Wer weiß, wer wirklich weiß, was Liebe und Eifersucht bedeuten, in welches Chaos Emotionen einen emotionalen Menschen zu stürzen vermögen, der versteht auch, was Madame de *** während der im Titel erwähnten 24 Stunden durchlebt. Allerdings erhebt Constance de Salm auch ihren Zeigefinger, indem sie dem Leser vor Augen führt, welch fatale Folgen Eifersuchtsexzesse nach sich ziehen können. Insofern ist ihr Briefroman nicht als Verherrlichung empfindsamer Menschen, sondern als eine Art Lektion in Sachen "Folgen eines rein gefühlsgesteuerten Verhaltens" zu sehen, was sich auch im Untertitel des französischen Originals Une grande lecon widerspiegelt. Dennoch - und ich wiederhole mich - sind sowohl die Gedanken und Gefühle als auch die Handlungen der Hauptperson für einen Menschen, der die Liebe und die Eifersucht kennt, vollkommen verständlich und nachvollziehbar. Mit anderen Worten: Gewissermaßen entschuldigt Madame de ***'s tiefe Empfindsamkeit, gegen die schlichtweg kein Kraut gewachsen ist, ihr Verhalten, ohne jedoch die negativen Folgen dieses Verhaltens zu leugnen.


    Fazit:


    Ein Buch, das den Leser auf emotionaler Ebene zu packen versteht; ein Buch, das dem Leser den Spiegel unter die Nase hält und ihn somit zum Denken zwingt; ein Buch, das durchweg und ohne Einschränkung empfehlenswert ist!

  • Von mir ebenfalls vielen lieben Dank für deine tolle Rezension! :thumleft: Jetzt ist das Buch noch weiter die Wunschliste raufgerutscht.

  • Das kommt auf meine Wunschliste!


    Aurelie


    „Die Kultur der Menschheit besitzt nichts Ehrwürdigeres als das Buch,
    nichts Wunderbareres und nichts, das wichtiger wäre.´
    Gerhart Hauptmann
    * 15. 11. 1862 - Obersalzbrunn in Niederschlesien
    † 06. 06. 1946 - Agnetendorf [/size]
    [/size]

  • Ja, die Rzension ist echt gut geschrieben & macht neugierig auf das Buch, aaber, da ich Briefpassagen in Büchern immer eher ungeduldig hinter mich bringe, ist es vermutlich doch nix für mich - DANKE Tom :D

  • Worum es geht

    Eine vornehme Dame sieht ihren Geliebten nach einer Konzertvorstellung mit einer anderen in deren Kutsche entschwinden und verliert darüber jegliche Contenance.

    Sofort nach ihrer Heimkehr schreibt sie dem Untreuen, so ihre Vermutung, einen Brief, in dem sie ihn beschwört, sie doch hinsichtlich seines Verhaltens nicht im Ungewissen zu lassen und ihr diesen Vorfall zu erklären.

    Da sie keine Antwort erhält, folgen innerhalb von 24 Stunden noch weitere 45 Briefe.


    Wie es mir gefallen hat

    Anfangs habe ich eher den Empfänger bedauert, der sich solchen Attacken weiblicher Hysterie ausgesetzt sieht, als die vermeintlich Betrogene. Wie sich sehr bald herausstellt ist besagte Dame verwitwet und braucht nun alsbald einen Versorger. Das Verhältnis zum Geliebten wird vorläufig noch geheim gehalten, da erst der Onkel des jungen Verehrers als potentieller Ehemann in Frage kam, und nun noch einige familiäre Angelegenheiten zu regeln sind.

    Die Beschwörungsformeln ihrer Liebe in den ersten Briefen waren schon sehr schwülstig und deshalb auch recht schwer verdaulich. Der Leser gewinnt den Eindruck, dass die Protagonistin jeden Augenblick entseelt zu Boden stürzen oder nach dem Giftbecher greifen würde, wenn das Objekt ihrer Begierde nicht sofort auftaucht oder ihr wenigstens einen erklärenden Brief zukommen lässt. Bitten, Drohungen, Flehen um Verständnis, zärtliche Liebesgeständnisse, die Unglückliche bemüht die gesamte Palette ihrer Gefühle, um den hartnäckig Schweigenden zu erweichen.

    Doch geschieht dies alles stilistisch auf einem sehr hohen Niveau, und so konnte ich mich im weiteren Verlauf des Gedankens nicht erwehren, einen weiblichen Werther vor mir zu haben.

    Mit steigender Briefzahl wuchs aber auch meine Neugier, wohin denn dies alles noch führen, und welche Erklärung den Leser in der immer mysteriöser werdenden Geschichte letzten Endes erwarten werde. Verraten darf ich, dass mich die Lösung durchaus zufrieden gestellt hat.

    Stilistisch und inhaltlich gibt es an dem schmalen Bändchen also wenig auszusetzen, einzig mit der Gefühlswelt der Madame de *** hatte ich einige Verständnisschwierigkeiten. Das liegt vielleicht aber nur daran, dass ich auch in meiner Jugend nicht dazu neigte, meine jeweilige große Liebe auf ein Podest zu stellen und sie wie ein Heiligtum anzubeten.

    Ist der Leser auf diese, den modernen Menschen wohl etwas fremd anmutende Gefühlswelt einer noblen Dame aus dem frühen 19. Jahrhundert vorbereitet, wird er die Lektüre sicher genießen können.