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Hochaktuelles Thema, das die Kanadierin Barbara Gowdy da aufgreift: Hauptfigur von "Hilflos" ist Ron, ein pummeliger Mechaniker, der sich in eine wunderschöne Neunjährige verliebt. Er richtet dem fremden Mädchen in seinem Keller ein Zimmer ein, entführt sie, schließt sie ein, versucht, wie ein Vater für sie zu sein. Klingt verdächtig nach dem Fall Natascha Kampusch? Stimmt - allerdings schrieb Gowdy ihren Roman schon 2003. Und der Kidnapper Ron hält die kleine Rachel nicht über Jahre, sondern für acht Tage gefangen. Gowdy erfasst in erstaunlich leisen und zaghaften Worten, was während dieser Zeit in ihren Figuren vorgeht. Sie zeichnet nach, wie Ron gegen sein sexuelles Verlangen ankämpft, wie er sich immer wieder verbietet, Rachel zu berühren. Dass der pädophile Kidnapper dabei in keinem Moment zum misshandelnden Monster wird, ist verstörend unwirklich - und wirkt aufgrund des sensiblen Psychogramms, das Gowdy zeichnet, dennoch glaubwürdig. Am Ende dieses Buches steht man vor den Fragen: Lässt sich Begehren lenken? Hat Liebe immer mit Macht zu tun? Und wie viel Mitgefühl darf man jemandem entgegenbringen, dessen Handeln man durch und durch verachtet? Man hadert - und genau das hat Barbara Gowdy beabsichtigt.
Mein Eindruck:
Rachel lebt mit ihrer Mutter Celia Fox zur Untermiete bei einem Freund. Ihren Vater hat Rachel noch nie gesehen; ihre Mutter hatte einen One-Night-Stand. Als Ron das Mädchen das erste Mal sieht, ist er gleich von dessen auffallender Schönheit (dunkle Haut, blondes Haar) angezogen. Er beobachtet Rachel tagelang; folgt ihr mit seinem Lieferwagen. Als Ron sieht, wie vertraut Rachel mit dem Untermieter ist, redet er sich ein, das Mädchen retten zu müssen. Er richtet im Keller seines Hauses ein Zimmer mit Himmelbett, Puppenhaus usw. für Rachel ein und enführt sie schließlich eines Tages....
Das Buch ist außergewöhnlich gut geschrieben. Es wird aus verschiedenen Sichten erzählt. Man erfährt Rons Gedanken - und da ist mir schon anders geworden - , man spürt die Angst und die Hilflosigkeit der Mutter nach der Entführung und auch der Charakter von Nancy - Rons Freundin - ist gut gezeichnet. Nancy, die wie Ron eine schreckliche Kindheit hatte, ist selbst auch ein seelisches Wrack. Völlig abhängig von Ron lässt sie sich auf diese Entführung mit ein. Ron erzählt auch ihr dieses Märchen, dass Rachel "gerettet" werden müsse und weckt so Muttergefühle in Nancy, die selbst keine Kinder kriegen kann.
Ich weiß nicht, welche Sicht für mich als Mutter härter zu lesen war. Der schlimmste Alptraum, wenn dein eigenes Kind plötzlich verschwindet. Doch über Ron zu lesen, der sich sexuell zu Rachel hingezogen fühlt, sie aber so sehr liebt (!), und ihr einfach nicht weh tun kann, ist ebenfalls harte Kost. Für den Leser eine ständige Gratwanderung; man weiß absolut nicht was passieren wird; denkt natürlich immer das Schlimmste und hofft auf ein gutes Ende.
Anfangs hat Rachel Angst vor Ron; sie merkt ihm sein komisches Verhalten an. Nur Nancy findet Zugang zu ihr. Doch Ron tischt ihr ein Märchen von Sklavenhändlern auf, die Rachel nach Afrika entführen wollen. Als ihr großer Retter vertraut sie ihm plötzlich. Nancy gerät immer mehr in Zwiespalt. Sie merkt auch, dass mit Ron irgendetwas nicht stimmt; ringt mit sich, ob sie der Mutter Bescheid geben sollte.....
Ich glaube, der Titel "Hilflos" bezieht sich auf alle Hauptpersonen. Nach der Entführung fühlt sich die Mutter natürlich hilflos; den ganzen Tag verteilt sie mit Freunden Flugblätter, klopft an jede Tür in der Umgebung. Aber auch Ron ist hilflos. Er kann aus seiner Haut nicht heraus; er hat sexuelle Gefühle für Rachel, versucht diese aber ständig zu unterdrücken. Und Nancy ist eine äußerst labile Person.
Aber auch ich als Leser kam mir hilflos vor. Ich konnte nicht anders, als weiterlesen. Man will dem kleinen Mädchen helfen, Ron am liebsten niederschlagen und Nancy wachrütteln.
Das Buch ist absolut empfehlenswert.