Orhan Pamuk - Das Museum der Unschuld / Masumiyet Müzesi

  • Inhalt: (von Amazon kopiert)
    Bis Kemal auf seine entfernte Verwandte Füsun trifft, hält er sich für einen glücklichen Menschen. Er ist fast verlobt, eigentlich ist auch die Hochzeit schon beschlossene Sache. Aber dann betritt er auf der Suche nach einer Handtasche für seine Geliebte die Istanbuler Boutique Champs-Élysées , in der Füsun als Verkäuferin arbeitet. Und damit nimmt sein Leben einen Lauf, der Kemal - zumindest am Anfang - noch ein wenig glücklicher macht.
    Der reiche Kemal trifft die mittellose Füsun, die sich mit der Teilnahme an einem Schönheitswettbewerb die Verachtung der ganzen Familie zugezogen hat, heimlich wieder. Er nimmt sie mit in seine Wohnung und verbringt die Nacht mit ihr. Allmählich wächst sich die Leidenschaft aus zu wahrer, aber auch tragischer Liebe, in deren Verlauf Kemal Füsun ein eigenes Museum widmet.

    Meine Meinung:

    Dieser Roman von Orhan Pamuk ist ein wirklich großartiges Buch, dem ich ganz, ganz viele Leser wünsche :!:
    Die Geschichte um Kemal ist so ergreifend und gefühlsecht gezeichnet, dass man gar nicht anders kann als nach ca 100 Seiten komplett in Kemals Istanbul abzutauchen. Mit der Zeit entsteht ein Mythos rund um Kemals Angebetete Füsun, dem sich der Leser kaum entziehen kann. Er erlebt Kemals Hochs und Tiefs mit, die totale Abhängikeit von der kleinsten Berührung oder Anerkennung dieser Frau.
    Acht Jahre lang buhlt er um Füsuns Aufmerksamkeit. Jahre, in denen Kemal anfängt, Gegenstände aus dem Haus zu entwenden, die mit seiner Füsun in Berührung gekommen sind: Kippen, kleine Porzellanfiguren, sogar eine Obstreibe. Es ist einfach wunderschön zu lesen, wie weit seine Liebe geht.
    Und das Ende ist dann umso erschütternder. :-$
    Auch, wenn ich mir vorstellen kann, dass manch anderer Leser (ich nicht) die Geschichte besonders auf den ersten 200 Seiten als ziemlich langwierig emfinden könnte, ist der Roman für mich makellos.
    Ich überlege die ganz Zeit schon, was ich über das Buch schreiben könnte, aber wenn ich ein Buch so sehr mochte wie dieses hier, fällt es mir schwer, meine Bewunderung in Worte zu fassen.


    Ich mach es kurz: Eines der (wenn nicht das) Lesehighlight(s) 08! Unbedingt lesen! (Spätestens wenn es als TB erscheint. :) )

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • Hallo,
    ich habe mir das Buch auf englisch gekauft und war anfangs genauso begeistert wie shia - die Beschreibung vom Istanbul der 70er Jahre fand ich sehr bildhaft und spannend, und generell hat es mich fasziniert zu lesen, wie die Entwicklung der türkischen Gesellschaft und ihre Annäherung an bzw. teilweise Übernahme "moderner" westlicher Sitten und Denkweisen geschildert wird.


    Mit zunehmender Seitenzahl verflog diese Faszination allerdings rapide, denn statt mehr über Kemal und Füsun zu erfahren, blieben beide recht farblose Charaktere, deren einzige Verbindung ihre Affäre bzw. Kemals spätere Besessenheit darstellt. Ich hatte bis zum Schluss nicht wirklich ein Bild von Füsun vor Augen, da man nur erfuhr, dass sie gut aussah (Schönheitswettbewerb), nicht gut in Mathe war und in einem Laden Handtaschen verkaufte... auch Kemal blieb der egozentrische und selbstverliebte Liebhaber, als der er gleich zu Beginn vorgestellt wurde.


    Kurz gesagt: es kann durchaus an mir liegen, dass ich diesen hochgelobten Gesellschaftsroman nicht viel abgewinnen konnte, aber ich würde ihn nicht noch einmal lesen wollen.


    LG schnakchen

  • Der türkische Originaltitel des Romans lautet: Masumiyet Müzesi und erschien erstmals 2008


    Noch interessanter als der Hinweis auf den Originaltext ist allerdings der Hinweis auf das Museum, welches 2012 in Istanbul eröffnet hat.

    Das Museum erhielt 2014 die Auszeichnung "Europäisches Museum des Jahres". Auf der englischsprachigen Homepage kann man nachlesen, dass Buch und Museum parallel zueinander entstanden. Orhan Pamuk hat jahrelang mit dem Gedanken gespielt, ein Roman und ein Museum miteinander zu verbinden. Wenn er irgendwo einen schönen Gegenstand gesehen hat, dann hat er ihn für das zukünftige Museum gekauft und später in seinem Roman eingebaut.


    Im Museum gibt es 83 Vitrinen, wohl eine für jedes Kapitel in dem Buch. Und im Buch liest man häufig Floskeln wie "die hier bebilderte Speisekarte,..." oder "die hier ausgestellte Zuckerdose" - da hatte ich mich zunächst gefragt, ob es auch eine illustrierte Ausgabe von dem Roman gibt... Aber nein, leider keine Abbildungen im Buch, auch keine Fotos im Internet - da muss man wirklich ins Museum gehen, um die "Mosaikstückchen" des Lebens in Istanbul der 1950er Jahre und Schätzchen von Kemals und Füsuns Liebe zu betrachten.


    Ich bin jetzt erst auf Seite 100 und werde später noch etwas mehr zum Inhalt des Romans schreiben, aber die Idee, ein Museum zu eröffnen und einen Roman als Basis für dieses Museum zu schaffen, finde ich genial.

    Ach ja: im Museumsshop kann man dann so Dinge kaufen wie "die Ohrringe, die Füsun verloren hat..."


    Was denkt Ihr? Reiner Kommerz oder eine gelungene Vermischung von Literatur und Leben? War mal jemand von Euch dort?

  • Zitat von Nungesser

    Was denkt Ihr? Reiner Kommerz oder eine gelungene Vermischung von Literatur und Leben?

    Du meinst die Tatsache, dass man im Shop Dinge kaufen kann, die in seinem Roman vorkommen?


    Das ganze Projekt klingt ja richtig irre, ich habe vorher noch nie davon gehört.

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Orhan Pamuk - Das Museum der Unschuld“ zu „Orhan Pamuk - Das Museum der Unschuld / Masumiyet Müzesi“ geändert.
  • Was denkt Ihr? Reiner Kommerz oder eine gelungene Vermischung von Literatur und Leben? War mal jemand von Euch dort?

    Das Geld vom Nobel-Preis hat es Pamuk ermöglicht dieses Museum zu eröffnen. Ich würde es liebend gerne besuchen und Dir dann Deine Frage beantworten. Leider geht es momentan nicht, denn Istanbul liegt in einem Land in das ich jetzt nicht reisen tue. Schade, aber ein neues Buch von Orhan Pamuk vermisse ich auch. "Die rothaarige Frau" ist bereits vor 14 Monaten erschienen.

  • Du meinst die Tatsache, dass man im Shop Dinge kaufen kann, die in seinem Roman vorkommen?

    Ja, zum Beispiel. Wobei ich allerdings auch der Typ bin, der gerne in Museumsshops einkauft :-, Sollte ich irgendwann mal nach Istanbul kommen, dann steht dieses Museum jedenfalls ganz oben auf meiner Besichtigungsliste.

    @Yurmala - da dies erst mein drittes Buch ist, das ich von Orhan Pamuk lese, habe ich glücklicherweise noch etwas Lesestoff, bis endlich ein neues Werk von ihm erscheint.

  • Museumsshops sind überhaupt das Beste an Museen:).


    In diesem speziellen Fall fände ich es schön, wenn die verlorenen Ohrringe z.B. nur einmal in der Auslage liegen. Sieht man auf einen Blick, dass sie zehnmal zu haben wären, wäre es schon weniger poetisch :wink:.

  • Von Orhan Pamuk las ich bislang "Schnee" (eines meiner All-Time-Favoriten) und "Blick aus meinem Fenster" - beides absolut hervorragende Bücher. Diesen Roman fand ich allerdings einigermassen enttäuschend. Die ersten 200 Seiten waren noch interessant zu lesen, aber danach zog sich die Geschichte ziemlich. Acht Jahre lang Sehnsucht, Abende an denen die kleinste Annäherung und Stimmungsschwankung seziert wird, Zigarettenkippen, Löffel, alle möglichen Alltagsgegenstände erhalten den Status von Berührungsreliquien und werden ausgiebig beschrieben. Kemals Obsession zu Füsun schadet seinem restlichen Leben, Beruf und Freundeskreis werden vernachlässigt - sein Leben richtet sich komplett seiner grossen Sehnsucht aus.

    Ehrlich gesagt konnte ich es nicht nachvollziehen, ich fand es übertrieben und so ganz unschuldig an der Misere war Kemal nun auch nicht. Ich fand beide Hauptpersonen unsympathisch, blass und die "grosse Liebe" nicht nachvollziehbar.

    Toll hingegen finde ich die Idee, das Buch bereits wie einen Museumsführer aufzubauen ("...den Badeanzug, den sie hier sehen", oder "die in dieser Vitrine ausgestellte Vase"). Überhaupt die Spielerei mit den Erzählebenen: Orhan Pamuk tritt mehrmals auf, viele andere "historische Persönlichkeiten" ebenso; im Anhang gibt es ein Register mit den fiktiven und eines mit historischen Personen. Mir gefiel vielmehr die Entwicklung der türkischen Gesellschaft über die Jahre, Änderungen im Verhalten, Wertvorstellungen, usw. Allerdings war das eher im Hintergrund, weil die liebestollen Gedanken Kemals zu seiner Traumfrau viel zu viel Raum einnehmen.

    Daher: ganz okay zu lesen, aber ich fand eher die Idee reizvoll und würde mir unbedingt das Museum anschauen, wenn ich mal nach Istanbul komme. Wäre natürlich schön, wenn es zu diesem Roman eine illustrierte Ausgabe geben würde.

  • Nungesser Vielleicht wäre dieses Buch schon mal etwas für Dich. Es ist nicht der bebilderte Roman sondern eine Ergänzung dazu mit Aufnahmen von den Gegenständen aus dem Museum der Unschuld in Istanbul.


    Mich führt momentan ein anderes Buch von Pamuk in Versuchung, oder besser es sind die S-W Aufnahmen vom großen Türkischen Fotografen Ara Güler mit dem Text zu Istanbul von Orhan Pamuk.