Helen Dunmore, Die tausend Tage der Anna Michailowna

  • Org. Titel: The Siege
    Seitenzahl: 414


    Inhalt: (Cover)
    Leningrad 1941. Die deutschen Truppen belagern die Stadt und der endlose russische Winter rückt unaufhaltsam näher. Hunderttausende werden den nächsten Frühling nicht mehr erleben. In einer Zeit, da der Hunger so groß ist, dass man Leder und Tapeten auskocht, um Suppe daraus zu machen, und die Kälte so eisig, dass man die Toten nicht beerdigen kann, weil der Boden zu hart ist, schafft es die dreiundzwanzigjährge Anna mit einem unbeugsamen Willen, ihren Vater und den erst fünfjährigen Bruder Kolja am Leben zu erhalten. Unter dramatischen Umständen lernt sie den Arzt Andrej kennen, und vor dem Hintergrund enendlich schwerer Wochen und Monate entspinnt sich eine zarte Liebesgeschichte.


    Meine Meinung:
    Die vorgegebene Inhaltsangabe klingt etwas dünn - ich ergänze sie deshalb.
    Annas Vater, ein bisher angesehener Schriftsteller, landet auf der schwarzen Liste. Seine Werke werden somit nicht mehr gedruckt. Anna wird daraufhin die Zulassung zum Studium verweigert. Stattdessen arbeitet sie in einem Kindergarten und ergänzt somit die nun recht niedrigen Einkünfte des Vaters. Seit dem Tod der Mutter versorgt sie auch den kleinen Bruder Kolja. Sie baut Gemüse in der familieneigenen, außerhalb des Ortes gelegenen Datscha an - eine große Bereicherung des Küchenplans, denn in den Läden gibt es trotz langem Anstehen wenig zu kaufen. So überstehen sie die ersten Kriegszeit. Doch dann wird Leningrad eingeschlossen, eine Fahrt zur Datscha ist nicht mehr möglich, es gilt Tausende ohne Hilfe von außen zu ernähren, die Zuteilungen auf Lebensmittelkarten reichen nicht zum Überleben. Eine Bekannte des Vaters, eine vermögende Schauspielerin, sucht Zuflucht bei der Familie und hilft mit Geld und Sachwerten aus bis auch diese Quelle versiedet. Nun sind Ideen gefordert - oft wenig nahrhaft. Hinzu kommt die Kälte. Sie verbrennen alles, was Wärme erzeugt, zum Schluß auch die heißgeliebten Bücher des Vaters........
    Was hat mich an diesem Buch gereizt - es war der Blick von der anderen Seite aus. Über die erfrierenden deutschen Soldaten habe ich schon viel gelesen. Nun bot sich mir der Überlebenskampf quasi von innen. Mindestens genauso niederschmetternd, traurig und aufwühlend. Der Autorin gelingt es die Lage anhand dieser Personen sehr lebhaft und großartig erzählt zu schildern. Die anpackende Anna gefiel mir vom ersten Augenblick an und ich kämpfte mit. Dass es sich hier um die Gegenseite handelt, vergißt man schnell. Hier ist nur der Mensch wichtig. Helen Dunmores Roman ist dabei nie nur düster, sondern verbreitet die Hoffnung, die in jedem steckt und den Zusammenhalt mit seinen menschlichen Schwächen. Die kleine Liebesgeschichte ist der Umgebung angepasst - liebevoll, zart, dezent ohne Kitsch.
    Ob ich die anderen bisher erschienen Bücher der Autorin lesen werde, regt in mir Zweifel, aber dieser für sie erste Roman mit historischen Thema nimmt mich gefangen und ich kann ihr dazu nur gratulieren.
    Meine Empfehlung für euch. :D


    Autorin:
    Heken Dunmore, 1952 in Yorkshire geboren, ist eine der renommiertesten Autorinnen Englands, wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet.


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: T.C. Boyle, Der Samurai von Savannah

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Danke Bonprix für den Hinweis!
    Damals war ich noch nicht hier registriert und die alten Leserunden kenne ich nicht alle - habe es jetzt aufgearbeitet, sehr interessant!


    Gruß Wirbelwind


    :study: T.C.Boyle, Der Samurai von Savannah

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  • Hallo Wirbelwind,


    dankeschön für die Rezension!


    Das ist ein Buch für mich, von der Thematik her, und ich werde es lesen, sobald mir wieder nach dieser Art Büchern ist. Momentan brauche ich anderes. Aber auf meinem SUB wird es definitiv landen, nicht nur auf der Wunschliste!


    Was mich jetzt aber interissiert ist, warum du Zweifel hegst, ob du auch andere Bücher der Autorin liest, wenn dir dieses hier ausnahmslos gut gefallen hat?


    LG Tanni

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Hallo Tanni,
    um gleichweg deine Frage zu beantworten - bis jetzt ist das Buch leider ihr einzigstes mit historischen Hintergrund. Ich habe mir mal so angesehen was sie ansonsten schreibt, trifft vielleicht nicht so ganz meinen Nerv, kommt aber auf einen Versuch an. Ich werde irgendwann einmal wieder ein Buch von ihr lesen und dann sehen wir weiter, zur Zeit ist es also nur ein Spontanempfinden - keine Negativbeurteilung. :)


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


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  • trifft vielleicht nicht so ganz meinen Nerv


    Aber! Aber! Das kann ich ohne Protest nicht einfach stehen lassen. [-X


    Ein wunderschönes Buch ist "Der Duft des Schnees". Leider habe ich es nur im Autorenporträt kurz besprochen. Es ist in einer sehr poetischen Sprache geschrieben und ich würde mich außerordentlich wundern, wenn es Dir nicht gefiel. Eins der Bücher, die ich trotz aller SUBs irgendwann nochmal lesen werde.
    "Im ersten Licht des Tages" war dagegen enttäuschend. Nicht schlecht, aber gegenüber Anna und dem Schnee nur Mittelmaß.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Aber hallo Marie - ich laß mich jederzeit gerne vom Gegenteil überzeugen. :lol:
    Habe gerade das Autorenporträt gelesen (war auch vor meiner Zeit hier, faule Ausrede ich weiß). Empfehlungen von dir kann ich einfach nicht aus dem Weg gehen. Somit habe ich "Der Duft des Schnees" auf meine Wunschliste gesetzt. Kann noch ein Weilchen dauern, aber ich lese es bestimmt und dann reden wir weiter, ok?! Danke für den Tipp. :D


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


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