Tim Pears - Land der Fülle

  • In der englischen Stadt Northtown übernimmt der junge, ehrgeizige Charles Freeman die Fabrik seiner Eltern. Er hat eine gute Hand bei der Führung seines Unternehmens, er trifft zur rechten Zeit die richtigen Entscheidungen und hat aus der kleinen Metallfabrik schnell ein florierendes Unternehmen gemacht. Er kauft ein großes Haus und heiratet Mary, mit der er im Laufe der Jahre vier Kinder bekommt. Aber die Familie ist nicht so glücklich, wie es scheint. Mary leidet an Depressionen, Charles herrscht über die Seinen. Die Kinder suchen ihre Nischen und versuchen später alles, um den vom Vater auferlegten Zwängen zu entkommen. Über 40 Jahre konnte ich die Freeman’s begleiten. Von 1952 an lernte ich schließlich drei Generationen dieser Familie kennen.


    Tim Pears schrieb eine Familiengeschichte, aber was für eine. Diese hebt sich deutlich von den unzähligen anderen Veröffentlichungen ab. Sie ist wohl die beste, die ich bisher las.


    Pears hat seinen Protagonisten nicht nur einen fein gezeichneten Charakter gegeben, er gab ihnen auch ein Gesicht. Manchmal hatte ich das Gefühl den ziehenden Schritt von James, auf dem der eigentliche Fokus der Handlung liegt, zu hören. Alle Personen hatten ihre guten und schlechten Seiten, waren mal mehr und mal weniger sympathisch. Aber ich konnte mit ihnen fühlen und ihre Empfindungen teilen.


    Es wird aber nicht nur eine Familiengeschichte erzählt, der Autor zeigt mit viel Liebe fürs Detail, dass alle Kinder ihrer Zeit sind. Das gelingt ihm unter anderem mit Verweisen auf damals aktuelle Musiktitel und in den Kinos laufenden Filmen. Er berichtet aber auch von der Hippiezeit, der Emanzipationsbewegung und der politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung des Landes unter Margaret Thatcher. So entsteht gleichzeitig ein Zeit- und Sittenbild Englands in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. All das wird von Tim Pears in einer äußerst angenehmen Sprache präsentiert, die mich an das Buch fesselte. Er ist ein großartiger Erzähler. So wechseln sich nachdenklich machende Momente mit witzigen ab, bizarre mit Augenblicken der Normalität.


    Mein Fazit: „Land der Fülle“ ist für mich ein einzigartiges Buch, geschrieben von einem einzigartigen Erzähler. Tim Pears hat mir nicht nur ein Fenster zur Welt der Freeman’s geöffnet, sondern eine große Tür. Ich hatte das Gefühl dazuzugehören und konnte gleichzeitig in eigenen Erinnerungen schwelgen. Dieses Buch wird von mir uneingeschränkt empfohlen. Ich wünsche ihm viele Leser, die ebenso begeistert sind wie ich.


    Gebundene Ausgabe: 699 Seiten * Verlag: Blanvalet * ISBN-13: 978-3764500306

  • Auf meiner Wunschliste steht es nun auch! :D


    Gruß Wirbelwind


    :study: Helen Dunmore, Die tausend Tage der Anna Michailowna

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Und auf meiner auch! Danke für den tollen Tipp, Karthause! :applause:


    Gruß mofre

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















  • Meine Wunschliste brauche ich nicht zu bemühen, denn ich besitze es seit langem und habe es vor 4, 5 Jahren gelesen. Daher kann ich mich Karthauses Rezension nur anschließen und finde es gut, dass es bereits so viele Interessenten gewonnen hat.
    Noch besser gefiel mir Tim Pears erstes Buch "Die Farben eines Sommers".


    Marie


    edit: Da habens wirs ja schon: Die Farben eines Sommers

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Es ist schon eine Weile her, dass ich dieses Buch gelesen habe, das muss ich zugeben, aber ich kann mich noch erinnern, dass auch mir das Lesen Spaß gemacht hat, nachdem ich mich endlich entschlossen hatte, es aus meinem Bücherregal zu holen, zu entstauben und schließlich zu lesen, denn ich hatte zu Beginn wahnsinnigen Respekt vor diesem Buch, da es ja nicht gerade dünn ist, und ich bei allzu langen Büchern manchmal den Faden verliere, da ich ein relativ langsamer Leser bin. Bei diesem Buch ist mir das allerdings nicht passiert – und das ist auf jeden Fall ein gutes Zeichen... :thumright:

    With freedom, books, flowers, and the moon, who could not be happy? ― Oscar Wilde

  • Danke schön für die schöne Vorstellung :flower:


    Ich habe ja das große Glück, in Kürze in Deinem wirklichen Bücherregal herumzustöbern :friends:
    Mein Wunschzettel wird wachsen, wachsen, wachsen ... :-,

    "Ein Leben ohne Hund ist möglich, aber sinnlos ..."

    (nach Loriot)

  • Vielen Dank Karthause :cheers:


    für die wunderschöne Rezi. Ich habe es sofort auf meine Wunschliste gesetzt und auch festgestellt, dass es meine Bücherei hat. Ich habe ja gerade von Judith Lennox "Das Haus in den Wolken" gelesen, welches mir sehr gut gefallen hat, und dieses Buch hier hat mich sofort daran erinnert, weil es so ähnlich klingt :bounce: :thumright:

    Liebe Grüße
    Helga :winken:


    :study: [b]???


    Lesen ist ernten, was andere gesät haben (unbekannt)

  • Hallo,
    "Land der Fülle" ist auch für mich eines der Bücher, die ich an verregneten Wochenenden immer wieder gern lese. Es ist - wie schon sehr schön beschrieben wurde - ein detailliertes Familienepos aus dem England der letzten 50 Jahre, welches sich den Anspruch gestellt hat, über all die Jahre sämtliche Mitglieder der weit verzweigten Familie Freeman zu begleiten, und nebenbei auch viel Interessantes über die damalige gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation verrät.


    Erwähnen möchte ich auch noch den wunderbaren Schreibstil von Tim Pears, der die Handlung und all ihre verschiedenen Personen lebendig werden lässt, und auch vor absurden oder ungewöhnlichen Formulierungen - die aber stets perfekt passen - zurückschreckt.


    Insgesamt auf jeden Fall empfehlenswert!


    LG schnakchen

  • Habe es gerade eben zu Ende gelesen.
    Eine breit angelegte Familiengeschichte, wobei sich der Autor gerne mal im Detail verliert ohne aber dabei zäh oder gar langweilig zu werden. Er passt sich sehr einfühlsam den Gegebenheiten an schreibt melancholisch, traurig, tiefsinnig, aber auch kritisch, ironisch und witzig.
    Ein großartiger Erzähler, wie man ihn selten findet. Sehr empfehlenswert.
    Schön Karthause, dass du dieses Buch für uns entdeckt hast! :thumleft:


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Helen Dunmore, Dunkel wie des Menschen Herz

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Wirbelwind


    In deiner signatur war ja zu erkennen, dass du gerade den Pears liest. Ich habe schon gespannt auf deine Meinung gewartet und bin nun froh, dass du auch Gefallen daran gefunden hast.


    Ebenso freue ich mich schon jetzt auf deine Meinung zu deinem aktuellen Buch von Helen Dunmore. Ich habe es auch auf dem SuB, mal schauen, vielleicht rückt es nach deiner Rezi etwas in der dringlichkeit nach oben. :wink:

  • Das Buch klingt sehr gut - und kommt damit auf meine Wunschliste. ;)


    So, nach etwas mehr als 2 Jahren hat das Buch es geschafft, von der Wunschliste auf den SuB und schließlich auch auch gelesen zu werden. 8-[ Und es hat sich gelohnt!


    Am Anfang fand ich das Buch etwas langatmig, aber das legte sich sehr schnell. Und als ich mich bei den Freeman's so richtig eingelesen hatte, wollte ich sie am liebsten gar nicht mehr verlassen.
    Eine richtig tolle Familiengeschichte. Aber, mir ist es ähnlich wie Marie gegangen: "Die Farben eines Sommers" hat mir noch etwas besser gefallen.
    Ich bin auf jeden Fall gespannt auf "A Revolution of the Sun", das bei mir auch schon parat liegt.

  • Danke, dass Ihr mich wieder an dieses großartige Buch erinnert, das ich vor vielleicht 12 Jahren begeistert gelesen habe ... das schreit nach dem schon längst fälligen "Re-Read". Werde dann berichten, ob es mir immer noch so gut gefällt.