KLR: Seite 1 - Seite 79

  • Gerne würde ich noch anmerken, dass Kassandra für ihre Zeit, eine wahrscheinlich ungewöhnliche Frau war.
    Der Liebling des Vater. Ihr wurden Privilegien zuteil, die beispielsweise schon ihren Geschwistern verwehrt blieben. Wie, ihre Teilnahme an politischen Gesprächen.


    Zu dem Punkt wollte ich noch etwas schreiben: Mir ist aufgefallen, dass Hekabe ebenfalls an politischen Gesprächen teilgenommen hat. Ansonsten hatte ich eher den Eindruck, dass Frauen ganz und gar nichts zu sagen haben. Warum Hekabe dieses Privileg hatte, weiß ich nicht. :-k

    Jede Minute, die man lacht, verlängert das Leben um eine Stunde. (Chinesisches Sprichwort)

    Wer Bücher kauft, kauft Wertpapiere. (Erich Kästner)

  • Ich finde eure Informationen auch sehr interessant, obwohl ich noch nicht so weit im Buch bin, um die Parallelen zur damaligen Politik zu erkennen.


    Mit der Sprache komme ich eigentlich gut zurecht; am Anfang war es etwas schwierig, dann wurde es regelrecht flüssig und danach etwas verwirrt und hastig. Ich denke, die Sprache gibt die innere Verfassung von Kassandra wider.


    Es fällt mir jedoch recht schwer, mich in sie hinein zu versetzen. Ich "haste" quasi nicht mit.


    Es gab zwei Sätze, die mich zum Nachdenken angeregt haben und die ich hier kommentarlos zitieren möchte:

    Zitat

    "Ich dachte, Erwachsensein bestehe aus diesem Spiel: sich selbst verlieren." S.30 dtv

    Zitat

    "Viel später ging mir auf, dass, wie ein Mensch sich gegenüber Schmerz verhält, mehr über seine Zukunft verrät als die meisten andern Zeichen, die ich kenne." S.34 dtv

  • Warum Hekabe dieses Privileg hatte, weiß ich nicht.


    Ich denke, sie hatte das Privileg da sie eine Königin war.
    Während des Krieges verliert sie allerdings immer mehr an Macht.


    @ mofre
    So weit bin ich in dem Buch leider noch nicht.
    Aber, die von dir zitierte Stelle finde ich sehr interessant und bin auch der Meinung, das diese auf jeden Fall von der Stasi "kassiert" wurde.

    Narkose durch Bücher - Das Richtige ist: das intensive Buch.
    Das Buch, dessen Autor dem Leser sofort ein Lasso um den Hals wirft, ihn zerrt, zerrt und nicht mehr losläßt.


    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • Ihr Lieben, ich möchte mich nur entschuldigen, wenn ich in den nächsten Tagen nicht wirklich viel zur Runde beitragen kann. Wir renovieren gerade Schlaf- und Kinderzimmer und am Abend bin einfach zu müde, um so "schwere Kost" wie "Kassandra" zu lesen. Möglich sind maximal ein paar Seiten Nora Roberts bevor mir die Augen zufallen. :) Am Montag müssten wir den Großteil in der Wohnung geschafft haben. :winken:

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  • Nun will ich mich endlich zur Sprache des Romans äußern, die ja sehr auffällig und artifiziell ist. Sie spielt eine große Rolle, weil sie die innere Verfassung Kassandras widerspiegelt und auch immer wieder selbst zum Thema gemacht wird.
    Im Angesicht des Todes denkt Kassandra über die vergangenen Ereignisse nach. Der in Assoziationen, Zeit- und Gedankensprüngen verlaufende Strom ihrer Erinnerungen ist in erster Linie aber eine Auseinandersetzung mit sich selbst, den Ursachen und Beweggründen ihres Denkens, Fühlens und Handelns. Es geht dabei oft um sehr schmerzhafte Fragen, zum Beispiel um den wahren Grund für ihren Wunsch, Seherin zu werden, um das Spannungsverhältnis zwischen ihrem Amt und ihrer Loyalität der Familie gegenüber, um ihre Liebe zu Äneas. Je nach Gefühlslage wechselt ruhiger Erzählton mit sehr expressivem, emotionalem Sprachgestus. Grammatikalisch exakte Sätze stehen neben solchen, in denen die grammatikalischen Regeln außer Kraft gesetzt sind, ausformulierte Sätze neben Ellipsen (Sätze, bei denen ein Satzteil fehlt: „je näher dem Tod, desto leuchtender und näher die Bilder der Kindheit“ muss richtig heißen: „je näher man dem Tod ist…“), Halbsätzen und Ausrufen, Hochsprache neben Umgangssprache, pathetische Ausrufe neben saloppen Formulierungen. Es finden sich viele Konjunktive, die Fragen oder Zweifel ausdrücken, aber auch vergebliche Wünsche (ach, hätte/wäre ich doch!) und zahlreiche teils echte, teils rhetorische Fragen, es überwiegt die indirekte Rede. Fragezeichen oder Anführungszeichen fehlen meist, um einen gleitenden Text im Sinne eines Bewusstseinsstroms zu ermöglichen. Eine weitere Besonderheit ist die Archaisierung des Textes durch die altgriechisch geschriebenen Namen (Klytaimnestra statt Klytämnestra, Troia statt Troja, Aineias statt Äneas) und die häufige Verwendung des bis auf die Antike zurückgehenden jambischen Versfußes. Es gibt noch etliche weitere stilistische Besonderheiten, aber wir sind ja hier nicht in der Schule. Die Sprache ist Ausdruck des inneren Aufgewühltseins Kassandras, ihrer Fragen und Zweifel, ihres Schmerzes und ihrer Trauer über die Unausweichlichkeit des Schicksals, die ewige Blindheit der Menschen und über die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen, Troja zu retten.
    Immer wieder dazwischen gestreut sind Gedanken über die Sprache, über ihre Macht und Ohnmacht, darüber, wie man mit Sprache lügen oder verschleiern kann und wie Sprache als politisches Kontrollinstrument eingesetzt wird. Drei Beispiele:

    Zitat

    ...dass wir lieber den bestrafen, der die Tat benennt, als den, der sie begeht, S.18


    Zitat

    Er habe sie opfern müssen..., Wörter wie "morden", "schlachten" sind den Mördern und Schlächtern unbekannt. Wie weit ich mich, auch in meiner Sprache, von ihnen entfernt hatte, S. 62


    Zitat

    Seit wann entschied ein Offizier über den Gebrauch von Wörtern...Seitdem sie ihn (den Feind) mit einem Sicherheitsnetz umgeben hatten. Ein neues Wort (Feind). Dafür gab man das alte, Gastfreund, her. Was sind Wörter. Auf einmal sahn sich alle, die an "Gastfreund" festhielten, auch ich, beargwöhnt, S.64


    Ich erinnere mich, dass bei Erscheinen des Buches Anfang der achtziger Jahre die Kritiker sehr unterschiedlicher Meinung über den Sprachstil waren. Mir persönlich gefällt er. Der Rhythmus wirkt manchmal etwas holprig, und das Nebeneinander von umgangssprachlichen Ausdrücken und pathetischen Sprachgestus streift an einigen Stellen fast das Komische. Aber meiner Meinung nach ist es ihr gut gelungen, moderne Denkart und antike Atmosphäre zu verbinden.


    Damit möchte ich mich aus der Leserunde verabschieden. Unser Austausch hier verläuft schleppend, um genau zu sein: Er findet gar nicht statt. Ich habe schon auf den ersten Seiten gemerkt, dass dieser Text nicht leserundenkompatibel ist. Dieses Buch liest man am besten erstmal für sich allein. Bei diesem gedrängten, sehr komplexen Text, der gleich am Anfang Fragestellungen aufwirft, die erst allmählich und dann immer nur stückweise aufgelöst werden, weiß man nicht so recht, wo man ansetzen soll. Er verlangt eine intensive Auseinandersetzung und eine besondere Art der Besprechung, die eine Leserunde nicht leisten kann, es sei denn, alle hätten Lust und Zeit, dieses Engagement aufzubringen. Das hat hier keiner, auch ich nicht, und daher schlage ich vor, konsequent zu sein und die LR abzubrechen. Es wäre allerdings schön, wenn jeder nach der Lektüre des Buches seine Eindrücke im Rezensionsthread posten würdet.


    Gruß mofre

    :study: Willa Cather - Meine Antonia

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    :study: James Wood - Die Kunst des Erzählens















    2 Mal editiert, zuletzt von mofre ()

  • Einerseits bedauere ich, dass du Mofre , dich aus der Leserunde verabschiedest, andererseits hast du genau meine Gedanken ausgesprochen. Normalerweise habe ich überhaupt keine Schwierigkeiten mich über ein Buch zu unterhalten, doch hier fehlen mir nicht nur die Worte, ich weiß eigentlich nicht, was ich sagen soll. Nur Erklärungen abzugeben, die ich ergoogelt habe, sagen mir eigentlich nicht zu. Ich begebe mich in Wartehaltung, erhoffe Impulse, die mich vielleicht zur Reaktion führen könnten, was jedoch nicht der Sinn einer Leserunde sein kann.
    Eigentlich schade, denn auch wenn Kassandra mich stellenweise nervt (es ist eine immense Rastlosigkeit zu verspüren, die mich hindert mehr als ein paar Seiten hintereinander zu lesen), kann ich dem Roman viel abgewinnen.


    herzlichst: alixe

    [i][color=#000066][font='Verdana, Helvetica, sans-serif']Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. [size=8](Erasmus von Rotterdam)

  • Jetzt habe ich zwar noch nicht regulär Internet - aber wenigstens meinen Umzug erledigt. Kann also voll in der Leserunde einsteigen und bin aktuell etwa bei S.60.



    Eumelos hat einen Überwachungs- und Bespitzelungsapparat aufgebaut, der sogar den Sprachgebrauch kontrolliert und eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen schafft. Die Parallelen zur Stasi sind so offensichtlich, dass diese Stelle von der DDR-Zensur bestimmt "kassiert" wurde.


    In der Erzählung wurde in der DDR-Ausgabe nicht ein einziges Zeichen zensiert - zensiert wurden nur diverse Absätze in den Vorlesungen zur allgemeinen Aufrüstung; also der der NATO und des Warschauer Paktes.


    Das/ein Hauptthema (nach bisherigem Lesen) wurde bislang nicht so erwähnt: Der Geschlechterkonflikt, der sich in zahlreichen Abschnitten finden lässt. Sei es die Tatsache, dass Kassandra nicht Haruspex werden konnte - obwohl es offenbar einst ein Frauenamt war, da ihr Bruder in Frauenkleider dieses Amt verrichtete (S.35) oder dass die eigtl. Herrscher in Mykene Klytaimnestra bzw. in Troja Hekabe (S.45) waren; auch der Bezug auf die Muttergottheit Kybele und die geheime Ausübung deren Anbetung - gegen die äußerlicheren patriarchalen Herrschaftsstrukturen - weist gewissermaßen auf den Übergang von einem matriarchalen Herrschaftssystem zum patriarchalen Herrschaftssystem hin: deren Vertreter sind ja auch charakterisiert in "Achill dem Vieh" und dem rational handelnden und denkenden Aineias. Diese Interpretation würde m.E. auch gut zu Christa Wolfs Biographie bzw. politischer Einstellung passen: sie bewegt sich da ja durchaus im marxistischen Geschichtsverständnis, wenn man z.B. Friedrich Engels "Der Ursprung der Familie" damit vergleicht.
    Zur Frage nach dem Krieg bzw. Frieden fand ich besonders aufschlußreich ja die Passage:

    Zitat

    Doch ist diese Selbstfremdheit eines Prinzen der Schlüssel zu einem großen Krieg? Sie werden es so auslegen, fürchte ich. Sie brauchen diese persönlichen Gründe. (S.54)

    . So ganz im Klaren bin ich mir über die Ursachen bislang allerdings noch nicht.


    Sehr interessant an dem Buch finde ich ja, dass trotz der äußerst persönlichen Erzählperspektive mehr über die Menschen ausgesagt wird, als in der weit unpersönlicher verfassten homerischen Illias. Ich nehme an, dass Christa Wolf zu dem Thema auch entsprechend recherchiert hat um das in die Erzählung einfliessen zu lassen. So wirkt das Buch, gerade wegen der unvermeidbar angelegten subjektiven Verzerrung durch Kassandras persönliche Sichtweise, ziemlich authentisch. Mehr als Homer jedenfalls. Und dieses bedingte Weglassen der Götter schadet auch ganz gewiss nicht.

    Warum ich Welt und Menschheit nicht verfluche?
    - Weil ich den Menschen spüre, den ich suche.

    - Erich Mühsam

  • Damit möchte ich mich aus der Leserunde verabschieden. Unser Austausch hier verläuft schleppend, um genau zu sein: Er findet gar nicht statt. Ich habe schon auf den ersten Seiten gemerkt, dass dieser Text nicht leserundenkompatibel ist. Dieses Buch liest man am besten erstmal für sich allein. Bei diesem gedrängten, sehr komplexen Text, der gleich am Anfang Fragestellungen aufwirft, die erst allmählich und dann immer nur stückweise aufgelöst werden, weiß man nicht so recht, wo man ansetzen soll. Er verlangt eine intensive Auseinandersetzung und eine besondere Art der Besprechung, die eine Leserunde nicht leisten kann, es sei denn, alle hätten Lust und Zeit, dieses Engagement aufzubringen. Das hat hier keiner, auch ich nicht, und daher schlage ich vor, konsequent zu sein und die LR abzubrechen. Es wäre allerdings schön, wenn jeder nach der Lektüre des Buches seine Eindrücke im Rezensionsthread posten würdet.


    Vielen Dank für deine klaren Worte.
    Du hast Recht, denn auch ich habe gemerkt, dass dieses Buch nicht leserundenkompatibel ist. Und ich gebe dir auch Recht, dass dieses Buch eine andere Art der Auseinandersetzung braucht als eine Leserunde.
    Mir geht es ähnlich wie Alixe, ich finde einfach keine "Diskussionsgrundlage".
    Das Buch ist meiner Meinung nach (ich kannte es bisher nicht), eines dass man in ruhigen Stunden alleine lesen sollte und es auf sich wirken lässt. Und mit dem man sich gegebenenfalls auf seine eigene Art und Weise auseinandersetzt.


    Darum frage ich nun offiziell in die Rund ob wir abbrechen wollen ?


    Da Buch werde ich selbstverständlich zuende lesen, da es auf seine Art ein wunderbares Werk ist.

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    :study: Sarah J. Mass - Throne of Glass / Die Erwählte :study:

  • Darum frage ich nun offiziell in die Rund ob wir abbrechen wollen ?


    Ich finde es wirklich schade, die Runde abzubrechen. Aber mir ergeht es ähnlich. Ich hoffte ebenfalls auf eure Eindrücke, um dann meine Kommentare dazuzugeben. Ich habe ja nun ein paar Tage nicht im Buch gelesen und bin irgendwie "draußen". Ich denke, das Buch sollte man in einem durchlesen.


    Es wäre allerdings schön, wenn jeder nach der Lektüre des Buches seine Eindrücke im Rezensionsthread posten würdet.


    Für mich wäre es natürlich "leichter" gewesen, das Buch mit euch gemeinsam zu lesen. Mofre hat mir viele Einblicke ermöglicht, die ich "überlesen" bzw. gar nicht richtig verstanden habe. :uups: So wäre die Runde sehr hilfreich gewesen. Doch dies ist eben nicht Sinn einer Leserunde. Ich werde versuchen, das Buch zu lesen, kann es allerdings nicht versprechen.

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    Einmal editiert, zuletzt von Christinale ()

  • Ich wäre mit einem Leserundenabbruch einverstanden. Auch ich finde es schwierig, mich dazu zu äussern.
    Eine andere Möglichkeit wäre, die Leserunde auf den Januar zu verschieben und für dann aber vorauszusetzen, das Buch gelesen zu haben.

  • @ Athiloris
    Ich weiß nicht, ob es wirklich Sinn macht, das Buch im Januar nochmal aufzugreifen. Denn auch wenn es alle bis dahin gelesen haben, bleibt es schwierig sich dazu zu äußern. Gern lass ich mich vom Gegenteil überzeugen, aber ich denke, dass es nichts wird. :(

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  • Dann ist diese Leserunde also offiziell abgebrochen?


    Leider ja. :(

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