Carsten Jensen - Wir Ertrunkenen/Vi, de druknede

  • Klappentext:

    Alles beginnt im Jahr 1848, als der Seemann Laurids Madsen in den Himmel fliegt und unversehrt wieder zur Erde zurückkehrt. Der Tod hat ihn nicht gewollt. Später wird er sagen, seine Stiefel seien zu schwer für ein Leben da oben gewesen. Seitdem ist Laurids eigenartig, und irgendwann verschwindet er auf den Weltmeeren. Seine Stiefel bleiben zurück, bis sein Sohn Albert sie anzieht. Er macht sich auf den Weg in die Südsee, um seinen Vater zu suchen. Mit dem Schrumpfkopf von James Cook und dem Geheimnis der Geldvermehrung kehrt er als Reeder zurück in seine Heimatstadt Marstal. Er weiß, in den Frachträumen der großen Segelschiffe liegt im neuen Jahrhundert die Zukunft. Von Marstal aus sollen noch mehr Schiffe in See stechen. Doch Albert hat nicht mit den Frauen gerechnet. Sie hassen das Meer, das ihnen ihre Männer und Söhne genommen hat und immer wieder nimmt. Auch Klara hat gerade ihren Mann verloren. Niemals soll ihr Sohn auf einem Schiff anheuern. Doch Knud Erik lauscht den phantastischen Geschichten Alberts, und während der alte Reeder und Klara sich näher kommen, hat die Mutter ihren Sohn bereits an das Meer verloren. Klara will sich damit nicht abfinden und nimmt den Kampf auf.

    Eigene Beurteilung:

    Wem die Geschichte nach dem Klappentext gefällt, der wird von dem Inhalt des Buches davon geblasen werden. Denn die Geschichte Marstals dreht sich zwar um Klara und Albert, aber auch viele andere Personen spielen eine wichtige Rolle und so erzählt das kollektive „Wir“ der Stadt den Leserinnen und Lesern den Weg der Stadt und ihrer Menschen von 1848 bis 1943, sowie die Entwicklung der Segelschifffahrt über die Dampf- zur Motorschifffahrt. Dabei begleiten wir Albert auf seine Reise, aber auch viele andere und bekommen einen guten Einblick in ein Jahrhundert der Seefahrt – und auch leider der Seekriegsführung. Ein eindringliches und bewegendes Buch, das wirklich in jede ernsthafte Bibliothek gehört.

  • Ich habe das Buch vor einigen Tagen geschenkt bekommen. Ich muss zugeben, dass ich es mir selbst wohl nicht ausgesucht hätte. Doch nun, nach dieser Rezension, bin ich schon sehr gespannt, das Buch zur Hand zu nehmen und es zu lesen. Es klingt ungewöhnlich. Vielen Dank schon einmal für diese neugierig machende Rezension. Sobald ich das Buch ausgelesen habe, werde ich mehr an dieser Stelle schreiben. :study:

  • Da dies hier nur ein Appendix zur bereits vorhandenen Rezension sein kann, spare ich es mir, den Klappentext der vorliegenden Ausgabe hier nochmals unterzubringen.



    Eigene Meinung:


    Carsten Jensen hat mit „Wir Ertrunkenen“ ein beinahe schon einzigartig zu nennenden Roman geschaffen, der in einer Art historischen Panorama 100 Jahre Geschichte der Bewohner einer dänischen Inselgemeinde schildert, ohne dabei einen Auktorialen Erzähler zu bemühen, gleichwohl aber auch ohne den Erzähler während dem Voranschreiten der Handlung wechseln zu müssen. Dieses Kunststück gelingt dem Autor durch einen „Wir“-Erzähler, der dem Kollektiv der Bewohner Marstals entspricht und sich in dieser Eigenschaft auch über die Zehn Dekaden lange Erzählung nicht direkt verändert, auch wenn natürlich die Marstaler selbst mit der Zeit andere geworden sind. Allein dieses Kunststück macht den gesamten Leseprozess interessant.


    Jensen vermag es zudem eindringlich, interessant und lebendig zu erzählen, seinen Figuren Profil zu verleihen und Ernst mit Unernst in Einklang zu bringen, wie das ein gewisser deutscher Schriftsteller, mit nachweisbarer Affinität für Gdansk, nicht besser vermocht hätte.


    Was das Buch als Ganzes abrundet, ist die tolle Aufmachung: Der Meerblaue Einband (der nur noch hätte aus Leinen, statt Pappe sein sollen), das silberfarbene Vorsatzpapier und das Lesebändchen im gleichen Ton. Mit Autorenporträt und verschiedenen Karten setzt der Knaus Verlag dieser Ausgabe wahrhaft die Krone auf. Es wäre interessant zu wissen, ob dies auch in der Originalausgabe schon zur Ausstattung gehörte.


    Schön auf alle Fälle wieder einen skandinavischen Schriftsteller kennengelernt zu haben, der in einer Liga mit den Isländern Sjón und Kristin Marja Baldursdottir spielt. Volle :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: sind hier mehr als angemessen.



    Da ich dieses Buch durch ein Gewinnspiel im Büchertreff in die Hände bekommen habe, bleibt ganz zum Schluss nur noch zu sagen: DANKE!

  • Das Buch liegt schon geraume Zeit auf meiner SUB. Ich werde es wohl langsam von unten nach oben holen. Danke für das neugierig machen.
    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Michael Tietz, Rattentanz

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Ja, liebe Wirbelwind, mach für mich mal (wieder) den Vorkoster. Seit das Buch im Handel ist, schleiche drum herum und weiß nicht, was ich will. :-k So unentschlossen bin ich beim Buchkauf selten.

  • Kurzbeschreibung von Amazon: "Von Männern, die ihrer Sehnsucht folgen. Von Frauen, die dem Meer, das ihnen die Männer und Söhne raubt, den Krieg erklären.


    Carsten Jensen erzählt von Menschen, deren Leben vom Meer bestimmt ist. Von Männern, die ihrer Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer folgen, und von Frauen, die dem Meer, das ihnen die Männer und die Söhne raubt, den Kampf ansagen. Wir Ertrunkenen ist ein großes Buch über Liebe, Freundschaft, Verlust und Wahnsinn, voller Satanskerle, Glücksritter, Leichtmatrosen und starker Frauen."




    Wir Ertrunkenen ist eine große dramatische Geschichte über eine Reihe von Generationen von Männern aus der Seefahrerstadt Marstal. Eine Geschichte von Männern die alle einen enormen Drang, einen inbrunstigen Wunsch haben die Welt zu sehen. Sie haben es im Blut zur See zu fahren.


    Carsten Jensen erzählt in einer eigentlich unbekannten Form, es ist ein "wir", das als Sprachrohr für Klatsch dient, für Geschichten über die kleine Stadt Marstal die sich zur wichtigsten Seefahrerstadt Dänemarks hinaufarbeitet. Dieses "wir" ist auch Zeuge für die verschiedensten Schicksale auf die der Roman basiert, ein kollektives "wir" das alle zu einem gemeinsamen Schicksal verbindet.


    Im ersten Teil des Romans kämpfen "wir" im Jahre 1848 zusammen mit dem Matrosen Laurids gegen die Deutschen, und im zweiten Teil erleben "wir" wie Albert, der Sohn von Laurids, die Weltmeere bereist um seinen verschollenen und tot geglaubten Vater zu finden; um schließlich mit Knud Erik zur See zu fahren, dem Albert zuvor als in die Jahre gekommener Schiffseigner zum Ersatz-Opa wurde als dieser noch ein Kind war.


    Gemeinsam ist den drei Männern jedoch, daß sie alle nach Hause kommen, nach Marstal, um Frieden zu finden. Sie alle haben hart daran gearbeitet ihrer Vergangenheit auf dem Meer zu entkommen, sie müssen kämpfen um sich mit den Entscheidungen und dem Schicksal das sie in der Welt erwartet zu entkommen.


    Das Meer spielt eine wichtige Rolle in den Leben der Männer von Marstal. Es ist dort wo sie leben, wovon sie träumen und womit sie ringen und wo sie auch zu Tode kommen. Ihre Welt ist in jeder Hinsicht weit entfernt vom Leben ihrer Frauen und Mütter die zu Hause bleiben. Marstal ist eigentlich eine Stadt der Frauen, während die Männer oft jahrelang unterwegs sind.


    Viele der Kinder von Marstal wachsen ohne Väter auf welche vom Meer verschlungen wurden. Natürliche Autoritäten, Vaterfiguren gibt es kaum, stattdessen einen sadistischen Schullehrer der gnadenlos und ohne Skrupel in die Kinder seine eigene Grausamkeit hineinprügelt.


    Trotz der bitteren Erfahrungen durch das gefräßige Meer fühlen sich die meisten Söhne der Stadt hingezogen zu ihr. Sie haben eine natürliche Faszination durch die Weitergabe der Traditionen und nehmen Verluste achselzuckend hin. Jeder könnte der nächste sein.


    Aber die Zeiten ändern sich, langsam zwar aber sie tun es, und es sind schließlich die Frauen die tolerant und verständnissvoll auch ihre Söhne den Vätern aufs Meer nachgeschickt haben die alles verändern. Statt mit offenen Armen umherzugehen verwandeln sie sich, und mit festen Griff halten sie die Söhne der Stadt vom Meer entfernt. Währenddessen müssen sie auch der Tatsache ins Auge sehen das keine Seeleute der alten Schule mehr gebraucht werden. Die Frauen zeigen eine bisher unbekannte Kraft in ihnen und auch Unabhängigkeit.


    Wir Ertrunkenen ist eine Reise zu den weltweit entferntesten und exotischsten Orten aber auch eine Reise zwischen den Geschlechtern, zwischen Traum und Verantwortung, zwischen Freiheit und Zwang und vorallem zwischen Leben und Tod. Es ist eine beeindruckende Chronik und Geschichte über das Schicksal des Lebens.


    816 Seiten hat die Taschenbuchausgabe aber langweilig wird einem dabei nicht, ein echter page-turner.

  • Ein packender Roman!


    Direkt vom ersten Kapitel bekam ich eine Gänsehaut, noch nie hatte ich so eindringlich eine Beschreibung einer Kriegsszenerie gelesen. Es flogen Arme, Beine und andere Körperteile durch die Luft, die mir beim Lesen auch oft weg blieb. >Wenn das so weiter geht<, dachte ich mir > dann werde ich das Buch über Monate hinweg lesen müssen!< Denn ich konnte nicht schlafen nach diesem Kapitel.


    Für E. war die Kanonenkugel ein Ungeheuer mit einem eigenen freien Willen. Es zeigte ihm, was Krieg bedeutete, und das waren keine Standbatterien, die in die Luft flogen, und keine Zinnsoldaten auf der Flucht. Ein Drache fauchte heiß auf sein blankes Herz.


    Jensen beschreibt dies, und viele weitere Szenen im Buch, so unmittelbar und direkt, weil er eine seltene Erzählform wählt. Die Marstaler Seeleute, ein Küstenort an der Ostsee von Dänemark, sind die Hauptfiguren des Romans. Und in ihrer Gemeinschaft erhalten sie das „Wir“, in dem sich der Leser so wunderbar einreihen kann. Das Wir erstreckt sich über 100 Jahre Seefahrt, von 1842 bis Ende des II. Weltkriegs.


    Wir wissen mehr über dich als du selbst. Wir haben dich gesehen, und wir haben mehr gesehen als das, was sich dir im Spiegel zeigt.


    Ein Leitmotiv im Buch ist das Umkreisen des Begriffs der „Härte“. Die Härte des Meeres, wenn die Seefahrer in Stürme oder totaler Windstille geraten, die Härte des Wartens der Mütter und der werdenen Witwen, und die Härte der Männer, die jegliches Gewissen über Bord werfen müssen, um der Härte gerecht zu werden.
    Es geht auch um den technischen Fortschritt und es ist auch ein Buch über den Tod …


    Die ganze Welt bewege sich vorwärts wie ein Schiff auf See, und die Insel sei lediglich ein solches Schiff im endlosen Meer der Zeit auf dem Weg in die Zukunft.


    Im letzten Drittel, ab dem Kapitel „Die Heimkehr“, hat das Buch dann seine Längen. Albert und Knud sind sich so ähnlich, zum verwechseln ähnlich, so dass man die Geschichten nicht als Geschichte der Geschichte liest, alles vermischt sich, wird einerlei. Es wiederholt sich, so wie sich Geschichte ständig wiederholt. Dies ist bestimmt so gewollt, bricht aber die Spannung.


    Carsten Jensen (* 24. Juli 1952 in Marstal auf Ærø) ist ein dänischer Schriftsteller und Professor für Kulturanalyse an der Humanistischen Fakultät der Süddänischen Universität. Er verfasste bisher vier Romane sowie einige Reiseerzählungen und etliche Essays. Sein bisher erfolgreichster Roman ist das 2006 erschienene Werk „Vi, de druknede“, das auf Deutsch unter dem Titel „Wir Ertrunkenen“ herausgegeben wurde. In Dänemark war der Roman mit 120.000 verkauften Exemplaren ein überragender Erfolg. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und bislang in 10 Sprachen übersetzt. Erzählt wird darin stellvertretend für die Geschichte des modernen Dänemark die Geschichte seiner Geburtsstadt Marstal. (Auszug aus Wikipedia)


    Fazit: „Wir Ertrunkenen“ habe ich gerne gelesen und auch für Schneckenleser recht flott, weil das Buch über weite Teile sehr spannend ist. Zu Beginn fällt eine sehr markante Sprache ins Auge, die sich im Laufe des Romans verliert.