Alexander Solschenizyn - Matrjonas Hof

  • Original : Матрёнин двор (oder : Не стоит село без праведника), russisch, Erstveröffentlichung 1963 in Novy Mir


    Zum Tode von Alexander Solschenizyn


    Der Ich-Erzähler ist sichtbar müde und mitgenommen von den „gerade mal 10 Jährchen“, die er fern der Welt bis 1953 hinein (Tod Stalins!) hinter sich hat. Und nach und nach wird klar, dass er im Gefängnis saß, nun freigelassen wurde und sich absetzen und verschwinden will in den wohltuenden Weiten Russlands. Nach einigen Suchen findet er Anstellung als Mathematiklehrer in einer abgeschiedenen Gegend: Unterkunft findet er trotz anfänglichen Widerstandes bei Matrjona: einer Frau, die anscheinend ihr eigenes Anwesen nicht in Schuß halten kann: es fällt beinahe zusammen, die Mäuse und Kakerlaken bevölkern Tapeten und Böden...In ihrer Gutmütigkeit lässt sie sich von allen einspannen, fast immer ohne Gegenleistung. Und als sogar ihr alter Verlobter, der im ersten Krieg vermisst worden war und so dem jüngeren Bruder eine Braut gelassen hatte, in rasender Habgier (und später Rache?) ein Teil des Hauses als Erbanzahlung für seine Tochter (und Matrjonas Patenkind) verlangt, ist die Katastrophe nicht weit.


    Nach dem Tode Alexander Solschenizyns Anfang August 2008 war es für mich naheliegend, in diesen Wochen erneut etwas von ihm zu lesen, und so griff ich zu Matrjonas Hof, einer Kurzgeschichte von 50-60 Seiten, die ich vor Jahren in einem Erzählbändchen entdeckt hatte und nun in einer französischen Ausgabe also wieder las. Aber wie sehr glänzt diese Perle auch beim zweiten, dritten Lesen! Hier ist nicht der Chroniker und Geschichtsforscher am Werke, aber ein ganz persönlicher, russischer Alexander Solschenizyn, von dessen Vita und tiefen Überzeugungen sich hier so viel widerspiegelt! Matrjona ist das Sinnbild selber des/der unerkannten Gerechten, die ein Dorf, ein Land, eine Stadt leben lassen, „ohne dass wir es wussten“. Aber man muss schon gut hinsehen, um eben diese ihre Güte wahrzunehmen: zu offensichtlich scheinen für manchen Betrachter das laisser aller der russischen Art. Wer den Menschen hier nach den Werten des Erfolges und des Effizienz einschätzen will, kommt zu kurz oder schüttelt mitleidig den Kopf angesichts einer Frau, die sich quasi ausnehmen lässt.
    Aber wir brauchen solche Menschen!


    Alexander Issajewitsch Solschenizyn (russisch Александр Исаевич Солженицын, * 11. Dezember 1918 in Kislowodsk, Gouvernement Stawropol; † 3. August 2008 in Moskau, war ein russischer Schriftsteller, Dramatiker und Träger des Nobelpreises für Literatur.

  • Hier eine der zahlreichen Ausgaben des Buches:
    http://www.ozon.ru/context/detail/id/18088017/


    Haha: Titelbild ganz richtig angegeben, aber Titel und Autor ein absoluter Gag!

  • Hier hat es ja "nur" 9 Jahre gedauert, bis ich die Erzählung vom SuB befreit habe. Und ich kann sagen, es hat sich hundertprozentig gelohnt. Der gelungenen Rezension von @tom leo ist nicht viel mehr beizufügen. Die Erzählung ist eher unaufgeregt und punktet durch eine genaue Betrachtungsweise. Man bekommt durchaus einen entsprechenden Eindruck vom Leben in der Sowjetunion und bekommt eine Geschichte ohne jegliche Ideologie vorgesetzt, was bei dem Autor wohl auch eher verwundert hätte. Nach und nach wird die Geschichte und die Persönlichkeit Matrjonas enthüllt und es wird klar, warum sie so lebt und so handelt. Das ist äußerst berührend, sehr menschlich und ohne kitschig zu werden.


    Wer den Menschen hier nach den Werten des Erfolges und des Effizienz einschätzen will, kommt zu kurz oder schüttelt mitleidig den Kopf angesichts einer Frau, die sich quasi ausnehmen lässt.
    Aber wir brauchen solche Menschen!

    Ja, man würde sich wünschen, wenn es mehr solcher Menschen gäbe. Wobei ich ihr hin und wieder gewünscht hätte auch mal ein "Nein" sagen zu können. Aber es hätte nicht zu ihrem warmen Wesen gepasst. Sich mal zusammenzureißen, obwohl es einem selbst nicht gut geht und was für andere zu tun, das kann man hier durchaus lernen.


    Viel mehr mag ich jetzt über diese Erzählung nicht mehr schreiben, es würde zu viel verraten. Ich kann sie den entsprechend interessierten Lesern empfehlen!

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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