Hans- Werner Richter - Ein Julitag

  • Inhalt:



    Christian sitzt an einem Julitag im Garten seines verstorbenen Bruders mit dessen Frau, die seine Jugendliebe war.
    Christian lässt die gemeinsame Vergangenheit, vor allem in Gedanken, noch einmal aufleben.
    Es ist die Zeit kurz vor und während dem Hitler-Regime.






    Meine Eindrücke:


    Es ist ein stiller Roman, ohne Dramatik und doch sind kurze Momente der
    Angst, der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit von erdrückender
    Intensität, die dem Leser jegliche Wärme entziehen.


    Das hier beschriebene Paris ist nicht Picassos und Miròs
    Bohemien-Stadt, es ist ein kaltes, fremdes, nicht einladendes Paris,
    das seinen Exilmenschen genau so viel bieten will, wie die westliche
    Welt heute anderen Flüchtlingen.


    Und trotzdem empfindet der Leser kein Mitleid mit dem
    Protagonisten, dieser hält sich solch erniedrigende Gefühle mit klarer
    Distanz vom Leib.


    Viele Fragen bleiben unbeantwortet, doch sind die Antworten
    unbedeutend, ich habe bedauert, dass es nach 178 Seiten schon zu Ende
    war, vielleicht hätten mir aber 100 weitere Seiten die Begeisterung
    verwässert…

    [i][color=#000066][font='Verdana, Helvetica, sans-serif']Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. [size=8](Erasmus von Rotterdam)

  • Hans Werner Richter kennt man als Mitbegründer der Gruppe 47, als Schriftsteller weniger. Auch ich habe bisher noch nichts von ihm gelesen, aber das Buch, das Du hier vorstellst, klingt interessant und ist auf meinem Wunschzettel notiert. Einen kleinen Einwand hätte ich: Weder der Roman noch sein Autor gehören in die Rubrik "Klassiker", oder?


    Gruß mofre

    :study: Willa Cather - Meine Antonia

    :study: Wolfgang Herrndorf - Tschick

    :study: Reiner Stach - Kafka. Die Jahre der Entscheidungen

    :study: James Wood - Die Kunst des Erzählens















  • Hallo Mofre,


    ich habe mich auch gefragt, ob er hierher gehört und habe mich ein bisschen umgesehen, was hier so unter den Klassikern läuft. Als ich Nabokov, Christa Wolf und Grass in dieser Rubrik entdeckt habe, sah ich Richter passend. Wie du sagst, als Autor nicht so weltbekannt, doch als bedeutender Mitbegründer der Gruppe 47 und nicht mehr unter den Lebenden... nun denn, kann aber ruhig verschoben werden. :)


    herzlichst: Alixe

    [i][color=#000066][font='Verdana, Helvetica, sans-serif']Der Umgang mit Büchern bringt die Leute um den Verstand. [size=8](Erasmus von Rotterdam)

  • Hans-Werner Richter – Ein Julitag


    Original : Deutsch, 1982
    Mit einem Nachwort von Hans Mayer (Rede zum 75.Geburtstag von Richter im Jahre 1983) in der von mir verlinkten Wagenbach-Ausgabe


    INHALT :
    Am Grab seines Bruders begegnet Christian dessen Frau Karoline, die in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg seine Geliebte war. Vieles liegt im Dunkel der Erinnerung, und Christian versucht, sich das längst vergessene – oder verdrängte? – Geschehen zu vergegenwärtigen.


    Damals: Karoline geht noch zur Schule, als Christian sie während einer Hochzeitsfeier an der Odermündung kennenlernt. Er selbst lebt schon seit einiger Zeit in Berlin, wo er in linken intellektuellen Kreisen verkehrt, mit denen er den Glauben an eine bessere, kommunistische Zukunft teilt. Karoline ist fasziniert und folgt ihm in die Reichshauptstadt. Statt der sozialistischen Revolution kommen aber die Nazis, und das junge Paar flieht nach Paris. Dort stellt sich den beiden – und ihren Freunden – bald die Frage: Im Exil bleiben oder zurückkehren?
    (Quelle : Wagenbach-Verlag, mit leichter Präzisierung)


    BEMERKUNGEN :
    Ich belebe den Thread gerne nochmals neu (danke an Alixe für die Empfehlung!), denn es handelt sich doch um einen kleinen interessanten Roman von Richter. Er spielt in einem Zuwurfspiel zwischen dem Wiedersehen in Schweden, wohl in den 70iger Jahren, am Grabe seines jüngeren Bruders Philip, mit dessen Frau und der eigenen ehemaligen Geliebten Karoline. Und andererseits Rückblicken auf einige Schlüsselmomente der gemeinsamen Vergangenheit der 30iger, 40iger Jahre.


    So hatten sie sich auf der Hochzeit des älteren (nicht mehr später auftauchenden) Bruders Christians auf einer Insel in der Peenemündung kennengelernt : Christian war schon überzeugter, etwas hochnäsiger, sich überlegen fühlender und « weltgewandter » Berliner geworden, engagiert auf der linken Seite des politischen Flügels. Hier auf dem Lande, inmitten vieler Deutschnationaler und eifriger Kriegsveteranen, ist er wie ein Außenseiter, findet nur in Karoline eine interessierte Zuhörerin für seine Theorien, oder aber vielleicht schon direkt ein anders geartetes Interesse... Er will eher glänzen, theoretisiert herum und erzählt ein bißchen (zu) viel.


    Diese zwei Stränge oder einander ergänzenden Blickwinkel durchziehen dann auch das ganze Geschehen : einerseits eine Liebesgeschichte, andererseits ein Einblick in das Zeitgeschehen, die erlebten Spannungen, Fragen, auch rund um die Frage nach dem Exil herum als Hitler und Kumpanen an die Macht kommen und die Gefahr greifbar wird. Wie politisch ist denn nun eigentlich dieser Christian ? Wo schlägt das um, was anfangs wie ein Bekenntnis zu anderen Formen des Extremismus dasteht ? Oder anstatt umzuschlagen in andere politische Bekenntnisse : Wo zermürbt man sich daheim und dann in der Fremde, steht vor unentwirrbaren Zwiespalten ? Und das auch im so als weltoffen geglaubten Paris ? Von wegen... So erfährt man beiläufig viel von der politischen Situation in Deutschland und speziell der, der Weggegangenen.


    Die Übergänge zwischen den zeitlich etwas auseinanderliegenden Perioden werden manchmal nicht näher erläutert ; ein Leben und dessen Schlüsselelemente an entscheidenden Punkten oder kleineren Zeiträumen festgehalten. Die Jetztzeitelemente geben sehr, ja zu spielerisch offen, den Takt für die Rückblicke.


    In all dem – es handelt sich ja auch um Richters letzten Roman – sind meines Erachtens die Verbindungen zur Vita und den Fragen des Autors spürbar. So trägt der Roman stark autobiographische Züge ?!


    Sprachlich erinnerte mich, insbesondere der Anfang, an einen Siegfried Lenz, oder auch Böll ? Allerdings kommt es ab und zu zu kleinen, jedoch zweitrangigen, Ungeschliffenheiten, winzigen, m.E. unnotwendigen, Wiederholungen.


    Ich mag die Ausgaben des Wagenbach-Verlages und seinen exzellenten Katalog. Beim Titelbild aber sehe ich nicht direkt den Bezug...


    Ein guter Tipp, eine gute Entdeckung mit einem etwas anderen Blick auf die Zeitgeschichte der 30iger Jahre, insbesondere die schwierige Positionerung der Gegener des Regimes.


    Für mich : :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    AUTOR :
    Hans Werner Richter (* 12. November 1908 in Neu Sallenthin auf Usedom; † 23. März 1993 in München) war ein deutscher Schriftsteller. Er gelangte insbesondere als Initiator, Spiritus rector und „graue Eminenz“ der Gruppe 47, der wichtigsten bundesdeutschen Schriftstellergruppierung der Nachkriegszeit (siehe : http://de.wikipedia.org/wiki/Gruppe_47 ), zu weltweiter Berühmtheit und Anerkennung.


    Hans Werner Richter war Sohn eines Fischers. Als 16-Jähriger absolvierte er von 1924 an eine dreijährige Lehre als Buchhändler in Swinemünde und arbeitete danach als Buchhandelsgehilfe in Berlin. 1930 trat er der KPD bei. Nach zwei Jahren wurde er 1932 wegen seines Trotzkismus ausgeschlossen. Nachdem er 1933 Zeuge eines NSDAP-Aufmarsches auf dem Tempelhofer Feld in Berlin wurde, knüpfte er allerdings erneut Verbindungen mit der illegalen KPD und versuchte, eine Widerstandsgruppe zu bilden. Als ihm dies nicht gelang, floh er mit seiner Freundin nach Paris. Seine Emigration scheiterte an seiner aussichtslosen finanziellen Lage.


    Nach seiner Rückkehr 1934 arbeitete er als Buchhändler und Lektor in Berlin und wurde politisch im Untergrund tätig. 1940 verhaftete die Gestapo Hans Werner Richter vorübergehend. Nachdem ihm seine leitende Tätigkeit in einer illegalen pazifistischen Jugendgruppe nicht nachgewiesen werden konnte, erfolgte die Einziehung zum Kriegsdienst (1940–1943). Sowohl er als auch seine drei Brüder überlebten den Krieg – ihr Vater hatte ihnen jegliche „Heldentaten“ ausdrücklich verboten.


    Es folgte die amerikanische Kriegsgefangenschaft (1943–1946), zuerst in dem Gefangenenlager Camp Ellis (Illinois), später in Fort Kearney (Rhode Island). Dort gab er seit Frühling 1945 mit Andersch die antifaschistischen Zeitschriften « Lagerstimme » und « Der Ruf » heraus.


    In die ersten Jahre der Gruppe 47 fiel die mengenmäßig produktivste Phase in Richters Schriftstellerleben. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen.


    Nach seinem Tod am 23. März 1993 in München wurde er auf eigenen Wunsch auf dem Friedhof von Bansin auf der Insel Usedom begraben.
    (Quelle : wikipedia.de)


    Taschenbuch: 192 Seiten
    Verlag: Wagenbach, K (11. November 2006)
    Sprache: Deutsch