Voltaire - Candide oder der Optimismus / Candide ou l'Optimisme

  • Der Philosoph und Junker, wegen seiner Gutmütigkeit „Candide“ genannt, lebt im schönsten aller Schlösser Westfalens, studiert bei dem großen Gelehrten Pangloß und liebt die schöne Tochter des Hauses namens Kunigunde. Letzteres führt zum Rauswurf aus dem Schloss und gibt dem weltfremden Jüngling Gelegenheit, sich episodenhaft auf einer Menge Abenteuer einzulassen und Pangloß’ These, alle Gegebenheiten in der Welt würden dem Menschen letztendlich nur zum Besten gereichen, gleich nachzuprüfen. Während seiner Reise über die verschiedenen Kontinente gerät er zwischen Krieg, Folter, Elend, Kannibalismus, Inquisition, … kurz: durch das gesamte Repertoire menschlicher Verderbtheit. Wo dem Leser bereits schlecht wird, anhand verstückelter Leichen, kreischenden Verbrennungsopfern und ertrunkenen Seeleuten, hält Candide an seinem Optimismus und somit auch an Pangloß’ Theorie fest.


    Auf einem einzigen Flecken Erde scheint die Vervollkommnung perfekt. Im südamerikanischen Eldorado, wo Diamanten wie Kieselsteine auf der Straße liegen, ewiger Friede herrscht und somit Gerichte und Gefängnisse sinnlos machen. Doch leider fühlt Candide sich zur Weiterreise gedrängt, weil seine Kunigunde inzwischen als Sklavin verschleppt wurde. Als er den Gelehrten Martin trifft, versucht dieser ihm zu vermitteln, dass neben dem guten auch ein schlechter Grundsatz herrsche. Am Schluss findet Candide Befriedigung darin, seinen Garten zu bestellen. Arbeit, zur Vertreibung von „Langeweile, Laster und Sorge“.


    Pangloß’ Theorie stützt sich auf eine der größten philosophischen Grunddebatten des 17. Jahrhunderts, darunter Leibniz „Theodizée“. Gott habe demnach für den Menschen die beste aller Welten erschaffen. Er wäre nicht vollkommen, nicht Gott, wäre dies nicht der Fall. Jene logischen Überlegungen gaben Anlass, diesen Kernpunkt der Religion in die Philosophie einzubinden. Voltaire verspottet Leibniz durch seinen Text, indem er das Übel der Welt als Gegenargument für diese Theorie anführt. Nach dem Erdbeben von Lissabon (1755), verfasst er das „Gedicht über das Lissabonner Beben“, worin er die Theodizee-These vehement ablehnt.
    Auf dieses Gedicht reagiert Rousseau mit einem Brief, der nicht nur seinen Optimismus, sondern auch seine Überzeugung von der natürlichen menschlichen Güte verteidigt.
    Daraufhin verfasst Voltaire "Candide ou l’optimisme".


    Oberflächlich gesehen eine Satire, ist das Stück im Kern eine Kritik an die Gesellschaft und der politischen Situation seiner Zeit. Mehr noch, es ist eine Fragestellung nach dem Lebenssinn. Auch die Religion bleibt nicht verschont, die im Buch als Krankheit der Europäer bezeichnet wird. Mit philosophischen Einlagen entlarvt er das Paradies auf Erden als eine menschliche Illusion, des Menschen „freier Wille“ wird zudem in Frage gestellt. Trotz Elend versucht Voltaire immer wieder die Geschehnisse auf glückliche Bahnen zu lenken, wohl damit der Leser nicht vollends den Optimismus für die Zukunft verliert. Andererseits kann man diese positiven Einsprengsel auch als (in-)direkten Ansporn verstehen, demnach der Mensch für sein Handeln verantwortlich ist und dieses durch rationale Einsicht positiv beeinflussen kann.


    „Herunter mit dem Kant, vivat unser Leibnitz! – Auf diesen also zurückzukommen, kann ich der Theodicee, dieser methodischen und breiten Entfaltung des Optimismus, in solcher Eigenschaft, kein anderes Verdienst zugestehn, als dieses, daß sie später Anlaß gegeben hat zum unsterblichen Candide des großen Voltaire; wodurch freilich Leibnitzens so oft wiederholte, lahme Exküse für die Uebel der Welt, daß nämlich das Schlechte bisweilen das Gute herbeiführt, einen ihm unerwarteten Beleg erhalten hat. Schon durch den Namen seines Helden deutete Voltaire an, daß es nur der Aufrichtigkeit bedarf, um das Gegentheil des Optimismus zu erkennen. Wirklich macht auf diesem Schauplatz der Sünde, des Leidens und des Todes der Optimismus eine so seltsame Figur, daß man ihn für Ironie halten müßte“.
    [Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung]


    Fazit: "Candide" beinhaltet Kritik und Witz gleichermaßen. Hier kann man die gedankliche Ausrichtung einer älteren Generation nachempfinden und sehen, wie der Geist der Aufklärung zum Erwachen kommt. Durch die Gegensetzung von Pangloß' schicksalsergeben, metaphysisch-optimistischen Glauben an einen Gott, mit der Relativierung durch Martins Einführung der negativen Aspekte und dem berühmten Ende des Romans, demnach Candide und Kunigunde den Garten bestellen müssen, wird gemäß der Aufklärung das rationale und eigenverantwortliche Handeln in den Blickpunkt gerückt. Es ist also der Mensch selber, der seines Glückes Schmied ist und kein abstrakter Gott, der wie ein Puppenspieler die Fäden in der Hand hält.
    8 von 10 Punkten


    Gruß,
    dumbler

  • Vor ein paar Tagen habe ich mit der Lektüre dieses Buches abgeschloßen und - wie kann es anders sein - es hat mir sehr gut gefallen. So unterhaltsam kann eine realitätsferne Theorie aufs Korn genommen werden. Es geht teils auf urkomische Weise (als Candide in Südamerika die beiden Affen tötet, welche sich als Liebhaber der beiden Frauen herausstelleten, konnte ich mich kaum mehr halten), teils mit schrecklichem Ernst durch eine bunte Geschichte, die wenn man den historischen Hintergrund betrachtet, nicht recht viel provokanter hätte ausfallen können.
    Find ich super :thumright: .

    Die Menschen glauben alles, was sie unterhält, befriedigt oder ihnen irgendeinen Nutzen verspricht.
    G. B. Shaw


  • ### Inhalt ###

    Candide, „der Reine“, ist der Neffe eines Barons in Westfalen, der in einem Schloss namens Thundertentronckh wohnt. Da er es gewagt hat in einem Anfall jugendlichen unschuldigen Leichtsinns dessen Tochter Kunigunde zu küssen, wird er vom Baron mit einem Arschtritt aus dem Schloss befördert. Sein Hauslehrer Pangloss hat ihn während seiner Ausbildung gelehrt, dass die Welt, in der die Menschen leben, die beste aller Welten ist und das sich alles immer zum Besten fügt. Mit dieser Einstellung zieht er nun los und versucht sein Glück in der Welt. Nachdem er eine Nacht in einer Ackerfurche nächtigen muss, wird er von zwei bulgarischen Soldaten zum Essen eingeladen und Candide ist begeistert von der Liebenswürdigkeit dieser beiden. Pangloss' Lehren bestätigen sich hier seiner Meinung nach aufs Beste. Nachdem Candide sich verabschieden möchte, wird er von den beiden Soldaten grob überwältigt und zwangsrekrutiert. Da er sich aus Soldatensicht ungehörig benimmt wird er vor die Wahl gestellt: 12 Bleikugeln in den Kopf oder 36 Mal Spießruten laufen à 2000 Soldaten. Candide wählt das zweite und schafft zwei Durchgänge. Lange Rede, kurzer Sinn: Am Ende entkommt Candide den Bulgaren schwer geschunden und tritt seine unfreiwillige Reise durch die Welt an, bei der er von einem Ort zum nächsten befördert wird, immer auf der Suche nach Bestätigung der Lehren seiner Hauslehrers Pangloss’ und natürlich seiner Geliebten Kunigunde.


    ### Meinung ###

    Voltaires Antwort auf Leibniz „Beste aller möglichen Welten“, die er aufgrund eigener Lebenserfahrungen lächerlich fand und dementsprechend drastisch fallen die Abenteuer des Candide aus, in denen viel geköpft, gehängt, erstochen, verstümmelt, bestohlen und betrogen wird. Candide muss schnell einsehen, dass es mit dem Pangloss'schen Optimismus nicht weit her ist. Immer wieder bestätigt sich die Schlechtigkeit der Menschen. Martin, ein befreundeter mitreisender Philosoph glaubt sogar, dass Gott die Welt einem bösartigen Wesen überlassen hätte. Und wenns gut läuft? Auch blöd, da der Mensch ein rastloses schnell gelangweiltes Wesen ist. Die einzige Lösung? Arbeit: Sie bewahrt uns vor Langweile, Laster und Not. Eine philosophische Gesellschaftssatire, die für das 18. Jh erstaunlich klar und schnörkellos daherkommt, fast schon modern.

    Candides Episoden an sich sind natürlich hanebüchen und konstruiert: Es passieren laufend höchst unwahrscheinliche Dinge, von daher war das Lesevergnügen in puncto Spannung nicht ganz so berauschend, der Leser weiß bereits früh, das ein Unglück das nächste jagen wird. Nichtsdestotrotz glaube ich wohl, dass die geschilderten Verhältnisse nicht weit von der damaligen Realität entfernt sind. Der Roman enthüllt daher so manches Wichtige über die menschliche Natur, sodass ich als Philanthrop zu der Aussage gelange: Liebe die Menschen, aber aus sicherer Entfernung ;-D


    ### Fazit ###

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    Ein satirischer Beitrag eines philosophischen Streites des 18. Jahrhunderts, für das 21. Jahrhundert daher nicht mehr ganz so relevant. Die ein oder andere gedankliche Perle, ein erstaunlich moderner lockerer Schreibstil und nur 160 Seiten lassen einen darüber hinwegsehen.

    Der ideale Tag wird nie kommen. Der ideale Tag ist heute, wenn wir ihn dazu machen. -- Horaz


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  • Ey, da erinnere ich mich an ein Hauptseminar in Köln. Hier noch die französische Reclam-Ausgabe:

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Voltaire - Candide oder der Optimismus“ zu „Voltaire - Candide oder der Optimismus / Candide ou l'Optimisme“ geändert.