Robert Musil - Die Verwirrungen des Zögling Törleß

  • Klappentext:

    Die oft gelobte Kühnheit Musilscher Psychologie zeichnet schon dies erste Werk aus. Es ist die ungewöhnliche, subtile Pubertätsstudie, in der Musil seine Erfahrungen als Kadett einer k.u.k. österreichischen Militärerziehungsanstalt auswertete. eine scharfsinnig genaue, glasklare Interpretation jugendlichen Wachstums, die zugleich das Bild kommender Diktatur und der Vergewaltigung des einzelnen durch das System visionär vorzeichnet.


    Eigene Beurteilung:


    Die emotionalen Wirrungen und Irrungen der Pubertät sind nicht unbedingt ein originelles Thema, aber selten wurden sie so anschaulich im Zusammenhang mit einem Internat kirchlicher Prägung vorgestellt, wie in diesem Roman. Die Emotionen und Entwicklungen, die Törleß durchlebt sind überaus glaubwürdig und auch heute noch aktuell. Allerdings ist die Darstellung sehr drastisch und man wird durchaus an Wedekinds Frühlings Erwachen oder auch das neuere Crazy erinnert. Nicht gerade mein Geschmack, auch wenn die Genauigkeit der Darstellung (und die handwerkliche Qualität anders als bei "Crazy") nicht bezweifelt werden kann, für die Musil wohl auf seine eigenen Erfahrungen in der k.u.k. Militärerziehungsanstalt zurückgreifen konnte.

  • Ich war sicherlich noch bevor ich angefangen habe das Buch zu lesen voreingenommen, da das Buch für mich eine Pflichtlektüre in der Schule ist. Trotzdem hatte ich mir von dem Buch mehr versprochen, da eine Freundin es hoch gelobt hat. Auch der Klappentext verspricht viel.
    Als "[e]ine scharfsichtig genaue, glasklare Interpretation jugendlichen Wachstums [...]" wird das Buch gepriesen - davon konnte ich allerdings nichts entdecken.
    Musils Sprache ist schwer zu greifen, weil sie umständlich und ungenau ist. Das, was uns immer gepredigt wird, nämlich klare und strukturierte Sätze, vermisse ich hier. Immerwieder ist die Rede von einem geistigen Zustand, in dem sich Törleß befindet aber dieser Zustand blieb mir während des ganzen Lesens verschlossen. Es gab keinen einzigen Punkt, an dem ich wirklich etwas wieder erkannt habe. Für mich recht enttäuschend, da ich erwartet hätte zumindest einen gewissen Wiedererkennungsfaktor zu haben, da ich selbst noch nicht zu weit von der Pubertät entfernt bin.
    So bleibt mir das Buch alles in allem sehr fremd und unbegreiflich, Törleß andauernde Verwirrung ist wohl auf mich übergegangen, denn ich verstehe dieses Buch nicht, ich konnte nichts herausziehen, von dem ich sage "Dafür lohnt es sich, dass Buch zu lesen"...

  • Die Verwirrungen des Törleß sind hoffentlich nicht mit denen der durchschnittlichen Pubertierenden zu vergleichen. Es ist ein sehr direktes Buch, dass ohne viele Umschweife die ersten Machtverhältnisse und ja, eben diese verwirrenden Gefühle im Leben eines Jungen während der Österreich-Ungarn Monarchie schildert. Natürlich kann seine Bedeutung auf die Darstellung vierer Jugendliche in ihrer Pubertät heruntergebrochen werden, aber dass sich da jeder Jugendliche in einer Art wiederfindet, scheint mir auch etwas abwegig. An vielen Stellen kann es, soweit ich das beurteilen kann, der Fall sein, zum Beispiel wenn Törleß seine Entwicklung selbst reflektiert und seine Handlungsweisen endlich versteht, statt sich von ihnen, nun ja, "verwirren" zu lassen.


    Ich mochte das Buch, es war schlichtweg interessant und wie ich fand, auch sehr gut zu lesen. Die Entwicklung des Törleß ist schlüssig aufgebaut und wird nachvollziehbar dargestellt.

  • Ihr habt mich ganz neugierig gemacht. Habe den Zögling nämlich auf meinem SUB und will ihn auf den nächsten Mini-SUb schmeißen. Da mir "Frühlings Erwachen" sehr gefallen, freue ich mich schon auf das Buch. :D

  • Ich habe dieses Buch vor einiger Zeit gelesen und es ist mir sehr schwer gefallen. Nicht wegen der Thematik oder Schreibweise... Ich hatte zuvor von Herman Hesse "Underm Rad" gelesen und dieses Buch ist mir immer wieder im Kopf herumgespukt... Ich fand das es eine gewisse Ähnlichkeit gab, zumindest habe ich es so empfunden...


    Aus diesem Grund hat mir das Buch nicht zugesagt...

  • Bei uns stand das Buch auf dem Lehrplan für die Oberstufe - danke Zentralabitur.
    Ich habe angefangen das Buch zu lesen und nach ungefähr 15 Seiten hab ich mir selber gesagt: Das Buch liest du nicht. Ich konnte dieses Buch beim besten Willen nicht lesen - und das obwohl ich es musste.
    Das Thema, der Schreibstil - mir war das alles zu komplex und ich hab nicht ein Wort verstanden und war immer total verwirrt, wenn der Lehrer etwas dazu erzählt hat. Denn ich hab nichts von dem in den Worten des Textes gesehen.
    Also hab ich das Buch nur überflogen, mir Zusammenfassungen durchgelesen um irgendwie zu erfahren, worum es geht - ich hatte ja noch eine Arbeit dazu zu schreiben.
    Es ist wirklich das erste Buch, dass mich zum verzweifeln gebracht hat.

    ‎"Und ich kann sie wieder spüren, die blinde Euphorie,

    nicht zu wissen was passiert, ohne Angst dass man verliert,

    nimm mich mit irgendwohin, ich muss auch nicht zurück."

  • Denn die erste Leidenschaft des erwachsenen Menschen ist nicht Liebe zu der einen, sondern Haß gegen alle. Das sich unverstanden Fühlen und das die Welt nicht Verstehen begleitet nicht die erste Leidenschaft, sondern ist ihre einzige nicht zufällige Ursache. Und sie selbst ist eine Flucht, auf der das Zuzweiensein nur eine verdoppelte Einsamkeit bedeutet.
    S. 41


    Meine Meinung
    Die Userin Ute hat im „Ich lese gerade“-Thread schon das Wesentliche zusammengefasst; ich schließe mich ihren Ausführungen vollumfänglich an, das muss ich nicht mehr wiederholen.


    Wohl aber etwas zur Sprache:
    Musils Sprache ist tatsächlich ungenau, tastend, eine Sprache auf der Suche. Jede Sprache ist ungenau, das sagt schon ein dem Buch vorangestelltes Zitat. Diese Ungenauigkeit, das Fehlen der richtigen Worte für Gefühle und Gedanken, verwirrt Törleß, verwirrt am Ende auch die erwachsenen Protagonisten des Buches (in einer wie ich finde ungeheuer komischen Szene). Der Versuch, Worte für einen Zustand der Wortlosigkeit zu finden, treibt bei Musil ziemlich wuchernde Blüten: Innerlichkeit, ganz viel Innerlichkeit ist es, was dem Leser hier serviert wird, jedoch gedeutete, manchmal relativierte Innerlichkeit, Stream of Counsciousness und auktorialer Erzähler im Gleichklang. Natürlich kann man sich fragen, ob wirklich jedes Substantiv von mindestens zwei Adjektiven begleitet werden muss. Natürlich kann man sich fragen, ob fast jeder Satz mindestens einen Vergleich beinhalten muss – und ob der nächste Satz wirklich den Vergleichsgegenstand abermals vergleichen muss. Diese geradezu übertrieben bildhafte Sprache bringt den Leser bisweilen ganz nah an Törleß Gedankenwelt, wirkt bisweilen aber auch einfach ermüdend, ist etwas zu viel, zu dick aufgetragen. Ich verstehe jeden, der mit dieser Sprache nichts anfangen kann und das Buch entnervt zur Seite legt. Ich verstehe jeden, der das nicht mag. Ich steh ja irgendwie drauf.


    Musil nutzt ungeheuerliche Schachtelsätze, die sich dem modernen Leser nicht so einfach entwirren. Umso treffender, pointierter die wenigen kurzen Sätze, die plötzlich und fast unerwartet auftauchen. Es ist ein eigentümlicher sprachlicher Rhythmus. Zwischen all den Satzmonstern, den wahnwitzigen Vergleichen und der Türmung von Adjektiven finden sich aber manchmal Passagen von allgemeingültiger Erkenntnis und von großer sprachlicher Schönheit.


    Das vielleicht Erstaunlichste ist es, dass es Musils monströser Sprache tatsächlich gelingt, Törleß Gedanken für mich nachvollziehbar zu machen. Vieles erhält Wiedererkennungswert. Erstaunlich ist das deswegen, weil ich mich mit Coming-of-Age Romanen mit männlichen Protagonisten meist schwer tue; bei allem Mitgefühl für die Holden Caulfields dieser Welt, die letzte Einfühlung in die Gedanken von Teenager-Jungs kam bei mir doch nie zustande. Seltsamerweise ist das ausgerechnet bei Musils Buch anders, obwohl meine eigene Welt doch so weit von der des Protagonisten entfernt ist, obwohl seine Handlungen und deren Konsequenzen mir fern sind... :-k hm.


    Fazit:
    Ein schwieriges, zuweilen drastisches Buch, auf der inhaltlichen wie auf der sprachlichen Ebene; im Wortsinne lesenswert.



    PS: Lehrer, die dieses Buch in der Schule lesen lassen, gehören wirklich bestraft. Denn erstens gebe ich auch hier Ute recht – Törleß ist ein Buch für Erwachsene. Man braucht Abstand zu seinem pubertären Selbst, um einen Zugang zu diesem Roman zu bekommen. Und zweitens ließt man diese Art von Literatur entweder freiwillig oder gar nicht; unter Zwang kann das nur schiefgehen.

  • Zum P.S. der vorhergehenden Beitrags: Wie Hesse mit seinen Schultexten ist auch dies eine Auseinandersetzung mit Schule in einer Zeit, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. Das Gleiche würde auch etwa für "Frühlings Erwachen" gelten, ebenfalls ein sehr "beliebter" Schultext. Die verworrenen Gedankenwege und die Ideen passen durchaus in die Pubertät - in einer vergleichsweise gebildeten Schicht -, wie es auch die Werke Hesses - etwa der "Steppenwolf" tun. Aber das Buch ist schon ziemlich drastisch. Im Rahmen des damaligen Zentralabiturs musste ich es mit meinen Schülerinnen und Schülern bearbeiten. Zum Glück waren das ziemlich intelligente und halbwegs gefestigte junge Menschen, mit denen ich auch heute noch gerne kommuniziere, wenn ich sie treffe. Von mir aus hätte ich den Titel aber eher nicht im Unterricht verwendet. Obwohl ichnicht sagen möchte, dass wir - auch ich - dabei nicht etwas gelernt hätten. :wink:8)

  • Sorry, ich vergesse immer, dass Lehrer heute - und anderswo als in NRW - in der Auswahl des Lehrstoffes nicht mehr so frei sind wie zu meiner Zeit. Etwas beschränkte Sichtweise, das Zentralabi hatte ich tatsächlich außer Acht gelassen, Asche auf mein Haupt.
    Trotzdem, meine Abneigung gegen die zwangsweise Beschäftigung mit Literatur bleibt, egal in welcher Bildungsschicht.

  • Mir hat das Buch überdurchschnittlich gut gefallen, obwohl ich mich die ersten fünfzig Seiten etwas durchquälen musste. Erst ab der Hälfte des nur 200 Seiten langen Heftchens hatte ich mich reingelesen. Nicht dass sich dann am Schreibstil etwas ändern würde, ich hatte mich dann einfach daran gewöhnt.
    Zudem fand ich Törleß' Überlegungen spannend, also nicht unbedingt wie es mit dem Dieb Basini oder seinen Peinigern weitergeht, sondern die Suche nach einem Sinn. Seine Rolle als unbeteiligter Beobachter ist ein interessanter Gegensatz zu Beinebergs fernöstlich-religiöser Schwärmerei und Reitings skrupelloser Intrigen.
    Es ist mit Sicherheit kein einfaches Buch für den Zeitvertreib und ich habe mehrere Male zurückgeblättert und manche Sätze mehrmals lesen müssen, aber die Lektüre lohnt sich.