Die Marquise von O...
Um zu erfahren, wer der Vater ihres ungeborenen Kindes ist, gibt die verwitwete und von ihren Eltern verstoßene Marquise von O. eine Zeitungsannonce auf, in der sie diesen Mann sucht und verspricht, ihn zu heiraten. Auf die Annonce meldet sich Graf F., der die Witwe einige Monate zuvor bei der Belagerung der Stadt vor Vergewaltigungen durch Soldaten bewahrt hatte. Voller Abscheu über die Tat des Grafen weigert sie sich zunächst, sich mit ihm zu vermählen, doch heiratet ihn schließlich unter der Bedingung, dass sie getrennt voneinander leben. Der Graf gibt jedoch nicht auf und wirbt nach einigen Monaten erneut um die Witwe, sodass es schließlich zu einer zweiten, wirklichen Hochzeit kommt. Aufgebaut ist die 1808 erschienene Novelle, die 1976 verfilmt wurde, wie ein Kriminalroman. Erst nach und nach erfährt der Leser die Hintergründe der ungewöhnlichen Zeitungsannonce der Marquise von O., und so bleibt es bis zum Schluss spannend. Zeitgenossen Kleists empfanden das Werk als Skandal, da es eine Vergewaltigung thematisiert. Heute wird es wegen seines sozialkritischen Ansatzes geschätzt, und für viele Leser ist die Novelle ein frühes Beispiel weiblicher Emanzipation, sodass Die Marquise von O. mittlerweile eines der bekanntesten und meistgelesenen Stücke der Weltliteratur ist.
Als (frühes) Beispiel weiblicher Emanzipation, so wie in dieser Kurzbeschreibung aufgeführt, kann ich das Werk nicht gerade empfinden. Eher als Zeitbild, das die Familienvorstellungen des Bürgertums widergibt. Und so ist der große Patriarch natürlich der Herrscher - auch wenn er seine Schutzfunktion nur unzureichend ausfüllt und es zulassen muss, dass seine Tochter missbraucht wird. Aber dem Gesellschaftsbild entsprechend ist eine ungewollte Schwangerschaft schlicht undenkbar; da wird dann auch den Beteuerungen der Tochter nicht geglaubt, der Realitätssinn des Bürgertums sagt eben etwas anderes; das reisst mich zu der Interpretation hin, dass Kleist gerade diesem "traditionellen Familienbild" nachtrauert, das das Romantische von Liebe & Glück ist. Aber das aufgeklärte Bürgertum der Nach-Revolutionszeit ist immer mehr aufs "Reale" fixiert, auf die Wirkung in die Gesellschaft hinein. Aber die Marquise von O... reagiert natürlich darauf - allerdings m.E. nicht so sonderlich emanzipatorisch - und zieht sich ins Private zurück. Nun, der die Marquise schändende Graf, der will sie heiraten: durch sein Geständnis ermöglicht er das auch. Aber dadurch hat auch er wieder die romantische Illusion von Liebe zerstört - und reagiert eben auch auf die Tatsachen.
Das Erdbeben in Chili
Durch ein Erdbeben in Chili (Chile) wird Jeronimo aus dem Gefängnis befreit; gleichzeitig entkommt seine Geliebte Josephe ihrer Hinrichtung, zu der sie aufgrund ihrer Liebschaft mit Jeronimo verurteilt wurde. Sie finden sich und gemeinsam mit ihrem Kind sind sie gerettet und werden auch freundlich von anderen Überlebenden aufgenommen. Jedoch beschließen sie, dass sie zum Dankgottesdienst gehen. Dort werden sie jedoch erkannt, als Mitverursacher des Unglücks bezeichnet und vom Mob gelyncht.
Schreckliche Unglücke gibt es ja wirklich; das ist auch schon geschildert. Aber im Mittelpunkt steht wohl eher die tragische Liebesgeschichte - die von Anfang an zum Sterben verurteilt ist und das Schicksal hsie (scheinbar?) unabwendbar einholt. Vor allem wenn dieses Schicksal "Inquisition" heißt. Aber ich bin ehrlich gesagt eher ratlos, was er darüberhinaus einem mitteilen will.
Ehrlich gesagt bin ich etwas unbefriedigt nach der Lektüre dieser beiden Erzählungen; "Michael Kohlhaas" war da doch nen ganz anderes Kaliber, gerade auch was die (ewige) Aktualität der Geschichte angeht, auch ist sein Erzählstil nicht so meines - die Lektüre ist entsprechend ermüdend. Aber daneben weiss er zu gefallen; die beiden Erzählungen bleiben also durchaus lesenswert.