Louise Erdrich - Die Rübenkönigin / The Beet Queen

  • Originaltitel: The Beet Queen (1986)


    Inhalt:


    1932 springen zwei Kinder in Argus, North Dakota, aus dem Zug. Während die elfjährige Mary Adare ein neues Leben mit der Familie ihrer Tante Fritzie Kotzka beginnt, flüchtet sich ihr vierzehnjähriger Buder Karl zurück in den Zug, nachdem er von einem Hund angegriffen wird. Ihre Zukunft driftet auseinander, wie schon die abenteuerliche Flucht ihrer Mutter implizierte. Bei einem Volksfest übergibt diese (Adelaide) ihr kleines Baby, springt in das Flugzeug eines Piloten und entschwindet aus dem Leben ihrer Kinder.


    Während Karl zum Vertreter wird und immer unterwegs sein wird, erobert sich Mary ihren Platz in der Stadt. Kämpfe mit ihrer eifersüchtigen Kusine Sita steht sie ebenso durch wie die unglückliche Liebe zu dem Bruder Russell ihrer besten Freundin Celestine. Als sie in der Grundschule nach einer Rutschfahrt auf eine vereiste Stelle fällt, erkennen die Nonnen, die sie unterrichten, in der Aufprallstelle das Gesicht von Jesus. Sie selbst erkennt darin jedoch ihren Bruder. Dieses Erlebnis ist für sie eine wichtige Erfahrung, die ihr sagt, sie sei übersinnlich begabt. Ihr ganzes Leben lang ist sie der Esoterik verhaftet.


    Episodenhaft vermischen sich die Schicksale von Karl, Mary, Russel, Celestine und Sita über eine Zeit von 40 Jahren. Eine neue Generation wächst heran, Wallacette (Dot) und wirbelt das Leben aller durcheinander bis es scheint, dass sich die Geschichte wiederholen würde...


    Meine Meinung:


    Nun bin ich schon zum dritten Mal zu Gast in Argus und finde mich immer besser in dieser fiktiven Welt zurecht. Wer "Club der singenden Metzger" (Der Gesang des Fidelis Waldvogel) gelesen hat, kennt die Kotzkas schon. Aber bis auf die Namensgleichheit gibt es kaum Verbindungspunkte zwischen den Romanen.


    Liebevoll und fantasievoll strickt Louise Erdrich hier erneut eine Familiengeschichte, der etwas anderen Art. Statt ein perfektes Leben zu pflegen, schlagen sich hier verschiedene Individuen durch ihre jeweiligen Existenzen. Der Schwerpukt liegt auf den Erlebnissen der Frauen, die starke Charaktere sind. Dabei fehlten mir manchmal mehr Details zu den männlichen Randfiguren.


    Es gibt vier Teile, die die dreißiger, vierziger/fünziger, sechziger und siebziger Jahre abdecken. Die Zeitsprünge sind mitunter recht groß, aber nicht so, dass man den Überblick verliert. Allerdings ist mir der Umgang mit der Namens- und Figurenreichtum gerade am Anfang etwas schwergefallen, so dass ich zwischendurch eine Pause eingelegt habe. Vielleicht war der Zeitpunkt für die Lektüre aber auch nur schlecht gewählt. Nachdem ich es Anfang der Woche wieder in die Hand genommen habe, platzte der Koten und ich las die letzten zwei Drittel innerhalb der letzten 5 Tage.


    Das Ende hat mir ziemlich gut gefallen, abgesehen davon, dass ich jetzt noch mehr wissen möchte! Es lässt soviel offen, dass man daraus einen neuen Roman schreiben könnte. *habenwill* - schade, dass er nicht existiert.


    Fazit:


    Wer amerikanische Erzähltradition liebt, wird sich hiermit wohlfühlen und eine warmherzige Geschichte über etwas durchgeknallte Personen erleben, die sich durch ihr Leben wurschteln. Es hat mir insgesamt wieder gut gefallen!

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Danke Fezzig :cheers:


    für die interessante Rezi. Irgendwie spricht mich diese Geschichte an und das Buch steht auch bereits auf meiner Liste und meine Bücherei hat es auch.:winken:

    Liebe Grüße
    Helga :winken:


    :study: [b]???


    Lesen ist ernten, was andere gesät haben (unbekannt)

  • Hallo Helga! Danke schön für deine Antwort. Falls/wenn du es liest, hoffe ich natürlich dass es dir gefällt. Ich erinner mich, dass "Killjoy" (das mich ja sehr angesprochen hatte), dir nicht so gut gefiel. Hoffentlich liegen wir hier mehr auf einer Wellenlänge... :pray:

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Wer amerikanische Erzähltradition liebt, wird sich hiermit wohlfühlen und eine warmherzige Geschichte über etwas durchgeknallte Personen erleben, die sich durch ihr Leben wurschteln.


    Das klingt sehr gut, ich habe das Buch auf meine Wunschliste gesetzt. Und auch die anderen Bücher der Autorin - freue mich schon darauf! :lol:

  • Hallo Fezzig,


    ich hoffe auch dass es mir gefällt, :mrgreen: aber ich hole es mir ohnehin aus der Bücherei, da ist ja nichts verhaut. Es hört sich wirklich äußerst interessant an.:winken:

    Liebe Grüße
    Helga :winken:


    :study: [b]???


    Lesen ist ernten, was andere gesät haben (unbekannt)

  • Klappentext:
    Dot Adare, gerade zur Rübenkönigin gewählt, entert an einem brütendheißen Sommertag einen Doppeldecker und fliegt davon – wie einst ihre Großmutter Adelaide Adare, die vierzig Jahre zuvor in einem Luftschiff entschwand und ihre Kinder zu Waisen machte. Louise Erdrich hat diese Himmelfahrt zum Ausgangspunkt ihrer anrührenden und phantastischen Familiensaga dreier Generationen gemacht. (von der Aufbau-Verlagsseite kopiert)

    Zur Autorin:
    Louise Erdrich, geboren 1954 in Little Falls, Minnesota, ist die Tochter einer Indianerin und eines Deutsch-Amerikaners. Für ihre Lyrikbände, Kinderbücher und zahlreichen Romane wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Sie ist die Inhaberin von Birchbark Books, einer charmanten unabhängigen Buchhandlung. Für ihren Roman „Das Haus des Windes“ wurde sie 2012 mit dem National Book Award ausgezeichnet. Im Aufbau Taschenbuch sind außerdem ihre Romane „Die Rübenkönigin“ und „Der Klang der Trommel“ lieferbar. (von der Aufbau-Verlagsseite kopiert)


    Allgemeine Informationen:
    Originaltitel: The Beet Queen
    Erstmals erschienen 1986 bei Henry Holt and Company, New York
    Aus dem Amerikanischen übersetzt von Helga Pfetsch
    wechselnde Erzählperspektiven
    16 Kapitel in vier Teilen
    441 Seiten


    Meine Meinung:
    Nachdem „Das Haus des Windes“ mein bestes Februar-Buch war, habe ich meinen zweiten Roman von Louise Erdrich gelesen.
    Auch wenn er klar konstruiert ist und originelle Geschichten erzählt, auch wenn die Personen in ihren kruden Beziehungsgeflechten deutlich umrissen sind, kommt er für mich nicht an „Das Haus des Windes“ heran.
    Die Erzählperspektiven, die in jedem Kapitel wechseln und mal als Ich-, mal als Personalerzählung daherkommen, verhindern die Nähe zu einer Figur, deren Schicksal durch die Handlung führt. Während des Lesens musste ich zu viel „springen“.


    Nein, „Die Rübenkönigin“ ist sicher kein schlechtes Buch, und ich würde es Liebhabern amerikanischer Familienromane empfehlen; es hatte leider das Pech, nach einem überragenden Buch desselben Genres gelesen zu werden.


    Die Ereignisse, von denen der Klappentext erzählt, spielen sich übrigens erst auf den letzten Seiten ab. Ein guter Klappentext aber liefert nicht das Ende, sondern den Anfang eines Buches!


    Hier das amerikanische Original:

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Auch ich könnte die Klappentextler dieses Buches auf den Mond schießen, denn sie haben mir, indem sie das Ende der Geschichte (Geschehnisse der letzten 20 Seiten!) vorweggenommen haben, den Schluss des Buches gründlich verdorben. Den ganzen Roman über hatte ich auf diese Geschehnisse gewartet und als sie endlich kamen, konnte ich von ihrer Einbettung ins Gesamtbild eigentlich nur noch enttäuscht sein - die Passage, die viel Schwung und Überraschung hätte bieten können, wirkte nun irritierend und fad. Es ist mir ein Rätsel, wie man so einen Klappentext schreiben und dann auch noch von Verlagsseite aus abnicken kann. Weder dieses Buch noch die Autorin haben das verdient! :wuetend:


    Das Buch hat es nicht verdient: Es werden auf angenehm ruhige Weise die Geschicke mehrerer schon zu Beginn oder erst später miteinander (wahl-)verwandter Menschen und Familien erzählt. So etwas mag ich grundsätzlich sehr gern, und Louise Erdrich hat es auch in diesem Roman geschafft, mich mit den spannenden und komplexen, beileibe nicht immer sympathischen Figuren in ihren Bann zu ziehen. Im Prinzip geht es hier um viele verschiedene Außenseiter/innen, die je nach Lebensphase ihre Einsamkeit kultivieren oder mit ihr hadern, Anschluss suchen und zeitweise oder fürs ganze Leben finden, wobei letzteres nicht immer wohltuend ist... Man begegnet der aus anderen Romanen dieses Zyklus bereits bekannten Fleur Pillager, einigen bisher teilweise eher entfernten Verwandten des Kashpaw-Clans und vielen neuen Figuren. Neu für mich waren die alte Frau Waldvogel (wobei mir anhand des ungewöhnlichen Namens schon klar war, dass man sie wahrscheinlich aus dem Roman "Der Club der singenden Metzger" kennen kann, den ich als nächsten von Louise Erdrich lesen möchte) und die Familie Kozka, die ja laut der Rezi von Fezzig auch dorthin gehört. Mir haben diese ganz normalen, zugleich vielschichtigen und oft gebrochenen Figuren gefallen, die nicht immer kluge Entscheidungen treffen und sich irgendwie durchs Leben wursteln ( :lol: ), so gut sie es auf ihre Art und Weise können und so gut es ihnen die äußeren Umstände erlauben. Anders als in vorher gelesenen Romanen spielt die Zugehörigkeit mancher Protas zu den First Nations hier nur eine untergeordnete Rolle.


    Die Autorin hat die oben geschilderte Enttäuschung ebenfalls nicht verdient: Sie hat sich nach nun sechs von mir zumeist weginhalierten Romanen (mit einem Ausreißer) zu meiner aktuellen Lieblingsschriftstellerin entwickelt. Zum einen fasziniert es mich, wie sie die komplexen Geschehnisse rund um die Unterdrückung, Vertreibung, Ermordung und bis in die Gegenwart reichende vielfältige Diskriminierung der First Nations darstellt, ohne deren eigene Anteile an den Entwicklungen und Zuständen zu beschönigen. Geschichte und Gegenwart der Ojibwe-Kultur fließen ebenso ein wie Einwanderergeschichten in die aus europäischer Sicht "Neue Welt". Wie sie diese beiden Seiten, die auch ihren persönlichen familiären Hintergrund bilden, miteinander verknüpft, empfinde ich bei jedem Roman aufs Neue als spannend und gelungen. Ich werde dem Zyklus also weiterhin folgen, aber vielleicht in Zukunft darauf verzichten, die Klappentexte zu lesen... So sehr ich mich darüber freue, dass der Aufbau-Verlag diese Autorin neu auf den Buchmarkt bringt, so sehr nerven mich das dort oft mangelhafte Korrektorat und die nicht nur bei diesem Roman gern mal spoilernden Verlagstexte.


    Dafür kann Louise Erdrich nichts, daher:


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    :study: I. L. Callis - Doch das Messer sieht man nicht

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    :musik: Asako Yuzuki - Butter (Re-???)

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