Hermann Weigl : Die Göttin und die Zigeunerin

  • Klappentext:
    Bald ist ein Jahr vergangen, seit Harpon die rätselhaften Koordinaten erhalten hat, die einen Ort im Leerraum zwischen den Galaxien beschreiben. Zusammen mit seiner Gemahlin Cassandra, der Göttin des Mondes, tritt der Ritter der Ewigkeit die Reise ins absolute Nichts an. Begleitet werden sie von einer Gestrandeten, einer jungen Frau, die weitab von ihrer Heimat ihr Wanderjahr angetreten hat. Weder wissen sie, warum eine unbekannte Macht sie zu ihr geführt hat, noch, dass sie ihre wahre Herkunft verschweigt. Aber sie spielt eine wichtige Rolle beim Brückenschlag zu einer fernen Galaxis.


    Anmerkung des Autors:
    Ich habe etwa ein Jahr lang an diesem Buch gearbeitet.
    Dies ist der dritte Teil der Serie 'Der Weg zwischen den Sternen'. Jeder Band ist für sich abgeschlossen. Man muß also Teil 1 und 2 nicht unbedingt kennen, um der Handlung folgen zu können.
    Auf meiner Homepage biete ich Leseproben zu allen drei Teilen an.
    Teil 4 ist in Arbeit.


    Leseprobe:
    [font='&quot']Prolog


    Mein Name ist Darlena.
    Bei meinem Volk ist es Sitte, an der Schwelle zum Erwachsenenalter eine Wanderfahrt anzutreten, um fremde Welten und auch sich selbst zu entdecken.
    Da ich aber eine DeMarco bin, dachte ich, ich müsste weiter reisen, als alle meine Altersgenossen vor mir. Aber ich habe mich dadurch in große Gefahr gebracht, in sehr große Gefahr. Und in der schwärzesten Stunde meines Lebens, als ich schon dachte, ich würde sterben, erhielt ich Hilfe von den ungewöhnlichsten Menschen, denen ich jemals begegnet bin.
    Ich werde euch jetzt die Geschichte meines Wanderjahres erzählen.


    Die Göttin und die Zigeunerin


    Sie wussten nicht, was sie in diesen Sektor geführt hatte. Es war mehr eine vage Ahnung, als das Ergebnis rationellen Denkens, das Harpon und Cassandra diesen Kurs hatten festlegen lassen. Hätten sie gewusst, welche Seele an ihrem Ziel leidet, hätten sie sich sicherlich anders verhalten. Aber die Mächte, die sie lenkten, ließen sie über viele Monate hinweg im Ungewissen, und so nahm die Geschichte ihren Lauf.
    Als sie das Zielsystem mit der roten Sonne erreichten, drosselte Harpon die Geschwindigkeit der Nepokadnezar bis auf zehn Prozent Licht. Argwöhnisch musterte er den Panoramabildschirm. Cassandra las die Ortungsergebnisse ab.
    „Da ist ein künstliches Objekt, Harpon. 3,27 Millionen Kilometer vor uns.“
    Harpon trat neben sie und kontrollierte die Anzeigen.
    „Keine Antriebssignatur. Also ist es eine Raumstation. Und nach dem regen Flugverkehr kann es nur eine Handelsstation sein.“
    Er überprüfte die öffentlichen Register.
    „Sie ist nicht verzeichnet. Wahrscheinlich eine illegale Umschlagsbasis.“
    „Was wird uns dort wohl erwarten? Waffen? Drogen?“
    „Oder schlimmeres.“
    „Was schlägst du vor?“
    „Ich möchte mich dort umsehen, aber ohne erkannt zu werden.“
    Sie ließen ihr Ewigkeitsraumschiff Nepokadnezar in einer engen Umlaufbahn um die Sonne des Systems zurück, und näherten sich dem Ziel in einem Beiboot herkömmlicher Bauart.
    Die Handelsstation lief auf der Umlaufbahn des äußersten Planeten um die Sonne. Sie machte einen verwahrlosten Eindruck. Die stumpfe Hülle wies Krater und Schrammen von den Treffern vieler kleiner Meteoriten auf. Man schien für den Bau der Station die Hüllen ausgemusterter Raumschiffe verwendet und bei Bedarf weitere Teile angebaut zu haben. So war im Laufe der Jahre ein unregelmäßiges Gebilde von bizarrem Äußeren entstanden. Sie folgten einem Leitimpuls und legten in einem der zahlreichen Docks an. Den Raumschiffstypen nach, die hier auf Parkpositionen lagen, mussten sie auf das Zusammentreffen mit Angehörigen aggressiver Rassen gefasst sein.
    Beim Verlassen der Andockschleuse fragte sie niemand nach ihren ID-Karten. Harpons Erscheinungsbild war unauffällig genug, um nicht beachtet zu werden. Aber Cassandra warfen einige Humanoide eindeutige Blicke zu.
    „Wir hätten uns verkleiden sollen, Cassandra. Deine Schönheit fällt hier auf“, raunte Harpon ihr zu. In der Tat, Cassandra war sie eine exotische Schönheit, mit glatter, samtener Haut, bernsteinfarbenen Augen und hüftlangen kupferfarbenen Haaren. Harpon war ein Ritter der Ewigkeit und lebte schon seit mehr als 13000 Jahren. Viele Welten und Völker hatte er in seinem langen Leben schon besucht. Aber er konnte sich nicht erinnern, schon einmal eine Frau wie sie gesehen zu haben. Die Erinnerungen an ihren Anblick, die Lieblichkeit ihrer Züge und die Anmut ihrer Bewegungen, würde wohl einigen der Humanoiden, die sie angestarrt hatten, eine schlaflose Nacht bereiten.
    Viele Stunden lang gingen sie von Sektor zu Sektor. Müde und hungrig wollten sie die weitere Suche schon aufschieben, und in einer Unterkunft ein Zimmer für die kommende Ruheperiode mieten, als sie ihre Schritte in einen besonders heruntergekommenen Bezirk lenkten.
    „Das ist der übelste Bezirk auf dieser Handelsstation, habe ich erfahren. Hier kann man illegale Geschäfte tätigen, jede mögliche Art von Dienstleistung erwerben und sogar Sklaven kaufen“, erklärte Harpon.
    Cassandra wurde an die Handelsstation erinnert, auf der sie sechs junge Frauen bei diesem Abschaum von Sklavenhändler gekauft hatten. Eine dieser Sklavinnen war schon fast tot, als sie sie erwarben. Später stellte sich heraus, dass sie eine junge Königin war. Sie waren von Piraten von ihrem Heimatplaneten entführt worden. Cassandra konnte das Leben der jungen Frau retten und sie brachten die Befreiten zurück zu ihrer Heimatwelt.
    Als Empathin nahm sie die Gefühle der hier anwesenden Lebewesen mit fast schmerzlicher Intensität wahr. Resignation, Angst, Hass, Schmerzen und Trauer drangen mit ungewohnter Intensität auf sie ein. Sie schirmte sich soweit ab, dass die Impulse gerade noch wahrnehmbar waren. Sie passierten mehrere Händler, die Humanoide in den unterschiedlichsten Stufen der Verwahrlosung zum Verkauf anboten. Cassandra blickte in viele Gesichter, aus denen jeglicher Lebenswille gewichen war. Es tat ihr weh, dass sie diesen Menschen nicht helfen konnte.
    Ein besonders verwegen aussehender Händler wollte Cassandra Harpon abkaufen. Als er ihm anstelle einer Antwort das grün flimmernde Abstrahlfeld seiner Energiewaffe unter die Nase hielt, ließ er ab und tauchte schnell in der Menge unter.
    „Harpon, warum müssen wir diese Sektion durchqueren?“
    „Ich weiß es nicht. Es ist wie ein innerer Zwang. Ich suche nach etwas, ohne zu wissen, worum es sich dabei handelt.“
    Das war ungewöhnlich für Harpon, dachte sie. Normalerweise war er in seinen Entscheidungen immer sehr nüchtern. Aber sie kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er die Wahrheit sprach.
    Sie kamen bei einem Händler vorbei, der ein besonders großes Angebot an humanoiden Sklaven anzubieten hatte. Vor seinem Stand hatte er eine kleine Bühne aufgebaut, in deren Mitte ein stabiler Holzstamm prangte. An diesen wurde eine junge Frau gekettet, die bis auf einen zerrissenen Rock unbekleidet war, und mit äußerster Härte ausgepeitscht.
    Cassandra fühlte einen schmerzhaften Stich in ihrem Herzen und trat bis an den Rand der Bühne heran. Sie blickte in das junge Gesicht der Frau. Sie hatten ihr einen Knebel in den Mund gesteckt, so dass sie nicht schreien konnte. Sie war stolz und versuchte auch in dieser Situation ihre Würde zu bewahren. Aber in ihren Augen sah Cassandra ihre Angst und ihre Schmerzen. Sie verkrampfte sich nach jedem Hieb und ein Beben lief durch ihren geschundenen Körper. Cassandra spürte, wie die Peitsche die Haut der jungen Frau aufriss. Sie biss die Zähne zusammen und ballte ihre Hände zu Fäusten, bis ihre Nägel in ihre Handflächen schnitten. Harpon hatte ihr erklärt, dass sie nicht alles Unheil der Milchstraße bekämpfen konnten. Aber dieser jungen Frau musste sie helfen, und sie würde sich davon nicht abbringen lassen.


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