Siegfried Lenz - Schweigeminute

  • Ich habe die "Schweigeminute" vor ein paar Wochen gelesen und wußte einfach nicht genau, wie ich meine Gedanken ausdrücken soll. Am besten hat das für mich kfir auf der Seite vorher getan - seinen Ausführungen kann ich mich nur zu 100% anschließen :)



    Siegfried Lenz - Schweigeminute

  • Welch ein anrührendes Buch! Siegfried Lenz erzählt die Geschichte einer längst vergangenen Liebe: Als Gymnasiast verliebt sich Christian in seine Englischlehrerin Stella und sie werden ein Liebespaar. Doch diese Verbindung währt nur kurz: Bei einem Schiffsunglück wird Stella so schwer verletzt, dass sie kurz darauf stirbt. Erzählt wird diese Liebe von dem mittlerweile älteren, erfahrenen Christian, der sich an díe Gedenkveranstaltung (und die damit verbundene Schweigeminute, daher der Titel) erinnert und daran, wie er währenddessen die gemeinsame Zeit noch einmal durchlebte. Diese Perspektive ist gut gewählt: Die Wortwahl, die sorgsam ausgewählten Sätze hätten für einen 18-Jährigen nicht glaubhaft gewirkt.
    Das ganze Buch ist von einem wunderbar liebevollen, zärtlichen Ton geprägt. Man spürt noch immer die Gefühle, die Christian seiner Lehrerin entgegenbrachte, aber auch die Trauer über das abrupte Ende ihrer Beziehung und all der eventuell verpassten Möglichkeiten einer gemeinsamen Zeit. Mir standen mehr als einmal die Tränen in den Augen.
    SEHR ZU EMPFEHLEN!!!

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Siegfried Lenz – Schweigeminute



    Inhalt (sh. Amazon.de): Ein Sommer in einer Kleinstadt an der Ostsee irgendwann in den sechziger Jahren: Die Englischlehrerin Stella Petersen und ihr Schüler Christian sind ein Liebespaar – bis Stella bei einem Bootsunfall tödlich verunglückt. Während einer Gedenkfeier in der Aula blickt Christian zurück auf diese heimliche Liebesbeziehung, die nur einen Sommer dauerte, ihn aber für sein ganzes Leben verändert.





    Meine Meinung zum Buch:
    Vor ein paar Jahren hatte ich einen Erzählband von Siegfried Lenz gelesen, der mir recht gut gefallen hatte, in dem ich aber vor allem Das Feuerschiff für mich wiederentdeckt hatte. Daraufhin hatte ich mir seinen letzten Roman Fundbüro besorgt, den ich als viel zu durchsichtig und gekünstelt empfand. Die Furcht vor einer weiteren Enttäuschung durch eines seiner neueren Bücher hat mich lange davon abgehalten, es einmal mit seiner 2008 erschienenen Novelle Schweigeminute zu probieren. Diese hat mir wieder gut gefallen.


    Es wird zwar keine Jahreszahl angegeben, aber wie immer bei Siegfried Lenz, so hat mich auch auch Schweigeminute in der Vorstellung einige Jahrzehnte zurückgeworfen (immerhin ist noch die Rede von Mark als Währung, die Leute essen in den Lokalen Frikadellen mit Kartoffelsalat statt Sushi, Pizza oder Hamburgern, und Christian hilft durch gefährliche Tauchgänge seinem Vater beim ortsgerechten Absenken von riesigen Steinen zur Verstärkung von Molen – heute würden hier definitiv hochtechnisierte elektronische Orientierungshilfen zur Anwendung kommen).


    Der 18 Jahre alte Schüler Christian erlebt die Gedenkfeier zum Tod seiner Englischlehrerin Stella Petersen in der Aula seiner Schule und driftet gedanklich in die Zeit ab, die er mit ihr privat verbrachte, wie die Beziehung zu ihr verlief und wie es schließlich zu ihrem Tod kam.
    Mich hat hier im Thread extrem erstaunt, wie bereitwillig die Adjektive „wunderschön, berührend, anrührend“ etc. vergeben werden, ohne dass jemals explizit erwähnt wird, dass die Novelle auf einem moralischen Unding basiert: eine Lehrerin geht mit ihrem jungen Schüler ins Bett! Da müssen doch beim Leser zuallererst einmal sämtliche innere Alarmglocken läuten!
    Genau das, die moralisch empörende Aussgangssituation, dürfte die schriftstellerische Herausforderung gewesen sein, die sich der Autor gestellt hat: wie mache ich für den Leser eine dennoch lesbare und fühlbare Geschichte daraus? Bringt man als Leser den Autor nicht von vornherein um seinen schriftstellerischen Erfolg, wenn man sich überhaupt nicht an dieser Situation stört?
    Ich zumindest war anfangs ziemlich gegen die Geschichte eingenommen, denn eine Beziehung zwischen einer, wenn auch relativ jungen, Englischlehrerin und einem ihrer heranwachsenden Schüler ist kein Thema, mit dem ich einfach so mal gerade eben moralisch einverstanden bin, nur weil der große Siegfried Lenz es für eine Geschichte hernimmt. Und doch hat das Büchlein schließlich auch für mich funktioniert, was, wie ich glaube, daran liegt, dass Siegfried Lenz sicher weiß, mit welchen Details er die Erzählung anfüllt (auch wenn sie beim Lesen manchmal geradezu überflüssig erscheinen, wie z.B. eine Taschengeldregelung mit dem Vater) und wo er Lücken lassen muss, damit er die Geschichte dem Leser nicht aufdrängt und diesem die nötige Freiheit für seine eigene Vorstellung lässt, sodass er sich in der etwas schwierigen moralischen Situation der Handlung gut zurechtfindet, gerade weil er vom Autor nicht um eine Schuldzuweisung an die Lehrerin gebracht wird – er muss sie doch erst verurteilen können, um ihr danach (zusammen mit dem Schicksal) „verzeihen“ zu können.


    Vor allem das vage Element der fehlenden Vorstellung über den formalen bzw. informellen Charakter der Beziehung oder die Unmöglichkeit der Vorstellung einer gemeinsamen Zukunft dürfte hier helfen; man hat als Leser mit einem halbwegs gesunden Menschenverstand sowieso die ganze Zeit unbewusst im Hinterkopf, dass „Beziehung“ und „gemeinsame Zukunft“ unmöglich dabei das Resultat sein können, egal, von welcher Seite man da herangeht. Ich denke auch, dass man aus genau denselben Gründen keine allzu romantisch-verklärte Sicht für diese „moralisch verirrte“ Lehrkraft hegen kann. Weiterhin trägt zur Erträglichkeit der Thematik in dieser Novelle meines Erachtens das Fehlen von schwelgenden und überbordenden Emotionen bei.


    Als sprachliche Besonderheit verwendet Siegfried Lenz innerhalb der Darstellung durch den Ich-Erzähler Christian immer wieder in Gedanken eine direkte Ansprache an die tote Lehrerin im Imperfekt (im Stile von „Du ließest …, Du sagtest …, Du standest …“), was mir wie eine unnötig gekünstelte verbale Tänzelei vorkommt und mich oft genug irritiert hat. Ansonsten jedoch kommt mir Schweigeminute sprachlich korrekt, einfach und unüberheblich vor, die verwendeten Metaphern sind schlicht, sitzen dafür aber (Ein Halleluja auf Siegfried Lenz, wenn ich Schweigeminute mit der betulich-tütteligen Sprache von Gertrud Leuteneggers Panischer Frühling vergleiche).


    Schweigeminute war für mich wieder mal eine richtig gute Lektüre, vor allem wegen ihrer sehr guten Struktur. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Ich habe das Buch eben beendet. Allerdings in einer anderen Ausgabe als hier genannt. Das war mein erstes Buch von dem Autor und es hat mir sehr gut gefallen.
    Als ich merkte um was es es ging dachte ich zuerst


    Der Schreibstil ist leise, sehr bildhaft (ich habe Stella regelrecht vor mir gesehen, rauchend, in ihrem grünen Badeanzug, so lebenslustig ) aber nie langweilig. Sehr nah an der Realität, nicht abgehoben, ach einfach schön, Auch wenn sich das jetzt angesichts der Dramatik des Buches eher seltsam anhört, ich hab mich wohlgefühlt in der Geschichte. Mir hat auch gefallen, dass trotz dieser Thematik ich nie das Gefühl hatte, pessimistische Stimmung vermittelt zu bekommen oder gar runtergezogen zu werden. Das Einzige was mich etwas verwundert hat, war, wie selbstverständlich Stella sich auf die Geschichte eingelassen hat. Fast naiv, ohne sich der Konsequenzen solch einer Beziehung bewusst zu sein. Zumindest habe ich das so empfunden.


    Von mir :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: für dieses tolle Buch !

  • ich hab mich wohlgefühlt in der Geschichte


    Das ist eins der hauptsächlichen Merkmale bei Lenz: Der Leser fühlt sich in den Büchern einfach wohl. Man versteht nicht immer, was die Figuren zu ihren Handlungen treibt, kann es nicht immer nachvollziehen, doch man ist dabei.


    @Jessy1963 , herzlich willkommen bei den Lenz-Fans. Damit du dein Lenz-Wohlgefühl festigen kannst, lege ich dir Buch besonders ans Herz.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Generell kann ich mich der hier vorherrschenden Meinung anschliessen: ich lese Siegfried Lenz auch sehr gerne, und diese Novelle ist absolut empfehlenswert. Auch ich fühlte mich bei der Lektüre ein paar Jahrzehnte zurückversetzt.
    Mein „Pech“ ist, dass ich erst kürzlich „Arnes Nachlass“ las. Und irgendwie sind mir die beiden Erzählungen zu ähnlich. In beiden Fällen ist eine Hauptperson verstorben, und die Trauernden erinnern sich kapitelweise an gemeinsam Erlebtes; der melancholische, traurige Grundton ist wirklich mitfühlend, und mir drängte sich ein Vergleich beim Lesen einfach auf.
    „Arnes Nachlass“ fand ich einfach besser; sei es, weil ich es nun zuerst las und den melancholischen Erzählstil bereits kannte. Oder vielleicht auch, weil mir die Liebesbeziehung zwischen Schüler und Lehrerin weniger nah ist, als die für mich nachvollziehbarere Situation des introvertierten Jungen, der Anschluss an die lebenslustige Clique mit den schönen Mädchen sucht. Ansonsten aber ja: beides sehr gute Erzählungen!

  • Generell kann ich mich der hier vorherrschenden Meinung anschliessen.
    (...)
    Mein „Pech“ ist, dass ich erst kürzlich „Arnes Nachlass“ las. Und irgendwie sind mir die beiden Erzählungen zu ähnlich.

    Um dies zu vermeiden lese ich eigentlich nie vom selben Autoren in großer zeitlicher Nähe verschiedene Bücher. Wenn es nicht - wie in diesem Falle mit dem Trauerthema - eine inhaltliche Verwandtschaft unbedingt ist, so doch oft eine stilistische, sprachliche, lebensanschauliche etc. Wenn man Zeit verstreichen läßt hat man eventuell eine größere Chance, sich neu begeistern zu lassen?!


    Ich "merke" mir natürlich diese (Lieblings-) Autoren (wie zB den Siegfried Lenz) und habe oft ein, zwei Bücher in der Hinterhand, auf die ich später mit Abstand zurückgreifen kann.

  • Da hast Du sowas von Recht @tom leo! Und eigentlich weiß ich das auch, aber die Freude über ein gerade beendetes Buch und die Neugier auf weitere Bücher des Autors, insbesondere wenn sie bereits vom SUB zuwinken, verleitet mich dann doch jedesmal "zu schnell" zum gleichen Autoren zu greifen. Das passiert mir ständig, und soweit ich mich erinnere war das später gelesene Buch nie so gut wie die Erstlektüre...

  • Zitat von Nungesser


    Oder vielleicht auch, weil mir die Liebesbeziehung zwischen Schüler und Lehrerin weniger nah ist, als die für mich nachvollziehbarere Situation des introvertierten Jungen, der Anschluss an die lebenslustige Clique mit den schönen Mädchen sucht.

    Demzufolge würde ich dann auch eher zu "Arnes Nachlass" greifen. Da ich weder dieses noch "Die Schweigeminute" kenne, merke ich mir aber mal beides.

  • Demzufolge würde ich dann auch eher zu "Arnes Nachlass" greifen. Da ich weder dieses noch "Die Schweigeminute" kenne, merke ich mir aber mal beides.

    Da kennst Du nicht viel verkehrt machen! Beides sind echt gute Bücher!

  • Da kennst Du nicht viel verkehrt machen! Beides sind echt gute Bücher!

    Ich habe gerade mal bei Dir im Regal nachgeschaut, was Du noch von Siegfried Lenz hast. Ich muss sagen, da gilt es für mich etwas aufzuholen :wink: . Und das ist noch untertrieben, denn ich habe tatsächlich bislang nur seine, wie sollte es anders sein, "Deutschstunde" gelesen.