Karl-Heinz Ott - Endlich Stille

  • Am Bahnhof steht plötzlich dieser Mensch neben dem Erzähler: »Suchen Sie auch ein Hotel« - und weicht ihm nicht mehr von der Seite. Von nun an wird der Baseler Philosoph von diesem Schwadroneur so lange belagert, tyrannisiert, unter den Tisch getrunken und an die Wand geredet, bis er sich nicht mehr zu helfen weiß ... Ein Roman über die Grenzen der Zurückhaltung und den ungleichen Kampf von Höflichkeit und Dreistigkeit. Abgründig und virtuos. (Kurzbeschreibung aus Amazon)


    Dieser Tipp eines Buchhändlers hat sich echt gelohnt! Mit viel Virtuosität erzählt Ott von einer Situation, wie wir sie eventuell ähnlich schon erlebten: Wann wird es Zeit klipp und klar Nein zu sagen und Grenzen zu ziehen? Wann werden wir Opfer der Unverfrorenheit der anderen, aber auch unserer eigenen Zaghaftigkeit? Wie sehr diese Erzählung dann fast grotesk anmutet und sich in ihrem Ausgang schon andeutet, so erscheint sie doch rgendwie plausibel. Dazu kommt, dass Ott, wenn ich nun seine Biographie sehe, viele Elemente seines Lebens oder Wissens einspielen lässt: Ein Teil der Handlung spielt in Basel, im Text tauchen auch exkurshaft wirkende Passagen über Philosophie und Musik auf. Für mich eine schöne Entdeckung!!!


    Karl-Heinz Ott wurde 1957 in Ehingen bei Ulm geboren. Er besuchte ein katholisches Internat und studierte Philosophie, Germanistik und Musikwissenschaft. Anschließend arbeitete er als Dramaturg in Freiburg, Basel und Zürich. 1998 erschien sein Romandebüt»Ins Offene«, das mit dem Förderpreis des Hölderlin-Preises und dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet wurde. »Endlich Stille« ist Otts zweiter Roman

  • Hallo Tom,


    danke für die Rezi!


    Bei "Endlich Stille" handelt es sich um eine Erzählung, die ich aufgrund der Sprache und der geschickt komponierten Entwicklung gerne "wunderbar" nennen würde, wäre sie nicht so bitterböse. :twisted:


    Bitterböse auch deshalb, weil sie evtl. dem ein oder anderen den Spiegel vorhält. Ich jedenfalls gehörte auch lange Zeit zu den Leuten, die nicht Nein sagen können und ertappte mich während der Lektüre oft dabei, dass ich dachte "So könntest Du in der Situation auch gehandelt haben".


    Man ist hin-und hergerissen zwischen Wut auf dieser Schmarotzer und Wut auf den Philosophen ob seiner mangelnden Fähigkeit, sich durchzusetzen.

  • Auf der einen Seite hat mich dieses Buch sehr verärgert, denn …, und auf der anderen habe ich interessiert betrachtet.

    Der Ich-Erzähler wird auf dem Brüsseler Bahnhof von einem Herrn angesprochen, und von da an wird er diesen Friedrich nicht mehr los!
    Zunächst hat der Leser den Eindruck, dass es bei dieser Begegnung in Brüssel bleibt, da der Protagonist ihm eine falsche Adresse sowie Telefon-Nummer hinterlässt. Doch er hat seinen Wirkungsraum preisgegeben, Uni Basel, und dass er dort an der philosophischen Fakultät tätig ist. Ein schwerer Fehler!
    Denn Friedrich stöbert ihn in Basel auf, und stellt sein Leben komplett auf den Kopf. Es ist kein Eigenleben mehr möglich, und der Abstieg in den Suff droht.
    Wie ist das möglich?


    In kleineren Dingen bemerke ich auch bei mir, dass das NEIN und das ziehen von Grenzen das ein oder andere mal von fremd her überschritten werden kann. Aber wenn es zu viel wird, und ich mich eingegrenzt und fremdbestimmt fühle, wehre ich mich. Und das ist der Grund warum mich dieses Buch verärgert hat. Der Protagonist ist dazu nicht in der Lage.
    Aus dem Buch heraus liest man, dass er gerne ausweicht, nicht konsequent für sich einsteht, oder dieses gerne anderen überlässt. Ein Mensch, der aus “Schwäche” nicht NEIN sagen kann?


    Allerdings hat mich dieses Buch auch in fremde Ansichten und Gedanken transportiert. Ich musste darüber nachsinnen, welche Beweggründe solche Menschen haben. Aber wenn man den Schluss liest, ist es sicherlich ehrlicher und ungefährlicher, wenn man ein klares NEIN zur rechten Zeit anbringen kann!


    Die Sprache ist sehr melodisch, wie in stetigen Wellen, ein Auf und Ab, so liest sich dieses Werk, was mir sehr gut gefallen hat.
    Ferner ist es eine aussagekräftige Charakterstudie, die mich allerdings bisweilen auf die Palme gebracht hat.


    Über den Autor:
    Karl-Heinz Ott wurde 1957 in Ehingen bei Ulm geboren. Er besuchte ein katholisches Internat und studierte Philosophie, Germanistik und Musikwissenschaft. Anschließend arbeitete er als Dramaturg in Freiburg, Basel und Zürich. 1998 erschien sein Romandebüt “Ins Offene”, das mit dem Förderpreis des Hölderlin-Preises und dem Thaddäus-Troll-Preis ausgezeichnet wurde. “Endlich Stille” ist sein zweiter Roman. Momentan steht Ott mit dem Werk “Ob wir wollen oder nicht” auf der Longlist des deutschen Buchpreises 2008.

  • Ich habe knapp hundert Seiten durch und hier und da kann ich mich mit dem Protagonisten identifizieren. Ich habe auch das Gefühl, es allen immer recht machen zu müssen und zu wollen. Das Nein-Sagen musste ich auch erst lernen. Nun weiß ich ja noch nicht, wie das Buch ausgeht, aber falls es jemanden interessieren sollte, werde ich gerne, sobald ich fertig bin, meine schlussendliche Meinung dazu sagen.
    LG Ralf :D

    Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beissen. Das ist der Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
    Zitat: Mark Twain

  • Nun weiß ich ja noch nicht, wie das Buch ausgeht, aber falls es jemanden interessieren sollte, werde ich gerne, sobald ich fertig bin, meine schlussendliche Meinung dazu sagen.
    LG Ralf :D


    Das würde mich/uns wohl interessieren! Das kann nur bereichernd sein, wenn wir hier verschiedene Reaktionen hören.


    Statt eines Ärgers, den das Buch provozieren kann, verspüre ich ebenfalls manchmal ein leichtes erstauntes Zucken, dass es eben SO manchmal mit einem abläuft...

  • Karl-Heinz Ott beschreibt hier eine Situation, der jeder schon in irgendeiner Form begegnet ist. Das macht für mich das Buch interessant. Ich setze es somit auf meine Wunschliste in der Hoffnung es trotz hoher SUB bald kaufen und lesen zu können.
    Wieder einmal eine sehr wertvolle Rezension wie mir scheint, danke Tom!


    Gruß Wirbelwind


    :study: Susan Fletcher, Austernfischer

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Jau, nun habe ich das Buch durch und ich muss sagen, dass mich das Ende nicht sonderlich überrascht hat. Ich muss sagen, dass es mich wunderte, dass ein Philosophieprofessor solche Schwierigkeiten mit dem Nein-Sagen hatte, dass er sich sogar nicht anders zu helfen wusste, als den letzten Schritt auf dieses Weise durchzuführen. Was da im Genauen passiert, verrate ich natürlich nicht. Ich möchte auch noch sagen, dass es mir in solchen Extremen nicht passieren könnte. Ich würde eindeutig vorher die Reißleine ziehen. Alles in allem aber hat mich dieses Buch sehr gut unterhalten und ich werde mit Sicherheit nicht auf solche krummen Touren kommen, wie dieser arme Protagonist. :roll:

    Wenn du einen verhungernden Hund aufliest und machst ihn satt, dann wird er dich nicht beissen. Das ist der Grundunterschied zwischen Hund und Mensch.
    Zitat: Mark Twain

  • So auch ich habe das Buch inzwischen gelesen. Otts Schreibform gefiel mir sehr gut, der Protagonist weniger. Schon schlimm, wenn man sich von einem eigentlich fast Fremden schier zur Selbstaufgabe bringen läßt. Das extreme Ende war somit voraussehbar. Wie einfach wäre dagegen ein entschiedenes Nein gleich zu Anfang gewesen - aber dann hätten wir ja keine so faszinierende Story lesen können. :wink:
    Auf jeden Fall empfehlenswert!


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Joan Aiken, Die Party-Köchin

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Ich kann mich den positiven Stimmen leider nicht anschließen :pale: Ich bin einfach nicht in die Geschichte hineingekommen und habe das Buch letztendlich abgebrochen bzw. habe es nur noch überflogen. Natürlich erkennt man sich auf die eine oder andere Art des nicht Nein-Sagen könnens wieder, aber mir persönlich wurde es ein großer Tick zu viel. Vor allem das Ende fand ich nicht wirklich nachvollziehbar. Es ist natürlich auch eine "Art" der Lösung, aber nicht gerade der Weisheit letzter Schluss.
    Unbestreitbar ist allerdings das Ott schreiben kann. Es entsteht schon eine beklemmende Stimmung, aber wie schon geschrieben, ich bin einfach nicht in die Geschichte hineingekommen.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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