Kjell Westö - Vom Risiko, ein Skrake zu sein / Vådan av att vara Skrake

  • Kjell Westö - Vom Risiko, ein Skrake zu sein (Vådan av att vara Skrake)


    Kurzbeschreibung (Amazon)
    1952 ist ein denkwürdiges Jahr in Finnland: In Helsinki findet die Olympiade statt, Coca-Cola kommt auf den Markt und die finnische Schönheitskönigin wird Miss Universum. Man sollte annehmen, dass in einem solchen Jahr selbst für die Familie Skrake - deren männliche Linie das Ungeschick gepachtet zu haben scheint - alles glatt laufen sollte. Weit gefehlt: Am Tag der feierlichen Cola-Parade kippt Werner Skrake versehentlich einen Laster der kostbaren Fracht um - sein Sohn Wiktor hat noch Jahre später mit der Familienschmach zu kämpfen ...


    Zitat

    "Dieses Buch ist mein Versuch, das 20. Jahrhundert Finnlands anhand einer Familie einzufangen, deren Männer Spezialisten darin sind, am falschen Ort zur falschen Zeit das Falsche zu tun." Kjell Westö


    Zitat

    "Eine Entdeckung: Der finnische Erzähler Kjell Westö." Die Zeit


    Mein Eindruck
    Ein wundervolles Buch! :thumleft: Das Buch erzählt vom Leben einer schwedischsprachigen Familie in Finnland. Aber nicht nur das Leben von Werner Shrake, dem Vater des Ich-Erzählers wird berichtet, der Autor erzählt in Rückblenden eine ganue Familiengeschichte, die etwa 100 Jahre zurückreicht. Die Zeitsprünge machen das Lesen etwas schwieriger als ich es vermutete, mehrmals musste ich zurückblättern. Aber die Lektüre lohnt sich!
    Das Buch ist witzig und traurig zugleich. Der Autor erzählt einiges über die Geschichte Finnlands, über die (behaupte ich jetzt einfach so) die wenigsten Mitteleuropäer etwas wissen. Ich zumindest hatte noch nie etwas vom Bürgerkrieg 1918 gehört. ;)
    Zum grössten Teil aber spielt es in den 60er und 70er Jahren.
    Neben finnischer Geschichte spielen Lachsfang und Hammerwerfen eine grosse Rolle. Werner, der Vater, ist Hammerwerfer, Angler, Hausmeister, gescheiteter Vertreter für Popcorn und Schriftsteller. Insgesamt spielen die Männer der Familie Shrake in dem Buch die Hauptrolle.
    Da das Buch in finnlandschwedisch geschrieben wurde, sind auch die Ortsbezeichnungen in dem Buch auf Schwedisch - z.b. Helsingfors statt Helsiniki.


    Zum Autor (Kopiert bei Wikipedia)
    Kjell Westö (* 6. August 1961 in Helsinki) ist ein finnischer Schriftsteller.
    Westö ist Finnlandschwede und verfasste bereits zahlreiche Romane und Erzählungen. Das ambivalente Verhältnis zwischen der schwedischen Minderheit in Finnland auf der einen Seite und der finnischsprachigen Mehrheit auf der anderen prägt sein Werk.
    2006 erhielt er für seinen Roman Där vi en gång gått den renommierten Finlandia-Preis. Die finnische Theaterversion dieses Romans ("Missä me kuljemme kerran" etwa: "Wo wir einst gingen") wurde am 3.4.2008 im Stadttheater Helsinki uraufgeführt


    Weitere Werke sind:
    Tante Elsie und mein letzter Sommer. (Erzählungen)
    Das Trommeln des Regens. (Erscheint im Juli 2008 )

  • Wow! Danke für diese schöne Rezension. Das Buch klingt wirklich sehr interessant. Seit etwa 2-3 Jahren interessiere ich für Finnland und da scheint mir dieses Buch genau das richtige zu sein. Leider wird es wohl noch ein wenig dauern, ehe ich es mir kaufen und lesen werde, aber es ist bereits auf meiner Wunschliste gelandet! :flower:


    Liebe Grüße Eimyrja

    ~Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.~
    - Heinrich Heine -

  • Danke, Hermia, für deine schöne Rezi. Es ist noch gar nicht so lange her, da bekam ich dieses Buch geschenkt und war ziemlich unschlüssig, was ich davon halten soll. Nun weiß ich es, ich werde es in meinen Leseplan aufnehmen.

  • "Er konnte ein ums andere Mal auswerfen, es sah so mühelos aus, so sanft und millimetergenau, er ließ den Blinker haargenau dort landen, wo er hin sollte, unmittelbar hinter einem üppig wuchernden Tangbusch oder in der Kuhle neben einem aus dem Wasser ragenden Stein." (S. 294)


    Wenn Sie die Beobachtungsgabe eines Naturforschers mit der Gedächtnisstärke eines professionellen Märchenerzählers verbinden und einen Stapel Notizpapier für eine lange Liste ungewöhlich treffender Formulierungen vorbereitet haben, kann dieses Buch Ihr Monats-Highlight werden. Handlungsorte sind Helsingfors (Schwedisch für Helsinki) und Raberga, ein Dorf in der Region Österbotten/Ostbottnien, einem Teil Finnlands östlich des Bottnischen Meerbusens. Den Ostbottniern sagt man nach, sie seien langsamer und jähzorniger als die übrigen Finnen. In der Gegend wird Schwedisch und Finnisch gesprochen, Zweisprachigkeit taucht im Roman (der aus dem Finnlandschwedischen übersetzt ist) mehrfach auf.


    Erzählt wird die Geschichte in versetzten Rückblenden von Wiktor Skrake, genant Viki. Er arbeitet sich durch drei Generationen seiner Familiengeschichte, um am Ende festzustellen, wie stark sein Großvater, seine Großonkel, sein Vater und er sich darin ähneln, sich selbst das Leben zu vermasseln. Mit Siebzehn lebt der Erzähler zu Beginn des Romans allein als Haussitter in der Stadtwohnung seiner Tante Mary (Schwester des Vaters) und geht in der Stadt zur Schule. In späteren Szenen hat Viki seine Stelle bei der Zeitung bereits gekündigt und ist in das Dorf seiner Kindheit zurückgekehrt, auf der Suche, ob "in seiner Seele noch die Sprache wohnt". Vater Werner lebte damals ein unzeitgemäßes Leben als Schul-Hausmeister. Er trainiert verbissen Hammerwerfen, um seine persönliche magische Grenze von 60m zu übertreffen, fischt und schreibt Kurzgeschichten über das Fischen. 1952, als zu den Olympischen Spielen in Helsinki die Markteinführung von Coca Cola bevorsteht, gelingt es Werner mit dem ersten von zwei peinlichen Ereignissen in die Geschichte des Ortes Raberga einzugehen. Wer sich in Finnland blamiert hat, kann nicht einfach wegziehen, und Werners Blamage wird Wiktors Leben überschatten. Während der Vater Hammerwerfen trainiert, läuft Wiktor regelmäßig. Eine besondere Vater-Sohn-Beziehung entsteht auf dem Sportplatz, die die Peinlichkeiten aus Wiktors Leben kurzfristig zum Verschwinden bringen kann. Wiktor war beim Laufen ein schwebendes Kind, sein Idol Sillitoes Langstreckenläufer.


    Mit den Elebnissen von Großvater Bruno und seinen Brüdern Leo und Otto (der den Krieg nicht überlebte) dringen wir weiter in die Geschichte der Skrakes und Finnlands ein. Leo erzählt Viki, mit dem ihn eine besondere Seelenverwandtschaft verbindet, die Geschichte von Johannes Mattson, der sich die Insel Skra schwer erarbeitete, nach der die Familie heute heisst. 1978, als Leos Lebenszeit schon fast abgelaufen ist, verbringt er eine sehr innige Zeit mit Viki und erzählt ihm in seinen letzten Lebenstagen noch so viel wie möglich. Leo erlebte den Ersten Weltkrieg als Kind und erinnert sich daran, dass im Krieg eigene Regeln galten. Die Antworten, die Leo von seinem Bruder Bruno damals über den Krieg nicht erhielt, suchte er, indem er Lesen zu seinem Lebensinhalt machte. Um die Kriegserlebnisse einordnen zu können, ist es nützlich, sich unter Karelien, dem finnischen Bürgerkrieg 1917 und dem "Winterkrieg" zwischen Russland und Finnland von 1939 um Karelien etwas vorstellen zu können. Die Familienerinnerungen der Skrakes verdeutlichen, warum so genau unterschieden wurde, welche Vorfahren zu den "Roten" oder den "Weißen" gehörten. In der Erzähtradition der Familie werden schwarze Schafe, Exzentriker und auch ewige Kinder unter den Verwandten aufs Korn genommen. Erzählen, Vorlesen, Erinnern, Sehnsüchte und Träume spielen im Leben der Skrakes eine wichtige Rolle. Irgendwann muss es einen Umschwung im Leben von Wiktor, Vater Werner und Mutter Vera gegeben haben, auf den die Handlung unaufhaltsam zusteuert.


    Wiktor bringt seine Vorfahren zum Sprechen, saugt ihre Geschichten andächtig auf und nimmt die Rolle des Chronisten ein. Die Ereignisse werden an markanten historischen Ereignissen festgezurrt (Abstand zum Atombombenabwurf, Gagarins Raumflug, Ermordung Kings 1968) und enden mit der Jahrtausendwende. In Nebenrollen die Nachbarn von Werners Familie mit ihren Kindern Janina und Björn und kurz vor Schluss des Romans Vikis russischstämmige Großmutter Maggie, die ebenfalls allerlei zu erzählen hat.


    Was für ein Buch! Lange hat mich kein Familienroman mehr so gefessselt wie die Erlebnisse der Skrakes. Die außergewöhnliche Beobachtungsgabe des Autors hat mir ein Gefühl von Urlaub am Meer vermittelt. Die kleinen der Küste vorgelagerten Inseln, auf die Viki blickt, habe ich vor meinen Augen gesehen, Werners Maschinengewehr-Salven auf der mechanischen Schreibmaschine gehört und gespannt dem Ende der Geschichte entgegengefiebert. Als klar war, wer mit wem verwandt ist, ließ die Spannung im zweiten Drittel leicht nach, um dann wieder anzuziehen. Wer keine Abneigung gegen Angler-Erlebnisse hat, sollte die Skrakes unbedingt ins Urlaubsgepäck packen.


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    :musik: --


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Kjell Westö - Vom Risiko, ein Skrake zu sein“ zu „Kjell Westö - Vom Risiko, ein Skrake zu sein / Vådan av att vara Skrake“ geändert.