Tellkamp, Uwe - Der Eisvogel

  • Endlich deutsche Gegenwartsliteratur vom Feinsten!


    Ein Denker, ein Philosoph, der gerne Briefe schreibt und die alten Klassiker liest; der keine Handys mag, Banker und Gewerkschafter; der die Politik skeptisch betrachtet, und durch seine Erscheinung provoziert. Hat die Gesellschaft für diesen Empfinder Raum und Platz. Besitzt er seine Lücke?
    Wiggo ist ein Hochbegabter mit messerscharfen Verstand, ein großes Talent. Er erhält von seinem Vater, einen stinkreichen Bankier, die teuerste und beste private Ausbildung, und schnell wird sein Können entdeckt und gefördert. Doch Wiggo wählt kein BWL-Studium, kein Wirtschaftsseminar, auch kein Jura, er wählt die Philosophie und begibt sich damit ins Abseits!
    Dann lernt er Mauritz kennen, seine Komplementärfigur, den Macher mit faschistischen Gedanken, der nicht nur denkt, sondern dieses Denken in die Tat umsetzen will. Und zusammen gehen sie jetzt auf die Menschheit los.
    Wie das enden muss, erfährt der Leser direkt auf den ersten Seiten: Wiggo erschießt Mauritz!


    So aufgewühlt und wütend, so fertig und mit der Sinnlosigkeit konfrontiert, ja das muss ich zugeben, das war ich noch nie bei einem Buch! Das Werk hat angedockt, angedockt an jeder kleinsten Nervenzelle. Die Haare standen mir zu Berge. Das Buch ist Gesellschaftskritik pur, Tellkamp versäumt keine einzige Misslage anzusprechen. Stellt abstrakte Lösungsvorschläge auf und darin enthaltene Gefahren.


    Kein Buch zum weglesen und schmökern, aber für mich die Entdeckung in 2008! Ein Highlight!

  • Es hört sich absolut interessant an. Danke, Buchkrümel, für deine Empfehlung.
    Ich höre auch von dem Autor zum ersten Mal. Bin gespannt auf das Buch. :wink:

    2024: Bücher: 73/Seiten: 32 187

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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  • Einen ganz herzlichen Dank an Buchkruemel für diese Empfehlung: es wurde ein echter Lesegenuß!


    Die Beschreibung eines (chronologischen) Handlungsablaufs könnte darüber hinwegtäuschen, dass das Buch sehr gut "konstruiert" erscheint, mit Absätzen, einander zwar folgend, doch auf verschiedenen Zeitebenen, aus verschiedenen Erzählperspektiven. Die Sprache ist teils nervös, fliessend und abreissend zugleich, in Ansätzen auch poetisch.


    Sicherlich kann man dieses Buch einen Gesellschaftsroman nennen, doch ich fand diese Themen sehr "existenziell" angegangen vor: der Einzelne steht vor Problemen, Entscheidungen, Enttäuschungen, Absurditäten... In dieser Hinsicht fand ich mich in diesem sehr modernen und zeitgenössischen Roman total an Themen aus Dostojewskis Werken erinnert, insbesondere die "Dämonen", aber auch "Schuld und Sühne", "Die Brüder Karamazoff". Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Autor diese Werke nicht kennt, nicht gelesen hat. Hinter Sinnlosigkeit und (Selbst-)Zerstörung werden wir vor Entscheidungen gestellt...


    Dieses Buch hat mich sehr beeindruckt. Ich kenne wirklich NEUE deutsche Autoren nicht sehr gut, doch wenn alle so wie Tellkamp loslegen (würden), wäre ich guter Hoffnung!!!

  • Uwe Tellkamp wurde 1968 geboren, studierte in Leipzig, New York und Dresden Medizin und arbeitete in einer unfallchirurgischen Klinik. Sei Debütroman „Der Hecht, die Träume und das portugiesische Cafe“ erschien 2000. 2004 erhielt Uwe Tellkamp den Ingeborg-Bachmann-Preis.


    Worum geht es nun in diesem Buch?
    Wiggo Ritter hat Mauritz, seinen besten Freund, erschossen und liegt mit schweren Brandwunden in einer Klinik. Die Geschichte, die als Krimi beginnt, entwirrt sich nur langsam: In Erinnerungsfetzen Wiggos, Gesprächen mit seinem Anwalt, Stellungnahmen von Freunden und Familienangehörigen. Wir lernen einen Gescheiterten kennen, der am Leben und der Gesellschaft leidet. Aus reicher Bankiersfamilie stammend, hat er gegen die Kapitalistenwelt seines Vaters rebelliert und ist Philosoph geworden. Doch nach einem Streit mit seinem Professor ist auch dieser Weg verbaut. Da kommen Mauritz und seine Schwester Manuela daher und verdrehen Wiggo den Kopf -- Manuela mit ihrer kühlen Schönheit, Mauritz mit der revolutionären Utopie einer konservativen Elitegesellschaft.


    Uwe Tellkamp hat ein sehr interessantes Buch geschrieben, welches sicher nicht jedermanns Sache sein wird. Als „einen deutschen Gesellschafts-Thriller“ bezeichnet die WELT diesen Roman. Diese Bezeichnung trifft nun aber sicher nicht zu. Vielmehr ist dieses Buch ein Reigen aus Gedanken, Rückblenden, Stellungnahmen von Zeitgenossen des Wiggo Ritter. Teilweise ist es sehr schwer den schnell wechselnden Sprüngen zwischen den einzelnen Gedankenebenen zu folgen und offensichtlich schafft auch Tellkamp es nicht immer, den berühmten roten Faden seiner eigenen Erzählung wiederzufinden; nichtsdestotrotz ist ihm mit diesem Buch ein wirklich lesenswertes Stück zeitgenössischer Literatur gelungen. Manchmal wird in einer klaren Sprache gesprochen, dann wiederum wird verklausuliert und sogar „genuschelt“ – aber alles hat seinen Platz in diesem Roman. Eins greift ins andere und wäre sicher noch besser gelungen, wenn der rote Faden nicht zwischendurch ein paar Mal zuviel ausgefranst wäre. Erstaunlich aber ist die Gedankenvielfalt, das fundamentale Wissen des Autors. In seiner Kritik an den bestehenden Verhältnissen macht er vor niemanden halt und prangert die Missstände in der Gesellschaft gnadenlos an.
    Man kann dieses Buch von Uwe Tellkamp nur uneingeschränkt empfehlen. Allerdings sollte man es mit dem Bewusstsein lesen, dass es ggf. auf totale Ablehnung stoßen könnte.

  • Ich habe dieses Buch vor einigen Monaten mal angelesen und es danach auch sofort wieder in die unendlichen Weiten meines SUBs verbannt.
    Mit der Schreibe und dem Stil Uwe Tellkamps kam ich überhaupt nicht klar. Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass wir in der Schule stundenlang "Der Schlaf in den Uhren" (damit hat er ja den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen) durchgekaut und auseinandergenommen haben, aber ich konnte mich nicht für seine Texte öffnen.
    Es stört mich schrecklich, dass er unendlichlange Satzaneinanderreihungen benutzt und wörtliche Rede nicht für nötig hält.


    Ich möchte trotzdem nicht von diesem Buch abhalten. Man sollte eben nur bedenken, dass es evtl. nicht jedermanns "Ding" ist. Meins wars auf jeden Fall nicht.

  • Hi, Dr. Watson, schön dass du es geschafft hast dieses Buch dazwischen zu schieben :wink:
    Dieser Abriss vom roten Faden, wie du es nennst, liegt vielleicht am Stil, den Tellkamp verwendet: Bewusstseinsstrom. War mir bisher völlig fremd dieser Stil, hat mir aber unwahrscheinlich gut gefallen, der macht so wütend, so hibbelig, ja man möchte am liebsten drauf schlagen, UND!!! Also dieses atemlose Gefühl, gepaart mit der Machtlosigkeit, hat mich mächtig aufgewühlt. Ich freue mich schon wahnsinnig auf sein neues Buch, erscheint ende September :dance: