Kenzaburô Ôe - Und plötzlich stumm

  • Etwas über den Autor:


    Kenzaburo Oe, geboren 1935 auf der Insel Shikoku, Romanistik-Studium an der Tokyo University. Abschluss mit einer Arbeit über Sartre, schrieb Essays, Geschichten und Romane. Mit 23 Jahren erhielt Oe den renommierten Akutagawa-Preis, es folgten zahlreiche weitere Auszeichnungen - darunter 1994 der Nobelpreis für Literatur. Oe lebt in Tokyo.


    Infos entnommen: Vita des Autors beim S.Fischer-Verlag


    Weitere Infos: Wikipedia-Artikel zum Autor



    Kurze Inhaltsangabe / Klappentext:


    1945. Japan hat kapituliert. Amerikanische Soldaten kommen mit ihrem Jeep in ein abgelegenes Dorf, misstrauisch von den Kindern beobachtet, die zum ersten Mal wirklich "Fremden" begegnen. Die gespannte Atmosphäre scheint sich rasch zu beruhigen, doch der Friede erweist sich als trügerisch, und ein scheinbar lächerlicher Vorfall löst plötzlich eine dramatische Wende aus. - Der Text, 1958 entstanden, ist ein erzählerisches Kabinettstück des japanischen Nobelpreisträgers.



    Eigene Meinung:


    In dieser gerade einmal 31-Seiten lange Erzählung schildert der Autor die kurze Begegnung zweier Kulturen - Der dörflichen Gemeinschaft japanischer Bauern und die der amerikanischen Besatzungstruppen, repräsentiert durch fünf GIs und deren japanischen Dolmetscher, die auf der Durchreise zu sein scheinen und in diesem Dorf eine Rest einlegen wollen. Man nimmt von Anfang an eine Spannung zwischen diesen Gruppen wahr, ist es doch den Bauern nicht gestattet, wie sonst in ihrer Kultur üblich, mit den Soldaten zu speisen oder aber mit ihnen zu sprechen. Und so werden sie eher misstrauisch beäugt; später löst sich diese Stimmung. Die Soldaten sind ganz angetan von "einem Mädchen im Kimono und sie machen sich Notizen und fotografieren sie" und die Kinder ihrerseits erfreuen sich an den von den Soldaten verschenktem "eingewickelten Zuckerzeugs".


    Erst ein, eigentlich lächerlicher Vorfall bricht die bisher eher friedliche Stimmung; die Schuhe des Dolmetschers scheinen verschwunden, auch bei einer Hausdurchsuchung im gesamten Dorf werden sie nicht gefunden; die Situation eskaliert und in einem Streit mit dem Gemeindevorsteher gibt der Dolmetscher den Befehl zu schießen. Der Gemeindevorsteher (Keiner der Personen hat einen Namen.) bricht tot zusammen und wird von seiner Frau und deren gemeinsamen Sohn, "der darauf stumm wurde", betrauert.


    In der Nacht rächen sich die Dorfbewohner auf ihre Weise; der Sohn wird zum Mitwisser eines Mordes und verliert so seine Unschuld und sein Vertrauen in eine ländlich-schöne japanische Welt. Er wurde "plötzlich stumm" - mit soviel Grausamkeit und Traurigkeit konfrontiert verweigert er sich der kindlichen Naivität, verweigert er sich einer Gefühlsregung beim Mord an dem Dolmetscher und geht am nächsten Morgen wieder normal wie die anderen Dorfbewohner auch ihren Beschäftigungen nach; sie ignorieren die Fremden, gehen weder auf ihre Gesten noch auf ihr Sprechen ein. Diese müssen sich dann zurückziehen.


    Diese knappe-lakonische Geschichte, die eine Parabel darstellt, wirft die Grundsatzfrage auf, wie schnell und aus welchen banalen Gründen heraus Gewalt entsteht. Auch dokumentiert sie die Formen der Gewalt, droht doch der Dolmetscher beim Nichtwiderfinden der Schuhe mit Repressalien gegen die Frauen des Dorfes oder aber damit, dieses Dorf der Hehlerei mit Militärwaffen zu bezichtigen. Alle Macht hat dieser Dolmetscher inne; die Soldaten verstehen die Dorfleute und deren Sprache nicht, handeln nur auf seinen Befehl. Und so missbraucht er diese Gewalt zur Erpressung. Man könnte jetzt einigermaßen grob interpretieren: Die Macht, repräsentiert durch den japanischen Dolmetscher z.B. für das kaiserlich-traditionelle Japan, wird von der unschuldigen Landbevölkerung gestürzt, während die amerikanischen Besatzungssoldaten nur als Befehlsentgegennehmer verstanden werden. Etwas weit hergeholte Interpretation, aber eine mögliche.


    Ich kann nur sagen, diese Erzählung hat mich nicht losgelassen; ich habe sehr lange darüber nachgedacht, was die Parabel / das Gleichnis hier kritisiert und kam auf mehrere Möglichkeiten. Ein Buch, was man nicht so schnell aus der Hand legen kann, auch wenn die Erzählung an sich wenig aus liebevoll-gestalteten Charakteren besteht, weil durch deren Anonymität (fehlende Namen) und fehlende Beschreibung ihres äußeren Erscheinungsbildes, man keinen Bezug zunächst zu ihnen aufbauen kann. Und dennoch fühlt man mit, denkt man mit, weil die Geschichte an sich nur von einer eher stark angespannten Atmosphäre begleitet wird.


    Mein persönliches Fazit: Zwar eine kurze, aber doch eine sehr intensive und nachdenklich-machende Erzählung.



    (Habe im übrigen die Links oben noch einmal kontrolliert und festgestellt, dass einer Seite falsch verlinkt war. Fehler wurde behoben ;=))