Gustav Meyrink: Der Golem; 280 Seiten; Ullstein Verlag 2000; ISBN: 3 - 548 - 20140 - 7; 6,95 Euro
Der Prager Golem
Unter anderem wird dem Rabbi Baal Schem Tov und dem Rabbi Davidl Jaffe die Erschaffung des Golems zugeschrieben. Rabbi Jaffe soll den Golem allerdings im wesentlichen als Ersatz für einen „Schabbesgoj“ verwendet haben, also für einen Nicht-Juden, der die nötige Arbeit für Juden am Sabbat verrichtet.
Die bei weitem bekannteste Version der Golem-Legende ist jedoch diejenige um den aus Worms stammenden Prager Rabbiner Judah Löw (1525 - 1609), der sich auch als Philosoph, Talmudist und Kabbalist hervortat. Diese Version der Geschichte vom Golem soll zuerst 1847 im Rahmen einer Sammlung jüdischer Märchen namens Galerie der Sippurim von Wolf Pascheles aus Prag gedruckt worden sein. Sechzig Jahre später wurde das Thema von Judl Rosenberg im Jahr 1909 literarisch aufgegriffen.
Die Tätigkeit des Rabbi Löw war der Legende zufolge darauf gerichtet, dem bedrängten Volk der Juden von Prag zu helfen und es von den immer wieder vorgebrachten Anwürfen zu befreien, es bediene sich zu rituellen Zwecken des Bluts kleiner Kinder, an denen es angeblich Ritualmorde verübte. Im Jahr 1580 soll ein Geistlicher mit dem Namen Thaddäus sich erneut gegen die Juden gewandt und gegen die Prager Judengemeinde Ritualmordbeschuldigungen gerichtet haben. Der Himmel gab dem Rabbi im Traume den Gedanken ein, aus Ton das Bild eines Menschen zu formen, um so die gegen die Prager Juden gerichteten Pläne zu vereiteln (ata bra Golem devuk hakhomer v'tigtzar tzedim khevel torfe yisrael - „schaffe du aus Lehm einen Golem und überwinde das feindselige Pack, welches den Juden Übles will“).
Hierauf rief Rabbi Löw seinen Schwiegersohn sowie einen Schüler zu sich und erzählte ihnen von seiner Vision. Zur Erschaffung des Golem waren die vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft vonnöten. Rabbi Löw maß sich selbst die Eigenschaften des Windes bei, der Schwiegersohn verkörperte das Feuer, während dem Schüler die Eigenschaften des Wassers zugeteilt wurden. Den beiden wurde der Eid abgenommen, von dem Vorhaben nichts verlauten zu lassen, und der Rabbi ordnete an, dass sie sich sieben Tage lang gewissenhaft im Gebet auf das Werk vorbereiten sollten.
Um vier Uhr morgens (es soll sich um den 20. Adar 5340 gehandelt haben, was dem 17. März 1580 entspräche) begaben sich die drei Männer zu einer Lehmgrube an der Moldau außerhalb der Stadt. Aus dem feuchten Lehm fertigten sie eine drei Ellen hohe Figur an, der sie menschliche Züge verliehen. Als dies geschehen war, befahl Rabbi Löw seinem Schwiegersohn, siebenmal um den Golem herumzugehen und hierbei eine Formel (tzirufim) aufzusagen, die der Rabbi ihm vorgab. Hierauf begann die Tonfigur zu glühen, als sei sie dem Feuer ausgesetzt. Danach umschritt der Schüler den Golem siebenmal: der Körper wurde feucht und strömte Dämpfe aus, und dem Golem entsprossen Haare und Fingernägel. Als letzter schritt der Rabbi siebenmal um den Golem herum, und schließlich stellten sich die drei Beteiligten zu Füßen des Golem auf und sprachen gemeinsam den Satz aus der Schöpfungsgeschichte: „Und Gott blies ihm den lebendigen Atem in die Nase, und der Mensch erwachte zum Leben.“
Da öffneten sich die Augen des Golem. Als Rabbi Löw ihn sich aufrichten hieß, erhob sich der Golem und stand nackt vor den drei Männern. Da kleideten sie den Golem in das mitgeführte Gewand eines Schammes, also eines Synagogendieners, und Rabbi Löw gab ihm den Namen Joseph nach dem talmudischen Joseph Scheda, der halb Mensch gewesen sein und den Schriftgelehrten in vielen Bedrängnissen beigestanden haben soll.
In der Stube des Rabbi pflegte der Golem in einer Ecke zu sitzen, und kein Leben war an ihm zu erkennen. Zum Leben erweckt wurde der Golem erst durch kabbalistische Rituale mit Hilfe des Sefer Jezirah. Hierzu musste ihm ein Zettel mit dem Schem, dem Namen Gottes, unter der Zunge liegen. Dieser Zettel verlieh ihm Leben; sollte der Golem auf seinen Missionen aber nicht gesehen werden, so legte ihm der Rabbi zusätzlich ein Amulett aus Hirschhaut um. Die Aufgabe des Golem war es, in der Zeit vor dem Pessachfest allnächtlich durch die Stadt zu streifen und jeden aufzuhalten, der eine Last mit sich trug, um zu kontrollieren, ob er ein totes Kind mit sich führe, um es zum Verderben der Prager Judenschaft in die Judengasse zu werfen. Zusätzlich machte sich der Golem als Schammes nützlich, indem er die Synagoge ausfegte und die Glocken läutete. Der Zettel unter der Zunge musste an jedem Sabbat (der Tag, an dem nach jüdischem Glauben nicht gearbeitet werden darf) entfernt werden.
In Abwandlung des Motivs eines Zettels mit dem Schem wird auch von einem „Siegel der Wahrheit“ berichtet, das der Golem auf der Stirn getragen habe. Dieses Siegel habe das hebräische Wort für „Wahrheit“ dargestellt. Entfernt man den ersten der drei Buchstaben dieses Wortes, bleibt das hebräische Wort für „Tod“ übrig. Die Entfernung des Buchstabens stellte demnach eine Möglichkeit zur Deaktivierung des Golems dar.
"Der Schauplatz der Handlung ist das Prager Ghetto. Die Juden bewohnten es seit vielen Jahrhunderten. Der Zeitpunkt der Gründung dieses Stadtteils läßt sich nicht mehr feststellen, aber er dürfte irgendwann um die Wende des 12. zum 13. Jahrhunderts anzusetzen sein. Bewegt waren die Schicksale der Bewohner im Laufe verschiedener geschichtlicher Epochen. Zeiten schwerster Bedrängnis wechselten mit Perioden der Ruhe. Ständig aber herrschte Unsicherheit. Nicht nur, daß die ganze Existenz von der Einstellung des jeweiligen Landesfürsten abhing, auch geringe Alltagsereignisse konnten Gefühlsexplosionen der christlichen Nachbarn außerhalb der Ghettomauern auslösen, die manchmal erschreckende Ausmaße annahmen. So bildete sich im Laufe der Jahrhunderte eine ganz eigene Atmosphäre in diesem Stadtteil, die eigentlich auch dann nicht verschwand, als die Behörden 1885 das ganze Viertel, hygienisch und sozial allmählich ein Schlupfwinkel der Ärmsten geworden, assanieren und völlig neu aufbauen ließen. Im Zeitpunkt des Abbruchs der alten Mauern und Straßenzüge spielt Meyrinks Roman. Er steht an der Wende vom Einst zum Heute. Noch ist der alte, von tiefgreifender Mystik umwitterte Gettogeist in vielem lebendig. Die Menschen sind Schwellenwesen zwischen einem Hüben und einem Drüben. Ihre Existenz erfüllt sich in kontrastierenden Verkörperungen: auf der einen Seite Schemaja Hillel, auf der anderen Seite Aaron Wassertrum. Dem Materialisten tritt der große Magier gegenüber."
So kann man es in dem Nachwort des Romans nachlesen. Ich frage mich allerdings auch, ob hier nicht ein anderes Motiv vorliegt. Athanasius Pernath heißt der Ich - Erzähler, um den es hier in der Geschichte geht. Das Buch erzählt auch die Reise des Ich - Erzählers zu sich selbst. Wer ist er? Woher kommt er? Allein schon diese Frage ist an vielen Stellen von zentraler Bedeutung. Da viele Erinnerungen einfach gelöscht und für immer verschwunden sind, ist die Suche nach der eigenen Vergangenheit immens wichtig.
Ob Figuren wie der Freiherr von Leisetreter tatsächlich auch Gesellschaftskritik darstellen, wird der geneigte Leser sicher selbst beurteilen können. Machtgier und Machmißbrauch, Verschlagenheit und hinterlistige Täuschung, Selbstsucht und Habgier sind sicher auch heute noch vorhanden.
Doch was rede ich hier? Ein Buch wie dieses läßt sich sicherlich auf vielerlei Art interpretieren. Der Leser wird sich bestimmt ein eigenes Urteil über den Inhalt bilden können. Leicht ist das Buch nicht immer zu lesen. Reale Welt und Traumwelt vermischen viel zu oft miteinander. Man muß schon konzentriert lesen, um dem Inhalt folgen zu können. Empfehlenswert ist das Buch trotzdem. Es bietet die Art hochwertiger und anspruchsvoller Literatur, die man gerne liest.