Oliver Hilmes - Witwe im Wahn

  • Kurzmeinung

    Bellis-Perennis
    Eine fesselnde Biografie einer Frau, die ihre (vorrangig) männliche Umgebung manipulierte.
  • Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel


    Oliver Hilmes


    Gebundene Ausgabe: 475 Seiten
    Verlag: Siedler
    ISBN-13: 978-3886807970


    „Sie war dreimal verheiratet. Vermählt war sie nur einmal. Vermählt mit ihrem Leben. Mit ihrem eigenen Leben. Dieses Leben hatte ihren Stil, ihren eigenen Wert, ihre Würde, ihre Großzügigkeit.“ Soma Morgenstern in seiner Trauerrede (Seite 419 in o.g. Biografie)


    Alma Schindler wurde 1879 in Wien geboren. Schon in sehr jungen Jahren starb ihr Vater. Dieser Verlust prägte ihr Leben. Die neue Ehe der Mutter mit dem Komponisten Carl Moll sah sie als Verrat am geliebten Vater, ebenso die Geburt ihrer Halbschwester.
    Im Jahr 1902 ging sie ihre erste Ehe mit dem 21 Jahre älteren Gustav Mahler ein, der die Ehe mit Walter Gropius, die später geschieden wurde und die Ehe mit Franz Werfel folgten.
    Im weiteren Verlauf seiner Biografie legt der Autor den Schwerpunkt auf die Ehen, die diversen Affären und das gesellschaftliche Leben der Alma Mahler-Werfel. Oliver Hilmes analysierte Alma, wie sie nach außen erschien, versucht das Phänomen der Wirkung ihrer Persönlichkeit zu ergründen. Aber dem Menschen hinter der Fassade widmet er trotz der offensichtlich sehr umfangreichen Recherche für meine Vorstellungen zu wenig Aufmerksamkeit. Er reduziert sie auf ihre Neurosen, ihre hysterische Persönlichkeitsstruktur, ihre Machtbesessenheit, ihren Judenhass und ihr Liebesleben. Der Freundes- und Bekanntenkreis Almas umfasst die Größen des kulturellen und politischen Lebens im deutschen Sprachraum in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts.
    Alma Mahler Werfel erscheint mir als ewig Suchende. Sie war auf der Suche nach echter Zuneigung und Liebe. Vor allem suchte sie aber nach dem Sinn des Lebens, dem sie sich in jungen Jahren im Komponieren eigener Musikstücke näherte. Sie fand nie ihre innere Mitte, war ihr Leben land unausgeglichen, herrschsüchtig und suchte ihre Bestätigung durch zahllose Liebschaften. Alma Mahler-Werfel wurde schon zu Lebzeiten zu einem Mythos, zu einem, der umstrittener nicht sein könnte. Sie starb 1964 in New York.
    Oliver Hilmes Biografie der Alma Mahler-Werfel ließ sich sehr flüssig lesen. Ihm gelang es, ein durchaus glänzendes Zeitbild zu zeichnen. Einziger Kritikpunkt bleibt seine Einseitigkeit bei der Betrachtung der Alma Mahler-Werfel.

  • Danke für die schöne Rezension.
    Habe das Buch,wie du weißt, auch gelesen und stimme mit dir überein, dass Alma etwas einseitig dargestellt wurde. Der Schwerpunkt liegt in ihren Ehen und Affären.
    Trotzdem ist es interessant in ihr Leben einzutauchen, besonders da sie Kontakte zu zahlreicher Prominenz wie z.B. den Manns hatte - einfach beneidenswert.
    Kleiner Tipp als Ergänzung:
    am Donnerstag, 31.1.2008 kommt um 22.35 Uhr eine Doku über Alma Werfel-Mahler in ARTE.


    Liebe Grüsse
    Wirbelwind


    :study: Irene Nemirovsky, Jesabel

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Es passiert selten, dass ich zu einem Buch fast nichts sagen kann. Dies ist einer der seltenen Fälle. Ich verstehe nicht, wie jemand eine Biografie schreiben kann, die sich so einseitig auf die pikanten Details eines Lebens konzentriert. Das Interesse des Biografen müsste darüber hinaus gehen, wie ich finde. Kein Zweifel, dass das noch sehr viel aufwendigere Recherchen erfordert hätte, als nur sattsam bekannte Anekdoten und Geschichtchen aufzunehmen.

    Die Frau war ja tatsächlich selbst auch ein Talent, aber das wird nur hin und wieder gestreift.

    Ich bin sehr enttäuscht von dem Buch Und stelle fest: Eine große, objektive Biografie von Alma Schindler steht noch aus.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous

  • eigenmelody : Ich habe vor Jahren diese Biografie gelesen. Allerdings bin ich mir nicht so sicher, wie objektiv sie ist. Ich weiß nur, dass ich damals auch relativ lange in den Biografien, die es über Alma Mahler - Werfel gibt, gestöbert hatte, bevor ich mich für diese entschied.

  • Vielen Dank für den Hinweis, SiriNYC. Vielleicht guck ich da auch noch mal rein.

    signed/eigenmelody

    Dear Life,

    When I said "Can my day get any worse?" it was a rhetorical question, not a challenge.

    -Anonymous

  • Eine fesselnde Biografie einer Frau, die ihre (vorrangig) männliche Umgebung manipulierte. Alma Mahler-Werfel, die Witwe im Wahn. Eine Frau ohne Empathie und Herz ...

    Oliver Hilmes ist mit dieser penibel recherchierten Biografie ein völlig anderes Bild von Alma Mahler-Werfel gelungen, als das bislang bekannte „Muse bedeutender Männer“. Der Klappentext trifft es hier genau:

    „Die Reihe ihrer Liebhaber liest sich wie ein „Who is who“ der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Wer war die Frau, die mit Gustav Mahler, mit Walter Gropius und Franz Werfel verheiratet war, die eine wilde Liebesaffäre mit Oskar Kokoschka hatte und der Gerhart Hauptmann zu Füßen lag? Oliver Hilmes zeichnet in seiner umfassenden Biografie, die sich auf bisher noch nicht ausgewertete Briefe und Tagebücher stützt, das facettenreiche Bild einer Frau, die hysterisch, antisemitisch, herrschsüchtig war – aber auch inspirierend, klug und leidenschaftlich.“
     
    Geboren wird Alma 1879 als Tochter des Landschaftsmalers Emil Jakob Schindler und seiner Frau, der Sängerin Anna Sophie Bergen in ärmlichen Verhältnissen in Wien. Als Emil Schindler einen Künstlerpreis und daraufhin entsprechend gut dotierte Aufträge erhält, entspannt sich die finanzielle Situation. Man zieht um. Schon während der Ehe hat die Mutter mehrere Verhältnisse, u.a. mit Carl Moll, der einige Zeit nach dem Tod Schindlers der Stiefvater von Alma und ihrer Schwester wird.


    Alma wächst in einem Künstlerhaushalt mit eher lockeren Sitten auf, erhält nur rudimentäre Schulbildung aber Klavier- und Kompositionsunterricht. Schon mit ihrem Klavierlehrer hat sie ein Verhältnis und Musik wird in ihrem weiteren Leben eine Rolle spielen.


    Eine Affäre mit dem weitaus älteren Gustav Klimt kann von Carl Moll gerade noch (?) verhindert werden. Doch dann tritt Gustav Mahler, eben Hofoperndirektor geworden, die Bühne der Alma Schindler. Auch er ist rund 20 Jahre älter, will eigentlich gar nicht heiraten, weil ihm die holde Weiblichkeit auch so zu Füßen liegt. Er schreibt Alma einen 20 seitigen Brief mit einem „Verhaltenscodex“ für ihre Ehe. Alma überlegt kurz und stimmt zu. Man muss sich ja nicht unbedingt daran halten, oder? Das Leben mit dem Musiker gestaltet sich nicht so, wie es sich Alma erträumt hat. Seine Musik mag sie nicht besonders. Er hingegen hält nichts davon, dass seine Gemahlin komponiert. Recht bald langweilt sie sich und selbst die beiden Töchter (Maria Anna, gestorben 1907 und Anna Justine) interessieren sie wenig. Ihr Ziel, mit einem bedeutenden Mann verheiratet und gut versorgt zu sein, hat sie erreicht. Doch der kränkliche Mahler teilt ihre Leidenschaft für rauschende Feste nicht. Er geht auf Tournee, sie bleibt in Wien. Schon zu Mahlers Lebzeiten beginnt sie unter anderem sowohl mit dem Architekten Walter Gropius als auch mit dem Maler Oskar Kokoschka ein Verhältnis und verheimlicht das gar nicht.


    Nach dem Tod Mahlers (1911) wird die nunmehr reiche Witwe von einigen Heiratskandidaten umschwärmt. Sie heiratet jedoch 1915 Walter Gropius. Sie stürzt sich in das Gesellschafts-leben, während Gropius und Kokoschka im Ersten Weltkrieg kämpfen. Sie manipuliert beide so, dass sie lieber ihren Tod an der Front in Kauf nehmen, als vor Alma als Feiglinge dazustehen. Kokoschka wird schwer verwundet und man zweifelt an seinem Aufkommen. Alma nimmt Briefe und Skizzen aus seinem Atelier. Kokoschka überlebt.
    1917 lernt sie Franz Werfel kennen, über den sie sich gleich einmal despektierlich äußert:


    „Werfel ist ein O-beiniger, fetter Jude mit wülstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen! Aber er gewinnt, je mehr er sich gibt.“
     
    Das hindert sie allerdings nicht daran, ein Verhältnis mit ihm zu beginnen. Überhaupt sind ihre antisemitischen Äußerungen jenseits des guten Geschmacks. Hier zeigen sich schon Anzeichen einer psychopathischen Störung. Sie hasst Juden, verkehrt aber in deren Salons, nimmt ihr Geld als sie Devotionalien Mahlers verkauft und, nicht zu vergessen, Gustav Mahler war ebenfalls Jude. 1918 bringt sie Sohn Martin zur Welt, von dem nur sicher ist, dass Alma die Mutter ist. Das Kind leidet an einem Wasserkopf und stirbt wenige Monate später einsam in einem Krankenhaus. Das Kapitel Alma und ihre Kinder ist ein ganz spezielles. Sie hat überhaupt keine herzliche Bindung zu ihrem Nachwuchs. Natürlich ist es zu dieser Zeit üblich, Kinder von Kindermädchen und Gouvernanten aufziehen zu lassen. Aber so ein Desinteresse? Anna, die zweite Tochter mit Gustav Mahler, wird ihr ganzes Leben unter den Ausschweifungen der Mutter leiden. Erst sehr spät und in ihrer fünften Ehe wird sie so etwas wie Glück und Beständigkeit erleben.
    Manon Gropius wird von Alma als junges Mädchen nackt einer Altherrenrunde präsentiert. Wozu – lässt sich nicht ganz schlüssig beantworten. Manon stirbt 1935 an Kinderlähmung.
    Doch zurück zu Franz Werfel: Sie heiratet ihn 1929 obwohl sie bereits 1924 in ihr Tagebuch schreibt:


    „Ich liebe ihn nicht mehr. Mein Leben hängt innerlich nicht mehr mit dem seinen zusammen. Er ist wieder zusammengeschrumpft zu dem kleinen, hässlichen, verfetteten Juden des ersten Eindrucks.“ (S.208)


    Was soll man dazu sagen? Das einzig Positive für Franz Werfel ist, dass sie ihn dazu bringt, Romane zu schreiben. Zwar will zu Beginn kein Verlag seine Bücher herausbringen, aber mit Almas Gabe, Menschen zu überzeugen und zu manipulieren, gelingt es ihr Paul Zsolnay zu überreden einen Verlag zu gründen. Dreimal darf geraten werden – Paul ist natürlich Jude.
     
    Während des Ständestaates und des Bürgerkriegs in Österreich in den frühen 1930er Jahren verstärkt sich Almas radikaler Antisemitismus. 1938 fliehen sie über Frankreich und die Pyrenäen nach Amerika. Natürlich hat sich Alma erkundigt, zu welchen, für sie günstigen, Bedingungen sie sich von Franz Werfel scheiden lassen könnte.
     
    Die Emigration hält das Ehepaar nur kurzfristig zusammen. Ihre antisemitische Einstellung führt auch in Amerika zu einigen Eklats. Nach dem Tod von Franz Werfel geht Alma ganz in ihrer Rolle als „Grande Veuve“ auf. Sie schreibt ihre Memoiren, die keiner drucken will, weil Alma nur ihre eigene Wahrheit gelten lässt. Sie sieht sich selbst als „Muse“ vieler Künstler. Dieses Bild wird bis heute noch kultiviert.
    Alma Mahler-Werfel stirbt am 11. Dezember 1964 in New York und wird im Februar 1965 in Wien am Grinzinger Friedhof beigesetzt.
     
    Meine Meinung:
     
    Oliver Hilmes hat sich durch bislang unveröffentlichte Briefe und Tagebücher sowohl aus dem Nachlass von Alma Mahler-Werfel als auch von ihren Zeitgenossen gegraben und eine Menge bislang unbekannter Dinge über die Femme Fatale zu Tage gefördert. Der interessierte Leser wird häufig ob der Manipulationen oder der vielen antisemitischen Äußerungen Almas (die sie ernst meint), tief schlucken müssen.


    Was war diese Frau für ein Charakter? Kann es sein, dass sie eine Psychopathin war? Die Anzeichen lassen darauf schließen: Es fehlt ihr an Empathie, sie manipuliert ihre Umgebung um ja den größten Nutzen aus diesen Menschen zu ziehen, ihr übersteuertes Selbstbewusstsein, ihre Theatralik und nicht zuletzt ihre beinahe schon pathologische Promiskuität. Sie spielt Freunde gegeneinander aus und ändert ihre Meinung ständig. Interessant ist auch ihre hartnäckige Weigerung auf Begräbnisse zu gehen. So hat sie weder ihre verstorbenen Kinder verabschiedet noch hat sie an den Beisetzungen von Gustav Mahler oder Franz Werfel teilgenommen.


    Oliver Hilmes räumt mit dem Mythos „Alma sei die Muse vieler Künstler gewesen“ auf. Er zeigt auch die vielen dunklen Facetten des einstmals „schönsten Mädchens von Wien“.

    Selten trifft ein Buchtitel so den Kern des Inhalts.
     
    Fazit:


    Eine spannende, sehr gut gelungene Biographie von Alma Mahler-Werfel. Ich vergebe fünf Sterne und eine Leseempfehlung.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)