Victor Hugo - Die Elenden / Les Misérables

  • Vordergründig handelt das Buch vom entflohenen Galeerensträfling Jean Valjean, der Zuflucht beim Bischof Myriel findet und ihn reumütig macht. Vom Volk gehetzt und vom Polizisten Javert verfolgt, wird er gezwungen, seine Identität zu verändern, mit der er sogar den Posten als Bürgermeister aufgedrückt bekommt. Immer wieder droht ihm die Gefahr, erkannt zu werden und unterzutauchen.


    In Wirklichkeit aber rollt Hugo hier die Geschichte Frankreichs während und nach der französischen Revolution auf, also zwischen 1790 und 1840. Diese Exkurse um Valjeans Schicksal herum tragen bei diesem Mammutwerk erst zum Lesevergnügen bei. Ob die 80seitige Schlacht bei Waterloo, die Beschreibung des Straßenjungen von Paris, dem unterirdischen Kloakensystem, … So ziemlich alle wichtigen Punkte, die zur Revolution und der Zeit beigetragen haben sowie die Bestandsaufnahme der Zustände hinterher werden hier mit Hugos ausdruckstarken, punktgenauen und bilderreichen Beschreibungsfähigkeit angesprochen. Um diese Punkte harmonisch im Text unterzubringen, wird Valjean regelrecht ausgenutzt, lässt ihn in einem Kloster Unterschlupf finden, damit Victor Hugo sich seitenlang über die Religion im Allgemeinen und dem Klosterleben im Speziellen auslassen kann. Er lässt ihn über eine Wiese laufen, um über den Frühling, über das Alter zu philosophieren, er lässt ihn auf die Straße übernachten, um das Elend zu zeichnen. Die politische Betrachtung wird durch Gespräche und Gedankengänge der verschiedenen Parteien sichtbar, die der Royalisten, Revoluzzer und der Anhänger des Kaisers Napoleon. Selbst ein Konventmitglied (Gruppe, die sich für die Guillotine für Louis XVI entschieden haben) kommt zu Wort.


    Zugegeben, wenn Hugo Seiten mit Daten und Namen überschwemmt, verliert der heutige Leser gerne den Überblick, ansonsten erhält er einen äußerst genauen Überblick über diese Zeit. Ohne diese Ausschweifungen wäre das Buch zum gewöhnlichen Thriller verkommen, deren Welle von Zufällen und überzogenen Einfällen heutzutage nicht einmal mehr in Groschenheften zu finden ist.


    Höhepunkt dieses Gewaltsepos sind ohne Zweifel die Ausführung der Straßenschlacht eines Aufstandes im Jahre 1832, die knapp ein Drittel des Buches ausmachen und von Dramatik und Lebendigkeit strotzen. Beschreibungen von Liebe und Tod sind gewiss ebenso überaus lesenswerte Abschnitte.


    Gruß,
    dumbler

  • Danke für die Rezi!


    Das Buch, das du vorstellst, ist aber eine gekürzte Fassung, oder? Meins umfasst 3 Bücher und die sind nicht gerade dünn :-k

  • Hallo,
    wieviele Seiten hast Du denn insgesamt? Das Vorgestellte hat rund 1600 Seiten Text und 150 Seiten Erläuterungen. Soviel ich weiß, existiert noch ein Kapitel über die Gossensprache, der fehlt jedoch in den meisten deutschen Übersetzungen.


    Gruß,
    dumbler

  • Hey, seit ich mal einen Comic gelesen habe ("Das Geheimnis der Silberleuchter"), der die Geschichte als Vorbild genommen hat, wollte ich das lesen :mrgreen:
    Dann fand ich vor ein paar Jahren in der bremer Bücherei einen Teilband, habe ihn ausgeliehen und zu Hause bemerkt, dass ich eine französische Fassung mitgenommen habe :uups:
    Ich hab's dann trotzdem gelesen und dabei hin und wieder ein bisschen ausschweifendere Teile übersprungen.


    Es gefiel mir wirklich gut, wenn es auch... ich glaube ich muss es noch mal lesen, alles habe ich wohl da noch nicht verstanden :D
    Weiss echt nicht, wie ich das gemacht habe :)


    Ist auf jeden Fall lesenswert.



    Das Cover des Comics

  • "Die Elenden" ist eins der größten Klassiker Weltweit! Und das zurecht!Die Schreibweise ist, zwar etwas überspitzt aber demnoch hervorragend! Die Verknüpfungen mit den Personen sind gut gemacht und nicht zu verwirrend, so das man diesen Roman schön genießen kann!!!

  • Ich habe jetzt wochenlang an einer Ausgabe von 1963 gelesen, die in 2 Bücher geteilt ist. Die Schrift ist winzig, die Ausgabe kommt also insgesamt auf 930 Seiten Text und 40 Seiten Ausführungen.


    Mir haben "Die Elenden" ausgesprochen gut gefallen! Man muss sich zwar früh daran gewöhnen, dass Hugo Leute einführt, mit denen man kaum wieder etwas zu tun haben wird, aber da man nicht weiß, wer einem noch, von dem einen oder anderen Zufall getrieben, über den Weg läuft, ist es besser, nicht zu überfliegen.
    Die geschichtlichen Beschreibungen und Eindrücke sind wirklich interessant und die Straßenschlacht mit all ihren Details ist wirklich beeindruckend!
    Jean Valjean habe ich mittlerweile, unter welchem Namen auch immer, sehr lieb gewonnen.
    Diesem Buch muss man den "Klassiker" zugestehen, denn ansonsten hört man bald zu lesen auf, weil die Schreibweise nicht mehr dem heutigen Schreibstil entspricht - es lohnt sich aber, weiter zu lesen!

    "Ein Schiff, das im Hafen liegt, ist sicher. Aber dafür werden Schiffe nicht gebaut."

  • "Eine Gesellschaft, die das Elend zulässt, eine Menschheit, die den Krieg zulässt, scheint mir minderwertig... Ich verdamme die Sklaverei, verjage das Elend, ich behandle die Krankheit, ich erhelle die Nacht, ich hasse den Hass. Darum habe ich 'Die Elenden' geschrieben." Victor Hugo


    Victor Hugo baut seinen großen Roman, sowohl vom Inhalt als auch vom Umfang her, um den Lebensweg des ehemaligen Galeerensträflings Jean Valjean auf. Wegen eines gestohlenen Brotes inhaftiert und nach mehreren missglückten, die Bestrafung verlängernden, Fluchtversuchen dauerte seine Strafe 19 lange Jahre. Nach seiner Entlassung hilft ihm der Bischof von Digne uneigennützig, wieder den rechten Weg zu finden. Valjean schlägt ihn ein, er wird geläutert und entwickelt sich zum Gutmenschen. Trotzdem bleibt er ein Leben lang ein Verfolgter. Von Beginn an sind die Rollen in den Positionen Gut und Böse eindeutig besetzt, das sind die gegensätzlichen Pole, die die Handlung bestimmen. Man findet sie ebenso in Arm und Reich, Mann und Frau, Liebe und Hass sowie im ehrbaren Bürger und im Strafgefangenen. Die sich aus diesen Konstellationen ergebenden Konflikte sind das Konstrukt, um das sich die Geschichte rankt.


    Sehr bewusst habe ich mich für eine möglichst ungekürzte Fassung des Romans entschieden und so kann auch ich nicht abstreiten, dass ich beim Lesen Längen empfand. Den gekürzten Ausgaben wird auch mit Sicherheit nichts an der zentralen Handlung abhanden gekommen sein. Ich vermute jedoch, die Streichungen gehen zu Lasten des Zeitgefühls, der Tiefe und des Gesamteindrucks. Letztlich sind diese Ausschweifungen aber dem Realisten Hugo geschuldet. Detailliert beschreibt er das Leben und die Lebensumstände seiner Figuren. Er schaut sozusagen in jeden Winkel, unter jeden Teppich. Er ist kein Autor, der schnell zum Wesentlichen kommt. Das ist auch gar nicht seine Intention. Er will dem Leser ein Bild seiner Zeit vermitteln, dokumentieren und überliefern. So gibt es ganze Kapitel, die scheinbar nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun haben. Trotzdem las sich der Roman für mich flüssig und nicht ohne Spannung. In "Die Elenden" wird aber auch deutlich, dass Victor Hugo ein sehr politischer Mensch war. Dem Pariser Juni-Aufstand im Jahr 1832 widmet er einen großen Teil seines Romans. Die Geschichte des kleinen Gavroche ist es auch, die mich am meisten beeindruckte.


    "Die Elenden" ist ein großartiger Roman, einer der besten, den die Weltliteratur zu bieten hat. Dass ich die Ausführlichkeit an einigen Stellen beklage, hat nichts mit der Qualität des Romans zu tun, die ist unbestritten. Es spiegelt lediglich meinen Geschmack wider.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Victor Hugo - Die Elenden“ zu „Victor Hugo - Die Elenden / Les Misérables“ geändert.
  • Verlag: CA Kochs's Verlag

    Bindung: Hardcover

    Seitenzahl: 830

    Übersetzt von: Erika Ziha

    Nachwort: Karl Raubek


    ### Inhalt ###

    Jean Valjean ist ein entlassener Galeerensträfling, der aus heutiger Sicht aufgrund einer Lappalie und mehreren gescheiterten Fluchtversuchen von 1795 bis 1814 zu insgesamt 19 Jahren Haft auf den Galeeren verurteilt wurde. Sein Hass und seine Wut auf die Gesellschaft sind grenzenlos. Die Gesellschaft lehnt ihn ab und gibt ihm keine Chance auf ein neues Leben. Außer der Bischof Bienvenu, dessen Güte und Nächstenliebe Jean zutiefst beeindrucken. Der Bischof ist nun seine Lichtgestalt, sein Vorbild, das ihm einen völlig neuen Lebenssinn gibt, in dessen Verlauf er ebenso gütig und philanthropisch wird. Er wird Unternehmer und reich. Er erlangt Bürgermeister-Ehren und verhilft einem Landstrich in der Nähe von Paris zu einem unglaublichen wirtschaftlichen Aufschwung. 8 Jahre nach seiner Entlassung holt ihn seine Vergangenheit jedoch wieder ein. Ein Polizist erkennt ihn wieder und droht ihn zu entlarven. Jean stellt sich freiwillig. Sein Lebenswandel und sein geleisteter wertvoller Beitrag zur Gesellschaft sind null und nichtig. Ihm gelingt wieder die Flucht vor der Jusitz. Auch schafft er es einen großen Teil seines erwirtschafteten Reichtums sicherzustellen. Einen neuen Lebenssinn gibt ihm die Tochter, Cosette, einer auf die schiefe Bahn geratenen Frau namens Fantine, für die er sich noch im Amt des Bürgermeisters eingesetzt hat, die aber aus Gram ihre Tochter nicht mehr wiederzusehen, verstirbt. Er fährt zu den Thenardiers, den "Pflegeltern" mit halunkischem Einschlag, von denen er Cosette für 1500 Franc "abkauft". Thenardier spürt danach eine verpasste Chance, da er glaubt noch viel mehr Profit aus dem Handel hätte schlagen können. Jean kümmert sich von nun an um um die kleine Cosette, die für ihn wie eine Tochter wird und er für sie wie ein Vater. Sie leben in ständiger Flucht und Angst. Jean ist auf der Flucht vor der Justiz und Cosette auf der Flucht vor den Thenardiers.


    ### Meinung ###

    Der Autor schreibt in einem einleitenden Satz:


    "Solange Gesetz und Sitte eine soziale Verdammung zulassen, die mitten in unserer Zivilisation künstlich Höllen schafft und menschliches Verhängnis zum Mitbestimmer für ein Menschenschicksal macht, das göttlich ist, solange die drei großen Probleme dieses Jahrhunderts - die Entwürdigung des Mannes durch das Proletariat, die Degradierung der Frau durch den Hunger und die Verkrümmung des Kindes durch die Not - nicht gelöst sind, solange es in gewissen Gebieten soziale Unterdrückung, solange es, mit anderen Worten und von einem erweiterten Gesichtspunkt betrachtet, Unwissenheit und Elend auf Erden gibt, werden Bücher wie dieses hier nicht wertlos sein. Hauteville-House, 1 Januar 1862"


    Zusammen mit dem Titel "Die Elenden" ist die Schlüsselfrage des Buches klar umrissen. Der Autor schafft auf diesen 830 Seiten ein breites Panorama vieler Einzelschicksale, die an diversen Stellen immer wieder Berührungspunkte haben.

    Paris bildet den Hintergrund, vor dem die Schicksale von Jean Valjean, Fantine, den Thenardiers und die Pariser Unterwelt, der Studentenschaft mit Enjolras und Marius, des kleinen Straßenjungen Gavroche und dem Polizeiinspektor Javert miteinander verwoben sind. Einen dramatischen Höhepunkt bildet die Belagerung einer Barrikade der aufständischen Studenten durch die militärische Staatsgewalt. Es wird viel gestorben und gelitten für das hehre Ziel einer besseren Gesellschaft.


    Hugo schreibt sehr emotional und herzzerreißend, um dem Leid eine große Intensität zu verleihen. Mir als Leser des 21. Jh. geht das etwas auf den Senkel. Oft hatte ich das Gefühl, dass Zufälle und Umstände immer wieder theatralische Situationen begünstigen. Auch das Jean in einem entscheidenden Moment nicht den Mund aufmacht, um gegen Ende des Buches eine für ihn günstige Wahrheit auf den Tisch zu legen und stattdessen lieber leidet, finde ich sehr melodramatisch. Oft befinden sich die Hauptpersonen in einem Zwiespalt, der sie aufgrund ihrer Starrsinnigkeit ins Verderben stürzt, obwohl etwas Kommunikation und Gelassenheit alles zum Guten hätte wenden können. Nun ja, andere Zeiten, andere Sitten.


    ### Fazit ###

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Ein Buch, das einen tiefen Blick in die soziale Situation, die Gefühls- und Lebenswelt der Pariser und Bewohner des Umlands Anfang des 19. Jh. gewährt. Für mich eine Spur zu viel Theatralik.

    Der ideale Tag wird nie kommen. Der ideale Tag ist heute, wenn wir ihn dazu machen. -- Horaz


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