William Boyd – Ruhelos / Restless

  • Originaltitel: Restless


    Inhalt:


    Im Jahr 1976 erfährt Ruth Gilmartin, dass ihre Mutter Sally nicht die Person ist, für die sie sie gehalten hat. In Form von handschriftlichen Aufzeichnungen und Zeitungsartikeln erzählt ihr ihre Mutter kapitelweise die Geschichte ihres Lebens.


    Geboren als Eva Delektorskaja, eine russische Emigrantin, erfährt ihr Leben eine dramatische Wende als sie 1939 in Paris für eine Unterabteilung des britischen Geheimdiensts rekrutiert wird. Der geheimnisvolle und charismatische Lucas Romer bietet ihr damit eine Möglichkeit, den Mord an ihrem Bruder Kolja zu rächen.


    Sie zieht von Paris nach England um. Nach Zwischenstationen in Belgien, den USA, Mexiko und Kanada landet sie schließlich doch wieder in England, wo sie heiratet und ihre Tochter Ruth großzieht. Doch zunehmend fühlt sie sich bedroht, was förmlich die Ausmaße eines Verfolgungswahn annimmt.


    Ruth ist verwirrt und geschockt, von den Enthüllungen ihrer Mutter. Neben diesen einschneidenden Erkenntnissen muss sie noch mit dem überraschenden Besuch ihres Ex-Schwagers vorlieb nehmen, dessen Vergangenheit sie Beziehungen zur RAF befürchten lässt. Als wäre dies nicht genug, versucht sie ihren Sohn Jochen vor zuviel Aufregung zu beschützen und ihr Liebesleben zu sortieren.


    Meine Meinung:


    "Ruhelos" startet spannend und ist lange Zeit ein "Pageturner". Allerdings hält sich dieses Niveau nicht durch den ganzen Roman. Schade, aus der Thematik hätte man mehr machen können.


    Ich möchte nicht zuviel über den Inhalt verraten, deshalb an dieser Stelle nur ein Beispiel:


    Die Gegenwart (1976) erschien mir wie eine mögliche Bereicherung des Romans, um die unterschiedlichen Lebensweisen zu demonstrieren. Doch in Ruths Leben blieb mir alles zu oberflächlich. Sie versucht in Geschichte zu promovieren, aber als sie befürchtet, dass sich Ludger (der Bruder ihres ehemaligen Liebhabers) und seine Freundin Ilse in Oxford verstecken, weil sie der RAF angehören, denkt sie lediglich darüber nach, dass sie sich über das Thema informieren müsste - und dann: nichts! Bei solch einer Vermutung hätte ich sicher anders reagiert, zumal immer wieder betont wird, dass die Verhandlung gegen Baader etc. in allen Nachrichten waren.


    Insgesamt fand ich auch die ansteigende Spionagegeschichte absehbar. Hierbei muss ich allerdings gestehen, dass mir das in Spionagefilmen auch immer so geht (z. B. James Bond, LeCarré-Verfilmungen). Es ist wohl nicht mein Genre... Schade, ich hatte mir mehr erhofft.


    Falls es jemand von euch liest, würde ich mich freuen, mich mit euch über das Ende auszutauschen.

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

    Einmal editiert, zuletzt von Fezzig ()

  • Danke erstmal für deine aufschlussreiche Rezension. Ich hab schon viel
    gutes über dieses Buch gehört und setzt es jetzt endgültig auf meine
    Wunschliste.

  • Mir hat dieses Buch durchaus gefallen.
    Es erzählt abwechselnd die Geschichte von Ruth (Gegenwart) und die von ihrer Mutter über ihre Spionagetätigkeit.
    Wie auch schon Fezzig geschrieben hat, kommt mir das Leben von Ruth oberflächlich vor. Die Person Ruth ist blass gezeichnet; im Gegenzug dazu ist das Leben bzw. die Vergangenheit ihrer Mutter um einiges spannender und auch die Person selbst lebendiger und emotionaler gezeichnet. Vielleicht war dieser Kontrast gewünscht.
    Obwohl mir Spionagegeschichten eigentlich nicht so gefallen, war diese genau richtig für mich. Nicht zu kompliziert, nicht zu sehr ins Detail gehend und doch sehr aufschlussreich über diverse Aktivitäten während des 2. Weltkrieges.


    Ein lesenswertes Buch, welches ich gerne weiterempfehle.
    Bewertung: 3 - 4 Sterne.


    Falls es jemand von euch liest, würde ich mich freuen, mich mit euch über das Ende auszutauschen.


    Ist dies noch immer aktuell? :winken:

    Jede Minute, die man lacht, verlängert das Leben um eine Stunde. (Chinesisches Sprichwort)

    Wer Bücher kauft, kauft Wertpapiere. (Erich Kästner)


  • Ist dies noch immer aktuell? :winken:


    Leider nein - ich muss gestehen, dass ich im letzten Jahr alles vergessen habe und nicht mal mehr weiß, weshalb ich am Ende Diskutierbedarf hatte. :uups:
    Schlechtes Zeichen für einen Roman. In zukunft muss ich vorsichtiger mit solchen Sätzen umgehen! :-$

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Fezzig: Naja ist ja nicht so schlimm und in Anbetracht, dass ich erst 10 Monate nach deiner Rezi das Buch lese, verständlich. :wink::D:winken:
    Aber mir geht es bei vielen Büchern ähnlich.

    Jede Minute, die man lacht, verlängert das Leben um eine Stunde. (Chinesisches Sprichwort)

    Wer Bücher kauft, kauft Wertpapiere. (Erich Kästner)

  • Klappentext:


    Oxford, 1976. Ganz England stöhnt über die Hitze, doch Ruth Gilmartin ist vor allem um ihre Mutter besorgt: Ständig beobachtet Sally den Wald hinter ihrem Garten, das Telefon beantwortet sie nur nach vereinbartem Klingelsignal und das Haus verlässt sie - owohl unversehrt - nur im Rollstuhl. Schließlich eröffnet sie ihrer Tochter, dass jemand sie töten wolle. Ihr wahrer Name sei Eva Delektorskaja und sie habe im Krieg als Spionin gearbeitet.
    Paris, 1939. Eva, eine schöne russische Emigrantin, wird von dem geheimnisvollen Lucas Romer für den britischen Geheimdienst angeworben. Sie soll die Arbeit ihres geliebten Bruders Kolja, der von den Nazis ermordet wurde, weiterführen. Unter Romers Anleitung wird sie zu perfekten Spionin ausgebildet, die schnell lernt, sich zu verstellen und - niemandem zu trauen.


    Der Autor:


    William Boyd, 1952 in Ghana geboren, gehört zu den überragenden europäischen Erzählern der Gegenwart. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Drehbücher und wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem "Whitbread Award for Best Fiction". Er lebt mit seiner Frau in London und Südfrankreich.


    Roman, 368 Seiten


    Meine Meinung:


    William Boyd schreibt Spionageschichten, die mir besonders wegen dem gelungenen Schreibstil gefallen. Spannend und manchmal ironisch wizig. Dabei inszeniert er ein großartiges Intrigenspiel vor der Kulisse des zweiten Weltkrieges. Spionage und Kriegsgeschehen, eigentlich nicht so mein Lieblingsgenre. Aber wenn der Schriftsteller es gut rüberbringt (John le Carré hat mich auf den Geschmack gebracht), lasse ich mich gerne von der Geschichte fesseln. Gelungen fand ich hier besonders den Aufbau. Es berichtet die Ich-Erzählerin Ruth von den Ereignissen im Jahre 1976, als ihre Mutter ihr eröffnet, dass sie in Wirklichkeit eine andere ist. Und zwar hatte sie während des zweiten Weltkrieges ihre Identität wechseln müssen, als sie auf der Flucht vor Doppelagenten war. Und jetzt glaubt sie, die Ereignisse von damals könnten sie wieder einholen. Und ihr Leben könnte in Gefahr sein. Diesen Eindruck vermittelt sie jedenfalls. Und zur Untermauerung dieser unglaublichen Tatsache (Ruth ist natürlich zunächst sehr skeptisch) gibt sie ihrer Tochter ein Dossier zu Einsicht mit. Allerdings nicht vollständig, sondern in gewissen Abständen, so dass Ruth anhand dieser Dokumente nach und nach erfährt, was es damals damit auf sich hatte, als ihre Mutter aktiv für den britischen Geheimdienst tätig war.


    Und so sind die einzelnen Kapitel, die alle ausser der Nummerierung auch eine Überschrift tragen, aufgebaut: Zunächst erfahren wir, wie Ruth im Oxford des Jahres 1976 ihren Alltag verbringt und im Anschluss ist immer ein Teil der "Geschichte der Eva Delektorskaja" angehängt. Der Leser erhält also eine chronlogische Handlung auf zwei Ebenen. Einmal die Geschehnisse im Jahr 1976, daneben die Ereignisse von 1939 bis 1942, die das spannende Spinageleben von Ruths Mutter dokumentieren.


    Die Spionagetätigkeiten des britschen Geheimdienstes sollten darauf abzielen, dass Amerika in das Kriegsgeschehen eingreift. Was dazu nötig war und wie Eva zur Spionin ausgebildet wurde, liest sich sehr spannend. Dabei zeigt sich leider für Eva, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Und eine besonders schmerzliche Erfahrung muss Eva machen, als sie von jemandem verraten wird, der ihr sehr nahe steht. Ab da ist ihr Leben ständig in Gefahr und sie auf der Flucht. Das sie überleben wird ist klar, schließlich hat sie ja die Ereignisse zu Papier gebracht, um sie ihrer Tochter auszuhändigen. Aber das tut der Spannung keinen Abbruch.


    Was aber hat es damit auf sich, dass Eva sich nun, im Jahr 1976 auf einmal nicht mehr sicher fühlt? Das herauszufinden, ist jetzt erst einmal Ruths Aufgabe. Daneben ist ihr eigenes Leben auch gerade ganz schön turbolent. Sie gibt Sprachunterricht und wird von einem ihrer Schüler, einem Iraner, angehimmelt. Außerdem finden gerade Demonstrationen gegen das Schah-Regime statt. Dazu kommt noch ihr Schwager ins Spiel, der wohl ein RAF-Sympathisant ist und bei ihr Unterschlupf sucht. Es ist also einiges los bei Ruth Gilmartin. Und ihrer Mutter. Nicht zu vergessen, ihr aufgeweckter Sohn Jochen, dessen Vater leider anderweitig verheiratet ist und getrost in Deutschland bleiben kann. Die Mutter-Sohn-Beziehung hat mir auch sehr gut gefallen. Vor allem, weil der Kleine schon äußerst scharfsinnig ist und gut beobachten kann.


    Mein Fazit: Gelungener Schreibstil und ein spannender Plot. Eine gute Darstellung der Machenschaften und Intrigenspiele von Geheimdiensten im zweiten Weltkrieg. Handlungsaufbau anhand zweier nebeneinanderlaufender Erzählstränge auf verschiedenen Zeitebenen, die beide chronologisch fortgeführt werden. Liebenswerte Charaktere. Hat mir gut gefallen.
    Meine Bewertung: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Jeder Tag, an dem ich nicht lesen kann, ist für mich ein verlorener Tag!

    3 Mal editiert, zuletzt von birgitk ()

  • Das Buch steht auf meiner Re-Read-Liste, weil Ende des Jahres eine Verfilmung der BBC rauskommt (u.a. mit Rufus Sewell, Hayley Atwell, Michelle Dockery, Michael Gambon und Charlotte Rampling).


    Schon beim ersten Mal fand ich es richtig klasse - hier meine damalige Rezension:


    Oxford, 1976. Ein brütend heißer Sommer liegt drückend über Europa, und Ruth Gilmartin sorgt sich um ihre Mutter, die nach einem kleinen Haushaltsunfall plötzlich darauf besteht, einen Rollstuhl zu benutzen und sich auch sonst merkwürdig verhält.


    Bei einem Besuch erhält sie von ihrer Mutter alte Aufzeichnungen und erfährt auf diese Weise, dass ihre Mutter gar nicht die Sally Gilmartin ist, als die sie sie ihr Leben lang gekannt hat, sondern eine gebürtige Russin namens Eva Delektorskaja, die im Zweiten Weltkrieg für eine britische Spionageorganisation gearbeitet hat.


    Dieses Buch erfordert viel Konzentration beim Lesen, doch es lohnt sich. Parallel wird die Geschichte von Ruth erzählt, die ihren kleinen Sohn, dessen Vater Deutscher ist, alleine großzieht, an ihrer Dissertation schreibt und nebenbei Englischunterricht für Ausländer hält, und die schier unglaubliche Lebensgeschichte ihrer Mutter, die, angeworben von dem charismatischen Lucas Romer, zunächst fachmännisch zur Spionin ausgebildet wurde, um dann in geheimer Mission in die USA zu reisen, wo es zu einer fatalen Kette von Ereignissen kam ...


    William Boyd bedient sich einer recht gewählten, aber nicht überladenen Sprache, erzählt von Manipulation und Berechnung, Liebe und Verrat, Politik und Kriegsführung, recht kompakt auf knapp 400 Seiten. Die eine oder andere Facette seiner Personen mag ein wenig überzeichnet sein, aber alles in allem ist sein Personal glaubwürdig und immer wieder für eine Überraschung gut.


    Und gerade die Thematik der Manipulation, der Psychologie und der Einflussnahme weniger Personen auf Entscheidungen, die das Schicksal der ganzen Welt lenken können, birgt viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren.


    Auf hohem Niveau Spionagethriller und Mutter-Tochter-Geschichte in einem - ein empfehlenswertes Buch.

  • Das Buch lebt vor allem durch den zweigeteilten Aufbau: Im Wechsel zwischen der Ich-Erzählerin Ruth und der Geschichte der Mutter Eva / Sally, geschrieben als personale Erzählung in der 3. Person, entspinnt sich das abenteuerliche Leben eine britischen Spionin im 2. Weltkrieg. Anders als in den meisten Spionageromanen verliert sich der Leser hier nicht zwischen verschiedenen Organisationen, zwischen Agenten, Doppelagenten und Doppel-Doppelagenten. Erst ganz zum Schluss, bei einer der beiden möglichen Auflösungen, wirds etwas undurchsichtig.


    Evas Geschichte wird bis zum Ende erzählt, während aus Ruths Handlungsstrang am Schluss mehrere lose Fäden heraushängen. Bei ihr fängt vieles an (der mögliche RAF-Schwager, der iranischen Freund, die Vergangenheit mit dem Vater ihres Sohne, ihre Abschlussarbeit, ...), aber nur wenig findet einen überzeugenden Abschluss.
    Trotzdem: Leichte, nicht übermäßig aufregende Lesekost.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)