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  • Hallo,


    das erste Kapitel habe ich zwar erst beendet, aber ich wollte mich schon mal melden. "Fast ein Heiliger" ist das zweite Buch, welches ich von Anne Tyler lese. Bis jetzt kann ich aber sagen, dass ich das Gefühl habe, sie bleibt ihrem Stil in diesem Buch treu. "Fast ein Heiliger" handelt von der ganz "normalen" Familie Bedloe, die wohl auch im Haus um die Ecke bei uns leben könnte. Das ist auch das was mir an schon an "Im Krieg und in der Liebe" so gut gefallen hat. Es sind Charaktere von denen A.Tyler schreibt, die wir problemlos in jedem Ort finden können, deren Alltagsprobleme, deren Höhen und Tiefen sie so gekonnt beschreibt, dass es doch ganz spezielle Schicksale werden.


    Der Einstieg in dieses Buch hat mir gut gefallen. Anne Tyler beschreibt die Bewohner der Waverly Street in Baltimore. Es ist eine ruhige Gegend, jeder kennt jeden, es kommt mir schon ein bisschen spießig vor.


    Schmunzeln musste ich als Danny Bedloe seine Freundin Lucy seiner Familie vorstellte. Sie ist geschieden und hat schon Kinder. :shock: Ganz kurz schien ein Schatten auf die sonst so heile Welt der Bedloes zu fallen.


    Schnell heirateten die beiden. Noch schneller - bereits nach 7 Monaten - kam Daphne zur Welt. Für ein zu früh geborenes Baby war sie erstaunlich kräftig.


    Der 17-jährige Ian, Protagonist in diesem Roman, sprang immer häufiger als Babysitter bei Lucy ein. Er war es auch, dem als ersten Ungereimtheiten auffielen. Er war es, der die Frage nach Daphnes wirklichem Vater stellte. Als er von seinen Befürchtungen seinem Bruder Danny berichtete, stürmte dieser aus dem Haus, stieg ins Auto, fuhr los und es kam zu einem entsetzlichen Unfall.


    Bisher haben sich meine Erwartungen an dieses Buch voll bestätigt. Ich brauchte nicht lange, um mich in dieser Geschichte einzufinden.


    Nun bin ich auf eure Meinungen gespannt. Ich werde meinen Lesenachmittag jetzt beginnen. :wink:

  • Ein "Hallo" in die Leserunde :)


    Ich bin schon bei Seite 150.. das Buch ist so geschrieben, dass es mich ziemlich mitreisst.


    Zuerst die Einführung der Charaktere. Eine normale, durchschnittliche Familie in den 70er Jahren. Die immer heitere Mutter, die in allem etwas positives findet, der unauffällige Vater, der an einer Schule unterrichtet, der ältere Sohn Danny Mitte Dreissig auf der Suche nach einem Lebensmittelpunkt, die Tochter die ein Kind nach dem anderen bekommt und der jüngste Sohn Ian im Teenageralter, der vor allem an Sex denkt ;)


    Dann lernt Danny die Frau Lucy kennen, die nach seinen Worten "sein Leben verändert hat" und das Unglück nimmt seinen Lauf.. Sie war bereits verheiratet und hat zwei Kinder (wovon Dannys Eltern erst geschockt sind, aber dann wie gewohnt schnell hinnehmen). Sie bekommt sehr schnell nach der Heirat ein Baby, so schnell, das Zweifel über dessen Herkunft aufkommen, die aber unter den Teppich gekehrt werden. Wann immer sie kann, nimmt sie sich einen Babysitter und entflieht ihrem Zuhause. Ian, der bald zum Lieblingsbabysitter avanciert, macht sich Gedanken darüber, grade weil sie oft mit neuen Kleidungsstücken nach Hause kommt.


    Als Ian eines Abends zum Babysitten verdonnert wird, obwohl er sich mit seiner Freundin treffen wollte, ist er so wütend, dass er seinem Bruder all seine Vermutungen über Lucys Untreue und das Baby an den Kopf wirft. Als Danny kurz darauf mit dem Auto gegen eine Mauer fährt, steht für Ian fest, dass es Selbstmord war und die Schuldgefühle nagen an ihm. Offiziell gilt es aber als Unfall.


    Dann folgt die Beschreibung der Zeit, als Lucy allein mit den drei Kindern lebt. Ich muss zugeben, dass da bei mir schon einige Tränen geflossen sind :cry: Lucy verfällt Schlaftabletten und die Kinder leben unter schrecklichen Umständen, verwahrlost und allein. Am schlimmsten fand ich die Szene, wo die Mutter mit ihnen durch die Geschäfte geht und ihnen sagt, dass sie ja immer alles mögliche tun würden, dass sie sie nicht mehr lieben könnte und weggehen müsste.. und sich ihr kleiner Sohn verzweifelt an ihrem Rock festhält. Schrecklich!


    Schliesslich stirbt Lucy an Schlaftabletten (die Kinder hatten es nicht gewagt, sie beim Schlafen zu stören und so war es zu spät für Rettung). Danach kommen noch verschiedene Umstände heraus, die Ians Schuldgefühle immer mehr anwachsen lassen..


    Ich muss sagen, dass ich dieses Buch sehr deprimierend finde und das wird wahrscheinlich auch so weitergehen. All die Schäbigkeit der Lebensumstände, aber auch der Gedankengänge der Protagonisten.. genauso realisitisch wie tragisch.

  • Hallo liebe Leserundler!


    "Fast ein Heiliger" ist mein erstes Buch von Anne Tyler und es gefällt mir sehr gut. Ich bin jetzt auf Seite 74 angelangt und konnte es vorhin nur schwer aus der Hand legen.


    Die Beschreibung der Charaktere am Anfang hat mir gut gefallen. So lernt man gleich als Erstes die Personen kennen um die sich das Buch dreht. Es scheint die kleine perfekte Familie von nebenan zu sein. Mit einem Lächeln las ich, als Lucy von ihrem Exmann erzählte und von ihren Kindern. Ich konnte regelrecht vor Augen sehen, wie Dannys Eltern sich versteiften und plötzlich nicht mehr so gute Gedanken gegenüber Lucy hatten. Doch sie war kaum gegangen, als sie auch schon wieder das Gute daran sahen.


    Als Ian wütend auf Lucy war, weil sie nicht rechtzeitig wieder nach Hause gekommen ist, wie sie es ihm versprochen hatte, erzählt er in seiner Wut Danny, dass er endlich die Augen öffnen soll über Lucy. Er wirft ihm an den Kopf, dass Daphne unmöglich sein Kind sein soll und Lucy sich bei jeder Möglichkeit aus dem Haus geht und sich sicher nicht nur mit einer Freundin trifft oder einkaufen geht. Davon ist er so erschüttert, dass er Selbstmord begeht.


    Hier kam bei mir einige Fragen auf: Hat er schon vorher etwas geahnt und wollte es nur nicht wahrhaben? Wohin ging Lucy wirklich nachmittags und an diesem Abend? Warum hat er sich gleich umgebracht ohne vorher Lucy zur Rede zu stellen?


    Dann Lucy, die nach seinem Tod in Depressionen verfällt und ihre Kinder sich um sich selbst kümmern müssen.


    Da es nach dem Tod von Danny erstmal um Lucy und ihre drei Kinder geht, bin ich um so gespannter wie es mit Ian weitergeht. Denn schließlich hat sich Danny kurz nachdem sein kleiner Bruder ihm eröffnet hat, seine Frau würde ihn betrügen, umgebracht. Er muss die schlimmsten Gedanken haben und sich die Schuld an seinem Tod geben. Ich denke, es ist ein sehr trauriges und zugleich zum Nachdenken anregendes Buch.


    Lg, Lorelai

  • Hallo zusammen.
    "Fast ein Heiliger" ist nun glaube ich mein fünfter Anne Tyler Roman.
    Immer wieder ziehen mich ihre Themen gleich, ohne große Einleitung, in den Bann. So auch hier.
    Die Familie Bedloe, eine glückliche, beinahe etwas spießige Familie, die jeder kennt, bis Danny seine Liebe Lucy vorstellt. Bildlich kann ich mir vorstellen wie die Mutter schluckt als Danny so ganz nebenbei erzählt, dass sie schon mal verheiratet war und Kinder hat. Verlobung und Hochzeit innerhalb 14 Tagen ziemlich überstürzt und mit einem 7 Monatskind gekrönt, das so gar nicht wie ein Frühgeborenes aussieht. Schon bald wird klar - ein Kuckuckskind.
    Sein Bruder Ian glaubt nun seine "Erkenntnis" dem älteren Bruder bedingt durch Wut über das Ausbleiben von Lucy, für die er den Babysitter gibt, weitergeben zu müssen. Leichtsinnig ja, aber er ist erst 17 und kann unmöglich die Konsequenzen vorhersehen. Lucys Tablettentod ein weiterer Schicksalschlag, besonders für die Kinder. Der Vater von Agatha und Thomas unauffindbar und Mutter Bedloe mit der Situation überfordert. Eine Lösung muß gefunden werden.
    Das erste Kapitel legt schon ganz schön Tempo vor.
    Die von Anne Tyler geschaffene Geschichte, wie immer leicht und flüssig geschrieben, birgt bereits ihre Probleme - sehr spannend.
    Mehr im zweiten Kapitel.
    Gruß Wirbelwind


    :study: Anne Tyler, Fast ein Heiliger

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Hallo liebe MitleserundlerInnen,


    gestern war ein schlechter Tag zum Posten, aber ich habe schon bis zum Ende des 2. Kapitels gelesen. Viele Aspekte der Handlung, des Beziehungsgeflechts und der Wirkung auf den Leser habt ihr ja schon genannt.


    Nach dem Lesen des Klappentexts wusste ich ja schon, was passieren würde, aber die eigentliche Lektüre war doch ein Schock. Der Roman beginnt so harmlos, ruhig und alltäglich. Dann baut er Spannung auf, um im ersten Kapitel mit einem furiosen Ende:


    Zitat

    Er schien nicht wegsehen zu können. Er konnte nicht einmal blinzeln, konnte sich nicht rühren, denn wenn er sich rührte, dann würde die Zeit wieder vorwärtsrollen, und er wusste bereits, dass nichts in seinem Leben jemals weder so sein würde, wie es gewesen war.
    S. 52


    Das zweite Kapitel komponiert Anne Tyler ebenso faszinierend. Es endet ebenfalls sehr unheilverkündend. Der Bezug auf "Hänsel und Gretel" impliziert schon die zukünftige Handlung. Die armen Kinder! Insbesondere Agatha tut mir leid, da sie in ihrem jungen Alter schon eine Verantwortung übernehmen muss, die viele ältere nichtmal meistern könnten.


    Zitat

    Original von Wirbelwind
    Schon bald wird klar - ein Kuckuckskind.
    Sein Bruder Ian glaubt nun seine "Erkenntnis" dem älteren Bruder bedingt durch Wut über das Ausbleiben von Lucy, für die er den Babysitter gibt, weitergeben zu müssen. Leichtsinnig ja, aber er ist erst 17 und kann unmöglich die Konsequenzen vorhersehen.


    Das denke ich auch. Aber die Konsequenzen sind einfach erdrückend, oder? Kein Wunder, dass er im 2. Kapitel kaum redet und eine klare Charakterwandlung durchgemacht hat.


    Zitat

    Original von Lorelai
    Da es nach dem Tod von Danny erstmal um Lucy und ihre drei Kinder geht, bin ich um so gespannter wie es mit Ian weitergeht. [...] Ich denke, es ist ein sehr trauriges und zugleich zum Nachdenken anregendes Buch.


    Ich glaube, im 3. Kapitel liegt der Fokus wieder auf Ian.


    Insgesamt finde ich, dass "Fast ein Heiliger" noch intensiver ist als alle anderen Romane von Anne Tyler, die ich schon gelesen habe. Sicher liegt es auch daran, dass hier durch die Tode eine ganz andere Ebene angesprochen wird als sonst.


    Nun verabschiede ich mich erstmal für das 3. Kapitel! Bisher bin ich froh über unsere
    Buchwahl! :thumleft:

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Ich bin jetzt auf Seite 115 angelangt. Alle denken ja, dass Dannys Tod durch einen Unfall verursacht wurde, nur Ian weiß, dass er Selbstmord begangen hat. Nun schwankt er hin und her, ob er seinen Eltern erzählen soll, was er in seiner Wut getan hat. Doch dann denkt er, er fühlt sich besser und die anderen nur noch schlechter. Also behält er es weiterhin für sich. Ich wüsste nicht, was ich in solch einer Situation tun sollte. Fakt ist jedenfalls, dass er nicht Schuld an dem Tod seines Bruders ist, nur weil er ihm gegenüber eine Vermutung geäußert hat.


    Nach Lucys Tod fand ich den Gedankengang Ians auf Seite 95 besonders traurig: „Oh Gott“, dachte er, „wie lange werde ich noch für eine Handvoll hingeworfener Worte bezahlen müssen?“


    Von Mrs. Myrdal erfährt er schließlich, dass Lucy immer wieder geklaut hat. Danach macht er sich noch mehr Vorwürfe, weil er dachte, sie würde seinen Bruder betrügen. Doch noch immer bleibt die Frage offen, wo sie am Abend war, als Danny ums Leben kam.


    Zitat

    Original von Fezzig
    Nun verabschiede ich mich erstmal für das 3. Kapitel! Bisher bin ich froh über unsere
    Buchwahl! :thumleft:


    Ich auch und ich denke, nach diesem, meinen ersten Buch von Anne Tyler, werd ich auch noch ihre anderen lesen!


    Lg, Lorelai

  • Hallo,


    ich habe kurzfristig das Leserunden-Buch noch ergattert und mich gestern abend gleich an die ersten Seiten gemacht. Es ist mein erstes Buch von Anne Tyler.
    Bei meiner Ausgabe ist die Einteilung anders, ich habe jetzt jedenfalls die ersten 3 Kapitel gelesen.


    Ich habe sofort Zugang zu der Geschichte gefunden, der Schreibstil ist sehr angenehm.


    Ich musste am Anfang direkt schmunzeln als Danny Lucy seinen Eltern vorstellt.
    Die Eltern wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Lucy erwähnt einen Exmann, dann noch Kinder und dann schließlich schlägt sie die elterliche Essenseinladung aus - sie und Danny gehen anlässlich ihrer Verlobung in ein Restaurant. 8)
    Schlag auf Schlag. So geht es in den ersten 3 Kapiteln generell voran.
    Nach einer Woche bereits die Hochzeit - finde ich doch auch merkwürdig. Erst dachte ich, ich hätte mich verlesen - 1 Woche, das kann nicht sein, aber naja... :wink:
    Ab diesem Zeitpunkt ist die Geschichte nicht mehr zum Schmunzeln, sondern eher ernst und tragisch.


    Erstaunlich finde ich das Gespür von Ian. Als 17-jähriger, der eigentlich ganz andere Dinge im Kopf hat, spürt er, dass irgendetwas irgendwie merkwürdig ist.
    "Wundert" sich über seinen Bruder, ihn beschäftigt die Situation und er beschäftigt sich dann auch damit. Der Augenblick, als ihm bewusst wird, dass Daphne kein kräftiges Siebenmonatskind ist, was macht Lucy während er auf ihre Kinder aufpasst usw.
    Er bezweifelt die Zusammenhänge, ist aber doch regelmäßig als Babysitter zur Stelle und gewinnt so auch das Vertrauen von Lucys Kinder aus erster Ehe.


    Tragisch ist die Zeit, als Lucy nach Dannys Tod Depressionen hat und regelmäßig Schlaftabletten nimmt. Die (kleinen) Kinder sind regelmäßig und sehr viel auf sich allein gestellt.


    Ich bin nun wirklich gespannt, wie es weitergeht. In den ersten drei Kapiteln ist ja schon soviel passiert - was wird wohl noch kommen? :wink:

    Liebe Lesegrüße
    Eure Süße
    :study::)


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    Einmal editiert, zuletzt von Süße ()

  • Hallo Süße, schön, dass wir dich auch noch für die Leserunde gewinnen konnten!


    Das 3. Kapitel beschäftigt sich mit Ian.
    Es wirkt so, als ob Ian jeglichen eigenen Antrieb verloren hat, seit dem Todestag von Danny. Er studiert, weil seine Eltern das wollen, er bleibt mit Cicely zusammen, weil er sie schon kennt...
    Zudem schleppt er die "Wahrheit" mit sich herum und kann sich niemandem gegenüber offenbaren, weil alle denken, Danny sei in einem tragischen Autounfall gestorben. Eine Beichte erachtet er als egoistisch. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass seine Schuldgefühle durch dieses Schweigen und die einsame Bewältigung nur noch wächst.


    Die Familie steht Lucy und den Kindern gegenüber ambivalent da. Einerseits wissen sie, dass sie helfen sollten, bringen es aber nicht über sich und verstecken sich hinter ihren Befindlichkeiten. Als Lucy schließlich stirbt, müssen sie wohl oder übel dennoch beginnen, die Kinder groß zu ziehen. Mir tun die Kinder leid, denn Bees unterschwellige Beschwerden müssen ihnen das Gefühl vermitteln eine Last zu sein. Sie gehören nirgends hin.


    Schon beim Trauergottesdienst für Lucy merkt Ian, dass ihm der Glauben zumindest kurzfristig Erleichterung gibt. Leider genügt ihm die Botschaft der presbyterianischen Kirche nicht, um ihn langfristig zu trösten und mit sich selbst zu versöhnen.


    Auch das Ende dieses Teils ist wieder passend - Cicely denkt, sie sei schwanger und Ian wird von der Nachricht überfahren.

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  • Zitat

    Original von Fezzig
    Hallo Süße, schön, dass wir dich auch noch für die Leserunde gewinnen konnten!


    Das Buch hat mich interessiert, dann konnte ich kurzfristig ein Exemplar ergattern und nun bin ich mit dabei. :wink:



    Zitat

    Original von Fezzig
    Die Familie steht Lucy und den Kindern gegenüber ambivalent da. Einerseits wissen sie, dass sie helfen sollten, bringen es aber nicht über sich und verstecken sich hinter ihren Befindlichkeiten.


    Das ist mir mehrmals aufgefallen, dass es sehr lange gedauert hat, bis sich da etwas getan hat. Bee und Ian waren kurz vor Lucys Tod mal bei ihr und den Kindern und waren bei diesem Besuch leicht überfordert und ziemlich schockiert, glaube ich... Aber trotzdem hilflos, handlungsunfähig...
    Lucy hat geschlafen und Agatha hat mit ihren kindlichen Einfachheit erklärt, dass die Mama immer um diese Zeit schläft und nur von alleine wach wird.
    Bee erkennt, dass die Kinder auf sich alleine gestellt sind und Hilfe notwendig ist.
    "Ian", sagte sie, "ich kann nicht mit gutem Gewissen fortgehen und diese Kinder allein lassen."
    Ein Moment zum Luft-anhalten, als Agahta daraufhin den Vorschlag macht, dass sie ja alle mit zu sich nehmen könnte. Dann erscheint Lucy und Agathas Vorschlag wird nicht mehr erwähnt oder besprochen...

    Liebe Lesegrüße
    Eure Süße
    :study::)


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    Einmal editiert, zuletzt von Süße ()

  • Hallo Süße, schön, dass du dich zu uns gesellt hast. :wink:


    Süße beschreibt die Situation als Bee und Ian bei Lucy und den Kindern unverhofft erscheinen und Bee doch überfordert ist. Ich stelle mal eine ganz wilde Theorie auf. Wir schreiben ja zu diesem Zeitpunkt ungefähr 1967. Da waren die Anschauungen ja noch ganz andere. Stand Bee vielleicht auf dem Standpunkt, dass sie die Kinder, die nicht während der Ehe mit ihrem Danny geboren wurden, nicht als "vollwertige" Enkel betrachten kann. Was denkt sie von Daphne? Sie weiß ja sicher auch, wie lange eine Schwangerschaft dauert und dass Frühchen nicht so kräftig sind. Hindert sie ihr zurückgehaltenes Wissen vielleicht an einem energischen Einschreiten? Ich kann nicht verstehen, dass Bee so sang- und klanglos über siese betrübliche Situation in der Familie hinweg gehen kann. Was meint ihr dazu?

  • Zitat

    Original von Karthause
    Ich kann nicht verstehen, dass Bee so sang- und klanglos über siese betrübliche Situation in der Familie hinweg gehen kann. Was meint ihr dazu?


    Karthause
    Ich verstehe das auch nicht.
    Ob das mit der Situation zu tun hat, du meinst, dass sie sich aus diesem Grund nicht berufen sieht, sich um "fremde" Kinder zu kümmern? Ich weiß es nicht, schwer zu sagen.


    Als Lucy erscheint sind ja alle erleichtert, dass sie nun wach ist und so ungefähr: "Alles ist gut." Man braucht sich im Moment nicht mit der bedrückenden Aussage von Agatha zu befassen. Bee braucht nun kein schlechtes Gewissen mehr haben, die Kinder auf sich alleingestellt zurückzulassen, Lucy ist ja nun wach. So kommt es mir vor... In dem Moment sind alle erleichtert, auch Lucy, dass ihr "Schläfchen" so sang- und klanglos hingenommen wird und so getan wird, als sei alles in bester Ordnung. Allein Agatha ist in dem Moment ja alles andere als erleichtert...

    Liebe Lesegrüße
    Eure Süße
    :study::)


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  • Zitat

    Original von Karthause
    Süße beschreibt die Situation als Bee und Ian bei Lucy und den Kindern unverhofft erscheinen und Bee doch überfordert ist. Ich stelle mal eine ganz wilde Theorie auf. Wir schreiben ja zu diesem Zeitpunkt ungefähr 1967. Da waren die Anschauungen ja noch ganz andere. Stand Bee vielleicht auf dem Standpunkt, dass sie die Kinder, die nicht während der Ehe mit ihrem Danny geboren wurden, nicht als "vollwertige" Enkel betrachten kann. [...] Was denkt sie von Daphne? Sie weiß ja sicher auch, wie lange eine Schwangerschaft dauert und dass Frühchen nicht so kräftig sind. Hindert sie ihr zurückgehaltenes Wissen vielleicht an einem energischen Einschreiten? Was meint ihr dazu?


    Ich hatte den Eindruck als ob diese Tatsache einerseits eine wichtige Rolle spielt. Aber vielleicht ist doch auch ihr Alter eine Erklärung. Sie ist arthritisch und froh, die Sorge um Kinder los zu sein. Mir scheint es, als ob sie eine genaue Vorstellung davon hat, wie das Leben zu laufen hat. Es gibt eine Zeit für Kindererziehung, eine für das Ehefraudasein und dann eine für das Großmutterdasein.


    Die Angst davor wieder einen Schritt zurückzugehen, scheint sie zu lähmen. Insgesamt schließt sie vor allem unangenehmen die Augen. Sie denkt zwar auch an unangenehme Wahrheiten, erlaubt sich aber nie, diese zu Ende zu denken (z. B. als sie darüber nachdenkt, ob Danny wohl eine depressiver Phase hatte...).


    Mich würde interessieren, wie sie zu Claudias Kindern ist. Gab es darauf Hinweise? Wenn ja, habe ich sie wohl überlesen. Gibt es einen Unterschied zwischen Abigail und ihre Geschwister einerseits und Agatha, Thomas und Daphne andererseits?

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  • Lieber Himmel Süße ich habe dich in der Runde ja noch gar nicht begrüßt.
    Spät, aber um so herzlicher - hallo, schön, das du zu uns gefunden hast! :D


    Bei Bee denke ich sitzt der Schmerz wegen Dannys Tod sehr tief. Sie war so stolz auf ihn und verdrängt nun das Nachdenken so gut es geht.
    Natürlich habe ich mir auch überlegt, warum sie die Kinder nicht gleich zu sich genommen hat als sie bemerkte wie daneben Lucy ist.
    Ich denke mal, dass sie Angst vor der Situation hatte. Schließlich war sie nicht gesund und genau genommen waren es nicht ihre "eigenen" Enkelkinder. Vielleicht machte sich auch eine leichte Müdigkeit bemerkbar oder sie war sich nicht über den Ernst der Lage klar. Reine Spekulation von mir.
    Das Verhältnis zu ihren anderen Enkelkindern - da liest man wenig. Mit Sicherheit war sie eine gute Oma (so wie ich sie einschätze), aber es war mehr räumliche Distanz vorhanden.
    Gruß Wirbelwind


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  • Entschuldigt, dass ich etwas hinterherhinke, aber ich habe im Moment ziemlich viel um die Ohren.


    Das Buch ist fluessig geschrieben und gut zu lesen. Wie immer bei Anne Tyler sind auch die Bedloes eine typische Familie der amerikanischen Mittelschicht, ganz alltaegliche Menschen, die einem gleich vertraut sind und doch ihre eigene, besondere Geschichte haben.


    Gleich am Anfang, auf ihre leise, undramatische Weise legt Tyler schon die Lunte. Die Bedloes, allen voran Mutter Bee, halten sich fuer eine wunderbare, harmonische Familie und nehmen alle widrigen Dinge des Lebens mit Humor. Eine gute Einstellung, denkt man zunaechst, aber dann folgt ein kleiner, beunruhigender Satz:


    Zitat

    Was Ian betraf, er glaubte das auch, aber nur nach einer Art Haken, einem Moment des Zoegerns.


    Nicht nur, dass diese Stelle auf drohendes Unheil hindeutet, sie entlarvt vor allem die harmonisierende Lebensauffassung der Bedloes als ziemliche Selbsttaeuschung. Probleme werden unter den Teppich gekehrt oder schoen geredet, so zum Beispiel dass der Vater ein schwacher und etwas laecherlich wirkender Mann ist, der von seinen Schuelern nicht ernst genommen wird oder dass der berufliche Werdegang der drei Kinder fuer die Eltern eigentlich eine Enttaeuschung ist. Ganz deutlich wird es dann, als Danny Lucy mitbringt. Die Tatsache, dass sie frisch geschieden ist und schon zwei kleine Kinder hat, die schnelle Heirat der beiden und das angebliche Siebenmonatskind - alles wird mit Stillschweigen uebergangen. Und wenn man Probleme immer verdraengt, dann kann man im Grunde nicht wirklich miteinander reden. Dieses Nichtmiteinanderredenkoennen der Familie Bedloe hat, so scheint mir, zu dem Unglueck doch entscheidend mit beigetragen. Haette Ian, der ja erst durch das bedeutsame Augenrollen seiner Schwester mitgekriegt hat, dass mit Baby Daphnes Geburt etwas nicht stimmt, mit Claudia oder seinen Eltern ueber seine Beobachtungen, Vermutungen und eifersuechtigen Verdaechtigungen sprechen koennen, vielleicht haette er dann nicht in einem Moment des Aergers und der sexuellen Frustration seinem angetrunkenen Bruder die vermeintliche Wahrheit ueber dessen Ehefrau ins Gesicht geschleudert.


    Und auch nach dem Schicksalsschlag ist die "wunderbare Familie Bedloe" weder in der Lage, sich gegenseitig Trost und Halt zu geben noch Lucy zu helfen, die nach dem Tod ihres Mannes in eine gefaehrliche Depression gerutscht ist, die sie mit Schlaftabletten zu bekaempfen sucht. Bei allem Verstaendnis fuer den Kummer der Bedloes ueber den Tod Dannys, zu dem bei Ian noch die starken Schuldgefuehle hinzukommen, ist es doch ein schweres Versagen, dass sie auf die Anzeichen von Verwahrlosung und Vernachlaessigung in Lucys Familie und auf die deutlichen Hilferufe der Kinder nicht reagieren. Wieder wird ein Problem nicht zur Kenntnis genommen, wieder wird nicht miteinander geredet. Und so stirbt Lucy an einer Ueberdosis Schlaftabletten, waehrend ihre Kinder im Nebenzimmer voller Angst darauf warten, dass sie endlich aufsteht und sich um sie kuemmert.


    Bee nimmt die drei Kinder voruebergehend zu sich, ist aber nicht bereit, sie aufzuziehen. Dafuer habe ich nun allerdings Verstaendnis. Sie hat den Tod ihres Sohnes nicht verkraftet, ihre heile, harmonische Welt ist zusammengebrochen. Obwohl sie ja hoechstens sechzig sein kann, fuehlt sie sich "ohne Schwung", alt und ausgelaugt. Und man muss doch auch bedenken, dass zum einen die Ehe von Danny und Lucy viel zu kurz war, um zu ihr und den Kindern ein familiaeres Verhaeltnis aufzubauen und dass zum anderen alle drei Kinder eben keine leiblichen Enkelkinder sind. Ich glaube, die meisten Menschen wuerden nicht so ohne weiteres drei fremde Kinder aufziehen, schon gar nicht, wenn sie selbst im Grosselternalter sind. Denn das ist nun wirklich eine sehr anstrengende, schwierige und auch kostenintensive Aufgabe.


    Der erste Teil des Buches endet mit der Befuerchtung Cicelys, schwanger zu sein, und mit der Erleichterung Ians darueber, dass dem nicht so ist. Auch wenn Ian sich fuer einen Egoisten und Suender haelt, ist seine Erleichterung wohl schlicht in der Tatsache begruendet, dass ihn mit Cicely zwar eine langjaehrige Kameradschaft und Sex, aber keine wirkliche Liebe verbindet.

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  • Hallo mofre, ich hatte dich schon vermisst.
    Ganz so negativ kann ich die Familie Bedloe nicht sehen. Klar sie verkörpert zunächst die heile Welt und als die Schwierigkeiten auftauchen mangelt es an der nötigen Kommunikation. Sie ist eben nicht die Familie perfekt, aber gerade das macht sie liebenswert und menschlich. Gibt es nicht in jeder Familie Situationen, wo die Beteiligten den Kopf gerne in den Sand stecken, und man sich später fragt warum man nicht rechtzeitig und anders reagiert hat?
    Der Vater ist ein schwacher Typ, aber als so lächerlich empfinde ich ihn nicht. Er ist eben nicht alltagstauglich. Berührt hat mich aber wie anhänglich und liebevoll er auf den Tod seiner Frau Bee reagiert. Er fabriziert Nähe durch das Beibehalten der Parfüms, Kosmetik im Badezimmer etc.
    Im Endeffekt findet die Familie aber immer wieder zusammen, alles wendet sich zum Guten - das macht es positiv.
    Und das ist auch die Stärke in Anne Tylers Romanen.
    Gruß Wirbelwind


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  • Wirbelwind, wenn der Eindruck entstanden sein sollte, ich wuerde die Familie Bedloe negativ sehen, so taete mir das Leid. Das Gegenteil ist der Fall. Sie sind mit ihren Schwaechen und Unzulaenglichkeiten Menschen wie Du und Ich, und ich habe auch fuer ihr Verhalten Lucys gegenueber Verstaendnis. Menschen, die wie Bee und Ian mit tiefen Kummer bzw. Schuldgefuehlen zu kaempfen haben, sind meistens nicht in der Lage, anderen beizustehen, sondern braeuchten eher selber Hilfe.


    Auch die Vorbehalte der Familie Lucy gegenueber kann ich durchaus nachvollziehen. Sie ist eine geschiedene Frau - damals noch ein Makel - und sie hat vor allem Danny ein Kind untergeschoben. Keine Schwiegermutter der Welt wuerde sich damit so ohne weiteres abfinden. Und es ist auch verstaendlich, dass die seelisch angeschlagene, alternde Bee weder Kraft noch Lust verspuert, fremder Leute Kinder grosszuziehen.


    Trotzdem bleibt es eine betruebliche Tatsache, dass Lucy, die so schnell nach ihrer Hochzeit Witwe geworden ist und mit ihren drei Kindern ganz allein dasteht, von den einzigen Leuten, die ihr helfen koennten, im Stich gelassen wird.


    Ich halte es aber nach wie vor fuer ein entscheidendes Charakteristikum der Familie Bedloe, dass sie nicht ernsthaft miteinander reden kann und dass vor allem Bee Probleme nicht wahrhaben will. Das wird wieder im zweiten Teil deutlich, jedenfalls soweit ich bis jetzt gekommen bin (bin leider erst auf S. 165). Ich poste das hier, weil es zu meiner These passt. Claudia erzaehlt an ihrem Geburtstag von einem Traum:


    Zitat

    Ich glaube, ich habe versucht, schreien zu lernen...Ich meine das natuerlich nicht woertlich, Dad. Hier bin ich, achtunddreissig Jahre alt, und ich habe nie, ich weiss nicht, niemals etwas gesagt. Alles ist immer so vernuenftig. Heute abend zum Beispiel: Hier sitzten wir. Nettes, vergnuegtes Geplauder, Baseballpositionen, Wetterbericht,...(S. 161)


    Und wenig spaeter sagt Bee, erbittert darueber, dass Ian und die Kinder einer Sekte angehoeren und deren Regeln befolgen:


    Zitat

    Warum, Ian? Warum hast Du Dich so entwickelt? Warum willst Du immer noch fuer etwas buessen, das nie geschehen ist? Ich weiss, es ist nie geschehen; ich verspreche dir, dass es nie geschehen ist. (S. 164)


    Es ist, wie immer: Die Familie kommt ueber freundliches Geplaudere nicht hinaus und uebersieht geflissentlich alle Probleme.


    Was nun den Vater betrifft: Dass er laecherlich wirkt, ist nicht mein Eindruck, sondern der von Ian:


    Zitat

    Zum Beispiel hatte er von Zeit zu Zeit das Gefuehl, dass sein Vater so etwas wie ein Witz in Poe High war - nicht durchsetzungsfaehig und wirr in seinen Erklaerungen der komplizierten algebraischen Funktionen. (S. 14)


    Ich habe von dem Vater bis jetzt gar keinen Eindruck. Er ist ja so gut wie ueberhaupt nicht vorhanden, lediglich ein blasser Schatten. Gibt es wirklich solche quasi nicht existenten Menschen?


    Wenn ich mich missverstaendlich ausgedrueckt habe, dann schiebt das bitte auf die spaete Stunde gestern und auf die Hitze, die hier leider auch nachts nicht richtig nachlaesst.


    Viele Gruesse Monika

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  • Zitat

    Original von Wirbelwind
    Lieber Himmel Süße ich habe dich in der Runde ja noch gar nicht begrüßt.
    Spät, aber um so herzlicher - hallo, schön, das du zu uns gefunden hast! :D


    Dankeschön an euch alle für eure Begrüßungen! :D
    Ich muss ja zugeben, dass ich mich ja nachträglich "hereingeschlichen" und dazugesellt habe. :wink:

    Liebe Lesegrüße
    Eure Süße
    :study::)


    Erinnerungen, die unser Herz berühren, gehen niemals verloren.

  • Nur zu - je mehr Meinungen um so interessanter wird es!
    Gruß Wirbelwind


    :study: Anne Tyler, Fast ein Heiliger

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