Christiane und Goethe von Sigrid Damm

  • Vor mir liegt "Christiane und Goethe. Eine Recherche" von Sigrid Damm. Wirbelwind liest dieses Buch auch, so dass wir uns zu einer Minileserunde verabredet haben. Aber wer weiß, vielleicht bekommen wir ja auch noch Zuwachs, das wäre schön.


    Als ich die ersten Seiten in diesem Buch las, hatte ich mit dem Stil der Autorin schon ein paar Probleme. Aber es ist kein Roman oder keine Biografie im herkömmlichen Sinne, sondern eine Recherche. Trotzdem fand ich die Sätze recht kurz, manchmal waren es gar keine ganzen Sätze, sondern nur hingeworfene Gedanken. Da die Schrift in meiner Ausgabe auch recht klein ist, war ich schon etwas am Zweifeln, wenn ich an die 500 vor mir liegenden Seiten dachte.


    Als dann auf Seite 20 zum 3. Mal ein Kind namens Johann Christian Vulpius geboren wurde, habe ich mir kurzerhand einen Spickzettel mit Christianes Stammbaum gemacht. Den werde ich im weiteren Verlauf des Buches zwar nicht unbedingt benötigen, aber im Moment hatte er mir geholfen.


    Mit der Geburt von Christianes Vater im Jahr 1725 las sich das Buch für mich flüssiger, vielleicht habe ich mich auch nur an den Stil gewöhnt.


    Mein Interesse hat Sigrid Damm von Beginn an geweckt. Sie versteht meines Erachtens sehr gut, dem Leser ein Bild der damaligen Zeit zu vermitteln. Sie fügt häufig Zitate aus Originaldokumenten in der historischen Sprache ein. Das macht das Lesen zwar etwas mühsam, weil sich die Spache bis zur heutigen Zeit doch sehr verändert hat. Ich finde, diese Abschnitte zeigen, dass die Autorin sich um höchste Authentizität bemüht, sie weist auch darauf hin, wenn ihre Recherche keine Ergebnisse brachte und sie sich auf Überlieferungen und Vermutungen stützen muss.


    Beeindruckt hat mich die Schilderung der Bemühungen von Christianes Vaters um eine Anstellung. Die bekommt er nach jahrelangem Schreiben von Bittgesuchen. Nachdem er in Lohn und Brot ist gründet Johann Christian Vulpius eine Familie. Christianes Kindheit ist nicht von Reichtum geprägt.


    Sehr interessant fand ich die Passagen, in denen die Autorin die Preise von den alltäglichen Dingen nannte. Christianes Vater verdiente 75 Taler im Jahr, damit musste gut gewirtschaftet werden.


    Ich habe das 1. Kapitel beendet, Goethe ist noch nicht in Weimar. Mir ist inzwischen bewusst geworden, dass mir von Goethes Leben nur der Teil seines dichterischen Schaffens im Kopf ist, seine politische und wissenschaftliche Tätigkeit blieb mir bisher weitgehend verborgen. Ich bin gespannt wie Christiane und Goethe zueinander finden werden. Bis jetzt bin ich ja noch der Meinung, dass Alters-, Standes- und Charakterunterschiede da eher hinderlich sein sollten. Aber ich weiß natürlich, irgendwie muss es ja funktioniert haben. :wink:

  • Liebe Karthause,


    ich bin ja auch mit dabei, hat Jutta Dir bestimmt erzählt.


    Ich muss noch Irina Korschunow zu Ende lesen und fange dann am Montag an und poste dann im Nachhinein.


    Ich freue mich schon sehr auf das Buch, weil ich letztens einen einstündigen Film über Goethe gesehen habe, u. a. über seine Beziehung zu Christiane. Goethe ist mir seitdem sehr ans Herz gewachsen. Ich bin schon so gespannt auf das Buch. :bounce:


    Liebe Grüße, Tanni

    Liebe Grüße von Tanni

    "Nur noch ein einziges Kapitel" (Tanni um 2 Uhr nachts)


  • Prima, Tanni, wir waren uns nicht sicher ob es klappen wird, weil du ja ein paar Probleme bei der Beschaffung des Buches hattest. :D


    Den Film über Goethe in der ZDF-Reihe "Giganten" habe ich auch gesehen, der hat mir gut gefallen. Bei mir liegt auch schon die DVD "Die Braut", die schaue ich aber erst nach dem Buch.


    Auf deine Rezi zu "Der Eulenruf" bin ich auch schon gespannt.

  • Hallo Tanni,
    schön,dass du dein Buch doch noch bekommen hast und ab Montag an Bord bist. :D


    Hallo Karthause,
    vielleicht sollten wir den Nicnamen wechseln - du bist ja schneller als ein Blitz. :lol:
    Aber ich kann mithalten.


    1.Kapitel:
    Als Christiane (eigentlich auf Christiana getauft) 1765 geboren wurde, war Goethe gerade 15 Jahre alt und begann mit seinem Studium.
    Weimar hat 6000 Einwohner und ist eher bescheiden und winzig im Gegensatz zu den anderen thüringischen Städten.
    Der Stammbaum der Vulpius ist schwierig. Eine Aufzeichnung dessen ist eine ausgezeichnete Idee, Karthause.
    Die Biografie - kein Roman, sondern eine Recherche. Sehr präzise und gewissenhaft, eine Menge Informationen, die es zu verarbeiten gilt, aber niemals trocken. Die Autorin konzentrieirt sich nicht nur auf die einzelnen Personen, versucht ein Gesamtbild zu schaffen. Sie vermittelt dadurch Lebhaftigkeit, ich fühle mich mitgerissen und in den Bann des Buches gezogen.
    Sehr beeindruckend die häufigen Eingaben um einen Posten und die Erniedrigungen des Vaters.
    Christianes Familie - 6 Köpfe bestehend aus Eltern, Bruder, 2 Tanten (unverheiratete Schwestern des Vaters), die mit einem jährlichen Gesamteinkommen von 75 Talern auskommen sollen. Mit Talern könnte ich wenig anfangen, aber Sigrid Damm hilft durch praktische Beispiele. Hier eine Zusammenfassung:
    1 Taler= 24 Groschen
    1 Groschen= 24 Pfennig
    1Pfund Lammfleisch= 1 Groschen 3 Pfennig
    1 Pfund Schweinefleisch= 1 Groschen 6 Pfennig
    1 Eimer Braun Bier= 1 Taler 12 Groschen 8 Pfennig
    Seife (einen Stein)= 2 Taler 12 Groschen
    1 Paar Schuhe= 1 Taler 2 Groschen
    Arbeitslohn für 1 Anzug= 2 Taler
    Stoff dafür= 8-9 Taler


    Der Preis für Brot bleibt gleich, aber das Gewicht ändert sich.
    Festgelegte Gehälter werden nur in reduzierter Form ausbezahlt. Diese Ungeheuerlichkeit muß man sich mal vorstellen.
    Interessant finde ich immer wieder die Zeitvergleiche. Christiane ist 3 Jahre alt und Goethe studiert weiter in Leipzig.
    Christianes Mutter stirbt mit 29 Jahren, war 11 Jahre verheiratet und gebar 6 Kinder. Christiane war zu diesem Zeitpunkt 6 Jahre alt. Eine der unverheirateten Schwestern, Juliana Augusta (37J) übernimmt die Mutterstelle.
    Ein Ausdruck - Winkelschulen- kenne ich nicht. Die Jungen sind frei, Mädchen kosten Schulgeld. Wen wundert es, dass es keinen Beleg über Christianes Schulaufenthalt gibt. Die Familie wurde stets vom Großvater, ein Strumpfverleger u. Hausbesitzer unterstützt und nach dessen Tod schreibt Christianes Vater wieder Bittschriften.
    1774 heiratet er die bereits hochschwangere 29 jährige Johanna Christiana Dorothea Weiland.
    Das erste Kapitel bietet eine Fülle von Informationen und läßt erahnen was noch alles auf uns zukommt. Noch kennt Goethe seine Christiane nicht. Bin sehr gespannt wann dies sein wird.
    Lese nun Kapitel 2 weiter. Morgen also mehr.
    Gruß Wirbelwind

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Einen wunderschönen Sonntagmorgen wünsche ich allen.
    Nachdem ich nun das 2.Kapitel auch gelesen habe, hier mein Eindruck.
    Immer wieder sehr aufschlußreich die Gegenüberstellung Christiane - Goethe.
    November 1775 - Christiane ist 10 Jahre alt. Goethe wird Juni 1776 zum Geheimen Legationsrat ernannt und erhält 1200 Taler jährlich. Man bedenke welch ungeheuerliche Summe. Es ist das zweithöchste Gehalt im Lande, Goethe ist 26 Jahre alt. Am 16. Juni 1777 stirbt Goethes Schwester Cornelia. Er nennt dies einen dunklen, zerissenen Tag. Ob Christiane ein ähnlich enges Verhältnis zu ihrem Bruder hat? Es ist nichts näheres bekannt. Er geht seinem Studium in Jena nach.
    1782 Goethe wird 1.Mann der Finanzen, Kammerpräsident und in den Adelsstand erhoben.
    Eingreifendes in Christianes Leben- ihr Vater wird wegen Betrug, Täuschung (Falsum) für 4 Wochen ins Zuchthaus gesperrt. Sigrid Damm findet keine genaueren Unterlagen über das Vergehen. Die junge Christiane bittet um Gnade für ihren Vater, was ich erstaunlich couragiert finde. Er erhält Papier und Tinte um sich zu rechtfertigen. 4 Tage später wird er gegen Kaution entlassen und zunächst vom Amt suspendiert. Hat Goethe Kenntnis von dem Vergehen? Die Familie hofft und bangt, aber der Vater wird entlassen nach 10 Wartejahren, Gratisarbeit, nach 23 Jahren geringster Besoldung. Mir stellt sich die Frage, ob Vulpius tatsächlich schuldig war. Ist er der ständigen Finanznot zum Opfer gefallen?
    Auf Christianes Bitten erteilt Carl August eine Gnadenhilfe von 1 Taler und einem Scheffel Korn monatlich unter der Voraussetzung, dass ihr Vater als Aufseher beim Wegebauamt, ein Job mit körperlicher Arbeit verbunden, nützlich ist. Eine ungeheuerliche Zumutung und ein absolut lächerlicher Betrag zumal ihr Vater auf die 60 zugeht. Erleichtert stelle ich fest, dass er nie zu diesem Dienst herangezogen wird. Die Familie steht vor dem Nichts.
    Christiane wird berufstätig und somit zum Ernährer des Vaters. Sie arbeitet in der neu entstandenen Kunstblumenwerkstatt. Eine Tätigkeit, die sehr kritisch beäugt wird. Man wirft den Mädchen vor sie würden ihre weiblichen Tugenden verraten, die Arbeit würde sie für die Ehe untauglich machen und sie würden den häuslichen Verrichtungen entwöhnt. Wie unsinnig das ist, belegt die heutige Zeit. Ich kann mich nur entrüsten.
    Weiterer einschneidender Punkt im Leben von Christiane - ihre Stiefmutter stirbt.
    Auch das zweite Kapitel hält die Spannung, aber immer noch keine konkrete Verbindung zu Goethe. Ich fiebere dem 3. Kapitel entgegen. Alles liest sich so aufregend wie ein Krimi.
    Bin gespannt wie ihr das erlebt.
    Gruß Wirbelwind

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









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  • Wirbelwind, Tanni


    Ihr habt ein wirklich tolles Buch ausgewählt. Das ist gelebte Geschichte. An keiner Stelle wirkt es lehrbuchhaft oder trocken.


    Die Gegenüberstellungen Christiane - Goethe finde ich auch sehr interessant. Uns werden damit zwei Welten eröffnet. Schon die finanzielle Situation macht die sozialen Unterschiede überdeutlich. Christianes Vater verdiente vor der Entlassung 75 Taler im Jahr, danach, aber auch erst auf Bittgesuche von Christiane 1 Taler (!) und ein Scheffel Korn. Goethe erhält 1.200 Taler, welch ein Unterschied. Mir standen da die Haare zu Berge. Aber solche Ungerechtigkeiten sind heute ja auch nicht unbekannt.


    Ich fand es auch erstaunlich, dass Christiane für ihren Vater als Bittstellerin geht, nicht der Bruder oder die Stiefmutter.


    Zitat

    Christiane wird berufstätig und somit zum Ernährer des Vaters. Sie arbeitet in der neu entstandenen Kunstblumenwerkstatt. Eine Tätigkeit, die sehr kritisch beäugt wird. Man wirft den Mädchen vor sie würden ihre weiblichen Tugenden verraten, die Arbeit würde sie für die Ehe untauglich machen und sie würden den häuslichen Verrichtungen entwöhnt. Wie unsinnig das ist, belegt die heutige Zeit. Ich kann mich nur entrüsten.


    Die Werkstatt von Caroline Bertuch ist sicher ein Glücksfall für alle dort arbeitenden Mädchen. Was die Dämchen der Gesellschaft darüber schwatzen, ist absolut lächerlich. Es ist sicher außerhalb ihrer Vorstellungskraft, was Armut bedeutet. Aber genau das sind die Damen mit denen (oder auch mit deren Gatten) Goethe Umgang pflegt. Ich bin immer noch gespannt, wie beide sich finden werden. Der Bruder, der von Goethe protegiert wird, könnte dabei von Bedeutung sein. Wie wird Goethe sich zu Christiane in der Öffentlichkeit stellen?


    Heute Nachmittag werde ich mich wieder dem Buch widmen.

  • Hallo Karthause,
    denke auch mal, dass die Verbindung von Christianes Bruder zu Goethe die Verbindung herstellt.
    Erwähnenswert finde ich auch Goethes Aussage, dass er in Weimar sein politisches und gesellschaftliches Leben von dem moralischen und poetischen getrennt hat. Also die absolute Trennung von Geist und Macht. Ich bezweifle, dass dies auf Dauer realisierbar ist. Wahrscheinlich mit ein Grund warum Goethe nach Italien reist. Er will den Kopf wieder frei bekommen und das Leben fühlen.
    Gruß Wirbelwind

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  • Ihr habt mich neugierig gemacht und da die Biografie hier schon subbt, habe ich einen Blick riskiert. Nunja, was sollich sagen? Frau Damm hat mich ziemlich begeistert. Und so stoße ich zu euch.


    Zwei Dinge haben mich vor allem dazu gebracht, weiterzulesen:


    1. Christiane und ich haben am gleichen Tag Geburtstag
    2. Die Aussage:

    Zitat

    Heiter ist sie, witzig, stets gut gelaunt.

    ist so grotesk, dass sie nicht wahr sein kann...


    Kapitel 1:


    Das wesentlich haben Kathause und Wirbelwind ja bereits angemerkt. Mal sehen, was ich ergänzend noch erwähnenswert fand.


    Die Gegenüberstellung von den Geldmitteln der Handelnden fand ich auch erschreckend! Ein Wunder, wie nicht begüterte Familien damals überleben konnten. Vor den gegebenen Angaben (s. Wirbelwinds Beitrag) kann auch die hohe (Kinder)sterblichkeit nicht mehr überraschen. Dabei gehören die Vulpius' nicht mal zu den ganz schlecht gestellten Einwohnern, werden sie doch anfangs noch von den Großeltern unterstützt, der Vater hat eine Ausbildung und wird hauptsächlich durch die Willkür der Bürokratie an der Ausübung seines Berufs gehindert.
    Aber selbst die Ausübung eines Berufs bedeutet in jenen Zeiten nicht die finanzielle Absicherung, hat der Fürst doch Schulden in Höhe von 80.000 Talern. Und welche Schulden werden sicher nicht bezahlt? Ja, genau: der Lohn seiner Bediensteten. Zeitgleich steigen die Steuern, die verfügbaren Waren werden weniger und ein Krieg zieht auf: der Siebenjährige Krieg.


    Auf Seite 30 erfahren wir dann, dass Christiane Vulpius geboren wurde, eigentlich: Johanna Christiana Sophia. Wenige Sätze später ein Verweis auf die Zeit mit Goethe, der sie in seinen Brief und in Gesellschafft anscheinend nie mit Namen ansprach, sondern als Erotikon, Demoiselle Vulpus, meine Frau bezeichnete.
    Ich weiß nicht, ob ich damit gut gelebt hätte, anderen als Erotikon geschildert zu werden, also auf meine sexuellen Reize beschränkt zu werden. Und doch war sie "stets gut gelaunt". :-&
    Man darf ja auch nicht vergessen, aus welch unterschiedlichen Welten sie stammen (und sie sicher von Goethes Kreisen als unpassende Wahl gilt).


    Nochmal zu den Lebensmitteln. Sigrid Damm beschränkt sich auf die für die Zeit üblichen Maßeinheiten. Mir waren sie nicht geläufig, deshalb hier eine kleine Aufstellung (Angaben aus der Wikipedia, bei regionalen Unterschieden habe ich mich an preußische Zahlen gehalten):


    1 Scheffel Weizen = 1 Taler 21 Groschen (45,8 l)
    1 Stein Seife = 2 Taler, 12 Groschen (22–40 Pfund)
    1 Metze geringes Mehl = 2 Groschen, 3 Pfennige (ca. 37,06 l (Bayern))
    1 Eimer Braun Bier = 1 Taler, 12 groschen, 8 Pfennige (ca. 60 l (Bayern, Österreich, Böhmen), auch 12,3 l (Siebenbürgen, Russland), daneben auch deutlich mehr)


    So richtig aussagekräftig ist die Aufstellung nun zwar auch nicht, aber gerade bei Weizen und Seife hatte ich durch die Angaben im Buch gedacht, es wäre weniger Ware.


    Das Kpaitel endet mit einem kurzen Überblick über Goethes Lebensweg und seiner Abreise von Frankfurt nach Weimar. Über ihn weiß ich nicht besonders viel. Bei Wikipedia habe ich ergänzendes zu seinem Leben gefunden, allerdings nur bis zur Italienreise gelesen, um die Biografie weiterhin unbeeinflusst lesen zu können. Vor allem sind auf der Seite auch Bilder: http://de.wikipedia.org/wiki/Goethe
    (Was bisher über ihn zu erfahren war, zeigt, dass er sicher kein einfacher Partner war...).


    Noch ein Linktipp:
    dieses Goethezeitportal lädt ebenfalls zum Stöbern ein. Ich habe es vor einigen Monaten auf der Suche nach einer bestimmten Information gefunden. Da kann man sich problemlos ein paar Stunden festlesen. 8-[

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  • Kapitel 2:


    Goethes Ankunft in Weimar: 7.11.1775 - Goethe ist 25, Christiane 10 Jahre alt. Goethe ist glücklich und erfreut, sein Ehrgeiz ist gepackt, er hat Einfluss und Freunde - schlicht, darf sich beweisen. Sein Förderer Carl August ist zum Landesfürsten aufgestiegen und führt das Leben seines Vaters weiter: Vergnügungen, Schöngeister und ein gutes Leben für sich und die Seinen überragen ernsthafte Regierungsabsichten.


    Wie Karthause anmerkte, steht der Verdienst Goethes und die Vergünstigungen seiner Freunde in starkem Kontrast zur Unterstützung der Landeskinder.


    Ein richtiges Bild von Christiane kann ich mir noch immer nicht machen, auch wenn klar wird, dass sie anscheinend eine starke Person ist, die sich um ihre Familie sorgt und dafür sogar einen Beruf ergreift. Eine mutige Wahl, vor den gegebenen Umständen und Lästereien. Die Berichterstatter über die Blumenfabrik betreiben ja förmlich Hetze gegen die Arbeiterinnen. Die Aussage "Allein, sie hatten vergessen, wie man Kartoffeln siedet." (S. 80) ist der Gipfel der Unverschämtheit! Wie will er das denn beurteilen?!
    Christiane steht sicher nur als Beispiel für einen Teil der Belegschaft. Auf ihr hat sicher auch nach Feierabend noch eine Menge gelastet: die Stiefmutter kurz vor dem Ableben, der Vater krank und dann nur eine Halbschwester und einr Tante als Unterstützung. Da blieb bestimmt noch einiges im Haushalt zu tun...


    Zitat


    Original von Wirbelwind
    Erwähnenswert finde ich auch Goethes Aussage, dass er in Weimar sein politisches und gesellschaftliches Leben von dem moralischen und poetischen getrennt hat. Also die absolute Trennung von Geist und Macht. Ich bezweifle, dass dies auf Dauer realisierbar ist. Wahrscheinlich mit ein Grund warum Goethe nach Italien reist. Er will den Kopf wieder frei bekommen und das Leben fühlen.


    Erstaunlich, dass ein so sinnlicher und naturverbundener Mensch wie Goethe (ich gehe davon aus, dass er das ist, nachdem ich "Werther" gelesen habe und weiß, dass er mit Schiller und anderen jungen Autoren dem "Sturm und Drang" verschrieben war), seinen Geist und seine Stellung trennen kann. Über kurz oder lang muss er scheitern. Die Reise nach Italien wirkt auf mich wie der Versuch wieder "ganz" zu werden, zurück zu seinen Instinkten zu finden und sich wiederzufinden.


    Kann mir eine von euch erklären, weshalb Christiane und ihr Bruder das Bürgerrecht erstehen mussten? War ihr Vater nicht Bürger? Wird dieses Recht nicht vererbt?


    Hornung ist übrigens die Bezeichnung für den Februar: :!:


    Zitat

    Hornung (mhd., ahd. hornunc) bedeutet Bastard, Kebssohn, eigentlich "der aus der Ecke Stammende", "der im Winkel Gezeugte", und hat die Bedeutung von "der [in der Anzahl der Tage] zu kurz Gekommene".
    Quelle: http://www.festjahr.de/monate/index.html

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  • Zitat

    Original von Wirbelwind
    Eingreifendes in Christianes Leben- ihr Vater wird wegen Betrug, Täuschung (Falsum) für 4 Wochen ins Zuchthaus gesperrt. Sigrid Damm findet keine genaueren Unterlagen über das Vergehen. Die junge Christiane bittet um Gnade für ihren Vater, was ich erstaunlich couragiert finde. Er erhält Papier und Tinte um sich zu rechtfertigen. 4 Tage später wird er gegen Kaution entlassen und zunächst vom Amt suspendiert. Hat Goethe Kenntnis von dem Vergehen? Die Familie hofft und bangt, aber der Vater wird entlassen nach 10 Wartejahren, Gratisarbeit, nach 23 Jahren geringster Besoldung. Mir stellt sich die Frage, ob Vulpius tatsächlich schuldig war. Ist er der ständigen Finanznot zum Opfer gefallen?


    Das habe ich auch schon überlegt! Vielleicht hat er aber auch irgendjemanden gegen sich aufgebracht, der ihm Übel mitspiete. Aus seinen Bewerbungsbriefen geht ja hervor, dass er lieber ehrlich als kriecherich ist. Diese Artwird er bei der Arbeit nicht abgelegt haben. Vielleicht ist er jemandem böse auf die Füße getreten...


    So, und nun einen Stuhl auf den Balkon gestellt, Beine hochlagern und ab zum 3. Kapitel, bevor meine Eltern zum Krankenbesuch vorbeischauen. Ehrlich, jetzt bin ich fast froh über meine Zwangspause! Sonst hätte ich die Biografie sicher nicht mehr dieses Jahr angefasst...

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  • Hallo Fezzig, schön dass du mitliest. :D


    Ich will nur ganz schnell etwas in die Runde werfen, denn ich lese im 3. Kapitel:


    Zitat

    Hatte Goethe seinen Weimarer Zustand am Ende als Erstarrung, ja Tod empfunden ... so wählt er für die Veränderungen, die mit ihm in Italien vorgehen fast religiöse Vokabeln, gebraucht das archaisierende Widerburt, spricht von Wallfahrt, von neuem Leben, von Ganzheit und ungeteilter Existenz.


    Noch etwas kommt dazu, Goethe kann auch seine sexuelle Lust ausleben, das findet auch seinen Niederschlag in den von ihm geschriebenen Liebesszenen. Dass Charlotte von Stein davon nicht angetan ist, kann ich schon verstehen. Ich glaube, mit der Dame werden wir noch unsere Freude haben.


    Nun geht es wieder zurück zum Buch.

  • Hallo Fezzig,
    schön, dass du dabei bist!
    Hast dir ja schon die Finger wund geschrieben. :wink: Es gibt aber auch so viele Punkte, die Sigrid Damm so nebenbei erwähnt.....
    Sein Verhältnis zu Herzog Carl August ist sehr ungewöhnlich - geradezu freundschaftlich. Lese bereits im 3. Kapitel und staune.
    Charlotte von Stein ist sehr gekränkt. Die erste Retourkutsche folgt augenblicklich. Ich denke auch, dass es noch so manche Spannung geben wird.
    Aber weiter zum 3. Kapitel.
    Gruß Wirbelwind

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  • Das 3. Kapitel habe ich beendet. Es gab zwar einige Verzögerungen, denn ich ich bin auf der von Fezzig angeführteen Goethezeitportal hängengeblieben. Dann habe ich noch etwas rumgegooglet, kurz ich habe mich mit Goethe und Christiane vertrödelt.


    Goethe ist nun wieder in Weimar. Für seine Rückkehr hat er Bedingungen an den Herzog gestellt. Das zeugt schon von einen großen Selbstbewusstsein, aber auch von seiner Stellung und seinem Ansehen in Weimar.


    Dann lernen sich Goethe und Christiane kennen. Beide müssen ja förmlich überwältigt von einander sein. Auf Seite 115 war eine Beschreibung, wie wir uns Christiane vorstellen können. Für mich stimmt sie sehr deutlich mit der Zeichnung auf dem Einband meines Buches (Insel TB) überein. Eine Frage, die mir ganz spontan in den Kopf kam, war, was fand Goethe an Christiane. Sie unterschied sich ja doch sehr von den Damen, die Goethe kannte. Als Antwort fiel mir nur ihre Natürlichkeit ein. das wird auch einige Seiten später bestätigt.


    Ihre Liebesbeziehung ist ein gut gehütetes Geheimnis, als sie öffentlich wird, bedeutet das für Goethe das Ende der Freundschaft mit Charlotte von Stein. Als Christiane dann auch noch schwanger wird, muss sie Strafen wegen unehelichen Beischlafs befürchten. Goethe heiratet sie nicht, er hat eine Eheaversion. Er bevorzug die wilde Ehe. Dafür wir er vom Hof bestraft, er muss ins Jägerhaus, außerhalb von Weimar ziehen. Ich denke, diese Maßnahme hat Goethe hart getroffen. An dem Haus am Frauenplan hängt er. Sicher ist das auch so, weil es seinen Stand widerspiegelt. So setzt er alles daran, wieder in dieses Haus ziehen zu dürfen. Was ihm ja auch 2 1/2 Jahre später gelingt.


    Diese Situation ist für Christiane wahrscheinlich nur schwer zu ertragen. Für Goethe ist das offizielle Zusammenleben eine Provokation, für Christiane gleicht es vermutlich einem Spießrutenlauf. Wenn ich mir die Moralvorstellungen und die übliche Etikette im Jahr 1789 vorstelle, finde ich es von Goethe recht egoistisch, Christiane nicht zu heiraten. Ich finde, er nutzt dabei auch die Situation aus, dass ihre Eltern verstorben und ihr Bruder von ihm abhängig ist. Seht ihr das ähnlich? Wie gesagt, das ist meine Meinung, das Jahr 1789 betreffend, sehe ich das Jahr 2007, habe ich zu diesem Thema eine wesentlich tolerantere Meinung.


    Ich könnte noch so viel zu diesem Buch schreiben. Aber das, was mich am meisten bewegt, habe ich wohl angesprochen. Hinter diesem eher unauffälligen Buch hätte ich nie etwas so interessantes erwartet. Schon die Bilder, die den Kapiteln vorangestellt sind, sind es wert, intensiver betrachtet zu werden.

  • Da Karthause das Kapitel schon so schön zusammengefasst hat, werde ich mich nun auf meine Eindrücke beschränken.


    Zitat


    Original von Karthause
    Für Goethe ist das offizielle Zusammenleben eine Provokation, für Christiane gleicht es vermutlich einem Spießrutenlauf. Wenn ich mir die Moralvorstellungen und die übliche Etikette im Jahr 1789 vorstelle, finde ich es von Goethe recht egoistisch, Christiane nicht zu heiraten. Ich finde, er nutzt dabei auch die Situation aus, dass ihre Eltern verstorben und ihr Bruder von ihm abhängig ist. Seht ihr das ähnlich? Wie gesagt, das ist meine Meinung, das Jahr 1789 betreffend, sehe ich das Jahr 2007, habe ich zu diesem Thema eine wesentlich tolerantere Meinung.


    Ich habe gestern beim Lesen auch gedacht, dass er sehr egoistisch ist. Mal abgesehen von den Moralvorstellungen und der Etikette ist Christiane in Weimar ja auch rechtlich in einer prekären Lage. Immerhin ist "uneheliche Beiwohnung" Hurerei und steht unter Strafe (Geldstrafe, Kirchenbuße, Schwurhand). Wahrscheinlich wird ihr erst jetzt bewusst, wie sehr sie von ihm abhängig ist. Und durch die Geburt ihres 2. Sohnes (Totgeburt) wird ihr sicher klar geworden sein, dass sie nicht langfristig auf Goethe zählen kann, muss das Kind doch als unehelich in die Bücher eingetragen werden. Ihre Ängste müssen beträchtlich gewesen sein.


    Andererseits gründet Goethe nicht nur mit Christiane seinen Hausstand, was für ihn wahrscheinlich schon genug Umstellung gewesen wäre, sondern nimmt sich auch ihrer Tante und Halbschwester an.


    Wenn Charlotte von Stein über ihn sagt, er sei ein "Chamäleon", so hat sie ihn vielleicht wirklich treffend bezeichnet?! Einerseits ist er mit seiner häuslichen Situation sehr zufrieden und andererseits möchte er ihr entfliehen. Am liebsten würde er hier wahrscheinlich auch eine Doppelexistenz führen: das Private abseits der Öffentlichkeit, ohne Kommentare seiner Kreise und dann weiterhin sein gesellschaftliches Leben, das er sich unbeeinflusst von seiner Liebesaffäre wünscht.


    Weiß man eigentlich, ob er noch häufig Besuche erhielt, nachdem er umziehen musste? Oder wurden er und Christiane gemieden? Lernt Christiane seine Freunde kennen? Will Goethe das überhaupt? Was ist mit ihr und ihren Bekannten? Wie geht sie mit der Situation um?


    Christiane wird für mich immer noch nicht greifbar. Es ist sicher schwer, ein Leben zu rekonstruieren, wenn jegliche Belege fehlen, aber meine Erwartungen an Antworten sind durch den Titel "Christiane und Goethe" sehr hoch gewesen. Bisher lernen wir sehr viel über Goethe...


    Wie seht ihr das? Sehnt ihr euch auch danach, mehr zu erfahren? Wie ist der Alltag im Jägerhaus? Wie gehen Goethe und Christiane mit ihrem Kind um? Welche Rolle spielen die Verwandten? Streiten die beiden? Oder ist es zuhause so gemütlich und ruhig wie Goethe es nach außen hin darstellt?


    Dass Goethes Mutter nach 3 Jahren immer noch nicht weiß, dass sie Oma ist, finde ich gegenüber ihr und Christiane als Unverschämtheit. Sicher wird Goethe seine Gründe gehabt haben (bestimmt hätte auch seine Mutter die "wilde Ehe" für eine Mesallianz gehalten), aber er gibt niemandem die Chance, sich mit der Situation zu beschäftigen. Er bestimmt. --> Um nochmal auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Ja, ich halte ihn für einen Egoisten.

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  • Noch eine Frage zu Christiane: Arbeitet sie wohl weiter in der Blumenfabrick?


    ---


    Ich finde die Beziehung von Goethe zu Charlotte von Stein einfach zu interessant, um hier nicht nochmal darauf einzugehen. Die Charlotte ist eine interessante Person, aber auch eine schwierige. Sehr strikt erzogen, mit einer Abneigung gegen Körperliches, in einer unzufriedenstellenden Ehe gefangen und voller Vorurteile. Eine Frau, die sich profilieren will, gerne mächtige, interessante Menschen um sich sammelt, darunter Goethe - ein Mann durch den sie ihrer Eitelkeit schmeicheln kann.
    Die beiden verbindet eine Art Minnebeziehung - eine reine, geistige Liebe. Sie wird verehrt und fördert damit die Kreativität ihres "Geliebten". Bei all dem hat sie die Zügel in der Hand, ist Muse, "Schutzgeist und Anker". Dass Goethe so nicht sein ganzes Leben leben kann, muss klar sein. Jemand mit seinem Geltungsdrang wird nicht lebenslänglich zweite Geige spielen wollen.


    Und so muss er flügge werden. Als er sich für das sinnliche, ganzheitliche Leben entscheidet, muss sie naturgemäß auf der Strecke bleiben, weil sie ihn nicht verstehen kann. Wahrscheinlich wird sie ihn ermahnt, gewarnt und gegängelt haben, darauf hoffend, den alten Einfluss wiederzugewinnen. Doch letztendlich entfremden sich beide noch mehr.


    Was denkt ihr?


    Der Abschiedsbrief an Charlotte aus dem Jahr 1789 hat es wahrlich in sich. Nur die kurzen Ausschnitte lassen den Schmerz ahnen, den Charlotte beim Lesen hat empfinden müssen... Er beleidigt sie ja ziemlich krude. Er hält ihr eine Art Liebe vor Augen, an der sie keinen Anteil hat und entzieht ihr seine unbedingte Freundschaft. Schlag trifft auf Schlag...


    Ob er sich mit Christiane darüber besprochen hat? Evtl. auch bezüglich des zweiten Briefes? Oder hat er selbständig gehandelt? Wie steht sie dazu?


    ---


    Zu Italien:


    - Glaubt ihr, dass Goethe erst mit 38 Jahren das erste Mal die "Kohabitation" erlebt?! Die Theorie halte ich für sehr gewagt... (S. 111)


    - Ich würde gerne den Egmont lesen, da er hier ja als ein Werk beschrieben wird, dass verfasst wurde, als Goethe zu sich gefunden hatte. Hätte jemand von euch auch Interesse daran?


    ---


    Haus am Frauenplan:


    Goethe bekam ja 2 1/2 Jahre nach seinem Auszug das Haus am Frauenplan zurück. Ob die Entscheidung dorthin zurückkehren zu dürfen vielleicht auch damit zusammenhängt, dass dieGesellschaft nicht mehr nur an eine üble Laune glaubt, sondern lernt, mit der ungewöhnlichen Beziehung umzugehen und zu akzeptieren, dass es etwas langfristiges werden wird?


    ---


    Zitat

    "Indeß macht draussen vor dem Thor,
    wo allerliebste Kätzchen blühen,
    durch alle zwölf Categorien
    mir Amor seine Späße vor."


    Weiß eine von euch, was die zwölf Categorien sind?!


    ---


    Es gibt noch soviel zu sagen und anzumerken, aber jetzt muss ich mich für den nächsten Arztbesuch fertigmachen. Mir wurde gesagt: "viel Wartezeit mitbringen". Bei einer solchen Lektüre mache ich das natürlich gerne! :drunken:

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  • Hallo zusammen,
    bin ein wenig später dran, aber die Arbeit rief.
    Das 3. Kapitel - Neuigkeiten über Neuigkeiten.
    Goethes Verhältnis zu Christiane wird bekannt, sie ist schwanger. Jetzt muß Goethe Farbe bekennen. Er hat eine Eheaversion - wie praktisch für ihn. Sämtliche Risiken liegen bei Christiane. Leider erfährt man nichts über Christianes Gefühlswelt. Hatte sie Angst vor der Situation? Wie kam sie damit zurecht? Ihr habt euch auch schon Gedanken darüber gemacht. Die damalige Moralvorstellung ist heute kaum noch nachvollziehbar. Sogar unter Verlobten steht Beischlaf unter Strafe. Goethe kann das Schlimmste von ihr abhalten, aber den Klatsch nicht. Er muß aus dem Haus am Frauenplan ausziehen, weil besonders die Damen der Gesellschaft es nicht wünschen Goethes Kind vor ihrer Nase herumgetragen zu sehen. Carl August konnte dagegen nichts ausrichten. Rädelsführer waren Herzogin Louise und natürlich die zurückgestoßene Charlotte von Stein. Denke schon, dass Goethe wegen des Umzugs in Jägerhaus mehr als nur gekränkt war. Um so verbissener kämpft er darum wieder in das Haus am Frauenplan zurückzukehren. Für ihn ist es die wieder hergestellte Ehre,aber wie muß Christiane das empfunden haben? Nun ist sie allen Blicken ausgesetzt, muß sich noch mehr erniedrigen lassen.
    Was mich auch noch aufregt - formal bekennt sich Goethe nicht zur Vaterschaft. Der Sohn August Walter wird nur nicht unehelich geführt. Patin ist Christianes Tante und wahrscheinlich heimlich Carl August. Was soll das? Jeder weiß doch von wem das Kind ist. Warum gibt er dem Kind nicht seinen Namen? Mit der genannten Eheaversion hat dies nichts zu tun. Auf der einen Seite trägt er seine wilde Ehe vor allen aus, was schon etwas Revolutionäres an sich hat, und dann kneift er. Seine neue Rolle als "Ehemann und Vater" fällt ihm schwer - drei Frauen im Haus, der Säugling. Goethe ist bereits 40. Er hat zahlreiche festgefahrene Gewohnheiten. Der negative Klatsch. Ist das der Grund warum er sich sobald er die Tore durchläuft als wäre er noch Junggeselle. Er feiert, wendet sich wie bisher der holden Weiblichkeit zu. Um Christiane muß er sich keine Gedanken machen. Sie hat ihr Schicksal völlig in seine Hand gelegt.
    Seine Mutter erfährt 5 Jahre nichts über Christiane und ihren Enkel. Ein Vertrauensbruch wie man sich ihn größer nicht vorstellen kann. Ich lese im Anschluß an dieses Buch von Dagmar von Gersdorff eine Biografie über Goethes Mutter. Hoffe darin eine Reaktion und Antworten auf meine Fragen zu finden.
    Am 14. Oktober 1791 kommt ein weiterer Sohn tot zur Welt. Er wird als unehelich eingetrgen und im Familiengrab der Vulpius beigesetzt. Ist Goethe auf dem Rückzug? Bedauert er schon seine Beziehung zu Christiane? Oder ist es eine Art Strafe, weil das Kind tot geboren wird?
    Kann mich nicht entsinnen mich schon einmal so intensiv um Goethes Leben gekümmert zu haben. Ein absoluter Verdienst von Sigrid Damm.
    Gruß Wirbelwind

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Ich muß unbedingt noch einmal nachhaken.
    Führt Goethe eine Doppelexistenz? Er schweigt sich völlig über sein Privatleben aus, macht nur bei Carl August eine Ausnahme. Um dem Klatsch nicht neue Nahrung zu geben? Erscheint mir zu oberflächlich. Kommt mir eher wie ein innerer Konflikt vor.
    Erneut staune ich über das Verhältnis zu Carl August. Er begleitet ihn auf dessen Wunsch im Krieg gegen Frankreich. Carl August als preußischer General, er als Feldpoet wie ihn die Soldaten nennen. Später schenkt er Goethe das Haus am Frauenplan - sehr großzügig. Übrigens habe vor ca. 2 Jahren eine Führung in diesem Haus gemacht. Sehr interessant!
    Gruß Wirbelwind

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Zitat

    Original von Wirbelwind
    Ich muß unbedingt noch einmal nachhaken.
    Führt Goethe eine Doppelexistenz? Er schweigt sich völlig über sein Privatleben aus, macht nur bei Carl August eine Ausnahme. Um dem Klatsch nicht neue Nahrung zu geben? Erscheint mir zu oberflächlich. Kommt mir eher wie ein innerer Konflikt vor.


    Mir erscheint es auch zu kurz gegriffen. Im weiteren Verlauf des 4. Kapitels gibt Sigrid Damm weitere Vermutungen an. Da ihr anscheinend noch nicht soweit seit, will ich nicht vorgreifen. Aber ich habe noch ein paar ergänzende Ideen zum Thema.


    Man darf nicht vergessen, dass der junge Goethe dem "Sturm und Drang" verschrieben war. Einer Literaturrichtung, die Genie, Gefühle, Dramatik und Empfindsamkeit über alles stellte. Goethes eigene unglückliche Liebe zu Charlotte Buff verarbeitet er in den "Leiden des jungen Werthers". Wer das Werk gelesen hat, weiß über die Tiefe seines Gefühls, seiner Hoffnungen, Verletzungen und Grübeleien. Und obwohl er weiß, dass alles Hoffen aussichtslos bleibt, gibt er sich dieser Liebe hin. Lebt hier also bereits eine Doppelexistenz unter anderen Voraussetzungen.


    Dann die familiäre Situation: die Erwartungen seines Vaters, seine eigenen künstlerischen Bestrebungen - trotz Rebellion gegen den Vater ist er nach seiner Krankheit zumindest kurzfristig auf den familiären Halt angewiesen. Auch hier: Kompromisse - er ist nicht ganz.


    Anschließend die Berufung nach Weimar, in der er auf gesellschaftlichen Aufstieg und neue Aufgabenbereiche hofft. Dass diese Ziele nicht ohne Preis zu erreichen sind, merkt er zusehends und zieht eine klare Grenze zwischen Kunst und Leben. Wobei für mich auch der Eindruck entsteht, dass er keine Meinung beziehen möchte, sei es in Bezug auf die Todesstrafe in Weimar oder eine Stellungnahme zur Französische Revolution. Letztere müsste doch die Erfüllung seiner früheren Überzeugungen sein. Aber kann er sich in einem adligen Umfeld diese gefühe leisten? Ich denke, hier hat er seine Ideale entweder verdrängt oder überlebt.
    Aus irgendeinem Grund widerstrebt es ihm, zu bestimmten Themen Stellung zu beziehen? Aus Angst davor, sich angreifbar zu machen?


    Auch später, wenn Goethe mit Schiller an einer Kunstästhetik arbeitet, verfolgen beide eine Trennung von Kunsttheorie und Leben.


    Die kurze Zeitspanne in und nach Italien scheint eine Ausnahme, Ruhephase in Goethes Leben gewesen zu sein, in der er frei von Zwängen lebte. Aber tut er es wirklich? Er bekennt sich dazu, möglichst natürlich zu leben, wendet sich gegen die Vergeistigung der Weimarer Gesellschaft und versteckt doch die Person, die ihm gut tut.


    Das Versteckspielen und sich Selbstzurückhaltende scheint ihm in Fleisch und Blut übergegangen zu sein. Vielleicht weiß er einfach nicht, wie er an die Öffentlichkeit treten soll, so logisch es für uns erscheint. Eine so öffentliche Person wie er will vielleicht einen Teil seines Lebens zurückhalten - ein Fleck Privatheit, ein Rückzugsort, Ruhepol (das zumindes geht ja aus seinen Briefen hervor). Davon abgesehen gehe ich stark davon aus, dass er hofft, seinen alten Platz zurückzuerobern. Ein Bekenntnis zu Christiane könnte gefährlich sein - so sondiert er die Lage und verpasst die Chance, sie in die Gesellschaft einzuführen?!
    Als er sich dann entscheidet, sie nicht nur für sich zu behalten, erwartet er, dass Christiane sich in seinem Freundeskreis zurechtfindet und aktiv an dem Leben teilzunehmen. Was für eine erschreckende Umstellung muss das für Christiane gewesen sein?

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Nun melde ich mich auch wieder zurück, auch für mich war heute Arbeitstag. Aber so wie heute, hat es mich schon lange nicht mehr zum PC gezogen. Ihr ward ja auch wirklich fleißig.


    Die Fragen, die ihr gestellt habt, sind es eigentlich auch, die mich bewegen. Goethe und Christiane werden sicher gemieden. In diese Richtung hat Charlotte von Stein mit für mich recht hoher Wahrscheinlichkeit intrigriert. Auch Schillers Frau, eine Freundin von Ch. v. Stein, meidet Christiane bewusst. Sie lernt Goethes Freunde kennen, aber sicher zu dem Zeitpunkt, in dem wir uns bei unserer Lektüre befinden nicht als die Frau des Dichters sondern eher in der Rolle der Frau, die für das Wohl der Gäste sorgt. An einer Stelle im Buch habe ich gelesen, leider habe ich mir die Seite nicht notiert, stand, ihre Freunde stammen aus der "Weimarer Armuth".


    Ich bin auch der Meinung, dass die Beziehung der beiden nicht nur harmonisch war, sie war zumindest zeitweise sehr spannungsgeladen. Das kommt in Christianes Briefen an Goethe für mich klar zum Ausdruck.


    Bleibt noch die Frage nach der Doppelexixtenz. Da möchte ich fast mit einem "jein" antworten. Er braucht seine Freiheit für seine Arbeit. Christiane und das Kind lenken ihn zu sehr ab. Aber er liebt wiederum auch den Sohn. Natürlich genießt er auch die Tage ohne Frau und Sohn, der gemeinsame Gedankenaustausch mit Schiller ist ihm wichtig. Er braucht Christiane auch, sie hält ihm den Rücken frei.
    Könntet ihr euch vorstellen, dass Goethe auch auf Rücksicht auf Christiane sein Privatleben vor der Öffentlichkeit schützt? Auch in diesem Buch ist ja nicht wirklich viel aus dem Alltag der "Familie" Goethe zu erfahren. Auch ich würde gern den Vorhang etwas weiter beiseite schieben.


    Bemerkenswert fand ich folgenden Absatz auf Seite 168:


    Zitat

    "Ich vermisse dich sehr. mein einziger Wunsch ist Dich und den Kleinen wiederzusehen, man weiß gar nicht was man hat wenn man zusammen ist. ... Behalte mich nur so lieb wie ich dich."


    Erstaunlich, der Herr Geheimrat hat auch Ängste.


    Mein Goethebild, dass ich vor diesem Buch im Kopf hatte, ist nicht so ganz deckungsgleich mit dem, was ich im Buch lese. Goethe ging bei mir doch eher in die Richtung "edel sei der Mensch, hilfreich und gut". Gut, da gab es Frauengischichten. Aber er war schließlich ein Künstler und nicht mein Mann. :wink: Über Christiane habe ich ich mir erst in den letzten Wochen mehr Gedanken gemacht. Aber ihr Bild ist für mich noch gar nicht stimmig.


    Aus dem Frankreich-Feldzug schreibt Goethe Briefe an Christiane. Er redet sie mit "meine liebe Kleine, mein Kind" an. Das hat mich etwas gestört. Damit wertet er ja indirekt Christiane als ihm deutlich untergeordnet. Als zartes Liebesgesäusel kann ich das nicht interpretieren. Aber vielleicht sehe ich das auch nur zu eng.


    Auf Seite 181/182 geht Sigrid Damm auf diese Kindrolle ein. Da heißt es auf Seite 182:


    Zitat

    Deutlich wird in Christianes Briefen von 1793, daß sie mit dieser Kindrolle auch spielt, kokettiert, sie, wenn es ihr nötig erscheint durchbricht, handelt, ohne ihn zu fragen.


    Ich kann in ihr einfach nicht die heitere, witzige, gutgelaunte Christiane Vulpius sehen, das war sie vielleicht vor ihrer Beziehung zu Goethe, jetzt ist ihr Leben, zumindest außerhalb des Hauses Goethes nicht einfach.


    Ich muss also schnell mehr von Christiane lesen.


    Bis bald!

  • Zitat

    Original von Karthause
    Die Fragen, die ihr gestellt habt, sind es eigentlich auch, die mich bewegen. Goethe und Christiane werden sicher gemieden. In diese Richtung hat Charlotte von Stein mit für mich recht hoher Wahrscheinlichkeit intrigriert. Auch Schillers Frau, eine Freundin von Ch. v. Stein, meidet Christiane bewusst. Sie lernt Goethes Freunde kennen, aber sicher zu dem Zeitpunkt, in dem wir uns bei unserer Lektüre befinden nicht als die Frau des Dichters sondern eher in der Rolle der Frau, die für das Wohl der Gäste sorgt. An einer Stelle im Buch habe ich gelesen, leider habe ich mir die Seite nicht notiert, stand, ihre Freunde stammen aus der "Weimarer Armuth".


    Ich erinnere mich auch an die Stelle. Angeblich Frauen aus der Werkstatt und ihre Verwandten. Das passt auch zu Goethes Einschätzung von Christian Vulpius' Dichtung "Exkremente der Weimarishcen Armuth". Goethe scheint sie darin zu unterstützen, aus dem Haus zu gehen, sich zu amüsieren und sich zu zeigen. Allerdings bleiben ihre Freundeskreise doch von einander getrennt. Kann es wirklich sein, dass Schiller Christiane bei seinem 14tägigen Aufenthalt nicht einmal sieht? Bezeichnend ist auch Goethes Verhalten gegenüber Schillers Familie. Er wird förmlich Teil des Haushaltes, geht ein und aus, steht mit allen auf freundlichem Fuß. Bei sich zu Hause kommt solche Intimität nicht auf. Vielleicht ist Christiane auch mit ihrer Haushaltsrolle überfordert und will sich nicht zusätzlich mit den ihr Höhergestellten vergleichen lassen? Es wird für sie sicher auch nicht leicht gewesen sein, die Gesellschaften auszurichten.


    Zitat

    Original von Karthause
    Ich bin auch der Meinung, dass die Beziehung der beiden nicht nur harmonisch war, sie war zumindest zeitweise sehr spannungsgeladen. Das kommt in Christianes Briefen an Goethe für mich klar zum Ausdruck.


    Das denke ich auch. Mich würde einfach interessieren, ob ihr ihre Rolle gefiel oder nicht. Allein die Bekanntschaft und der Umgang mit Goethe ist sicher mehr gewesen, als sie sich in ihren kühnsten Träumen erwarten konnte. Zwar ist er nicht juristisch der Vater seines Sohnes, doch er nimmt Christiane und ihre Verwandten auf, kümmert sich um Bittgesuche und hilft nach seinen Möglichkeiten.


    Allerdings wirkt es auf mich so, als kaufe er sich so seine Freiheiten. Er ist großzügig, sicher auch charmant, wenn er will und anleitend. Die Beschreibungen seines Liebeslebens und die ehrlichen Beteuerungen seiner Liebe zeugen eindeutig von einem echten tiefen Gefühl. Aber er bestimmt, setzt die Regeln und zeiträume gemeinsamen Glücks fest (wie sonst ist zu erklären, dass er Christiane nach der 4. Schwangerschaft verlässt - wo doch immerhin die Gefahr besteht, dass auch ihr 3. Kind sterben könnte). Wahrscheinlich hat seine Mutter recht, wenn sie über ihn urteilt, dass er sich schlecht in andere Menschen hineinversetzen kann. Er will zu seinem Freund Schiller, also fährt er hin. Christianes Ängste wird er wie seine eigenen behandeln und glauben, sie könne auch allein mit ihnen klarkommen.


    Das hier beschriebene Verhalten entspricht durchaus meinem Goethebild, anders als Kartahause geht es bei mir nicht


    Zitat

    in die Richtung "edel sei der Mensch, hilfreich und gut".


    Jemand, der solch einen Kultstatus erzeugt, muss zumindest teilweise sehr ehrgeizig, berechnend und opportunistisch gewesen sein. Ein Genie, das alles im Übermaß betreibt und sich nur im Notfall zu Kompromissen hinreißen lässt und sich dann doch unwohl fühlt. Großes Gefühl, großes Glück, doch nur im privaten, großes geistiges Erbe.


    Zitat

    Original von Karthause
    Könntet ihr euch vorstellen, dass Goethe auch auf Rücksicht auf Christiane sein Privatleben vor der Öffentlichkeit schützt?


    Entschuldige: wie meinst du das? Schützt er sie? Welche Vorteile hat sie dadurch?


    Hält er sich nicht vielmehr durch die Zurückhaltung einen Weg in Charlotte von Steins Herz offen? Der Einsatz seines Sohnes, sie zu erweichen, deutet darauf hin. Seine Motive sind bestimmt vielschichtig und sich über die Jahre wandelnd.


    Zitat

    Original von Karthause
    Ich kann in ihr einfach nicht die heitere, witzige, gutgelaunte Christiane Vulpius sehen, das war sie vielleicht vor ihrer Beziehung zu Goethe, jetzt ist ihr Leben, zumindest außerhalb des Hauses Goethes nicht einfach.


    Ich frage mich auch, wieso Sigrid Damm noch immer über die gutmütige und vorurteilslose Christiane spricht, ist mir ein Rätsel. Eine Untermauerung durch Quellen hätte mich gefreut, weil ich zu einer anderen Einschätzung komme. Aber vielleicht bin ich auch zu sehr durch unsere heutige Zeit beeinflusst.


    Aber wenn ich mir vorstelle, mein Sohn würde mir zunehmend entzogen und dafür eingesetzt, bei meiner ärgsten Konkurrentin gut Wetter zu machen, würde ich sicher nicht "gutmütig" zusehen...

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

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