F. Dostojewski - Weiße Nächte. Eine Liebesgeschichte.

  • Vor 20 Jahren war ich im Juni in Petersburg (damals natürlich noch Leningrad). Diese weißen Nächte sind einfach nicht zu beschreiben. Das Licht ist nicht so wie das Tageslicht, es ist eine ganz besondere Stimmung. Einfach fantastisch.

  • Guten Morgen liebe Mitleser,


    gebt ihr bitte Bescheid, wenn ihr fertig seid mit dem Buch?
    Dann können wir mehr über den Inhalt sprechen.


    Verzeiht meine Ungeduld.... O:-)
    Ist ein bisschen wie Weihnachten, wenn man selbst weiß, was im Päckchen drin ist und gespannt wartet, wie der Beschenkte reagiert.

    Der Kopf hat noch seine Bedenken
    aber das Herz hat sich längst freigemacht,
    rennt einfach los und springt!
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  • Leider hatte ich gestern und habe heute noch viel zu tun, dass ich nicht richtig vorankommen :(. Aber ab morgen wird es sehr schnell weiter gehen ;)

    :study::

    • Walter Moers - Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär

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  • Ich finde es schade, dass es diesmal keine verschiedenen Threads zum Buch gibt (z.B.: erste Nacht, zweite Nacht usw.).
    Denn ich kann es kaum noch erwarten über dieses Buch sprechen zu können, will den anderen aber nichts vorweg nehmen. Da finde ich die Unterteilungen immer ganz dankbar. Da können die einen schon darüber sprechen und die anderen schauen eben nur in die Bereiche, die ihnen nichts verraten.


    Tweety

  • Ich bin "fertig", doch hätte fast Lust, wieder neu anzufangen: einige Sachen sind mir nicht ganz klar oder eindeutig.


    Ich fände es z.B. für einen Austausch interessant sich zu fragen, inwieweit (siehe Katias Bemerkung) Nasstenka hier den Ich-Erzähler "benutzt", oder sich an einen Strohhalm klammert, was weniger negativ beladen wäre.


    Könnte uns eventuell ein Inhaber der russischen Ausgabe sagen, wie Träumer, träumen dort im Originaltext lauten??? An einer Stelle hieß es bei mir z.B. "grübeln", was dem ganzen einen leicht anderen Sinn geben würde: dauernd versenkt sein in seine Gedankengänge, sich in Gedanken verlieren (ein typischer Dostojevski Held weiß oftmals nicht, wo er gerade ist: verliert jede Orientierung...)


    Dass es also "schnell" zu einer Vertrautheit kommen kann, denken ja einige hier im Thread. Frage: ist es "realistisch", dass es bei einer Geschwisterlichkeit bleiben kann (wenn diese Vertrautheit enorm groß wird)? Ist da Naivität auch auf Nasstenkas Seite (sie ist 17jährig), oder eben das "Berechnende"? Ist es tatsächlich denkbar, dass sie den Erzähler quasi reizt, anzieht, um im Zweifelsfalle eine Ausweichmöglichkeit zu haben??? (Theorie!)


    Dass man am Glück des geliebten Menschen arbeitet und dafür "Opfer bringt" ist vielleicht erstrebenswert. Doch wieweit kann das gehen? Wenn der Ich-Erzähler quasi zunächst für den Mitbuhler arbeitet... Kann man in der Liebe auf seine eigene Liebe verzichten, um den anderen wirklich einem anderen zu überlassen???


    Dies sind Fragen und Anregungen für einen Austausch. Ich habe auch noch keine rechten Antworten darauf gefunden. Vielleicht werde ich heute abend einige Passagen nochmals lesen.

  • Ich bin auch durch!


    In gewisser Weise sind beide Protagonisten für mich naiv und ein bisschen weltfremd - so im Nachhinein traue ich Nastenka Berechnung gar nicht mehr richtig zu. Sie hat einfach Angst neben der Großmutter zu versauern, diesem zu entgehen kann nur eine Heirat sein. So "verliebt" sie sich in die beiden Männer, die einzigen, mit denen sie überhaupt näheren Kontakt hat. Auch ihr "nicht entscheiden können" gegen Ende, scheint mir aus dieser Quelle zu rühren - eigentlich möchte sie das bestmögliche aus ihrem Leben machen, aber sie kann nicht wirklich beurteilen welcher der beiden Männer ihr dies bieten kann. Am liebsten möchte sie beides leben. Das scheint mir gut beobachtet zu sein, denn genauso ist man doch mit 17: Man will alles und noch viel mehr, das Leben ist lange und warum sollte man sich auf etwas beschränken? Der Ich-Erzähler ist schon abgeklärter, sein Leben hat schon Enttäuschungen und Einsamkeit bereit gehalten, er glaubt sich schon "alt", und sieht in Nastenka seine "letzte Chance".


    Eine richtige romantische Liebesgeschichte kann ich nicht sehen, dazu sehen beide sich gegenseitig zu wenig, und ihre Lebenssituation aus der sie ausbrechen möchten zu stark. Vielleicht bin ich selbst auch zu wenig der "Liebe auf den ersten Blick"-Typ, um wirklich an eine tiefe Liebe auf einer der beiden Seiten glauben zu können.


    Zu Deinem Opfer-Gedanken, Tom: Eine Liebe, die auf ihr eigenes Glück verzichtet um dem/der Geliebten das Glück mit einem/r Anderen zu ermöglichen, scheint mir möglich aber sehr idealistisch. Im konkreten Fall glaube ich, dass unser Träumer gar nicht so weit in die Zukunft denkt, sondern nur aus dem Augenblick und den momentanen Gefühlen heraus handelt. Er hofft, der "Verlobte" werde nicht mehr auftauchen und alles sich zu seinem Besten wenden.


    So ganz nachvollziehen kann ich die Denk- und Handlungsweise der Figuren nicht, da geht es mir ein bisschen wir mit dem Idioten....


    Katia

  • Hallo,
    die beiden Protagonisten kommen mir vor wie von einem anderen Stern-so völlig ohne Bodenhaftung. Nastenka ist verliebt, ob das etwas mit Liebe zu tun hat wage ich zu bezweifeln. Sie will auf jeden Fall aus der Abhängigkeit der Großmutter entfliehen. Man bedenke neben der alten Frau mit einer Nadel verbunden zu sein, da muß ein junges Mädchen von 17 Jahren ja irre werden. Vorausblickend hat die Großmutter aber einen jungen Mieter genommen und ihr Plan funktioniert.
    Zurück aber zu unseren eigentlichen Protagonisten und den Fragen
    Ist es realistisch, dass es bei einer Geschwisterlichkeit bleiben kann?
    Wohl kaum - dazu wirkt Nastenka zu anziehend
    Aber er ist auch sehr empfänglich, da zu schüchtern um bisher eine Annäherung ans weibliche Geschlecht gefunden zu haben.
    Nastenka - naiv oder berechnend?
    Beides.
    Naiv, weil sie sich dem Älteren anvertraut
    Berechnend, weil sie ihn als Ratgeber benutzt und als Überbringer des Briefes.
    Außerdem hält sie sich ein Hintertürchen offen, falls ihr "Geliebter" sich nicht wieder meldet.
    Kann man in der Liebe auf eigene Liebe verzichten, um dem anderen wirklich einem anderen zu überlassen?
    Denke schon, dass dies möglich ist. Aber wie hätte er das endgültige Zusammentreffen verhindern sollen? Ich glaube auch nicht, dass er überhaupt daran dachte. Man bedenke er ist ein Träumer, also darf man keine weltlichen Schlußfolgerungen erwarten.
    Wie reagiert ihr auf tom fleos aufgeworfenen Fragen?
    Gruß Wirbelwind


    :study: Wolfram Fleischhauer, Schule der Lügen

    :study: Naomi J. Williams, Die letzten Entdecker









    Bücher sind die Hüllen der Weisheit, bestickt mit den Perlen des Wortes.

  • Lieber tom fleo,


    ich brenne darauf, dir auf deine Anregungen zu antworten!


    :!:Achtung liebe noch nicht ferigen Mitleser, bitte jetzt hier nicht weiterlesen, wenn ihr noch nichts über den Inhalt erfahren möchtet!!!


    Ich glaube nicht, dass Nasstanka den Ich-Erzähler benutzt. Das würde ihr eine gewisse Berechnung unterstellen und das wiederum passt meiner Meinung nach nicht zu dem Charakter den Dostojewski seiner Figur gibt.


    Für mich ist Nasstenka ein unschuldig, naives, sehr junges Mädchen, das völlig unerfahren im Umgang mit Menschen und Gefühlen ist. Aufgrund ihrer Situation mit der Großmutter hat sie überhaupt nicht die Möglichkeit mit Menschen und dem Leben in Berührung zu kommen und verliebt sich klar in den einzigen Mann, zu dem sie Kontakt hat, der nett zu ihr ist und von dem sie sich eine Befreiung aus ihrer Lage erhofft.
    Auch sie ist eine Träumerin, denn sie hat ein Jahr lang Zeit von der großen Liebe und der Befreiung von der Großmutter geträumen - allein das macht ihr dieses Jahr erträglich. Bleibt die Frage, ob sie wirklich in den Mann verliebt ist oder in das Bild und die Hoffnung von Freiheit, die sie an ihn knüpft?!


    Als er nun nach dem Jahr nicht gleich kommt, sieht sie all ihre Hoffnungen verloren und fühlt sich auch gleichsam betrogen, weil der einzige Mensch, von dem sie sich Liebe erhofft hat und auf den sie sich ein Jahr lang fixiert hat, scheinbar weniger intensiv empfindet. Sie empfindet tiefe Enttäuschung, hat aber die Hoffnung noch nicht ganz verloren.


    Als sich Nasstenka und der Ich-Erzähler begegnen, befinden sich beide in einem emotionalen Ausnahmezustand. Beide sind alleine und innerlich so aufgewühlt und voller unausgesprochener Gefühle, dass es nicht verwunderlich ist, dass sie sich einander so schnell anvertrauen. Sie brauchen jeweils jemanden, dem sie all das erzählen können, was in ihnen vorgeht, da braucht es nicht viel um überzusprudeln. Der Erzähler ist ein Träumer und daher sehr empfänglich für Nasstenkas Niedergeschlagenheit, Nasstenka fasst sofort Vertrauen, als er sie vor der Belästigung beschützt - schon ist für beide die Grundlage geschaffen alles herauszulassen, was sie sonst zu ersticken droht.


    Dass Nasstenka in Gefühlsdingen noch sehr naiv ist, erkennt man an ihrer Bedingung, dass der Erzähler sich nicht in sie verlieben darf. Als ob man über Gefühle willentlich bestimmen könnte. Aber warum kommt sie überhautpt auf die Idee, dass er sich in sie verlieben könnte? Ist es ihr eigener Liebeskummer, vor dem sie jeden anderen bewahren möchte? Ist es Naivität, dass sie glaubt jeder Mann würde sich in jede Frau, mit der er Kontakt hat, verlieben? Oder hofft sie sogar darauf und ist selbstbewusster als sie den Anschein macht?


    Im weiteren Verlauf der Geschichte sieht Nasstenka im Ich-Erzähler einen Verbündeten. Sie ist nicht mehr allein, kann sich mit jemandem beraten, er spricht ihr Mut zu, beruhigt ihre Ängste und hilft ihr sogar nach dem Geliebten zu suchen. Sie wünscht sich eine brüderliche Verbindung zu ihm, da sie ja ihr Herz bereits verschenkt hat aber dennoch merkt, dass sie auch dem Erzähler Gefühle entgegenbringt. Je mehr ihre Hoffnung auf die Wiederkehr ihres Liebsten schwindet und je deutlicher ihr der Erzähler seine Liebe gesteht, desto mehr gerät sie ins Wanken. Sie merkt, dass der Mensch, mit dem sie all ihre heimlichen Hoffnungen teilen könnte austauschbar wäre und beginnt mit dem Erzähler eine gemeinsame Zukunft zu erträumen. Hier wird ihre Unreife in Gefühlsdingen sehr deutlich. Sie kann zwischen Liebe und Zuneigung nicht unterscheiden und ihre Gefühle sind keineswegs selbstlos, denn man merkt ih ihrem Plan, dass der Erzähler sofort bei der Großmuter zur Untermiete einziehen soll, dass es ihr vor allem darum geht, aus ihrem Leben mit der Großmutter befreit zu werden. Wenn es nun nicht der Mann ist, auf den sie ein Jahr lang gewartet hat, dann muss es eben der sein, der ihr seine Liebe gesteht, sich um sie kümmert und für den sie auch Zärtlichkeit empfindet. Das alles ist ihr aber nicht bewusst, sie handelt nicht berechnend, sondern glaubt in dem Moment selbst fest daran.
    Als dann der Erwartete doch noch erscheint, ist es klar, dass sie sich sofort ihm zuwendet, denn schließlich glaubte sie sich von ihm verstoßen, hatte selbst lange Zeit auf dieses Wiedersehen gewartet und ist erleichtert, dass ihr Wunsch sich nun doch noch erfüllt. Zu diesem Zeitpunkt scheint es auch, dass sie sich in keinster Weise darüber bewusst ist, welche Hoffnungen sie mit ihrem Verhalten und ihren Worten im Erzähler geweckt hatte und es scheint fast grausam, wie sie sich mit einem Judaskuss von ihm verabschiedet und geht.
    Dann aber kommt der Brief und der zeigt plötzlich eine ganz andere, verblüffend reife Nasstenka. Sie scheint viel über die Liebe gelernt zu haben, weiß, wie tief sie ihn verletzt hat, was sie mit ihrem Verhalten bewirkt hat, streitet nicht ab, dass auch sie Gefühle für ihn entwickelt hat, macht ihm aber keine weiteren Hoffnungen sondern steht eindeutig zu dem, dem sie bereits versprochen war. Sie weiß, dass der Erzähler ein wichtiger Mensch in ihrem Leben sein wird und weiß auch, dass es trotzdem eine Zeitlang braucht, bis diese frisch entflammten Gefühle abgeflaut sind und sie einander wiedersehen können. Am deutlichsten aber zeigt sich ihre Reife in folgender Aussage "Ich habe Sie gekränkt; aber Sie wissen ja: Wenn man liebt, trägt man Kränkungen nicht lange nach. Und Sie lieben mich ja!" - diese Aussage stellt all ihre Naivität vom Anfang in den Schatten und zeigt, dass sie den Charakter des Erzählers recht gut erkannt hat. Obwohl der Brief für den Erzähler auch hart und erbarmungslos ist, beweist er doch eine besondere innere Größe von Nasstenka. Sie verleugnet nichts, übernimmt Verantwortung für das Geschehene und schildert sehr ehrlich ihre innere Situation.


    Das Verhalten des Ich-Erzählers gegenüber Nasstenka erklärt sich meiner Meinung nach daraus, dass er ein Träumer ist. Er ist sehr zwiegespalten, denn er sieht sich hier zwei Träumen gegenüber, die real werden könnten. Er ist sehr empfänglich für Nasstenkas Liebesgeschichte, die scheinbar ein so trauriges Ende nehmen soll und desshalb ist er bemüht, alles zu tun, um ihren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Neutral betrachtet, fungiert er als Liebesbote, der alleine dadurch glücklich wird, dass er anderen zum Glück verhilft. Dann sind da noch seine eigenen Träume und er glaubt an eine tiefere Bedeutung dieser Begegnung. Er, der seit Jahren in Traumwelten lebt, in seiner Phantasie schon viele tragische Lieben durchlebt hat und seine Einsamkeit eigentlich liebt, sieht sich zum ersten Mal einer realen Frau gegenüber. Seine Worte bei der ersten Begegnung wirken so einstudiert, als würde er genau das sagen, was er in seiner Phantasie schon zu vielen Frauen gesagt hat. Auch die Schilderung seiner Lebensgeschichte ist etwas, was er sich schon Wort für Wort seit langem in seiner Phantasie vorbereitet hat und auf den Augenblick gewartet hat, es in der Realität vorzutragen.
    Die Gefühle, die er für sie entwickelt, resultieren nicht zuletzt auch aus seinem inneren Wunsch sich zu verlieben - aber ist das nicht immer so bei der Liebe?
    Dass er Nasstenka weiterhin hilft nach ihrem Geliebten zu suchen und ihr dieses Glück wünscht, zeigt, dass er zu einer höheren, selbstlosen Liebe fähig ist, bei der es ihm einzig um das Glück des geliebten Menschen geht und nicht um das eigene. Auch wenn er für sich selbst leidet und um sein eigenes Glück trauert, wird er Nasstenka ihr Glück von Herzen gönnen und keine Bitterkeit ihrgegenüber empfinden.
    Es ist auch kein anderes Ende denkbar, als dass er weiter in seiner Einsamkeit mit all seinen Träumen, die er nicht mehr von der Realität unterscheiden kann, lebt. Denn welche reale Liebe könnte dem Zauber einer geträumten Liebe auf Dauer wirklich standhalten?

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  • Zugegeben, ich habe mich beim Lesen dieses Buches auf ein anderes Ende eingestellt. Zumindest anfangs. Ich hätte es diesem rührenden Mann wirklich gegönnt :-)
    Dann jedoch, als der Ich-Erzähler davon berichtet, dass die beiden wieder zurück zum Ufer gelangt sind, wo der Erwartete erscheinen sollte, hatte ich Angst, dass dieser wirklich erscheine. Und so kam es dann ja.
    Als Nastjenka den Erwarteten bemerkte, hat sie sich ja zunächst noch fester an ihn geschmiegt. Da dachte ich erst, sie würde doch bei ihm bleiben…


    Zitat

    Original von Courage
    Es ist auch kein anderes Ende denkbar, als dass er weiter in seiner Einsamkeit mit all seinen Träumen, die er nicht mehr von der Realität unterscheiden kann, lebt. Denn welche reale Liebe könnte dem Zauber einer geträumten Liebe auf Dauer wirklich standhalten?


    Und warum sollte kein anderes Ende denkbar sein? Ich meine, beide waren Träumer und lebten in Einsamkeit.


    Am schönsten fand ich allerdings den letzen Satz, der hat mich stark berührt: Mein Gott! Ein voller Augenblick der Seligkeit! Ist das etwa zuwenig für ein ganzes Menschenleben? …

  • Du hast recht Tati, der letzte Satz ist wirklich wunderschön und er knüpft an das Zitat von Iwan Turgenjew am Anfang an: "Vielleicht erschuf ihn die Natur, damit, ob auch ein Weilchen nur, er deinem Herzen nahe stände?..."


    Für mich war einfach kein anderes Ende denkbar, weil der Protagonist von sich selbst das Bild des einsamen Träumers hat. Obwohl er sicher auch hofft im wirklichen Leben Liebe zu finden, gefällt er sich in seiner Rolle des Einsiedlers durchaus ganz gut. Er ist ein Poet und hat sehr hohe Erwartungen an die Liebe. Desshalb lebt er sie lieber nur in der Phantasie, weil er dort selbst über den Verlauf dieser Liebe entscheiden kann und sie frei von Banalitäten des Alltags ist.
    Sie hingegen ist seit einem Jahr auf einen bestimmten Mann fixiert und kämpft sehr mit der Enttäuschung, dass er sie scheinbar vergessen hat, da wäre es meiner Meinung nach unglaubwürdig, wenn sie sich gegen ihn entscheiden würde, als er dann doch vor ihr steht und ihre Ängste der letzten Tage als unbegründet erweisen.

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  • Ich finde alle Eure Beiträge echt interessant, danke, und weiss gar nicht wo ich anfangen ... bzw. weiter knüpfen soll! Vielleicht für jetzt mal hier:


    Zitat

    Original von Tati


    Und warum sollte kein anderes Ende denkbar sein? Ich meine, beide waren Träumer und lebten in Einsamkeit.
    Am schönsten fand ich allerdings den letzen Satz, der hat mich stark berührt: Mein Gott! Ein voller Augenblick der Seligkeit! Ist das etwa zuwenig für ein ganzes Menschenleben? …


    Bis zu dieser konkreten Begegnung mit Nasstenka hat der Ich-Erzähler definitiv in einer Traumwelt gelebt: das "wahre" Leben kommt nicht an ihn heran. Doch in seiner Beichte bekennt er schon, wie die Hochgefühle abwechseln mit einer Leere... Im Gespräch mit Nasstenka dankt er ihr an einer Stelle, da sie ihm quasi "dieses wahre Leben eröffnet habe". Selbst eine Enttäuschung, eine Niederlage im realen Leben wiegen mehr als erträumte Siege!
    Wenn dann, wie Tati so schön zitiert, dieser Moment des realen Lebens ein Augenblick der Seligkeit für das Leben wird, dann hat sich eventuell doch DEFINITIV etwas geändert im Leben unseres Helden???!!!


    Danke auch, dass Ihr auf einige Anregungen von mir eingegangen seid. Vielleicht werfen wir uns weiterhin noch ein paar Bälle zu?!

  • Jetzt habe ich das Buch auch beendet. Ich weiß noch gar nicht so recht, was ich davon nun schlussendlich halten soll. Eigentlich sind mir Nastjenka und der Ich-Erzähler fremd geblieben. Für mich ist diese weltfremde Träumerei nicht so ganz nachvollziebar. Wirbelwind hat es sehr gut beschrieben, sie kamen mir auch vor, als kämen sie von einem anderen Stern. Hat mir die Sprache am Beginn des Buches noch gut gefallen, empfand ich es im weiteren Verlauf der Erzählung oft zu pathetisch.


    Die Stelle, wo sie berichtet, dass ihre Großmutter ihre Kleider mit einer Nadel verband, hat mich schon etwas verwirrt. Wer hätte das über die Dauer mit sich machen lassen? Das wäre wohl auch kaum in Russland im Jahr 1848 möglich. Ich inerpretiere das für mich so, dass die Großmutter das Alte verkörpert, das das Neue, Aufstrebende verhindern möchte. Eine Frage hätte ich in diesem Zusammenhang an euch noch, was denkt ihr, wieviel von den Berichten des Erzählers ist autobiografisch. Kann man da wirklich Verbindungen zu Dostojewski ziehen? Mir kam der Gedanke besonders an dieser "Nadel-Stelle". Denn Dostojewski trat ja 1847 den Revolutionären bei. In der weiteren Folge wurde er deshalb zum Tode verurteilt, jedoch begnadigt.


    Ansonsten kann ich mich Courage eigentlich nur anschließen, ich sehe das ebenso, möchte es deshalb auch nicht noch einmal wiederholen. Courage hat es so gut geschrieben. Ein anderes Ende wäre für mich auch nicht denkbar. Der Protagonist nennt sich ja selbst einen Träumer, einen Sonderling und einen Phantasten. Ich denke, eine geträumte Liebe allein kann für ihn vollkommen sein. Den Belastungen des Alltags hält ein Traum sicher nicht stand.


    Ich bin auf die weitere Diskussion gespannt und freue mich auf eure Meinungen.

  • Ich glaube, die beiden haben ein völlig anderen Zugang zu Liebe - und bei beiden spielt das Objekt der Begierde nicht die Hauptrolle.


    Der Protagonist lebt in seiner Traumwelt, er idealisiert die Liebe auf jede nur erdenkliche Art - seine reale Welt ist die in seinem Kopf. Nastenka ist eine Möglichkeit diese Träume in die Realität zu projizieren, manchmal hatte ich das Gefühl er verliebt sich in sie, nur weil die Situation in der die beiden sind, das fast schon herausfordert: Stellt Euch vor, ein junger Mann, vertäumt, wahrscheinlich hat er viele Romane gelesen, gerät in die für ihn abenteuerliche Situation, ein junges Mädchen zu retten - natürlich verliebt er sich, alle Romanfiguren in dieser Situation verlieben sich, er verhält sich so wie er es in seiner Traumwelt gelernt hat.


    Für Nastenka dagegen ist die Liebe=Heirat=Freiheit von der Großmutter. Für die Großmutter scheint sie auch nur eine Bürde zu sein, sie will sie ja schon fast an einen Mieter verkuppeln. Im Wartejahr hat eine Frau zur Untermiete gewohnt, wäre es ein Mann gewesen, würde ich wetten, Nastenka hätte den geheiratet. Sie geht sogar so weit, den Ich-Erzähler erst mal bei ihrer Großmutter als neuen Mieter einzuführen, wie um diesen mehr oder weniger geheimen Wunsch der Großmutter zu erfüllen.
    Und: sie erkennt, dass ihr "Verlobter" der wahrscheinlich geeignetere Mann zu heiraten ist, als unser Träumer.


    Ich schließe mich Courage an; ein anderes Ende hätte zu dieser Novelle nicht gepasst, hätte zu den Charakteren nicht gepasst.


    Katia

  • Noch ein Gedanke zu Karthauses Nachfrage nach Verbindungen zur Biographie von Dostojevski... Ich bin sicher, dass ein solcher Autor seine Überzeugungen und Erkenntnisse in seine Werke einfließen läßt. Ob wir das (heute noch) immer klar erkennen ist was anderes. Jemand hat obenstehend schon erwähnt, wie z.B. Sankt Petersburg als Heimatstadt immer wieder auftaucht (auch in anderen Werken von D.). So sehr, dass eine Literaturzeitschrift hier in Frankreich einen ganzen Artikel diesem Thema widmete "D. und Sankt Petersburg".


    Das Thema, das mich selber in den letzten Stunden noch beschäftigt hat, scheint auch für D. stets aktuell gewesen zu sein: Traum und Wirklichkeit. Mir fielen eben noch zwei andere Werke Ds ein, in denen das Wort "Traum" vorkommt: "Onkelchens Traum" und "Der Traum eines lächerlichen Menschen". Übertragen kann man das auch noch auf andere Romane... Hauptfiguren, die sich "ihre Welten" aufbauen, sich aber auch an der Wirklichkeit stoßen müssen.
    Ich kann nur glauben, dass D. oft in jenen Fragen verweilte. Er selber erlitt epileptische Anfälle und war teilweise "außer sich", in einem anderen Zustand. Wie kann er nicht darüber nachgedacht haben, wo bei verschiedenen Umgängen mit dem Leben, mit der "Realität" wohl der Weg liegt? Bei der Gelegenheit kann man nochmals auf den Titel zurückkommen, der vielleicht NICHT NUR eine romantische Komponente hat: in den hellen Nächten findet der Mensch (meine Eltern bestätigten mir das nach einer Polarreise), hier also der Ich-Erzähler, oft keinen Schlaf: auf Dauer erlebt kanneine gewiße Unorientiertheit, Schlaflosigkeit, Wirklichkeitsverlust die Folge sein.


    Eine andere Piste: In der Petersburger Aristokratie, will sagen: in gewissen Kreisen, wird weitschweifig die Welt durchträumt, überdacht, besehen..., aber der direkte Lebensbezug fehlt! D. konnte in seiner Kindheit, Jugend, teils im Krankenhaus, in dem sein Vater wirkte (wenn ich mich recht erinnere), eine greifbarere Welt erleben.

  • Hallo,


    mein Gott, da ist man mal drei Tage nicht zu Hause und findet gleich eine komplette Buchbesprechung vor. ;)
    Ich habe kurz überlegt ob ich mich überhaupt nocht melde denn es ist ja schon viel gesagt worden und ich bin noch nicht ganz fertig. Werde es wohl bis heute abend geschafft haben. Ich habe das "Vorlesen der Besprechung" aber nicht bereut. Ich bin auf Seite 32 und finde, daß schon vieles erkennbar ist. Nastjenka hat schon in einem kurzen Satz von dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Großmutter berichtet. Als sie dem "Träumer" das erste mal begegnet, weint sie. Zugegeben man kann aus vielen Gründen weinen aber warum sollte sie ihn bitten, sich nicht in sie zu verlieben, wenn da kein Mann dahinter steckt?
    Man kann sich von vornerein sehr gut auf das Buch einstellen und die Sprache ist natürlich bei ein wenig Konzentration sehr schön.


    Viele Grüße
    Leseratte

    ...Dann sagte ein Lehrer: Sprich uns vom Lehren.
    Und er sagte:
    Niemand kann Euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern Eures Wissens schlummert.


    Khalil Gibran
    Der Prophet

  • Ich habe es geschafft, uff! :dance:
    Leider war ich für die Geschichte momentan nicht so recht in Stimmung, unter anderen Umständen hätte sie mir sicher besser gefallen, so habe ich sie als anstrengend empfunden.
    Man müsste dieses Büchlein sicherlich mehr als einmal lesen, um seine Tiefe zu verstehen. Bestimmt gibt es in der Geschichte hunderte von Anspielungen und Symbolik, die wir noch nicht erfassen haben.
    Ich musste manche Stellen mehrmals lesen, um sie begreifen zu können und trotzdem sind sie mir verschlossen geblieben. Das hat mich ein wenig frustriert.
    So zum Beispiel die Lebensgeschichte des Erzählers. Ich fand diese Passage recht schwierig, hochtrabend, pathetisch. Sehr gut hingegen hat mir die Lebensgeschichte von Nastenka gefallen, die hätte ich gerne weitergelesen. Für mich war dies auch die einzige Liebesgeschichte in dem Buch.
    Mit dem Erzähler konnte ich mich nicht anfreunden, er war mir zu weich, zu weltfremd, zu dramatisch dargestellt und er liebte sein Selbstmitleid doch gar zu sehr. Ich mag nun mal keine Männer, die Damen wie kleine Hündchen hinterherdackeln. 8-[
    Allerdings, das muss man betonen, gehören die Charaktere so wie sie sind auch perfekt in die Geschichte. Die Geschichte wiederum passte aber nicht zu mir. :mrgreen:


    Danke @ Courage für die schöne Interpretation. Zum Inhalt hat sie eigentlich alles gesagt.


    Muss mir nochmal Eure Meinungen in Ruhe durchlesen.

  • Das Buch ist für mich ziemlich schwer zu lesen. Diese langen Sätze, die komplizierte Sprache, die Monologe. Beim Lesen sind meine Gedanken umhergeschwirrt und ich kann mich nicht so recht konzentrieren. Liegt vielleicht daran, dass ich im Moment etwas Streß habe. Habe jedenfalls das Buch beiseite gelegt und werde es nochmal im Januar versuchen.

    :study::

    • Walter Moers - Die 13 1/2 Leben des Käpt'n Blaubär

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  • Das ist verständlich, ich musste einige Stellen auch zwei, dreimal lesen bis ich sie verstanden hatte.
    Wenn man die Geschichte vom Ich-Erzähler liest, merkt man, dass diese wie "vorbereitet" klingt, und nicht sehr einfach zu lesen ist. Es fällt vorallem besonders auf, da nachfolgend sofort Nastjenka ihre Lebensgeschichte erzählt, und diese ist sehr einfach verfasst. Den versteht man halt auf Anhieb.


    Zusammenfassend kann ich aber schon sagen, dass mir das Buch sehr gut gefallen hat. Ich mochte die Idee vom Träumer, und wie er diese alltäglichen Dinge beschreibt (zum Beispiel das mit den Häusern :D) und natürlich auch die Liebe zu Nastjenka.



    Mich lässt es immer noch nicht los :tongue:


    Der Ich-Erzähler, ein sehr schüchterner Mann, der seine Liebe bisher nur in seinen Träumen geträumt hat (wenn man soetwas träumt, besteht doch auch der Wunsch, es in die Wirklichkeit umzusetzen?!), und der sich seine Wörter so passend genau ausgewählt hat (vermutlich hat er sich das alles doch schon hunderte Male vorgestellt, und in seinem Kopf solch eine Situation abgespielt), und der nur auf diesen "richtigen" Moment wartet (denn er war ja zu schüchtern um jemanden anzusprechen, aber als Nastjenka da so weinte...), warum sollte dieser Mann nicht mehr im Stande sein zu Lieben? Ich meine, in gewisser Weise gebt ihr ihn dann doch auf. Nur weil er ein so extremer Träumer ist (und ja, mit Häusern reden ist mehr als nur eine Träumerei^^), kann er doch auch in der Lage sein, seine Träume umzusetzen.


    Naja, mir tut der Mann einfach irgendwie Leid :( Aber ich bewundere es nach wie vor, wie er sich mit so wenig zufrieden geben kann. Alleine deshalb muss ich ja eigentlich kein Mitleid haben, und natürlich auch, weil es ja nur eine Figur ist.

    :study:
    Harry Potter and the Goblet of Fire - J.K. Rowling

    Einmal editiert, zuletzt von Tati ()

  • Zitat

    Original von Tati
    Der Ich-Erzähler, ein sehr schüchterner Mann, der seine Liebe bisher nur in seinen Träumen geträumt hat (wenn man soetwas träumt, besteht doch auch der Wunsch, es in die Wirklichkeit umzusetzen?!), und der sich seine Wörter so passend genau ausgewählt hat (vermutlich hat er sich das alles doch schon hunderte Male vorgestellt, und in seinem Kopf solch eine Situation abgespielt), und der nur auf diesen "richtigen" Moment wartet (denn er war ja zu schüchtern um jemanden anzusprechen, aber als Nastjenka da so weinte...), warum sollte dieser Mann nicht mehr im Stande sein zu Lieben? Ich meine, in gewisser Weise gebt ihr ihn dann doch auf. Nur weil er ein so extremer Träumer ist (und ja, mit Häusern reden ist mehr als nur eine Träumerei^^), kann er doch auch in der Lage sein, seine Träume umzusetzen.


    Prinzipiell kann ich deine Gedanken nur unterschreiben, bis auf einen. Du schreibst, warum der Protagonist nicht im Stande sein sollte zu lieben. Ich meine, er ist sicher zur Liebe fähig. Sein Problem wir nur sein, eine reale Liebe wird für ihn, den Träumer, nie so schön, so rein und so vollkommen sein wie in seinen Träumen. Er würde sicher immer nach der Vollkommenheit in der Liebe drängen und wem wird die schon gewährt. Ich gebe ihn nicht auf, sehe jedoch die Probleme, die die nicht geträumte Liebe für ihn bringen würde.