Véronique Olmi - Ein Mann eine Frau

  • Véronique Olmi - Ein Mann eine Frau
    (Titel der Originalausgabe: La pluie ne change rien au désir)


    Klappentext:
    Er hat sie früher schon begehrt, und sie hat es wahrgenommen. Deshalb hat sie sich mit ihm verabredet, obwohl sie sich kaum kennen. Nun sitzen sie sich im verregneten Jardin du Luxembourg gegenüber. Er bemerkt ihre Blässe, ihre Magerkeit, fragt aber nicht nach. Ohne viele Worte gehen sie in ein nahes Hotel. Sie und er: beide nicht mehr jung, nicht perfekt, ein wenig misstrauisch. Sie will die Schatten der letzten Monate beiseite schieben. Er wartet ab, wie weit sie gehen wird. Ihre Nacktheit macht sie einander gleich. Erst unsicher, dann immer begieriger, immer überraschter loten sie ihre Grenzen aus. Und fast ungewollt entsteht, nur für diesen Moment, eine Intimität, eine Unmittelbarkeit und Nähe, die Begehren und Begehrtwerden in eine neue Lebendigkeit verwandelt.


    Meine Meinung:
    Die Geschichte ließe sich in einem Satz erzählen: Ein Mann und eine Frau, die sich flüchtig von früher kennen, treffen sich und haben in einem Hotel Sex miteinander. Was in besagtem Hotelzimmer zwischen den beiden passiert wird explizit geschildert, die Autorin nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Doch natürlich steckt sehr viel mehr in dem Buch, unmöglich die Geschichte auf diesen Aspekt zu reduzieren. Wie schon in "Nummer sechs" geht es auch hier wieder um erlittenen Schmerz (worin dieser besteht, wird nur angedeutet) und wie ein Weiterleben damit möglich ist. Ich bin tief beeindruckt, wie die Autorin dies umsetzt. Ein großes Lob an dieser Stelle auch an die Übersetzerin.


    Mein Lesejahr 2006 war insgesamt sehr erfreulich, ich habe einige Autoren neu für mich entdecken können, aber die größte Entdeckung und Bereicherung ist für mich Véronique Olmi. Ich freue mich sehr auf weitere Bücher...


    Herzliche Grüße
    Siebenstein :wink:

    :montag: Judith Hermann - Daheim


    "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam."
    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)


  • Auch für mich ist Véronique Olmi eine Entdeckung. Ich bin von "Nummer sechs" noch immer begeistert. Auch wenn ich eigentlich solche kurzen Bücher nicht so mag, fand ich es erstaunlich, wie sie ein komplexes Vater-Tochter-Bild auf nur 100 Seiten mit so viel Tiefe und Intensität zeichnen konnte. Auch dieses Buch scheint mir wieder vielversprechend. Danke für die Vorstellung, Siebenstein. :D Da wird es wohl bald SUB-Zuwachs geben.

  • Nach der fantastischen Novelle "Meeresrand" habe ich nun hier meinen zweiten ( und ihren fünften ) Roman von Olmi vor mir liegen.
    "Ein Mann eine Frau"
    Meine Erwartungen an Veronique Olmi waren erwartungsgemäß sehr hoch, habe ich sie doch als virtuose Sprachkünstlerin mit anspruchsvollen Thematiken und aufgefeilten Storys in Erinnerung.
    "Ein Mann eine Frau" stehe ich allerdings sehr ambivalent gegenüber.
    Die Geschichte ist schnell erzählt. Da ist eine abgemagerte, vom Leid gezeichnete Frau Anfang Vierzig, Mutter von zwei Kindern, deren Ehe gerade ein Ende mit Schrecken genommen hat, ihr Mann wurde geisteskrank. Sie leidet sehr, besonders unter der Tatsache das die Kinder derzeit bei ihrem Vater sind, also in Gefahr und außerhalb ihrer Reichweite.
    Und da ist ein etwas korpulenter Mann in den Fünfzigern. Er hat sie lange aus der Ferne begehrt, nun treffen sie sich zum ersten Mal. Sie verbringen einen Nachmittag zusammen in einem Hotel. Sie schlafen miteinander.
    Beide hadern mit ihren Körpern, wie mit ihren persönlichen Schicksalen, lernen jedoch beide an diesem Nachmittag sich selbst, die Liebe und das Leben neu kennen.


    Auf der einen Seite überzeugt Olmi wieder einmal mit ihrer Sprachgewalt und ihrem Gefühl für Situationen, menschliches Drama und ungewöhnlichen, aber romantischen Atmosphären. Jede Szene, jedes Bild, jedes Gefühl wird seziert und dem Leser en detail nahe gebracht.
    Auf der anderen Seite ist in diesem Roman das Gleichgewicht zwischen Story und den eingehenden Beschreibungen des Geschlechtsaktes durcheinander geraten. Von den hundert Seiten des Buches widmet sie achtzig dem eigentlichen Akt.
    Hier stören nicht so sehr die drastischen, derben Schilderungen, die fast pornografischen Szenen an sich, (obwohl einen schon das Gefühl beschleichen kann unerwünschter Spanner zu sein) nur eben deren Ausmasse.
    Die Hintergründe und Motive der Protagonisten werden vernachlässigt, zu sehr meiner Meinung nach. Man lernt die Figuren nicht kennen, sie und ihre Geschichten bleiben fremd.
    Die Einleitung zu diesem Nachmittag im Hotel will zu schnell zu dem Punkt des Geschlechtsaktes führen, ebenso ist die kurze Abhandlung am Schluss unbefriedigend. Ein Nachmittag mit Sex, der einem bewusst macht das Leiden zum Leben gehört? Irgendwie passt hier einiges nicht.
    Fazit:


    Zwar ein etwas verunglückter, ungewöhnlicher Roman einer wunderbaren Autorin, aber irgendwie doch lesenswert.

  • Zitat

    Original von Schoenchen
    Die Geschichte ist schnell erzählt. Da ist eine abgemagerte, vom Leid gezeichnete Frau Anfang Vierzig, Mutter [..] Sie leidet sehr[..]
    Und da ist ein etwas korpulenter Mann in den Fünfzigern.


    Meine erste Assoziation zu deiner Rezension war: Hm, klingt typisch französisch. Wie bei "Zusammen ist man weniger allein" (Gavalda) oder "Die kleine Karthäuserin" (Péju). Beide mochte ich. Vielleicht wähle ich für den Einstieg in Olmis Werk diesen Roman und weiß, dass es noch besser wird... :scratch::wink:


    Ich bin auf jeden Fall interessiert! Danke, Schönchen. :D

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • Zitat

    Original von Schoenchen
    Die Hintergründe und Motive der Protagonisten werden vernachlässigt, zu sehr meiner Meinung nach. Man lernt die Figuren nicht kennen, sie und ihre Geschichten bleiben fremd.


    Die Frage nach Hintergrund oder Geschichte der Protagonisten hat sich mir beim Lesen gar nicht gestellt. Man erfährt von einer Frau, die körperlich und seelisch von großem Leid gezeichnet ist und sich in ihrem Schmerz auf eine kurze, rein sexuelle Begegnung mit einem ihr fast fremden Mann einläßt. Mir hat sich das wie ein Akt der Verzweiflung dargestellt, so als wenn sie wenigstens für kurze Zeit ihren Körper spüren wollte, wenn schon sonst alles wie tot zu sein schien. Es läßt sich darüber streiten, ob nun das, was zwischen den beiden passiert, so im Detail hätte geschildert werden müssen. Um ehrlich zu sein, auch diese Frage habe ich mir nicht gestellt, es gehörte für mich einfach dazu. Das Buch hat mich tief berührt, von einem "verunglückten Roman" kann daher aus meiner Sicht keine Rede sein. :wink:


    Herzliche Grüße
    Siebenstein

    :montag: Judith Hermann - Daheim


    "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam."
    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)


  • Zitat

    Es läßt sich darüber streiten, ob nun das, was zwischen den beiden passiert, so im Detail hätte geschildert werden müssen. Um ehrlich zu sein, auch diese Frage habe ich mir nicht gestellt, es gehörte für mich einfach dazu.


    Ja, eben dieses Gefühl, dass es so wie es ist einfach rund ist, hat mir eindeutig gefehlt, sonst wäre mir der Roman sicherlich besser erschienen.
    Trotzdem sicherlich keine verschwendete Lesezeit dieses Buch zu lesen. :wink: