Virginia Woolf - Mrs Dalloway

  • Alles beginnt mit einem Blumenkauf und alltäglichen Erlebnissen, die wir alle schon einmal erlebt haben. Man schlendert durch die Straßen, durch den Park, begegnet Bekannten und denkt über sich und die Menschen um sich herum nach. Nur das dieser Roman in London unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg spielt, sodass die Atmosphäre oft angespannt und bedrückend ist.


    Mrs Dalloway kauft also Blumen für die Party, die sie noch am Abend des gleichen Tages veranstalten will. Sie ist eine Frau von Welt und kann ohne eine geordnete Welt um sich herum sowie ohne Luxus nicht auskommen. Doch aller Wohlstand und ihre gesellschaftliche Sonderstellung verlangen ihr einen hohen Preis ab. Denn sie gibt sich nicht, wie sie ist, sondern verstellt sich, um zu gefallen. Zu spät wird ihr ihr Selbstbetrug klar, dass sie beinahe Angst vor sich selbst empfindet. Sie ist zu einer Marionette der Konvention geworden und hat ihre wahre, sonst so ausgelassene und unkonventionelle Art hinter sich gelassen. Dies wird ihr insbesondere klar, als sie ihre Jugendliebe Peter Walsh wieder trifft. Er bewegt sich genauso wie Mrs Dalloways ehemalige Freundin Sally, die lesbische Neigungen hatte, am Rande der Gesellschaftsnorm und erschrickt, als er sie als gezähmte Hausfrau und Mutter erlebt, die doch sonst immer für ihre kommunistischen und feministischen Ideale gekämpft hat. Wie kann sich ein Mensch so verändern? Weil die Gesellschaft ihn dazu zwingt?


    Ein weiterer Handlungsstrang erzählt von Septimus Smith, einem ehemaligen Soldaten, der im Ersten Weltkrieg gedient hat und sogar für seinen Kriegsdienst ausgezeichnet worden ist. Doch seit der Krieg vorbei ist, schafft er es nicht mehr, sich in die Gesellschaft zu integrieren, muss immerzu an Kriegsgreuel denken, hört Stimmen und kann die Welt um ihn herum nicht mehr ertragen. Seine Frau versucht sein Leiden mithilfe von Psychologen zu lindern, er aber will keine Hilfe mehr. Das Leben hat seinen Sinn eingebüßt und diese Sinnlosigkeit des Lebens zwingt ihn, sich schließlich das Leben zu nehmen.


    Höhepunkt des Ganzen ist schließlich die Party, wo Mrs Dalloway ihre Freunde Sally und Peter ignoriert und sich somit für die feine Gesellschaft entscheidet, die sie nicht aufopfern kann und will. Reichtum ist für sie wichtiger als wahres Glück. Denn für sie ist wahrer Lebenssinn materieller Natur. Erst am Ende merkt sie wie nichtig ihr Lebenskonzept gewesen ist, sodass sie zeitweise Septimus' Lebenssinnlosigkeit teilt.


    Wie man sehen kann, ist das Buch, obwohl es eigentlich Alltagsprobleme mit mikroskopisch genauem Blick beschreibt, wesentlich mehr als das, da es existenzielle Fragen wie die Frage nach dem Sinn des Lebens durchleuchtet. Außerdem ist Mrs. Dalloway die Geschichte einer Frau, die die Möglichkeit gehabt hat, sich zu emanzipieren, sich aber dagegen entscheidet, sodass hier auch feministische Problematiken zur Sprache kommen. Das Buch gewährt Einblicke in die weibliche Psyche in einer Tiefgründigkeit, wie man sie nur selten antreffen kann und entführt uns in die Gedankenwelten ganz verschiedener Charaktere. Es ist wichtig sich mit Sinn- und Seinsfragen zu beschäftigen, denn das macht den Menschen aus. Außerdem zeigt Septimus' geistiger Verfall, wie schlimm Kriegsfolgen auch auf psychischer Ebene sein können. Dieser pazifistische Ansatz ist gerade heute unerlässlich.


    sunflower

  • Hallo, kann mir jemand sage, wo ich das passende Zitat dazu finde, wo sich Septimus das Leben nimmt? Auf welcher seite meine ich.. irgendwie finde ich es nicht mehr.. Mimi

  • Kurzbeschreibung von Amazon:
    An einem Junitag des Jahres 1923 bereitet Clarissa Dalloway, eine der glänzendsten Londoner Gastgeberinnen, eine große Abendgesellschaft vor. Während sie alle konventionellen Erwartungen erfüllt, stellen sich bei ihr Erinnerungen und Assoziationen ein, die ihr nach und nach bewußt machen, wie sehr ihre äußere Existenz sich von ihrer inneren unterscheidet.


    Über den Autor von Amazon:
    Virginia Woolf (1882-1941) war, zusammen mit ihrer Schwester Vanessa, Mittelpunkt der "Bloomsbury Group", des Künstler- und Literatenzirkels, der sich um 1905 in London zusammenfand. Ihr erster Roman, Die Fahrt hinaus, erschien 1915. Neben den Romanen umfaßt ihr Gesamtwerk Erzählungen, Tagebücher, Briefe und eine Vielzahl von Essays. Virginia Woolf gilt als die bedeutendste englische Schriftstellerin dieses Jahrhunderts. Die Werke von Virginia Woolf erscheinen seit 1989 im S.Fischer Verlag in neuen Übersetzungen, herausgegeben und annotiert von Klaus Reichert, und in der Umschlaggestaltung von Sarah Schumann


    Virginia Woolf experimentierte mit Sprache, ging neue Wege und setzte damit Grundsteine der modernen Erzählkunst. Leicht ist es dadurch nicht zu lesen, aber es hat mich von der ersten Seite an fasziniert, wie sie ihr expressionistisches Gemälde, aus tausend kleinen Einzelteilen (Beschreibungen, direkte Rede, verschiedene Bewusstseinsebenen, innerer Monolog, erlebte Rede, Beifügungen) zusammensetzt. Der Leser darf sich nicht wundern, wenn in einer sehr schönen Landschaftsbeschreibung über Bäume und Vögel im Hyde Park eine Antilope auftaucht, so ein kleiner verirrter Pinselstrich ist nicht selten.
    Die Atmosphäre ist von Beginn an düster, die Symbole des Todes erscheinen oft, und das Verrinnen der Zeit wird ständig mit Glockenschlägen (Big Ben) gekennzeichnet. Die Menschen im Roman stellen fest, dass sie alt geworden sind und endlich sind.
    Auch wenn ich viel Zeit mit diesem kurzen Roman verbracht habe, weil er alles andere ist, aber eben nicht gut lesbar, habe ich es mit Freude gemacht, denn es ist ein Kunstwerk.

  • Hallo!


    Als Literatur-Laie und einfach nur jemand, der gerne schöne Bücher liest kann ich nur sagen, dass ich noch nie etwas gelesen habe, das an Vollkommenheit, Durchdachtheit und Ästhetik an dieses Buch heran kommt.


    Ich kann die Bandweite der Themen und Gedanken gar nicht erfassen, die in diesem Buch vermittelt werden. Jeder Satz verbirgt Unmengen an Stoff und Ansätzen zu allen möglichen Themen und mir gefällt die Erklärung von Heidi, in dem ganzen ein "expressionistisches Bild" zu sehen, sehr gut. Ich konnte sehr gut die Kritik an der "oberen" Gesellschaft herauslesen, der Wohlstand, der zu Bequemlichkeit, Oberflächlichkeit und Selbtzufriedenheit führt, wo die Organisation von "Abendgesellschaften" zum Lebensinhalt wird und in Wirklichkeit es kaum in einer Schicht mehr einsame Menschen gibt.


    Demgegenüber Septimus, der seine Kriegserlebnisse nicht verabeiten kann und letztendlich daran zerbricht.


    Dem Buch unterliegt ein ganz seltsamer Pathos und vor allem die ständig wechselnde Perspektive (oft mitten in einem Satz) geben dem Buch etwas ganz Besonderes. Es ist sehr anstrengend zu lesen, man muss sich die Sätze "auf der Zunge zergehen lassen" um ihre ganze Tragweite zu erfassen, aber es lohnt sich allemal!

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Zitat

    Original von Heidi Hof
    Virginia Woolf experimentierte mit Sprache, ging neue Wege und setzte damit Grundsteine der modernen Erzählkunst. Leicht ist es dadurch nicht zu lesen, aber es hat mich von der ersten Seite an fasziniert, wie sie ihr expressionistisches Gemälde, aus tausend kleinen Einzelteilen [...] zusammensetzt. Der Leser darf sich nicht wundern, wenn in einer sehr schönen Landschaftsbeschreibung über Bäume und Vögel im Hyde Park eine Antilope auftaucht, so ein kleiner verirrter Pinselstrich ist nicht selten.


    Virginia Woolf setzt Sprache in der Tat unübertroffen meisterhaft ein, und es gelingt ihr immer wieder ebenso überraschende wie treffende Bilder zu finden. Auch gerade ihre Landschafts- und Stadtbeschreibungen weisen eine mitreißende Fülle von Details und kleinen Vignetten auf. Eine Antilope im Hyde Park, ja das wäre tatsächlich ein fast surrealer Anblick, ein "kleiner verirrter Pinselstrich" ... erstaunlich bei einer Autorin, die so bewußt jedes Wort wählt. Aber vielleicht hatte sich ja auch die Antilope verirrt ... in den Hyde Park ... aus dem Regent's Park. Denn dort sieht Septimus sie - zugegeben, Septimus ist zu dem Zeitpunkt nicht wirklich ganz zurechnungsfähig, aber das tut der Sache keinen Abbruch, daß er sich ganz in der Nähe des Londoner Zoos befindet, wo sich hinter einer Umzäunung befindliche Antilopen ein durchaus weniger surrealer Anblick sind.

  • Leider sind wir "Provinzler" in London nicht so ortskundig bzw. kennen die Standorte der städtischen Zoos nicht und deshalb spielt es nicht so eine entscheidende Rolle, ob es nun der Hyde Park oder Regent's Park ist. Obwohl man sich natürlich doch an das Original halten sollte, aber Verwechslungen sind wohl menschlich und können vorkommen. Noch dazu wenn wir an dieser Stelle - wie so oft bei diesem Buch - mangels Hintergrundwissen die wahren Zusammenhänge nicht eindeutig erkennen.


    Aber zum Glück haben wir ja Ute die in gewohnt liebenswürdiger Weise auf solche Ausrutscher hinweist. ;)

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


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    Einmal editiert, zuletzt von Rosalita ()

  • Gern geschehen, Rosalita :thumleft:


    Ich dachte mir, nach all den langen und weiligen Ausführungen und tragischen Vergleichen mit Van Goghs Sonnenblumen, hier und in der Büchereule, über die surrealen Aspekte des Buches, dargestellt am Beispiel der Antilope, wäre es einfach nur freundlich, euch darauf aufmerksam zu machen, daß manchmal ein bißchen mehr Recherche über unverstandene Passagen hilft. Sie zum Zentralpunkt einer Argumentation zu machen, bietet sich hingegen gemeinhin nicht an. Wenn man feststellt, daß es einem an dem nötigen Hintergrundwissen mangelt, dann gibt es viele Möglichkeiten, sich dieses Wissen anzueignen. Und ich glaube, das hat auch nichts mit dem Wohnort zu tun - ich kenne etliche "Provinzler", die Mrs. Dalloway ohne größere Mühe verstanden haben.


    Gruß
    Ute

  • Ich habe das Buch jetzt auch gelesen und finde es wirklich großartig. Auf keinen Fall ist das Buch aber eines, das man mal kurz eben lesen kann. Man muss sich Zeit nehmen für die "nur" 195 Seiten. Ich hatte anfangs auch gedacht, dass es doch recht dünn wäre und ich sicherlich nicht lang brauchen würde, aber da habe ich mich geirrt. Die erste Hälfte des Buches ging es ziemlich schleppend voran. Die letzte Hälfte habe ich wirklich genossen.
    Ich liebe diese ästhetische Sprache Virginia Woolfs und ihr Leben ist auch unglaublich interessant. ( Ich lese gerade die Biografie...) Es gibt auch sehr viele Dinge, die Virginia Woolf aus ihrem Leben in das Buch übernommn hat.

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • shia: in diesem Zusammenhang kann ich Dir auch Michael Cunningham - Die Stunden wärmstens empfehlen. Ich habe es gestern noch ausgelesen (Rezi folgt). Das Buch beschäftigt sich u.a. sowohl um das Leben der Virginia Woolf, als auch um ihr Werk "Mrs Dalloway" (bzw. um dessen Entstehung) und wäre eine perfekte Ergänzung zu deiner derzeitigen Lektüre.

    Herzliche Grüße
    Rosalita


    :study:
    Wenn das Schlachten vorbei ist - T.C. Boyle


    *Life is what happens to you while you are busy making other plans* (Henry Miller)

  • Zitat

    Original von Rosalita
    shia: in diesem Zusammenhang kann ich Dir auch Michael Cunningham - Die Stunden wärmstens empfehlen. Ich habe es gestern noch ausgelesen (Rezi folgt). Das Buch beschäftigt sich u.a. sowohl um das Leben der Virginia Woolf, als auch um ihr Werk "Mrs Dalloway" (bzw. um dessen Entstehung) und wäre eine perfekte Ergänzung zu deiner derzeitigen Lektüre.


    :P Ja, das Buch ist mir bekannt und irgendwann will ich das auch noch lesen. Die Sache ist nur, dass ich durch die Verfilmung von "Die Stunden" erst auf Virginia Woolf gekommen und in eine kleine Hysterie verfallen bin. Und wenn ich den Film schon kenne, lese ich ungern das Buch hinterher, weil ich eben schon weiß, wie es ausgeht. Dasist so eine kline Macke von mir.... :pale:

    Ich :study:
    J.M.Coetzee - Das Leben der Tiere
    Erzählungen von Franz Kafka
    Gedichte von Allen Ginsberg und Cummings

  • Hu ich hab die Tage versucht in das Buch hereinzukommen, aber es fiel mir so schwer, dass ich es jetzt ersteinmal wieder zur Seite gelegt habe. Eure Meinungen werden mich in absehbarer Zeit aber bestimmt nocheinmal zu dem Buch greifen lassen, in der Hoffnung, dass ich mich dann besser auf die Sprache und die Sätze konzentrieren kann.

    "Wie soll auch eine Generation von Männern, die hauptsächlich von Müttern, Kindergärtnerinnen und Lehrerinnen umsorgt und erzogen wurde, Frauen glücklich machen?"
    (Generation Doof)

  • Der Roman ist wirklich nicht leicht zu lesen, aber wenn man den Schritt dann doch wagt wird man auf jeden Fall belohnt. Es ist ein Meisterwerk! Vor allem die Beschreibungen, die wirklich detailliert genau sind. Ich habe den Film "The Hours" gesehen, der ja auf dem Buch "Die Stunden" basiert, dieses wurde ja auch schon oben erwähnt. Es ist interessant die Perspektive von Virginia Woolf zu erleben. Und Nicole Kidman als Virginia Woolf ist einfach grandios. :thumleft:

  • Hallo :winken:


    Ich habe dieses Buch gestern Abend zu Ende gelesen und ich muss sagen, ich bin ziemlich begeistert! Zwar musste ich mich erstmal an den teilweise doch schwierigen Schreibstil gewöhnen, aber irgendwie war ich auch gleichzeitig so fasziniert von allem.
    Sehr gefallen hat mir der Wechsel der Perspektive, so konnte man diesen einen Tag aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln sehen und in die Gefühls -und Gedankenwelt der einzelnen Charaktere eintauchen.
    Ich bin auch überzeugt davon, dass ich das Buch noch mehrmals lesen werde, da es eine immense Bilderflut in meinem Kopf ausgelöst hat und ich mir sicher bin, dass ich nach dem zweiten oder dritten Mal lesen immer noch irgendwas entdecken werde, das mir beim ersten Mal nicht aufgefallen ist.


    Das war ja nun mein erstes Buch von Virginia Woolf und es war ja von der Grundstimmung her sehr melancholisch, stellenweise sogar traurig, und jetzt wollte ich mal fragen, ob ihre anderen Bücher auch so sind?


    Liebe Grüße,
    Emmy

  • Ich habe das Buch jetzt auch gelesen und finde es wirklich großartig. Auf keinen Fall ist das Buch aber eines, das man mal kurz eben lesen kann. Man muss sich Zeit nehmen für die "nur" 195 Seiten. Ich hatte anfangs auch gedacht, dass es doch recht dünn wäre und ich sicherlich nicht lang brauchen würde, aber da habe ich mich geirrt. Die erste Hälfte des Buches ging es ziemlich schleppend voran. Die letzte Hälfte habe ich wirklich genossen.
    Ich liebe diese ästhetische Sprache Virginia Woolfs und ihr Leben ist auch unglaublich interessant. ( Ich lese gerade die Biografie...) Es gibt auch sehr viele Dinge, die Virginia Woolf aus ihrem Leben in das Buch übernommn hat.


    Da stimme ich Shia vollkommen zu. Für die recht wenigen Seiten brauchte ich doch ziemlich lange. Aber das Buch war seine Zeit wert, besonders ihr Schreibstil zog mich in sein Bann. Ein großartiges Buch. Ich glaube ich muss mal die Biografie von Virginia Woolf lesen. :-k

    Ihr aber seht und sagt: Warum? Aber ich träume und sage: Warum nicht? - George Bernahrd Shaw

  • Ich hab das Buch vor Jahren in der Uni gelesen und kann nur sagen, dass es mich wirklich begeistert hat. Es ist richtig toll erzählt und fesselt nicht nur beim ersten Lesen. :)
    Da weiß man wirklich, warum dieses Buch ein Klassiker ist!

    So, nun möchte ich meine Aussage von vor sechs Jahren mal etwas präzisieren. :loool:


    "Mrs Dalloway" ist ein Roman, der mir wirklich gut gefallen hat. Er ist anders als viele andere Romane, weil es hier vergleichsweise wenig Handlung gibt, dafür aber tiefe Einblicke in die Gedanken der Charaktere, die Woolf hier entwirft. Es dauerte ein bisschen, bis ich mich richtig eingelesen hatte, denn Gedanken sind eben oftmals auch etwas sprunghaft, und Woolf verlässt schnell auch mal die Perspektive einer Figur und wechselt zu einer anderen - da muss man dranbleiben. Es lohnt sich aber auf jeden Fall, und wenn man sich an den wirklich einzigartigen Erzählstil gewöhnt hat, hat man einen Roman vor sich, der damit spielt, wie Menschen über sich selbst und über ihre Mitmenschen denken, wie sie ihre Handlungen begründen und hinterfragen und wie sie sich zum Teil auch immer wieder die Frage stellen, was geschehen wäre, wenn sie an der ein oder anderen Stelle anders entschieden hätten. Es hat mir gut gefallen, diese Gedanken zu verfolgen; ich fand, dass Virginia Woolf sehr glaubhafte Charaktere geschaffen hat. Gerade Clarissa Dalloway, auf ihre Art durchaus etwas spröde und immer darauf bedacht, wie sie auf andere Menschen wirken könnte, kann durchaus auf eine ereignisreiche Jugend zurückschauen - und was aus der im jungen Alter so "wilden" Sally Seton geworden ist, ist ebenfalls interessant.
    Gleichzeitig lohnt sich der Roman auch deswegen, weil er einen Einblick in die Gesellschaft seiner Entstehungszeit gibt. Das britische Empire ist Thema, man erfährt, wie London wahrgenommen wird, und dann ist da natürlich noch der Krieg, der zumindest bei Septimus Warren Smith tiefe Wunden hinterlassen hat. Ohne diese Figur hätte ich beim Lesen vielleicht gar nicht daran gedacht, dass der Roman kurz nach Ende des Krieges spielt. Denn während Clarissa und ihresgleichen allerhöchstens feststellen, dass die Läden in der Bond Street sich etwas verändert haben, ist Warren Smith so stark traumatisiert, dass er sich in der Realität immer weniger zurechtfindet. Mit ihm hat Woolf eine Figur geschaffen, die ich wirklich gern mochte, mit der man mitleiden muss und für die Partys, gesellschaftliche Verpflichtungen und die neueste Mode keine Rolle spielen. Es ist überzeugend, dass Clarissa Dalloway und Septimus Warren Smith nicht aufeinandertreffen und nur dadurch verbunden sind, dass Warren Smiths Arzt abends zu Clarissas Party geht, denn so wird deutlich, wie sehr die Gesellschaft auseinanderklafft.
    "Mrs. Dalloway" hat mir sehr gut gefallen. Ein Klassiker, den ich weiterempfehlen möchte.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

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    Die Handlung:


    Das ganze Buch spielt sich an einem einzigen Tag im Juni des Jahres 1923 ab. Die ältliche Mrs Dalloway bereitet am Morgen und Vormittag eine Festlichkeit vor, bei der sie alte Freunde und Bekannte wieder zusammenführen will. Dabei trifft sie einen alten Verehrer wieder, der gerade aus Indien zurückgekehrt ist. Gleichzeitig verbringt der von Halluzinationen geplagte Kriegsveteran Septimus Warren Smith den Tag mit seiner Frau im Park, bevor er am Nachmittag in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird. Später am Abend findet die geplante Party statt.


    Meine Meinung:


    Für den modernen Leser liest sich das Buch ungewohnt, denn es hat keinen wirklichen Handlungsbogen. Was tatsächlich passiert, ist zweitrangig - wichtig ist, was in den Köpfen der Charaktere vor sich geht, die über die verschiedensten Themen nachdenken: Vergänglichkeit und das unaufhaltsame Verstreichen der Zeit, die Auswirkungen des Krieges auf die Psyche eines Menschen (und da finden sich Parallelen zur psychischen Erkrankung der Autorin), Liebe und Sexualität, gescheiterte Hoffnungen... Fast alle denken darüber nach, was hätte sein können, wenn sie andere Entscheidungen getroffen hätten und ihr Leben dadurch nur ein klein wenig anders gelaufen wäre. Tatsächlich scheinen die meisten das Gefühl zu haben, dass sie etwas verpasst haben und etwas Wichtiges in ihrem Leben vermissen, und die Vergangenheit nimmt in ihren Gedanken mehr Raum ein als die Gegenwart.


    Was dieses Buch so originell macht, ist daher auch nicht die Handlung, sondern die Erzählweise: "Stream of Consciousness", Strom des Bewusstseins - eine Technik, die zum Beispiel auch James Joyce in seinem epischen Werk "Ulysses" einsetzte. Die Prosa bleibt immer ganz nahe dran an den Gedanken des Charakters, aus dessen Sicht wir die Geschehnisse gerade sehen, so gut wie ungefiltert. Das ist nicht immer einfach zu lesen, denn da springen die Gedanken schon mal unvermittelt von einem Thema zum nächsten, Worte und Satzfetzen wiederholen sich... Aber für mich hatte das etwas unwiderstehlich Hypnotisches, eine echte Sogwirkung. Ich hatte manchmal wirklich das Gefühl, für einen Moment durch fremde Augen zu sehen. Ich fand den Schreibstil großartig und einzigartig - er spricht oft über Banalitäten, aber darin verbirgt sich so viel.


    Deswegen war das Buch für mich auch nicht spannend, wie ein Krimi spannend ist, aber ich konnte es dennoch kaum weglegen, weil ich wissen wollte, ob die Charaktere im Laufe des Tages zu Schlüssen über sich selbst und ihr Leben kommen und vielleicht sogar etwas ändern würden. Tatsächlich hat der innere Tumult, der sich in den Köpfen abspielt, dann erstaunlich wenig greifbare Auswirkungen - wobei einer der Charaktere letztendlich doch eine drastische und tragische Entscheidung trifft.


    Die Charaktere kamen mir alle sehr echt und glaubhaft vor. Virginia Woolf lässt den Strom ihrer Gedanken, die sich im immer gleichen Kreise um Liebe und Verlust, Wünsche und Bedauern, Wahrheit und Wahnsinn drehen, ganz natürlich fließen. Besonders Septimus hat mich sehr berührt, denn aus seinen Gedanken spricht unendlicher Schmerz, was aber niemand zu verstehen scheint. Tragischerweise kam er mir vor wie derjenige, der von allen Charakteren noch am nächsten daran herankam, sein Leben in die Hand zu nehmen und es zu verändern.


    Interessant fand ich, dass die Autorin auch das Thema Homosexualität ganz nebenher anschneidet: Clarissa Dalloway fühlte sich in ihrer Jugend zu einer anderen Frau hingezogen, und ihre Tochter ist mit einer Frau befreundet, die ebenfalls in sie verliebt zu sein scheint.


    Auch der Krieg ist unterschwellig allgegenwärtig in diesem Buch - er ist zwar vorbei, aber die Menschen haben sich noch lange nicht davon erholt. Ich fand sehr bestürzend, wie wenig Verständnis man zu der Zeit anscheinend noch den Veteranen entgegen brachte, die von ihren Erlebnissen völlig traumatisiert waren. Die Autorin zeigt das sehr eindringlich am Beispiel von Septimus, von dem scheinbar erwartet wird, dass er sich einfach zusammenreißt und wieder zu einem produktiven Mitglied der Gesellschaft wird, obwohl er kurz vor dem Zusammenbruch steht.


    Fazit:
    "Mrs Dalloway" ist ein Buch, in dem oberflächlich gesehen wenig passiert - eine Frau plant eine Party und trifft einen alten Verehrer, ein Kriegsveteran wird in eine Klinik eingewiesen. Aber in den Gedanken der Charaktere spielt sich ganz viel ab, und die Autorin lässt den Leser unmittelbar an dieser reichen inneren Welt teilhaben, indem sie ihn einfach mitten hinein wirft, ungefiltert. Da werden existentielle Themen angesprochen, und wenn man sich darauf einlässt, ist es meiner Meinung nach ein sehr lohnendes Buch, auch wenn man sich ein bisschen anstrengen und mitdenken muss.