Jack Dann - Der Tag, an dem ich unsichtbar wurde

  • Jack Dann, "Der Tag, an dem ich unsichtbar wurde", Originaltitel "The Silent"


    Aus dem Klappentext:
    Während Vater und Mutter in der Kirche sind, gerät der junge Mundy in die Abgründe der Hölle. Es ist die Hölle des Amerikanischen Bürgerkriegs, in dem die Unionsstaaten die Sklaverei bekämpfen. Mit seinen vierzehn Jahren verliert der Sohn eines Predigers alles, was ihm bisher Halt gab. Was Mundy im Shenandoah Valley erlebt, ist für ihn so unfassbar, dass er sich eine eigene Wirklichkeit erschafft. Bedrängt von Obsessionen und geisterhaften Gestalten, die ebenso unberechenbar sind wie die Menschen, irrt der Junge umher, getragen von dem Willen zu überleben, aber auch von der kostbaren Erinnerung an Momente der Geborgenheit und des Glücks.
    Mundys Tagebuch zeugt mit seiner einfachen, bezwingenden Sprache in unvergesslicher Weise von der Absurdität des Krieges und der Verletzlichkeit der menschlichen Seele. Der Blick eines entwurzelten Kindes auf die Welt entlarvt das Ausmaß einer Entmenschlichung, die auch heute noch Realität ist.


    Die zündende Idee für dieses Buch hatte der Autor, wie er im Nachwort schreibt, durch ein anderes Buch über den Amerikanischen Bürgerkrieg, in dem die Rede davon ist, dass "Banden von verlassenen Kindern durch den verwüsteten Süden gestreunt seien".


    Mundy läuft, während seine Eltern beim Gottesdienst sind, zum nahegelegenen Schlachtfeld, sieht dort Männer schießen, schreien, sterben; er sieht grausam verstümmelte Leichen, Körperteile fliegen durch die Luft, alles ist erfüllt von Todesangst, Panik und entsetzlichem Lärm. Aber das Schlimmste muss er mitansehen, als er endlich den Weg nach Hause findet: Soldaten haben die Farm seiner Eltern angezündet, sein Vater brüllt im Feuer, seine Mutter wird aus dem Haus geschleppt, von mehreren Männern vergewaltigt und anschließend getötet.
    Mundy flieht. Das erste Wesen, das er trifft, ist ein "Geisterhund", der von da an immer dann auftaucht, wenn Mundy etwas Schlimmes erleben wird.
    Durch das grauenhafte Geschehen und seine Schuldgefühle hat Mundy seine Sprache verloren; er ist stumm geworden.
    Er zieht weiter, er trifft auf andere Kinder, die ihre Familien verloren haben, er wird von einer Gruppe flüchtiger Schwarzer gefangen genommen, er schließt sich den Truppen an, er erlebt Schlachten mit. Immer fühlt er sich umgeben von Geistern, die für ihn manchmal realer sind als die Menschen um ihn. In seinem Kopf spielen sich die Gespräche mit ihnen ab. Er ist ziellos, kann an keinem Ort bleiben, auch nicht, als ein freundlicher Karthograph ihn zu sich nach Hause zu seiner Familie bringt.


    Wahrscheinlich braucht man außer der Inhaltsangabe nicht viel zum Buch zu sagen, dass jeder sich vorstellen kann, wie es unter die Haut geht, vor allem, weil der Autor mit der Ich-Perspektive die dichteste Erzählform gewählt hat - meiner Ansicht nach die einzig mögliche, um das schildern zu können, was den Jungen antreibt und peinigt.


    Ich empfehle dieses Buch uneingeschränkt jedem, der an "wahren" Geschichten interessiert ist, und der sich von Büchern erschüttern lässt.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Marie,
    vielen Dank für deine ansprechende Rezension. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein sehr intensives Buch ist!
    Ich schrieb es eben schon in meine Wunschliste.

    She wanted to talk, but there seemed to be an embargo on every subject.
    - Jane Austen "Pride and prejudice" - +

  • @ Fezzig, so langsam kennt man ja die "Lesegeschmäcker" im Forum, und ich habe mir schon gedacht, dass Du zu denjenigen gehörst, die das Buch interessieren könnte. :wink:


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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