Der begnadete Architekt West Cross ist fasziniert von Schönheit und Perfektion, seine Leidenschaft bezieht sich aber nicht alleine auf seinen Beruf, die Gebäude und die Architektur. Nein, er möchte auch seinen Auftraggebern ein Leben in Perfektion „schenken“, dafür schreckt er vor keinem Mittel zurück, auch nicht vor Mord.
Wieder einmal erschüttert eine eigenartige Mordserie die Bevölkerung, als der forensische Psychiater Frank Clevenger zur Hilfe gerufen wird. Er soll dem FBI auf der Suche nach dem Mörder zur Hand gehen...
Ablow geht es wohl nicht darum, den Leser lange auf die Folter zu spannen, wer die schrecklichen Morde zu verantworten hat. Im Gegenteil, der Täter wird gleich zu Beginn namentlich bekannt und Ablow konzentriert sich darauf, Clevengers Weg auf der Suche nach Spuren, Indizien und möglichen Zusammenhängen zwischen den Mordopfern zu erzählen.
Clevengers private Probleme nehmen in „Der Diener Gottes“ einen großen Teil ein, sein Adoptivsohn Billy befindet sich wieder einmal in Schwierigkeiten, er rutscht immer tiefer in die Drogenszene und beteiligt sich aktiv an illegalen Boxkämpfen. Billy und Clevenger entfernen sich emotional mehr denn je voneinander.
Aber auch Clevenger selbst hat mit seinem ganz persönlichem Problem zu kämpfen: Dem Alkohol. Seine komplizierte Beziehung zu Whitney McCormick steht auch in diesem Roman wieder auf wackeligen Beinen.
Der Fels in der Brandung ist wieder einmal North Anderson, Clevengers Geschäftspartner bei Boston Forensics, sein bester und wahrscheinlich auch einziger Freund. Anderson wird seiner Rolle als mitfühlender, ruhiger, kompetenter Partner gerecht, er durchschaut Clevenger, er unterstützt ihn so gut er kann. Über sein Privatleben wird allerdings in diesem Roman keine Andeutung gemacht.
Was ich Ablow ein bisschen übel nehme, ist, dass er gegen Ende des Romans offensichtlich schnell zum Schluss kommen wollte, die Auflösung ist mehr als unrealistisch und meiner Meinung passiert auf den letzten 30 Seiten alles viel zu schnell. Hatte er keine Lust mehr? War die Geschichte aus seinen Augen vielleicht bereits erzählt und ausgiebig genug? Ich weiß es nicht... Ablow bricht den Roman beinahe schlagartig ab, die Auflösung wirkt verkrampft und unrealistisch.
Wie es sich für einen amerikanischen Autor gehört , spielt Ablow in „Der Diener Gottes“ mehr als einmal auf das amerikanische Rechtssystem an. Allerdings kratzt er nur an der Oberfläche, vielleicht wagt er sich dann doch nicht so sehr in die Tiefe – dies ist alles reine Spekulation von mir.
Auch bei diesem Roman hat mir wieder sehr gut gefallen, dass Ablow es nicht nötig hat, einen möglichst blutrünstigen Thriller zu schreiben. Er beschreibt die Vorgehensweise des Täters eher medizinisch, nichts erinnert an ein Blutbad oder Gemetzel. Von atemloser Spannung möchte ich zwar nicht reden, der Roman hat mich sehr gut unterhalten, aber auf das Sofa gefesselt (wie seine Vorgänger) hat er mich leider nicht.
Einen Aspekt des Romans möchte ich doch noch einmal herausheben:
Ablow lässt die minderjährige, geistig behinderte und ungewollt schwangere Tochter des amerikanischen Präsidenten in das Visier des Täters rücken, der doch so sehr nach Vollkommenheit und Perfektion strebt. Für West Crosse stellt ein geistig behinderter Mensch das Gegenstück von Vollkommenheit dar, daraus macht er auch überhaupt kein Hehl. Für ihn ist das junge Mädchen einfach nur dumm, sie bringt Schande über die Familie des Präsidenten und sie muss aus dem Weg geräumt werden. Dabei ist sich Crosse so sicher, einen großen Dienst zu erweisen, den Präsidenten von dieser Last zu befreien, ja, ihm endlich zur Vollkommenheit zu verhelfen.
Mit dieser Wahl schockiert Ablow, was vermutlich auch in seiner Absicht lag. Der Täter sucht sich ein hilfloses Opfer, das die von ihm ausgehende Gefahr nicht einzuschätzen vermag.
Nicht nur diese Thematik bietet jede Menge Gesprächsstoff, "Der Diener Gottes" lädt geradezu zu einer Diskussion ein: Über die Beweggründe des Mörders, über die Vorgehensweise von Frank Clevenger, über das amerikanische Rechtssystem... Ansatzpunkte liefert Ablow mehr als genug. Leider verpackt er den Erzählstoff nicht annähern so perfekt, wie es sich West Cross wünschen würde.
Dennoch beurteile ich „Der Diener Gottes“ als spannenden Roman, auch wenn Ablow wohl nicht seine ganze Konzentration in dieses Buch gesteckt hat. Es ist auf alle Fälle lesenswert, für Fans der Clevenger-Reihe (auch wenn es nicht der beste Band der Serie ist) sowieso.
Gruß
Wilaja