Keith Ablow - "Projection"

  • Warnung: Enthält Spoiler in Bezug auf die Auflösung von Kaltes, kaltes Herz!


    Es sind inzwischen sechs Monate seit der blutigen Mordserie vergangen, die Psychiater Frank Clevenger an den Rand des Abgrunds getrieben hatte, und Clevenger hat begonnen, die Bruchstücke seines Lebens wieder zusammenzusetzen: Er hat sein viel zu teures "Vorzeigehaus" verkauft und ist in einen Loft gezogen, nur einen Steinwurf entfernt von dem Loft seiner ermordeten Geliebten, Rachel; er hat sein viel zu teures "Vorzeigeauto" verkauft und sich einen bodenständigen Pick-up-Truck zugelegt. Vor allem aber versucht er, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, zumindest seine Drogen- und Spielsucht, denn in seiner Sexsucht findet er weiterhin Trost. Und diesen Trost braucht er dringend, da die Tatsache, daß der ehemalige Schönheitschirurg Trevor Lucas derzeit für die vier brutalen Morde vor Gericht steht, für ihn weit weniger beruhigend ist als für alle anderen, denn Clevenger weiß, daß Lucas unschuldig ist, und er weiß auch, wer die Morde tatsächlich begangen hat - Clevengers Lebensgefährtin Kathy nämlich.


    Die Erkenntnis, unwissentlich mit einer Mörderin zusammengelebt zu haben, und vor allem die Sorge darum, daß jemand herausfinden könnte, daß er Kathy vor der Justiz versteckt, lasten schwer auf Clevenger, doch all das ist nichts im Vergleich zu den traumatischen Erlebnissen, die ihm bevorstehen, als Trevor Lucas die psychiatrische Abteilung, in der er untergebracht ist, in seine Gewalt bringt und anfängt, Geiseln umzubringen. Clevenger muß sich in den blutigen Wahnsinn auf der Station und in den blutigen Wahnsinn in Lucas' Psyche wagen, um so viele Leben wie möglich zu retten - sein eigenes eingeschlossen.


    Da dies auf deutsch der "fehlende" Band ist, hier eine etwas ausführlichere Inhaltsangabe für alle, die die Lücke zwischen Kaltes, kaltes Herz und Infam füllen möchten:



    Projection (1999) ist die direkte Fortsetzung zu Kaltes, kaltes Herz (Denial, 1997), und man sollte die beiden Bücher auch unbedingt zusammen lesen, denn die Vorgeschichte ist sehr wichtig, um Clevengers Beweggründe zu verstehen. Nun, zumindest, um seine Beweggründe nachvollziehen zu können ... ob man sie wirklich verstehen kann, hängt sicher stark von der eigenen Einstellung ab. Mehr als in vielleicht allen anderen Ablow-Büchern geht es hier um Clevengers (Ablows) Überzeugung, daß jegliches Verbrechen nur eine psychische Krankheit repräsentiert und deshalb nur Heilung, aber niemals Strafe irgendeinen Sinn ergibt. Das ist an sich eine durchaus lobenswerte Einstellung und auch verständlich, vor allem bei einem Psychiater. Und diese Überzeugung erklärte auch Clevengers ansonsten vielleicht etwas zweifelhafte Entscheidung am Ende des ersten Bandes, Kathy vor der Justiz zu verstecken und behandeln zu lassen und stattdessen dem zwar neurotischen und sadistischen, doch unschuldigen Trevor Lucas die Morde anzuhängen.


    In Projection versinkt Ablow allerdings meiner Ansicht nach völlig im Morast dieser moralisch zweifelhaften Entscheidungen. Clevenger ist dafür verantwortlich, daß Lucas eingesperrt wird, was wiederum die psychotischen Wahnvorstellungen freisetzt, die Lucas zum Mörder werden lassen. Er versteckt Kathy, was ihr Gelegenheit gibt, sich einen Therapeuten gefügig zu machen, was wiederum zum Tod von zwei weiteren Menschen führt (zu den 5, die sie schon auf dem Gewissen hat). Nichtsdestotrotz erklärt Clevenger jeder (zumindest alle, die nicht von den "irrationalen Rachegelüsten" der Staats- und Polizeigewalt infiziert sind), daß er das Richtige getan hat, denn nur so hat Kathy eine Chance auf Heilung erhalten (die Clevenger ihr am Ende des 2. Bandes offensichtlich nicht mehr geben will), und nur so hat auch Trevor eine Chance erhalten, geheilt zu werden - von einer Psychose, die vermutlich/vielleicht nie ausgelöst worden wäre, wenn Clevenger ihn nicht zum Sündenbock gemacht hätte ... :scratch:


    Das große "Problem" des Buches für mich ist, daß Ablow kein sonderlich guter Autor ist. Gemeinhin schreibt er recht rasante kleine Thriller, die durchaus spannend sind und den Leser fesseln können, und sein Stil, sowie auch sein fundiertes psychologisches Wissen "tragen" einen über die Unebenheiten und Unzulänglichkeiten des Buches hinweg. Die komplexen psychologischen Beziehungen der Figuren, und auch Clevengers stark angeschlagenes Innenleben, hätten in diesem Fall aber einen Autor verlangt, der tatsächlich überzeugend ausdrücken kann, was er sagen möchte. Und auch einen Autor, der im Zweifelsfall nicht erst einmal eine Sex- oder eine Gewaltszene einschiebt, um den Leser von den Schwächen seiner Erzählung abzulenken. Ich habe (wie hinlänglich bekannt ist ;) ) eigentlich nie ein Problem mit Sex oder Gewalt, aber in Projection ist letzteres wirklich rein reißerisch eingesetzt - wenn gerade nichts passiert, "erinnert" sich Clevenger noch mal an die Bluttaten oder malt sich neue aus - und ersteres grenzt schon an Lächerlichkeit - man sollte gar nicht glauben, wie oft Clevenger in den 72 Stunden dieser blutrünstigen Hölle Gelegenheit für Cynthias Liebesdienste hat (er holt sie sogar ab und nimmt sie mit nach Baltimore, wohingegen ihm keine Zeit bleibt, seine bluttriefende Kleidung zu wechseln #-o ).


    Ich persönlich kann diesen Krimi wirklich nur jenen empfehlen, die unbedingt auf Vollständigkeit Wert legen, alle anderen sollten getrost einen Bogen um dieses Buch machen und lieber zu anderen "Ablows" (oder grundsätzlich anderen, besseren Krimis) greifen. :thumbdown:


    Gruß
    Ute