Warnung: Enthält Spoiler in Bezug auf die Auflösung von Kaltes, kaltes Herz!
Es sind inzwischen sechs Monate seit der blutigen Mordserie vergangen, die Psychiater Frank Clevenger an den Rand des Abgrunds getrieben hatte, und Clevenger hat begonnen, die Bruchstücke seines Lebens wieder zusammenzusetzen: Er hat sein viel zu teures "Vorzeigehaus" verkauft und ist in einen Loft gezogen, nur einen Steinwurf entfernt von dem Loft seiner ermordeten Geliebten, Rachel; er hat sein viel zu teures "Vorzeigeauto" verkauft und sich einen bodenständigen Pick-up-Truck zugelegt. Vor allem aber versucht er, seine Abhängigkeit in den Griff zu bekommen, zumindest seine Drogen- und Spielsucht, denn in seiner Sexsucht findet er weiterhin Trost. Und diesen Trost braucht er dringend, da die Tatsache, daß der ehemalige Schönheitschirurg Trevor Lucas derzeit für die vier brutalen Morde vor Gericht steht, für ihn weit weniger beruhigend ist als für alle anderen, denn Clevenger weiß, daß Lucas unschuldig ist, und er weiß auch, wer die Morde tatsächlich begangen hat - Clevengers Lebensgefährtin Kathy nämlich.
Die Erkenntnis, unwissentlich mit einer Mörderin zusammengelebt zu haben, und vor allem die Sorge darum, daß jemand herausfinden könnte, daß er Kathy vor der Justiz versteckt, lasten schwer auf Clevenger, doch all das ist nichts im Vergleich zu den traumatischen Erlebnissen, die ihm bevorstehen, als Trevor Lucas die psychiatrische Abteilung, in der er untergebracht ist, in seine Gewalt bringt und anfängt, Geiseln umzubringen. Clevenger muß sich in den blutigen Wahnsinn auf der Station und in den blutigen Wahnsinn in Lucas' Psyche wagen, um so viele Leben wie möglich zu retten - sein eigenes eingeschlossen.
Da dies auf deutsch der "fehlende" Band ist, hier eine etwas ausführlichere Inhaltsangabe für alle, die die Lücke zwischen Kaltes, kaltes Herz und Infam füllen möchten:
Sobald Clevenger die Station betritt, muß er erkennen, daß Lucas nunmehr gänzlich von psychotischen Wahnvorstellungen getrieben wird und sich und seine Mitpatienten, viele davon geistesgestörte Mörder, überzeugt hat, daß sie alle von Satan infiziert seien. Um den Teufel auszutreiben, führt er grausige Operationen aus, auch an sich selbst - er amputiert eigenhändig seinen rechten Arm. Das ultimative Ziel ist jedoch ein Massenselbstmord. Lange sieht es so aus, als würde Clevenger scheitern, denn Lucas wird von seinen geisteskranken Leibwächtern beschützt und zwingt Clevenger obendrein, Methadon zu nehmen, was für den ehemaligen Junkie das Ende bedeuten könnte. Im Rausch wird Clevenger sogar mitschuldig am Tod eines der Patienten, doch alles macht ihn nur umso entschlossener, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Lucas mit der Ursache seiner Psychopathie zu konfrontieren und somit zu heilen.
Er kann soweit in Lucas' Psyche vordringen, daß er erfährt, daß sich das ursprüngliche Trauma in Lucas' Kindheit in Baltimore zugetragen hat. Er kann sogar Lucas (und die Polizei) überreden, ihm 24 Stunden zu geben, um das Geheimnis zu lüften. Und so macht er sich mit Cynthia - einer Nutte, in die er sich verliebt hat - auf nach Baltimore. Aber der Zeitdruck allein ist nicht das Problem, denn inzwischen hat Polizeichefin Hancock, deren Nichte eins der Opfer der Mordserie war, herausgefunden, daß Trevor möglicherweise unschuldig ist und in Wirklichkeit Kathy die Taten begangen hat. Und daß Clevenger sie in vollem Wissen ihrer Schuld versteckt hat. Clevenger kann nur hoffen, daß Hancock Kathy nicht findet, bevor er Trevor helfen konnte.
In Baltimore stößt Clevenger durch Zufall im Polizeipräsidium auf einen Mann, der den Namen "Lucas" durch seinen Bruder kennt, doch dieser Bruder sitzt gerade in der Ausnüchterungszelle. Clevenger kann jedoch einen der wachhabenden Polizisten, einen Schwarzen namens North Anderson, überreden, ihn zu ihm zu lassen. Aber der Betreffende kann ihm leider nichts sagen, denn er ist nicht betrunken, sondern im Zuckerkoma, und Clevenger und Anderson können gerade noch rechtzeitig mit dem Mann ins Krankenhaus fahren. Als sein Leben außer Gefahr ist, stellt sich heraus, daß er gar keinen Lucas kennt, aber es entpuppt sich dennoch als glückliche Fügung, denn Clevenger kann sich vor Ort die Krankenakte eines gewissen Michael Lucas besorgen, der unter schwersten Entstellungen des Gesichts leidet.
Michael ist Trevors Bruder, wie sich herausstellt. Und von ihm erfährt Clevenger endlich, was passiert ist: Als Kind hat Trevor beim Spielen seinen jüngeren Bruder Michael mit siedendem Öl übergossen, woraufhin ihn seine Mutter im Keller in einen Käfig gesperrt hat. Da Michael sich aber weigert, mit nach Boston zu kommen und mit Trevor zu sprechen, kann Clevenger nur hoffen, daß die Informationen allein genügen werden, um Trevor von seinen mörderischen Plänen anzubringen.
Bei seiner Rückkehr nach Boston erwarten Clevenger katastrophale Nachrichten: Polizeichefin Hancock ist tot, ermordet von Kathy, die sie in einer Privatklinik aufgespürt und festgenommen hatte. Und Kathy ist es inzwischen gelungen, zu Lucas in die psychiatrische Station zu gelangen. Im Angesicht der beiden geisteskranken Mörder zusammen, scheinen Clevengers Bemühungen zum Scheitern verurteilt, denn Lucas ist nunmehr überzeugt, daß nur noch der geplante Massenselbstmord Satan austreiben kann. Doch dann erhält Clevenger unerwartete Hilfe: North Anderson konnte Michael überreden, nach Boston zu kommen. Allerdings geht es Michael nicht um Versöhnung, wie sich herausstellt - als sich die beiden Brüder gegenüberstehen, zieht er eine Waffe und erschießt Trevor und wird daraufhin selbst von der Polizei erschossen. Clevenger hat Trevor letztendlich doch nicht retten können, und auch Kathy kann er nicht mehr helfen, sondern muß sie der Polizei ausliefern. Nichtsdestotrotz geben die Geschehnisse Clevenger die Kraft und den Antrieb, sein Leben endgültig in den Griff zu bekommen und seinen Beruf (und seine Berufung) wieder aufzunehmen.
Projection (1999) ist die direkte Fortsetzung zu Kaltes, kaltes Herz (Denial, 1997), und man sollte die beiden Bücher auch unbedingt zusammen lesen, denn die Vorgeschichte ist sehr wichtig, um Clevengers Beweggründe zu verstehen. Nun, zumindest, um seine Beweggründe nachvollziehen zu können ... ob man sie wirklich verstehen kann, hängt sicher stark von der eigenen Einstellung ab. Mehr als in vielleicht allen anderen Ablow-Büchern geht es hier um Clevengers (Ablows) Überzeugung, daß jegliches Verbrechen nur eine psychische Krankheit repräsentiert und deshalb nur Heilung, aber niemals Strafe irgendeinen Sinn ergibt. Das ist an sich eine durchaus lobenswerte Einstellung und auch verständlich, vor allem bei einem Psychiater. Und diese Überzeugung erklärte auch Clevengers ansonsten vielleicht etwas zweifelhafte Entscheidung am Ende des ersten Bandes, Kathy vor der Justiz zu verstecken und behandeln zu lassen und stattdessen dem zwar neurotischen und sadistischen, doch unschuldigen Trevor Lucas die Morde anzuhängen.
In Projection versinkt Ablow allerdings meiner Ansicht nach völlig im Morast dieser moralisch zweifelhaften Entscheidungen. Clevenger ist dafür verantwortlich, daß Lucas eingesperrt wird, was wiederum die psychotischen Wahnvorstellungen freisetzt, die Lucas zum Mörder werden lassen. Er versteckt Kathy, was ihr Gelegenheit gibt, sich einen Therapeuten gefügig zu machen, was wiederum zum Tod von zwei weiteren Menschen führt (zu den 5, die sie schon auf dem Gewissen hat). Nichtsdestotrotz erklärt Clevenger jeder (zumindest alle, die nicht von den "irrationalen Rachegelüsten" der Staats- und Polizeigewalt infiziert sind), daß er das Richtige getan hat, denn nur so hat Kathy eine Chance auf Heilung erhalten (die Clevenger ihr am Ende des 2. Bandes offensichtlich nicht mehr geben will), und nur so hat auch Trevor eine Chance erhalten, geheilt zu werden - von einer Psychose, die vermutlich/vielleicht nie ausgelöst worden wäre, wenn Clevenger ihn nicht zum Sündenbock gemacht hätte ...
Das große "Problem" des Buches für mich ist, daß Ablow kein sonderlich guter Autor ist. Gemeinhin schreibt er recht rasante kleine Thriller, die durchaus spannend sind und den Leser fesseln können, und sein Stil, sowie auch sein fundiertes psychologisches Wissen "tragen" einen über die Unebenheiten und Unzulänglichkeiten des Buches hinweg. Die komplexen psychologischen Beziehungen der Figuren, und auch Clevengers stark angeschlagenes Innenleben, hätten in diesem Fall aber einen Autor verlangt, der tatsächlich überzeugend ausdrücken kann, was er sagen möchte. Und auch einen Autor, der im Zweifelsfall nicht erst einmal eine Sex- oder eine Gewaltszene einschiebt, um den Leser von den Schwächen seiner Erzählung abzulenken. Ich habe (wie hinlänglich bekannt ist ;) ) eigentlich nie ein Problem mit Sex oder Gewalt, aber in Projection ist letzteres wirklich rein reißerisch eingesetzt - wenn gerade nichts passiert, "erinnert" sich Clevenger noch mal an die Bluttaten oder malt sich neue aus - und ersteres grenzt schon an Lächerlichkeit - man sollte gar nicht glauben, wie oft Clevenger in den 72 Stunden dieser blutrünstigen Hölle Gelegenheit für Cynthias Liebesdienste hat (er holt sie sogar ab und nimmt sie mit nach Baltimore, wohingegen ihm keine Zeit bleibt, seine bluttriefende Kleidung zu wechseln ).
Ich persönlich kann diesen Krimi wirklich nur jenen empfehlen, die unbedingt auf Vollständigkeit Wert legen, alle anderen sollten getrost einen Bogen um dieses Buch machen und lieber zu anderen "Ablows" (oder grundsätzlich anderen, besseren Krimis) greifen.
Gruß
Ute