John Irving - Witwe für ein Jahr
Inhaltsangabe:
1958 - Vor 5 Jahren haben Ted Cole, ein Kinderbuchautor, und seine Frau Marion ihre beiden Söhne durch einen Autounfall verloren. Danach haben sie eine Tochter bekommen, die inzwischen 4jährige Ruth. Die Ehe zwischen Ted, einem notorischen Frauenheld, und Marion, die ein Verhältnis mit dem 16jährigen Eddie beginnt, ist am Ende, und Marion verlässt ihre Familie.
1990 - Ruth ist inzwischen eine erfolgreiche Schriftstellerin geworden, Eddie hat auch ein paar Bücher geschrieben, allerdings mit mäßigem Erfolg. Sie macht eine Lesereise durch Europa und recherchiert für ihren neuen Roman. In Amsterdam wird sie Zeugin eines Mordes. Immer wieder wartet sie darauf, dass sich ihre Mutter irgendwann bei ihr meldet, ebenso wie Eddie, für den Marion die einzige Liebe seines Lebens war.
1995 - Ruth, inzwischen Witwe und Mutter, verliebt sich zum ersten Mal in ihrem Leben.
Ich kann mich nicht gegen das Gefühl wehren, dass Irving sich mit Lesern und Kritikern einen Mordsspaß erlaubt. Allein vier Schriftsteller unter den Hauptpersonen, dazu eine Journalistin und ein Lektor! Und alle Schriftsteller schreiben Bücher, deren Themen sie aus ihren Autobiographien nehmen ohne dass man genau die autobiographischen Einzelheiten kennt. (Eddie schreibt z.B. ein Buch mit dem Titel "Sechzig Mal", weil er im Sommer 1958 ca. 60mal mit Marion geschlafen hatte, und Ruth schreibt sogar ein Buch mit einer Schriftstellerin als Hauptfigur.) Macht Irving selbst es nicht auch so?
Ruth wird bei einer Diskussion vorgeworfen, ihre Ideen aus vorherigen Büchern in neuen zu recyceln. Kennt man auch von Irving.
Genial finde ich, wie Irving es schafft, die grauenhafte Schilderung vom Unfalltod der Söhne, den die Eltern miterlebten, in den Kontext einer alltäglichen Situation zu betten und damit die Grausamkeit und Unfassbarkeit eines solchen Geschehens umso stärker darzustellen.
Die Trauer um die toten Jungen durchzieht das ganze Leben der Protagonisten auch ohne dass ständig jemand darüber redet oder seine Gefühle offenlegt. Irving hat als Symbol dafür die Fotos gewählt, die in allen Räumen des gemeinsamen Hauses von Ted und Marion hängen, mit denen Ruth aufwächst und mit denen auch Eddie konfrontiert wird. Marion nimmt bei ihrem Auszug nichts mit als diese Fotos, und einzelne dieser Bilder spielen in den verschiedenen Romanen der vier Schriftsteller eine Rolle. Der Tod eines Kindes ist eine Wunde, die auch die Zeit nicht heilt, sagt das Buch ohne Sentimentalität und ohne dauerndes Herumstochern in der Wunde.
Wieder ein Irving-Buch, von dem ich begeistert bin. Nicht so skurill und von verrückten Personen bevölkert wie "Garp" und im zweiten Teil - bei Ruths Romanrecherchen - etwas langatmig, aber auf seine Weise ebenso lesenswert.
Und wenn zum Schluss jeder sein Happy End findet, kann man es ihm als Leser von Herzen gönnen.
Marie