Viola Roggenkamp - Familienleben

  • Ich wollte euch noch ein Buch vorstellen was ich schon vor einiger Zeit gelesen habe.. Ich bin ziemlich erstaunt, dass hier noch niemand über das Buch geschrieben hat, weil es wirklich wunderbar ist...
    Aber hier erstmal die Amazon Inhaltsangabe:


    Die 13-jährige Fania Schiefer, Ich-Erzählerin des Romans, gleicht einem hochempfindlichen Sensor für sämtliche Störfelder, die an sie von außerhalb herangetragen werden. Vordergründig gleicht das Leben in der etwas maroden Villa im feinen Hamburger Stadtteil Harvestehude dem einer ganz normalen, etwas chaotischen Familie. Montags verabschiedet sich Vater Paul, um als Vertreter für Brillengestelle das Land zu bereisen, bis er, sehnsüchtig erwartet von seiner Frau Alma, den Töchtern Fania und Vera, sowie Schwiegermutter Hedwig, am Freitag nachmittag wieder auftaucht. Ganz allmählich nur, stückchenweise, gibt Viola Roggenkamp den Blick frei auf die Verhältnisse unter der bürgerlichen Oberfläche.


    Unter der Schicht eines Entwicklungsromans zweier Schwestern verbirgt sich ihr eigentliches Thema: Inmitten eines Volkes von Tätern und Mitläufern scheint für eine deutsch-jüdische Familie im Jahr 1967 so etwas wie Normalität nur durch Verdrängung möglich. Mutter Alma, aufgrund ihrer Ehe mit dem Deutschen Paul dem KZ nur knapp entronnen, wurde in der Folge zum traumatisierten Bollwerk gegen eingebildete und tatsächliche Anfeindungen. Dass dies alles bei Viola Roggenkamp im luftigsten Unterhaltungston stattfindet -- macht es nur umso unerträglicher. Böse sensibilisiert, erkennt der Leser den noch immer funktionstüchtigen Herrenmenschen in der Maske des Biedermannes. Den boshaften Lehrer Wilhelm Bobbenberg, der vor der Klasse ungeniert Fanias Rechtschreibschwäche lächerlich macht; die Beamten mit "Messerscheitel", deren "Schnauzen" Alma Schiefer nur zu gut kennt.


    Wie eine Löwin wacht die von den Gräueln der Vergangenheit Traumatisierte über Wohl und Wehe ihrer Töchter. Für Fania und Vera gerät ihr Heim zu einer Art Gefängnisaufenthalt mit Freigang und Besuchserlaubnis. Die kindliche Perspektive ist das eigentlich Kühne in Roggenkamps thematischem Ansatz. Wieviel "deutsche" Normalität ist den Nachkommen von Nazi-Opfern gestattet, wie tief sind sie vom grausamen elterlichen Schicksal geprägt -- und wie sehr eigener Erfahrungen beraubt! Mit poetischer Kraft und verblüffender Bildsprache hat Viola Roggenkamp ihre Sätze von der Suche nach einer jüdischen Identität und dem sexuellen Erwachen zweier junger Mädchen aufgeladen. Die Feministin Roggenkamp, auf zahlreichen publizistischen Feldern tätig, hat den Roman ihres Lebens geschrieben. Ein Werk von verstörender und magischer Anziehungskraft. --Ravi Unger



    Tja ich kann nur sagen, dass das Buch so wunderbar geschrieben ist. obwohl es teilweise recht hektisch wirkt ist es trotzdem schön zu lesen... jetzt wo ich das gerade hier so schreibe, werde ich das buch wohl noch einmal lesen, weil es wirklich schön war. Also ich kann euch das wirklich nur wärmstens empfeheln...

  • Hallo,
    ich habe das Buch vor einigen Jahren gelesen und kann obiger Beschreibung nur zustimmen.


    Viele Grüße
    Leseratte

    ...Dann sagte ein Lehrer: Sprich uns vom Lehren.
    Und er sagte:
    Niemand kann Euch etwas eröffnen, das nicht schon im Dämmern Eures Wissens schlummert.


    Khalil Gibran
    Der Prophet

    Einmal editiert, zuletzt von leseratte4 ()

  • So, geschafft...


    Ich kann mich Booky nur anschießen. Dieses Buch ist auf jeden Fall lesenswert und es behandelt das Themas des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung ma auf eine ganz andere Art.


    :thumleft:

  • "Ein großer, schöner Familienroman. Wenn man dieses Buch liest ist man glücklich" (Elke Heidenreich).


    Zum zweiten Mal schon bin ich auf Elke Heidenreichs Versprechen, ein Buch mache glücklich, reingefallen. Was - bitte - macht beim Lesen dieses Buches glücklich???


    Das Thema? Wohl kaum
    Da sind Alma und ihre Mutter Hedwig, überlebende Juden des Holocaust. Gerettet dank Paul, inzwischen Almas Ehemann. Sie haben zwei Töchter, die sie, geprägt von ihrem Trauma und unspezifischen Ängsten, wie Gefangene im Haus halten. Dadurch sind die Kinder nicht in der Lage, positive Erfahrungen mit Eigenständigkeit und Freiheit zu machen. Sie gelten nur als Teil der Familie etwas, aber nicht als selbstbestimmte Persönlichkeiten.


    Der Plot? Eher nicht
    Es werden Begebenheiten aneinandergereiht, mal erschütternd, mal amüsant, mal belanglos. Das Buch enthält keine "Geschichte", nur Geschichtchen. Auf eine Steigerung bis zum Höhepunkt wartet man vergeblich. Einige dieser Geschehnisse sind wichtig, um die Hintergründe kennenzulernen, andere hätte man auslassen können, ohne das es dem Verständnis geschadet hätte.


    Die Sprache? Garantiert nicht
    Erzähltext, Dialoge, Assoziationen und Innensichten sind ohne Kenntlichmachung in einem Fluss geschrieben, stellenweise sehr verwirrend und gespickt mit Andeutungen.


    Was in dem Buch gut dargestellt wurde (mich aber auch nicht glücklich macht): Die Heimatlosigkeit der Davongekommenen. Sie haben ihr nacktes Leben gerettet, aber sonst nichts. Die Nachkriegsdeutschen unterscheiden sich in ihren Einstellungen und Handlungen nicht wesentlich von den Leuten in den 30er und 40er Jahren. Jude sein heißt immer noch "ausgeschlossen und anders sein". Und mit ihren Erinnerungen, den seelischen und körperlichen Nachwirkungen sind sie sowieso allein gelassen.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Ich war davon auch nicht restlos begeistert, hier meine Rezension von damals:


    Hamburg 1967. In einer vom Verfall bedrohten alten Villa leben die 13jährige Fania und ihre ältere Schwester Vera mit ihren Eltern und der Großmutter. Die Mädchen wachsen extrem behütet auf - die Mutter hat als Jüdin den Holocaust überlebt, der Vater wurde wegen seiner Beziehung zu ihr ebenfalls verfolgt, und nun hat Alma Schiefer Angst um ihre beiden Töchter, Angst, sie auf die Straße zu lassen, da ihnen ja etwas zustoßen könnte. Weiter als in den Garten dürfen sie sich alleine nicht vorwagen, nach dem Unterricht müssen sie sofort nach Hause kommen.


    Diese erdrückende Atmosphäre belastet beide Mädchen sehr, vor allem aber die ernste, nachdenkliche Fania, die so gern eine Freundin hätte, sehnlich auf ihre erste Regel wartet und unbedingt wissen will, was in den alten Akten steht, die im Keller versteckt liegen. Fania, eigentlich ein sehr intelligentes Mädchen, leidet an einer unerklärlichen Rechtschreibschwäche, die ihr den Schulalltag verleidet.


    Der Vater ist Brillenvertreter, das Geschäft läuft mittelmäßig - eigentlich ist die Mutter die Geschäftstüchtigere der beiden. Als die Villa verkauft werden soll, weil Hainichen, der Eigentümer, die Kosten für die dringend notwendige Renovierung nicht tragen will, setzt sich Alma in den Kopf, das Haus zu kaufen, in dem sie seit so langer Zeit wohnt.


    Vera hat währenddessen eine Affäre mit dem verheirateten Hainichen - einem Ex-Nazi...


    Schön fand ich an diesem Buch, auch einmal über Juden in Deutschland NACH dem Krieg zu lesen - die meisten Bücher behandeln die Schicksale in der Nazizeit und danach höchstens eine Auswanderung. Die jiddischen Ausdrücke, die Großmutter und ihr "Damenkränzchen" mit einigen Freundinnen, die mit ihr das KZ überlebt haben, die ständigen Schatten der Vergangenheit fand ich sehr gut eingefangen.


    Negativ dagegen fiel mir der teils verworrene Stil auf, die fehlenden Anführungszeichen machten es oft schwer, die wörtliche Rede zu verstehen, manchmal war kaum zu unterscheiden, was Gegenwart und was Vergangenheit ist. Und das Ende empfand ich als aufgesetzt und überflüssig.