Thomas Hardy - Der Bürgermeister von Casterbridge/The Life and Death of the Mayor of Casterbridge

  • Hallo ihr,


    heute habe ich von Thomas Hardy "Der Bürgermeister von Casterbridge" zu Ende gebracht.


    Inhalt:
    Der Bürgermeister von Casterbridge ist die Geschichte vom Aufstieg eines mittellosen Trinkers zum wohlhabenden Getreidehändler und Bürgermeister. Doch eine alte Schuld aus der Vergangenheit holt ihn wieder ein: Als junger Mann hatte er im Alkoholrausch Frau und Baby an einen Matrosen verkauft; nun, fast zwanzig Jahre später, kommen seine Frau und Tochter nach Casterbridge - doch seine Versuche, das Unrecht wiedergutzumachen, enden dramatisch...


    Meine Meinung:
    Mich hat das Buch v.a. wegen der Zeit interessiert, in der die Geschichte spielt, so um 1840. Gerade, wenn man das Cover sieht, denkt man irgendwie auch sofort an Jane-Austen-Verfilmungen... :D
    Insgesamt hat sich das Lesen für mich gelohnt, auch wenn ich zugeben muss, dass das Buch an manchen Stellen ganz schön langatmig ist und der Spannungsbogen oft abflacht.
    Man muss jedoch sagen, dass es Thomas Hardy hierbei sicher nicht drum ging, einen Spannungsroman zu schreiben, sondern dass er eher eine Charakterstudie der Hauptperson im Zusammenspiel mit den Nebencharakteren beabsichtigt hat. (Der Nebentitel heißt auch "Leben und Tod eines Mannes von Charakter")
    Und so kommt es zu Verstrickungen und Knotenlösungen zwischen dem Bürgermeister, seiner Frau, seiner Tochter, seinem besten Freund, seiner ehemaligen Geliebten,... und am Schluß entsteht ein, meiner Meinung nach, sehr interessantes Bild eines Beziehungsgeflechts mit allen Facetten der menschlichen Emotionen.


    Das Buch ist anscheinend auch unter dem Titel "Das Reich und die Herrlichkeit" verfilmt worden, den ich selbst noch nicht gesehen habe. Ob es der Film jedoch schafft, die einzelnen Charaktere so rüberzubringen, wie es Hardy's Absicht war, wage ich zu bezweifeln. Da würde ich dann doch eher die Buchlektüre empfehlen.


    Ein weiteres Plus an dieser Ausgabe ist, dass am Schluss ein ca. 18seitiges Nachwort angehängt ist, in dem auch ein bißchen auf den Inhalt des Romans und seine Aussagen eingegangen wird.

    Ein schönes Buch ist wie ein Schmetterling. Leicht liegt es in der Hand, entführt uns von einer Blüte zur nächsten und lässt den Himmel ahnen. (Lao-Tse)

  • Ich schließe mich All-4-Ones Empfehlung in jedem Fall an. Die Geschichte ist ziemlich pralles Leben, anders als bei Jane Austen und auch den Bronte-Schwestern, eine ganze Stadt spielt eine Rolle, es ist nicht diese abgeschlossene Welt mit nur wenigen handelnden Personen. Eine lohnende Lektüre!


    Katia

  • Ohja, das hab ich auch vor kurzem in der Uni-Bibliothek entdeckt und werde es beizeiten ausleihen... :P


    Ich würde auch lieber das Buch lesen als den Film zu schauen - aber trotzdem wärs interessant zu erfahren, ob jemand hier den Film kennt und was dazu sagen kann.

  • Michael Henchard verdient seinen mageren Lohn als wandernder Heubinder. Eines Tages ist er mit Frau und Kind unterwegs auf der Suche nach einem neuen Arbeitgeber, als die kleine Familie auf einen Jahrmarkt stößt. Aus einer betrunkenen Laune heraus bietet Henchard seine Frau und seine kleine Tochter einem durchreisenden Seemann zum Kauf an. Der schlägt ein, und Susan Henchard ergibt sich ihrem Schicksal und folgt ihm nach Amerika.

    Fast zwanzig Jahre später kehren Susan und ihre Tochter Elizabeth-Jane nach Dorset zurück. Henchard hat einen rasanten Aufstieg hingelegt und ist nicht nur erfolgreicher Geschäftsmann im Getreidehandel, sondern hat es bis zum Bürgermeister der Stadt Casterbridge geschafft. Er ist ein angesehener, respektierter Mann geworden und heilfroh, dass niemand etwas von jener unseligen Transaktion im Schankzelt weiß. Doch mit der Rückkehr der beiden Frauen beginnt eine Kette von Ereignissen, die für Henchard nichts Gutes bedeutet.

    Thomas Hardy versteht es meisterhaft, Landschaften und Menschen auf eine eindrucksvolle Weise zu porträtieren. Er wertet nicht, kommentiert nur selten und lässt ganz oft einfach die Worte und Taten seiner Protagonisten für sich sprechen. Michael Henchards Abstieg scheint aufgrund seiner Charaktereigenschaften vorprogrammiert, und mit einer gewissen traurigen Faszination lässt uns Hardy dabei zusehen, wie er sich immer mehr ins Aus manövriert. Er erzählt fast durchgängig von Fehlentscheidungen, Unbedachtheit und auch Grausamkeit, schlachtet dabei aber das Leid seiner Charaktere nicht aus, sondern schildert einfach nur.

    Henchard ist der Dreh- und Angelpunkt dieser Geschichte, doch auch die Perspektiven anderer wichtiger Figuren rücken immer wieder in den Mittelpunkt. Alles ist in diesem Buch irgendwie miteinander verzahnt wie ein kompliziertes Räderwerk; wenn sich ein Rädchen dreht, löst es auch Bewegungen der anderen aus - oft genug in eine gänzlich überraschende Richtung.

    Ein Gute-Laune-Buch ist der "Bürgermeister" nicht gerade, aber Hardy stellt erneut unter Beweis, dass er ein guter Menschenkenner ist und entwirft oft widersprüchliche, nicht immer sympathische, aber doch irgendwie faszinierende Figuren und schlägt dabei auch durchaus gesellschaftskritische Töne an.

    Meine englische Penguin-Ausgabe enthält noch ein recht informatives Nachwort, das sich unter anderem mit dem potentiell irreführenden Untertitel "Ein Mann von Charakter" beschäftigt und eine schöne Abrundung der Lektüre war.


    (Übrigens heißt mein Buch einfach nur "The Mayor of Casterbridge").

  • Aus einer betrunkenen Laune heraus bietet Henchard seine Frau und seine kleine Tochter einem durchreisenden Seemann zum Kauf an. Der schlägt ein, und Susan Henchard ergibt sich ihrem Schicksal und folgt ihm nach Amerika.


    :shock: Wie (un)realistisch ist das denn?!


    Ich habe bisher noch kein Buch von Thomas Hardy durchgehalten, weil ich seine ausgedehnten Landschaftsbeschreibungen ermüdend fand. :sleep: Aber Deine gute Beurteilung gibt mir jetzt doch zu denken, wir haben ja gelegentlich den gleichen Geschmack.
    Da mein letzter Anlauf mit diesem Autor in meiner Jugend stattfand, wäre es vielleicht einen Versuch wert, ob ich seinen Schreibstil in meinen reiferen Jahren anders wahrnehme... :-k


    Edit: Das englische E-Book gibt es kostenlos, ich lade es mal runter und teste es (demnächst) an.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998


  • :shock: Wie (un)realistisch ist das denn?!


    Das klingt schon sehr schräg, wenn man es so zusammengefasst liest, aber aus der Situation heraus, wie sie sich im Buch darstellt, fand ich es zwar krass, aber in gewisser Weise nachvollziehbar und, ja, durchaus glaubwürdig.


    Zitat

    Ich habe bisher noch kein Buch von Thomas Hardy durchgehalten, weil ich seine ausgedehnten Landschaftsbeschreibungen ermüdend fand. :sleep: Aber Deine gute Beurteilung gibt mir jetzt doch zu denken, wir haben ja gelegentlich den gleichen Geschmack.
    Da mein letzter Anlauf mit diesem Autor in meiner Jugend stattfand, wäre es vielleicht einen Versuch wert, ob ich seinen Schreibstil in meinen reiferen Jahren anders wahrnehme... :-k


    Könnte ich mir gut vorstellen. Mich stören Landschafts- und ähnliche Beschreibungen generell nicht, wenn sie schön geschrieben sind, aber es kann gu sein, dass Du das Ganze jetzt anders wahrnimmst.


    Womit hattest Du es denn versucht? Mir haben bisher "Far From the Madding Crowd" und "The Woodlanders" am besten gefallen. Man muss aber natürlich einen eher ruhigen Erzählstil mögen.


    Aber berichte mal, wenn Du's wagen solltest, würde mich interessieren!

  • Womit hattest Du es denn versucht? Mir haben bisher "Far From the Madding Crowd" und "The Woodlanders" am besten gefallen. Man muss aber natürlich einen eher ruhigen Erzählstil mögen.


    Ich habe "The Return of the Native" so mehr oder weniger quergelesen, weil es auf der Lektüreliste des Studiums stand. "Tess of the D´Urbervilles" habe ich entnervt abgebrochen, weil es lange nicht so interessant war, wie ich es erwartet hatte. In solchen Zwangslagen habe ich mich dann mit Kindlers Literaturlexikon beholfen, sodass ich wenigstens wusste, worum es ging. :-, Wie gesagt, ich war damals Anfang Zwanzig und bevorzugte literarisch etwas mehr Action. :wink:
    "Far from the Madding Crowd" ruht seit Jahr(zehnt)en auf dem SuB.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • "Far from the Madding Crowd" ruht seit Jahr(zehnt)en auf dem SuB.


    Nicht doch, liebe €nigma. Da sollte es aber schnell erlöst werden. Far from the madding crowd Ist mein Lieblingsroman von Thomas Hardy.
    Ist zwar schon ewig her das ich ihn gelesen habe, aber paar Bilder sind noch in meinem Kopf verblieben. Es lohnt sich auf jeden Fall. :thumleft:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Es lohnt sich auf jeden Fall.


    Falls die Seiten noch nicht so vergilbt sind, dass ich keine Buchstaben mehr erkenne, kann ich es ja mal probieren. Wenn so viele Büchertreffler auf den alten Hardy stehen, muss doch irgendetwas dran sein...

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Gib ihm doch noch mal eine Chance ;)


    "Tess" hat mir gut gefallen, auch wenn es zumindest am Anfang nicht sehr actionreich ist.


    "Far From the Madding Crowd" wurde jetzt neu verfilmt mit Carey Mulligan in der Hauptrolle. Darauf bin ich schon sehr gespannt.

  • Gib ihm doch noch mal eine Chance ;)


    Im Moment bin ich wieder total ausgeBUCHt, aber wenn ich meine vorbestellten Büchereibücher abgehakt habe, werde ich zumindest reinlesen. Bei kostenlosen E-Books hat man glücklicherweise nichts zu verlieren.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998