Inhalt:
Bittersüß und zutiefst politisch schreibt Dimitrij Kapitelman in seinem neuen Roman über Familie und die (Un-)Möglichkeit der Verständigung in Zeiten alter und neuer Kriege.
Eine Familie aus Kyjiw verkauft russische Spezialitäten in Leipzig. Wodka, Pelmeni, SIM-Karten, Matrosenshirts – und ein irgendwie osteuropäisches Zusammengehörigkeitsgefühl. Wobei, Letzteres ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine nicht mehr zu haben. Die Mutter steht an der Seite Putins. Und ihr Sohn, der keine Sprache mehr als die russische liebt, keinen Menschen mehr als seine Mutter, aber auch keine Stadt mehr als Kyjiw, verzweifelt. Klug ist es nicht von ihm, mitten im Krieg in die Ukraine zurückzufahren. Aber was soll er tun, wenn es nun einmal keinen anderen Weg gibt, um Mama vom Faschismus und den irren russischen Fernsehlügen zurückzuholen? Ein Buch, wie nur Dmitrij Kapitelman es schreiben kann: tragisch, zärtlich und komisch zugleich.
Rezension:
Berührend, aufzeigend und manchmal witzig
Eine Geschichte die aufzeigen will, dass es nie nur schwarz oder weiß gibt, dass Familien weitab vom Kriegsgeschehen ebenso Trennung und Schmerz, Verlorensein und Unverständnis erleben wie sie auch der Versuchung von Propaganda erliegen können. Bei all den schweren Themen hatte ich dennoch nicht das Gefühl einen deprimierenden Text vor mir zu haben. Dmitrij Kapitelman hat einige witzige Szenen eingebaut, die auflockern.
Auch, wenn immer wieder russische Wörter und Sätze einfließen, so ist der Lesefluss dadurch nicht wesentlich unterbrochen. Da ich weder russisch noch ukrainisch sprechen und lesen kann, musste ich diese sowieso überspringen. Meistens wurden sie aber sofort übersetzt oder der Sinn ergab sich aus dem Zusammenhang. Ich konnte mit dem Schreibstil des Autors sehr gut umgehen.
Die Hauptfigur war mir greifbar und sympathisch. In seinem Versuch der Mutter eine andere Sichtweise zu zeigen, sich selbst zu finden und Ansichten zu hinterfragen, wurde er menschlich und verletzlich dargestellt.
„Russische Spezialitäten“ hat mich auf eine Reise mitgenommen. Nicht nur auf eine Reise in die vom Krieg fest umklammerte Ukraine, sondern auch auf die Suche des Sohnes nach seiner Identität. Es berührt, zeigt auf und lässt mitfühlen.