Tilo Eckardt - Gefährliche Betrachtungen

  • Kurzmeinung

    Buchbesprechung
    Unterhaltsam, aber oberflächlich
  • Kurzmeinung

    kleine_hexe
    Thomas Mann, der scheinbar weltfremde Schriftsteller, ist sich seiner politischen Verantwortung wohl bewusst.
  • Sherlock Mann und Dr. Müller


    Thomas Mann goes Crime? Coole Idee. Fand wohl auch der Autor Tilo Eckardt und hat mit „Gefährliche Betrachtungen“ seinen 1. Fall (ja, der 2. Fall erscheint 2025 *freu*) für das im wahrsten Sinne des Wortes ungleiche Ermittlerpaar Thomas Mann und seinen (fiktiven) litauischen Übersetzter Zydrunas Miuleris im Droemer Verlag veröffentlicht.


    Der Autor lässt Thomas Mann bereits während seines Sommerurlaubs 1930 auf der Kurischen Nehrung seine berühmte Rede „Ein Appell an die Vernunft“ schreiben und strickt daraus den eingangs erwähnten Kriminalfall. Denn nachdem Zydrunas Miuleris am Strand von Nidden durch einen im wahrsten Sinne des Wortes windigen Zufall Thomas Mann kennengelernt und ihm seinen Wunsch, die „Buddenbrooks“ ins Litauische übersetzen zu dürfen, vorgetragen hat, entspinnt sich ein Kriminalfall, der weder Raub noch Erpressung noch einen Toten auslässt. Allerdings dürften Die Hard-Krimileser:innen enttäuscht werden, wenn sie auf actiongeladene Verfolgungsszenen etc. setzen. Denn eigentlich steht in „Gefährliche Betrachtungen“ etwas ganz Anderes im Vordergrund, nämlich die kurische Nehrung, ihre Atmosphäre und wie sie sich dem herannahenden Nationalsozialismus stellt sowie den Auswirkungen auf Thomas Mann und seine Arbeit.


    Mit viel Witz, Humor und manchmal auch etwas Slapstick, aber auch dem ein oder anderen denkwürdigen Satz (egal ob real oder fiktiv) versuchen die zwei Hobbydetektive Thomas Mann und sein Übersetzer, der von Mann nur „Müller“ genannt wird, dem „Verbrechen“ auf die Spur zu kommen.


    In manchen Szenen spricht der inzwischen über 100-jährige Ich-Erzähler Zydrunas direkt mit der Leserschaft, was für zusätzlichen Witz sorgt.


    Natürlich ist der Großteil des Romans fiktiv und doch hat Tilo Eckardt genug Authentizität verarbeitet, dass man als Leser:in erschreckende Parallelen zur heutigen politischen Weltlage ziehen kann. Was Fiktion und Realität ist, wird auch in dem kurzen, aber durchaus relevanten Nachwort erklärt. Zusätzlich enthalten ist ein Literatur- und Quellenverzeichnis.


    Mir jedenfalls hat „Gefährliche Betrachtungen“ ein paar sehr unterhaltsame Lesestunden beschert und ich spreche eine absolute Leseempfehlung aus!


    ©kingofmusic

  • Nidden, Sommer 1930: Forsch macht sich der 20jährige Literaturliebhaber und Übersetzer Miuleris an sein Idol Thomas Mann heran und umgehend geraten beide in einen politisch angehauchten Kriminalfall. Das ist fiktiv und zieht sich doch an historischen Personen und den politischen Ereignissen entlang.


    Und es ist kunstvoll geschrieben, sehr im Ton der damaligen Zeit, auch die Figuren sind ganz "von früher", der Autor beherrscht sein Handwerk. Daraus folgt ein gemächliches, sprachfreudiges Werk für Menschen mit Muße. So stelle ich mir den Leser vor, der dieses Buch so richtig schätzen kann: ein Feingeist mit Zeit und Geduld in seinem Sessel mit einem Glas Wein.


    Vielleicht fehlte der Wein, ich war etwas ungeduldig und musste mich zwingen weiterzulesen. Irgendwie gab es in mir keine Frage, auf die dieses Buch die Antwort gewesen wäre.

  • Thomas Mann war verdammt cool. Bis auf die Strumpfhalter ...


    Der junge Übersetzer Žydrūnas Miuleris hat einen Traum. Er möchte die „Buddenbrooks“, Thomas Manns preisgekrönten Gesellschaftsroman, in die litauische Sprache übersetzen. Dank zäher Beharrlichkeit kann er einen glücklichen Zufall nutzen und sein Idol kennenlernen. Ungewollt bringt Miuleris den Dichter jedoch in große Gefahr.


    1930. Es herrschen unruhige Zeiten. In Deutschland droht der Zusammenbruch der Weimarer Republik und das braune Schreckgespenst erhebt bereits sein Haupt. Selbst hier an Thomas Manns Zufluchtsort Nidden führen die jungen Männer Wehrübungen durch und verwenden den Hitlergruß. In dieser Situation begegnen sich der Literaturnobelpreisträger und der junge litauische Übersetzer. Aufgerüttelt durch die jüngsten Ereignisse, hat sich Thomas Mann entschlossen, die deutsche Bevölkerung vor der Bedrohung durch die Nationalsozialisten zu warnen. Durch einen Zufall erhält Miuleris Kenntnis davon und fertigt eine Abschrift des Redeentwurfs an. Während einer Wirtshausschlägerei kommt ihm die Kopie abhanden und er muss Thomas Mann seine gefährliche Unbesonnenheit eingestehen. Notgedrungen beschließen die beiden Männer, den Dieb zu entlarven und den brisanten Text zu sichern.


    „Gefährliche Begegnungen“ ist mein erstes Buch des Autors Tilo Eckardt. Das Cover trug zur Entscheidung für das Buch bei. Ein Mann im Anzug, mit Hut und Stock, Thomas Mann, steht an einem verlassenen Strand und blickt hinaus aufs Meer. Was sieht er? Ausschlaggebend war aber der Plot, mit dem hatte der Autor mich sofort in der Tasche. Thomas Mann auf den Spuren Sherlock Holmes? Das konnte ich mir nicht entgehen lassen.


    Tilo Eckardt verleiht seinen Haupt- und Nebencharakteren Individualität und Glaubwürdigkeit. Der junge Übersetzer Žydrūnas, der beharrlich sein Ziel verfolgt und mit seiner Unbesonnenheit das Team Mann/Miuleris bzw. Müller in manche groteske Situation bringt, der erfolgreiche, komplizierte Schriftsteller, der sich Gesichter aber keine Namen merken kann und aus Miuleris kurzerhand Müller macht, die tatkräftige, patente Pensionswirtin Frau Bryl, die dem naiven Miuleris mehr als einmal hilft, der knorrige Fischer und Kutscher Pinkis, die illustre Trinkgemeinschaft im Gasthof Blode um Ernst Mollenhauer und Max Pechstein. Nicht zu vergessen Ludvik, den riesigen Kaukasischen Owtscharka, dessen Namen sich Thomas Mann durchaus merken kann, wie Miuleris angesäuert mitteilt.


    Tilo Eckardt passt seinen Schreibstil der Sprache der 1930er Jahre an, was die Erzählung noch authentischer wirken lässt. Ihm gelingt es, die Atmosphäre jener Zeit wieder aufleben zu lassen und mit dem Leser in die Vergangenheit zu reisen. Mit seiner bildhaften Sprache beschreibt er die beeindruckende Landschaft der Kurischen Nehrung, die eine Hauptrolle in der Geschichte übernimmt. Seine Naturbeobachtungen kann der Autor wirklich gut in Sprache übersetzen, allerdings war es mir manchmal ein bisschen viel Landschaft. An Humor mangelt es ihm auch nicht, was der Titel meiner Rezension beweist. So beschreibt Miuleris sein Idol beim ersten Zusammentreffen am Strand.


    Die Idee, die Geschichte aus der Sicht des über Hundertjährigen Miuleris zu erzählen, erweist sich als sehr gelungen. Augenzwinkernd merkt dieser an, dass er keine nachweisbare Spur im Leben Thomas Manns hinterlassen habe. Es bleibt dem Leser überlassen, zu entscheiden, was Fiktion und was Fakt ist. Die Rede, deren gestohlenes Manuskript den Ausgangspunkt des Kriminalfalls darstellt, hat Thomas Mann tatsächlich gehalten am 17. Oktober 1930 in Berlin. Sein Sommerhaus auf der Kurischen Nehrung dient heute als litauisch-deutsches Kulturzentrum. Im lesenswerten Nachwort gibt der Autor Auskunft darüber, was historisch belegt ist und was fiktiv. Leider entspricht das Schlusswort, das er Thomas Mann überlässt, damals wie heute der Wahrheit.


    Mein Fazit:


    Tilo Eckardt hat mit „Gefährliche Betrachtungen“ einen Roman geschrieben, dessen Plot mich sofort angesprochen und meine Erwartungen voll erfüllt hat. Die Erzählung ist mehr eine Hommage an Thomas Mann als ein spannender Krimi, Trotzdem hat das Detektivteam Mann & Müller durchaus Potenzial. Gut gefallen haben mir auch die Einblicke in die Denkweise eines Übersetzers. In seinen Rückblicken deutet Miuleris wiederholt an, dass es noch mehr zu erzählen gebe, bspw. angesichts der rauchenden Ruinen von Frau Bryls Villa Bernstein. Auf diese Fortsetzung, die der Autor gerade schreibt, bin ich schon sehr gespannt.


    Ich vergebe 4,5 von 5 Sternen und eine Leseempfehlung an alle, die eine Erzählung mit gemächlichem Tempo genießen können.

  • Sommerfrische mit Thomas Mann


    „Gefährliche Betrachtungen“ ist bereits auf den ersten Blick ein liebevoll und ansprechend gestaltetes Buch, gebunden und mit einem Lesebändchen versehen, und den Umschlag ziert ein Bild, das in seiner Komposition wage an ein Gemälde von Caspar David Friedrich erinnern könnte. Unverkennbar gewährt es einen Blick auf die Ostsee, genauer gesagt auf das Kurische Haff. Und bereits der Untertitel verrät, dass es sich in diesem Roman um den deutschen Literaturnobelpreisträger Thomas Mann drehen wird. Ob es sich allerdings tatsächlich um einen Kriminalroman handelt, wird noch zu berichten sein.


    Ort der Handlung ist der kleine Bade- und Fischerort Nidden (litauisch Nida), der auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken kann. Zur Zeit der Handlung gehörte er zum unabhängigen Litauen, jedoch erinnerte noch vieles an die vorherige Zugehörigkeit zum Deutschen Reich. Insbesondere die Künstlerkolonie um das Gasthaus von Hermann Blode animierte auch weiterhin Künstler und Intellektuelle hier ihre „Sommerfrische“ zu verbringen. Einer von ihnen war Thomas Mann, der sich im Ort ein Ferienhaus bauen lies und drei Sommer in Folge auf der Kurischen Nehrung verbrachte.


    Dies greift Tilo Eckardt in seinem Roman auf und spielt mit einem Wechsel zwischen historischer Wahrheit und dichterischer Freiheit. Entstanden ist dabei eine Hommage an diesen besonderen Ort Nidden, aber auch an den großen Thomas Mann. Sein fiktiver Held ist ein junger ambitionierter Student und Übersetzer, Žydrūnas Miuleris, ein glühender Verehrer des dotierten Schriftstellers, und entflammt für seine Kommilitonin Dalia, die in den Semesterferien bei Hermann Blode kellnert. Miuleris träumt davon, die Buddenbrooks ins Litauische zu übersetzen, und sucht deshalb die Begegnung mit Mann. Dabei beeinträchtigt ihn ein gewisser Hang, zielgerichtet in irgendeine Tölpelei zu geraten. Man muss ihn einfach gernhaben, denn sein Herz sitzt am rechten Fleck.


    Eckardt zeichnet ein wunderbares Sittengemälde der damaligen Zeit. Leicht ironisch beschreibt er die Menschen und ihr Denken, ob es sich dabei um eine Pensionswirtin aus Nida handelt, um bekannte Künstler, um sich erholende Großbürger mit Hang zum Faschismus oder eben um Thomas Mann. Dabei nimmt er sich Zeit, beschreibt detailreich die wunderschöne Landschaft der Kurischen Nehrung, die Eigentümlichkeiten der auftretenden Personen und die Gedankengänge des Helden, der all dies im stolzen Alter von über 100 Jahren rezipiert. Sprachlich orientiert Eckardt sich dabei an der damaligen Zeit. Und so spürt man geradezu den Müßiggang, den die Sommerfrischler sich hingaben.


    Ein Buch, dass in den 1930er Jahren spielt, ist naturgemäß immer auch ein politisches Buch. An mancher Stelle ist es erschreckend aktuell, jedoch bleibt dies im Hintergrund. So, wie auch der „Kriminalfall“, um den es schlussendlich geht. Ich muss gestehen, ich habe dieses Buch nicht als Krimi empfunden, was meiner Leselust keinen Abbruch getan hat. Wunderbar parodiert Eckardt Sir Arthur Conan Doyle, wenn Miuleris und Mann sich der Kunst der Deduktion hingegen. Herrlich ist auch die Beschreibung eines expressionistischen Gemäldes aus der Sicht des jungen Studenten. So habe ich während der Lektüre oft laut gelacht. Voller Überzeugung vergebe ich eine 5 Sterne Leseempfehlung.


    Erstaunt hat mich, dass offenbar einen kriminalistischer Folgeband um das „Ermittlerduo“ in Planung ist, denn für mich war dieser Roman eigentlich abgeschlossen. Tilo Eckardt schrieb ihn unterstützt von der Nordic Culture Foundation und weiterer Kulturfonds in einer Autorenresidenz in unmittelbarer Nachbarschaft zu Thomas Manns ehemaligen Sommerhaus.

  • Ein Roman über einen Titanen der deutschen und Weltliteratur

    Thomas Mann, der Grandseigneur der deutschen Literatur ist 1930 schon der große berühmte und bekannte Autor. Auch in Litauen, an der kurischen Nehrung (ehemals Memelland), folgt ihm sein Ruhm. Ein junger Übersetzer, Zydrünas Miuleris möchte Thomas Manns Werke ins Litauische übersetzen und benötigt hierfür die Einwilligung des Autors. Aber wie soll Miuleris mit dem großen Autor in Kontakt treten, wenn Thomas Mann zurückgezogen lebt, die Öffentlichkeit scheut und jeden Kontakt nach außen ablehnt? Miuleris kommt der Wind zu Hilfe. Am Strand, in einem Strandkorb sitzt Thomas Mann nd liest einige Papiere durch, als ein Windstoß und spielende Kinder ihm die Papiere aus der Hand reißen. Sofort eilt Miuleris zu Hilfe, fängt die Papiere ein, wirft einen Blick darauf und überreicht sie Thomas Mann. So kommen sie ins Gespräch und die Geschichte nimmt ihren Lauf.

    Das Memelland hat eine verzwickte historische Entwicklung im 20. Jahrhundert durchgemacht. Nach dem 1. Weltkrieg wurde es von Deutschland - Ostpreußen getrennt, war kurzzeitig unter französischen Protektorat, wurde von Litauen unter nicht ganz geklärten Umständen annektiert, dann 1939 wieder an das Deutsche Reich zurückgegeben, um danach von der Sowjetunion samt Litauen eingenommen zu werden. Doch das Jahr der Handlung im Roman ist 1930. Die Kurische Nehrung gehört offiziell zu Litauen, das Gebiet ist zweisprachig, viele Deutsche kommen her in die Sommerfrische, lassen sich da Häuser bauen, Der Tourismus blüht. Familie Mann hat sich da auch ein Haus bauen lassen und verbringt den Sommer am Strand. Die deutsche Grenze ist nicht weit. Immer wieder kommen Gruppen “national gesinnter aufrechter Deutscher” an den Memelstrand, um Stärke zu zeigen. Der Anführer solch einer Gruppe versucht, sich Thomas Mann anzubiedern, der ihn abblitzen lässt.

    Mit lauter interessanten Verwicklungen entwickelt sich das Buch auch zu einem Krimi. Wir wissen, wer der Getötete ist, und wer der Täter ist, jedoch empfinden wir Mitleid mit dem unfreiwilligen Täter und nicht mit dem Opfer.

    Die Geschichte wird aus der Perspektive des Zydrünas Miuleris erzählt, im hohen Alter. Sein Enkel hat ihm die Handhabung eines Computers erklärt und Miuleris schreibt nun seine Memoiren auf.

    Wunderschöner Roman, der, die Leser in seinen Bann zieht. Er lässt die Atmosphäre des Sommers 1930 wieder auferstehen, als die Großdeutsche Politik noch nicht unabwendbar schien, die Sonne strahlte, das Leben so leicht und lebenswert schien.

    Der Stil ist leicht umständlich, aber die litauische Sprache und die damalige Zeit waren eben so. Den Geist jener Zeit hat Tilo Eckardt unnachahmlich treffend eingefangen. Die ganze Atmosphäre versetzt den Leser in die Vergangenheit. Eine Vergangenheit in der Männer Ganzkörperbadeanzüge trugen, Thomas Mann an den Strand geht mit einem Bademantel und Strümpfen mit Strumpfhalter bekleidet.

    Was mich beeindruckt hat, wenn Thomas Mann spricht, glaubt man ihn zu hören. All seine Worte und Sätze könnten aus einem seiner Romane stammen, Der Zauberberg oder Dr. Faustus oder Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. So sagt Thomas Mann: “Ein Politiker ist dem Volk verpflichtet, ich als Künstler nur dem freien Gedanken. Aber wenn sich eine pöbelnde Bewegung anschickt, diesen johlend zu zertrampeln, dann treten außergewöhnliche Umstände ein, die mich zwingen, meine natürlichen Hemmungen zu überwinden. Dieses völkische Geschwätz verbreiten inzwischen bereits unwidersprochen Mitglieder der Akademie in Berlin.” (S. 114)

    Miuleris’ Betrachtungen sind seine eigenen: “Diese Tage sind mir wahrhaftig als ein Auf und Ab der Gefühle in Erinnerung geblieben. Der stille Stolz während des Spaziergangs mit dem Dichter, gefolgt von der Scham, über den Verlust der Blätter. Die kindliche Abenteuerlust bei der Beschattung von Hofreiter, schließlich die Ernüchterung nach der Konfrontation mit Pfaffenkogel” (S. 112)

    Das Buch zu lesen bereitet Freude auf jeder einzelnen Seite.

  • Dichterische Freiheit


    Um diesen Kriminalroman gebührend zu schätzen, sollte man schon ein ausgemachter Fan des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann sein. Und genau das ließ mich voller Interesse zu diesem Werk greifen, zumal ich schon voller Andacht vor dem Schreibtisch in Nidden stand, an dem er die unvergleichlichen Josephsromane schrieb.


    Treffend und anschaulich lässt Eckardt die einzigartige Landschaft der Kurischen Nehrung am Auge der Leser vorüberziehen, auch das Zeitkolorit hat er akribisch recherchiert und in passende Worte gegossen. In die von ihm ausgedachte Handlung flicht er immer wieder überlieferte Texte Thomas Manns ein. So gibt er uns Einblick in dessen Konflikt zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik in einer wohldurchdachten Argumentation zum Beispiel auf Seite 232 ff.


    Am Ende hätte ich mir gewünscht, das sehr erhellende Nachwort als erstes gelesen zu haben, um Dichtung und Wahrheit besser voneinander unterscheiden zu können.


    Die Aufklärung des Verbrechens hätte mich nicht unbedingt bei der Stange gehalten, doch in den "reinen Tor" Miuleris, den Ermittler wider Willen, konnte ich mich zunehmend einfühlen und war erleichtert, den Schriftsteller einmal nicht als das egozentrische Ekel dargestellt zu sehen, sondern sympathische und humorvolle Züge bei ihm beobachten zu dürfen. Mein Fazit aus der Lektüre lautet, dass ich mich auf unterhaltsame Weise mit den Auseinandersetzungen eines großen Geistes mit den Unbilden des Nationalsozialismus befassen durfte.

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  • REZENSION – Bekannte Autoren legendärer Klassiker heute in Kriminalromanen als Ermittler auftreten zu lassen, ist nicht neu. Schon seit 2015 lässt Tilman Spreckelsen in seinen Theodor-Storm-Krimis den noch unbekannten Husumer Rechtsanwalt als Detektiv tätig werden. Auch der junge Offiziersschüler Edgar Allan Poe muss im Roman „Der denkwürdige Fall des Mr Poe“ (2022) von US-Autor Louis Bayard in einem Mordfall ermitteln. Anlässlich des bevorstehenden 150. Geburtsjahres von Thomas Mann (1875-1955) hat nun der deutsch-schweizerische Schriftsteller und frühere Verleger Tilo Eckard in seinem im November beim Droemer Verlag erschienenen Roman „Gefährliche Betrachtungen“ den deutschen Nobelpreisträger „aus dem Elfenbeinturm der Literatur in den Sand und den Wald der Kurischen Nehrung“ heruntergeholt, wie der Autor im Nachwort erklärt, und ihn zum Ermittler in eigener Sache gemacht. „Ich wollte mir den lebendigen Thomas Mann vorstellen.“

    Für seine Recherchen war Eckardt von zwei Stiftungen für zwei Monate ins litauische Nida eingeladen worden. In seinem Roman, einer Mischung aus im Nachwort erläuterten Fakten und reiner Fiktion, lässt er nun seine Figur des inzwischen über 100-jährigen litauischen Übersetzers Žydrūnas Miuleris als Erzähler die angeblichen Ereignisse im August 1930 im ehemals ostpreußischen, seit 1923 litauischen Fischer- und Künstlerdorf Nidden schildern, wo der gerade im Vorjahr mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Thomas Mann sein für 200 000 Reichmark erbautes Sommerhaus mit Ehefrau Katia und den jüngsten Kindern Michael und Elisabeth bezogen hat. Der damals erst 20-jährige Miuleris will sich dem verehrten Dichter als Übersetzer des Romans „Buddenbrooks“ andienen.

    Im Laufe des Geschehens kommt es durch die Ungeschicklichkeit von Miuleris zum Diebstahl einiger Blätter mit der Abschrift brisanter Notizen, die sich Thomas Mann als Entwurf für eine geplante politische Rede gemacht hatte. Mann und dem jungen Litauer muss es nun gelingen, diese Abschriften schnellstmöglich wiederzubekommen, bevor sie in die Hände möglicher Nazi-Sympathisanten geraten. Dass Mann seine „Deutsche Ansprache“ tatsächlich am 17. Oktober in Berlin als Reaktion auf die Reichstagswahlen im September gehalten hat, ist Tatsache. Die angebliche Vorgeschichte in Nidden ist dagegen reine Fiktion, wie Erzähler Miuleris betont: „Für die Behauptungen, die ich in diesem Buch aufstelle, gibt es nicht die geringsten Beweise.“

    Tilo Eckardts Roman „Gefährliche Betrachtungen“ über den Diebstahl der Abschrift und dessen Aufklärung durch den Nobelpreisträger, der sich selbst gern in der Rolle von Sherlock Holmes sieht, sowie den jungen Litauer, den Mann zu seinem Dr. Watson erklärt, ist trotz seiner Kennzeichnung als Kriminalroman leider recht harmlos und keineswegs spannend, sondern lässt seine Leser allenfalls aufgrund einiger Szenen und der naiven Tolpatschigkeit und Unerfahrenheit des 20-jährigen Miuleris eher schmunzeln.

    Interessanter ist der im Nachwort von Eckardt beschriebene historische Hintergrund: Es ist die Zeit zwischen der Auflösung des Reichstags und der bevorstehenden Neuwahl im September 1930, die Zeit des Erstarkens der Nazis, vor deren Machtübernahme Thomas Mann das deutsche Volk in einem Essay oder einer Rede warnen will. So sagt Mann im Roman: „In meiner Heimatstadt Lübeck waren sie im letzten November nur leidlich erfolgreich mit gut acht Prozent der Stimmen. Im Dezember in Thüringen bekamen sie schon über zehn Prozent. Und bei den letzten Landtagswahlen in Sachsen errangen sie sogar fünfzehn Prozent der Stimmen und sind damit die zweitstärkste Partei.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Was auch immer im September geschieht, die Gefahr, dass mein geliebtes Deutschland sich freiwillig der Barbarei ausliefert, wird auf Jahre hinaus nicht gebannt sein.“ Nach der Reichstagswahl im September bildeten die Nazis die zweitstärkste Fraktion nach den Sozialdemokraten. Manns öffentliche Warnung an das deutsche Volk vor bald 95 Jahren scheint heute wieder an Aktualität zu gewinnen.

    Zusammengefasst lässt sich sagen, dass der Roman „Gefährliche Betrachtungen“, dem im nächsten Mai „Unheimliche Gesellschaft“ als zweiter Band folgen soll, ein harmloser, durchaus netter Unterhaltungsroman ist, dem es aber leider an Spannung und dessen Figuren es an Tiefe fehlt. Der Roman könnte allerdings eine Anregung sein, sich mit dem in seinen Reden und Essays politisch aktiven Thomas Mann näher zu befassen. Hierfür eignet das zeitgleich mit Eckardts Roman im November veröffentlichte Buch „Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist“ des ausgewiesenen Mann-Experten Kai Sina.

  • Gedanken werden zur Gefahr

    Nidden ist nicht nur ein ostpreußisches Fischerdorf auf der Kurischen Nehrung, sondern beherbergt vor 100 Jahren auch eine Künstlerkolonie. 1930 bezieht Thomas Mann mit seiner Familie dort ein Sommerhaus zwischen Wanderdünen und Wald. In Deutschland erstarkt zu jener Zeit nach der Auflösung des Reichstags gerade der Nationalsozialismus. Der weltberühmte Schriftsteller plant daraufhin eine Rede, in der er die Deutschen vor den Gefahren dieser neuen Bewegung warnen will. Gleichzeitig hält sich auch der junge Übersetzer Žydrūnas Miuleris in Nidden auf, da er gerne Manns Werke ins Litauische übertragen möchte. Durch unglückliche Umstände verliert dieser „Müller“, wie er von Mann eingedeutscht immer genannt wird, die Aufzeichnungen zu dieser brisanten Rede. Wie Holmes und Watson machen sich die beiden Männer nun daran, die Aufzeichnungen wiederzuerlangen, was nicht so einfach ist. So entsteht ein recht seltsamer Fall, der nicht nur exzentrische Künstler, stoische Fischer und neugierige Kurgäste auf den Plan bringt, sondern auch Aufregung, Angst und sogar verschwundene Personen.

    Das Cover wirkt in seinen gedeckten Farben recht unspektakulär. Man sieht die Rückansicht eines Mannes in Anzug, Hut und Stock, der aus dem Wald kommend, Richtung eines weißen Strandes geht. Der Kriminalroman verfügt über ein Inhaltsverzeichnis, interessante Anmerkungen des Autors und ein informatives Quellenverzeichnis. Die Geschichte ist chronologisch geordnet und die kurzen Kapitel sind mit Datum und aussagekräftigen
    Titeln überschrieben. Eckardts Schreibstil ist sehr ansprechend. Teils verwendet er verschachtelte Sätze und Aussagen, die einen in die Zeit Thomas Manns zurückversetzen. Der litauische Übersetzer „Müller“ erzählt die Vorkommnisse als Ich-Erzähler, und zwar aus erheblicher zeitlicher Distanz, denn er ist mittlerweile über hundert Jahre alt.

    Der Autor erzählt die Geschichte sehr spannend, aber auch immer mit einem Augenzwinkern, das einen die ernste Situation, in der sich Mann nach dem Verlust der Rede befindet, an manchen Stellen vergessen lässt. Die Betonung liegt bei verschiedenen Themen wie Freundschaft und Mut, aber auch in der Wichtigkeit der Literatur, deren Rolle durchaus auch in der Veränderung der Welt liegen kann.

    Der Autor entwickelt die Kriminalgeschichte zwischen geschichtlichen Fakten und seiner schriftstellerischen Freiheit mit viel Feingefühl. Gerne glaubt man ihm als Leser jede Einzelheit in diesem spannenden Fall, denn es passt immer alles großartig zusammen. Alle Charaktere sind lebensnah und realistisch gezeichnet, jeder einzelne mit seinen Eigenheiten herausgehoben. So entsteht ein stimmiges Bild, das auch durch die Beschreibung der Umgebung noch unterstrichen wird.

    Insgesamt kann man dieses unterhaltsame Buch getrost als einen Höhepunkt in diesem literarischen Jahr bezeichnen. Mit absoluter Leseempfehlung!

  • Der junge Übersetzer Zydrunas Miuleris ist wegen Thomas Mann nach Nidden gekommen. Er will Mann auf sich aufmerksam machen, um ihm vorzuschlagen, seinen Roman „Die Buddenbrooks“ in Litauische zu übersetzen. Tatsächlich kommt es zu einer Begegnung, doch Mann hat anderes im Kopf. Miuleris, den Mann immer Müller nennt, erhält einen Blick auf einen Redeentwurf Manns. Dank seines fotografischen Gedächtnisses kann er einiges später aufschreiben. Doch er verliert die drei Seiten seines Manuskriptes, die gefährlich werden könnten, falls sie in die falschen Hände geraten. Mann und Müller müssen die Seiten unbedingt finden.


    Obwohl ich die Geschichte, die Realität mit Fiktion verknüpft, ganz interessant fand, ist es für mich kein Kriminalroman. Der Schreibstil ist der Handlungszeit angepasst und lässt sich gut lesen. Die Gegend um das Fischerdorf Nidden ist atmosphärisch dargestellt.


    Mann ist absolut kein Freund des Naziregimes, das sich immer mehr breit macht. Entsprechend brisant sind seine handschriftlichen Notizen. Sie könnten zur Gefahr werden. Mann fühlt sich verfolgt. Müller ist ein Bewunderer Manns und hat einen Traum. Er setzt alles daran, um dem Schriftsteller zu begegnen und hat Glück. Doch dann entwickelt sich alles anders als gedacht.


    Die Geschichte entwickelt sich recht zäh und hat mich nicht so ganz überzeugt. Doch Fans von Thomas Mann wird dieser Roman sicher gefallen.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Der Autor Tilo Eckardt, versteht es in seinem historischen Kriminalroman „Gefährliche Betrachtungen“ auf eine eindrucksvolle Weise eine fiktive aber schillernde Hommage an Thomas Mann über Mut, Freundschaft und die Kraft der Literatur, zu erzählen.

    Nidden im Sommer 1930, ostpreußisches Fischerdorf und Künstlerkolonie auf der Kurischen Nehrung, einem archaischen Landstrich zwischen wilder Ostsee und stiller Lagune. An dieser weißen Küste „so schön geschwungen, dass man glauben könnte, in Nordafrika zu sein“, landet im Juli 1930 Thomas Mann mit Familie, um das neue Sommerhaus zu beziehen. Daheim in Deutschland droht nach der Auflösung des Reichstags das Ende der Weimarer Republik, und der tief beunruhigte Dichter arbeitet im Bademantel im Schatten seines Strandkorbes heimlich an einer großen Rede, mit der er das deutsche Volk vor dem erstarkenden Nationalsozialismus warnen will. Da kreuzen sich unter außergewöhnlichen Umständen die Wege des weltberühmten Dichters und des jungen litauischen Übersetzers Žydrūnas Miuleris, den Thomas Mann hartnäkig Müller nennt. Und es ist dieser Müller der den Dichter in größte Schwierigkeiten bringt, als er das Manuskript der brisanten Rede verliert. Die Suche danach scheint weitere rätselhafte Ereignisse in Gang zu bringen. Thomas Mann fühlt sich verfolgt und beobachtet und ein Mitglied seines Hausstandes verschwindet spurlos. Der Dichter und sein Übersetzer sehen sich einem ebenso seltsamen wie aufregenden Fall gegenüber. Zwischen Wanderdünen und Wald, umgeben von exzentrischen Künstlern, stoischen Fischern und neugierigen Kurgästen müssen Mann und Müller alles daransetzen, die Abschriften wiederzuerlangen, bevor sie in die falschen Hände geraten.

    Eine ausgesprochen gute Idee des Autors, ein Krimi mit Thomas Mann als Ermittler, zu erzählen. Gerne und mit einem Schmunzeln im Gesicht, habe ich Thomas Mann auf der Suche nach einem verloren gegangenen Manuskript, das sein Übersetzer Müller verschlampt haben soll, begleitet.

    Teils sind Thomas Manns Sätze und Dialoge verschachtelt, die aber gut seiner Zeit angepasst sind. Der litauische Übersetzer Müller erzählt die Vorkommnisse als Ich-Erzähler, und zwar aus erheblicher zeitlicher Distanz, denn er ist mittlerweile über hundert Jahre alt. Besonders gelungen sind jedoch die Dialoge zwischen den beiden Protagonisten, die tief in die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen der damaligen Zeit eintauchen.

    Fazit:

    Dem Autor ist es hervorragend gelungen, eine historisch gut recherchierte Geschichte, mit einer fiktiven Handlung, voller unerwarteter Wendungen, interessanter Charaktere und einer leicht amüsanten Atmosphäre, zu erzählen. Die Protagonisten und selbst die Nebenfiguren sind im Handlungsverlauf sehr intensiv dargestellt und gut eingebunden. Eine wunderbare Geschichte die in die faszinierende Welt des großen Literaten Thomas Mann entführt.

    Von mir 4 von 5 Sternen und eine klare Leseempfehlung!

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