Klappentext:
In seinem fulminanten Roman porträtiert der italienische Autor Giosuè Calaciura einen Auftragskiller, der sich aus den kriminellen Strukturen, denen er verhaftet ist, auch mental nicht befreien kann. Es ist das prophetische Bekenntnis eines Mörders, der seinem Richter Opfer um Opfer die grausame und ungeheuerliche Geschichte seines Lebens erzählt. In der namenlosen italienischen Stadt – vielleicht Palermo – bestimmt der internationale Drogenhandel alles. Zwischen Gassen und Märkten, Plätzen und Uferpromenaden jagen Killer ihre Opfer: ein Höllenkreis aus endloser Gewalt. Im Nachwort erinnert sich Giosuè Calaciura an die Erfahrung, die dem Ursprung dieses Buches zugrunde liegt, das in Italien erstmals 1998 erschien und heute längst ein Klassiker ist.
Mein Hör-Eindruck:
Ein Blick in eine andere Welt!
Der große Monolog eines Mörders, gerichtet an seinen Richter.
Der namenlose Angeklagte erzählt die Geschichte der Mafia. Er beginnt seine Erzählung mit der großen Armut im Süden Italiens, die auch durch noch so großen persönlichen Fleiß nicht geändert werden, und von den sozialen Ungerechtigkeiten. Er erzählt von den Menschen, die von der Landespolitik vergessen worden waren und die auch in der Kirche keine Fürsprecher finden konnten, da die Kirche schon immer auf der Seite der Mächtigen stand. Die kriminellen Handlungen begannen eher kleinräumig mit dem Ausrauben von Touristen. Sehr schnell wurde Kriminalität zu einem Geschäftsmodell und der Mafioso ein Geschäftsmann, der genau seinen Platz in einem straff organisierten System wusste. Das „Geschäft“ wurde vielseitiger: der Kleindiebstahl war nicht mehr interessant, bald ging es um Menschenschmuggel, Auftragsmorde, Erpessung und schließlich auch um die Goldgrube des Drogenhandels. Sehr anschaulich erzählt der Namenlose von der schleichenden Infiltrierung der wirtschaftlichen Strukturen, der staatlichen Verwaltung und vor allem der Justiz, sodass die mafiosen Geschäfte auch von Gefängniszellen aus organisiert werden können. Damit zusammen hängen die blutigen und grausamen Kämpfe rivalisierender Familien und ebenso blutige Säuberungskampagnen, durch die die Machtverhältnisse neu festgelegt werden.
„Das Lied eines Mörders“ wird tatsächlich wie ein Lied vorgetragen, in einer ausgesprochen metaphernreichen, fast lyrischen Sprache. Hier spricht ein gebildeter Mann, der über den abendländischen Bildungskanon verfügt, der z. B. die griechische Mythologie kennt und erstaunliche historische Kenntnisse besitzt. Seine Sprache ist gewählt, flüssig, rhetorisch geschickt. Spricht so ein Mörder? Ich hatte Probleme mit der Authentizität des Protagonisten.
Der Sprecher des Hörbuchs macht das Hören zu einem Erlebnis. Michael-Che Koch verfügt über eine wendige und geschulte Stimme, mit der er den Text nicht nur vorliest, sondern gestaltet. Vor allem bei den ständigen Wiederholungen der Anrede „Signor Giudice“ fallen ihm unendlich viele Varianten ein, mit denen er den Text zugleich interpretiert. Und das Hören zu einem spannenden Vergnügen macht.
Fazit: Ein schon etwas älterer Roman, der nichts von seiner Aktualität verloren hat.