Einige Jahrhunderte in der Zukunft. Die Menschheit hat sich im All ausgebreitet. Der Handel blüht, gigantische Raumschiffe transportieren Waren kreuz und quer durch die Menschheitssphäre. Das wertvollste Handelsgut dabei ist Xenoglas, ein Produkt, das von der außerirdischen Spezies, Seesterne genannt, bezogen wird. Neun Großschiffe wechseln sich ab, unternehmen die einjährige Reise zum Treffpunkt mit den Seesternen. Eines davon ist die Athen, auf das sich die junge Marca Nbaro schleicht, um ihrer Vergangenheit zu entkommen.
Es hat eine Weile gedauert, bis ich mit dem Buch warm wurde. Es beginnt ganz klassisch: Jemand läuft von seiner Vergangenheit davon und wird zum Helden. Dazwischen gibt's viele Abenteuer.
Wenn ich das Buch mal pausiert habe, hatte ich keinen Wunsch zu ihm zurückzukehren. Die Handlung dümpelte so vor sich hin, Protagonistin Nbaro lernt zusammen mit den Leser:innen das Großschiff kennen, geht SEHR detailliert ihren Aufgaben nach, gewinnt Freunde und Feinde.
Dann stellte ich plötzlich fest, dass ich keine Pausen mehr machen wollte. Das Buch hatte mich gepackt, aber nicht wegen der Handlung, die nach wie vor zu viele Längen hatte, sondern wegen der Atmosphäre. Diese kann ich nur als gemütlich beschreiben. Das Wort Wohlfühlbuch versuche ich stets zu vermeiden, aber Artifact Space ist genau das, ein Buch zum Wohlfühlen. Die Geschichte spielt größtenteils auf dem Schiff, so dass man sich - weil man ja bereits die meisten seiner Ecken kennen gelernt hatte - fast wie zu Hause fühlt, sich auskennt und weiß, was einen hinter der nächsten Tür erwartet. Eine angenehme Erfahrung, wie ich finde.
Später wurde es dann auch spannender. Es gibt eine Verschwörung und Alien-Geheimnisse, die enträtselt werden müssen. Das Buch endet nicht direkt mit einem Cliffhanger, aber es bleiben so viele Fragen offen, dass es noch für einen dritten Band reichen würde.
Miles Cameron hat hier eine Welt erfunden, die man ihm ohne weiteres abkauft. Geschichte, Gesellschaft, Politik, das Leben auf einem Raumschiff, die Unfähigkeit mit Aliens zu kommunizieren - all das ist glaubwürdig. Gerne hätte ich noch mehr über die Welt außerhalb der Athen erfahren.
Der Autor hat die Reise der Athen zum Glück nicht nach Star-Trek-Art gestaltet: mal eben auf Warp 9 schalten und schon sind wir am Ziel. Er hält sich, soweit ich das als Laie erkennen kann, meistens an die astrophysikalischen Gesetze, oder versucht es zumindest. Es gibt Reiseabschnitte, die unter hoher Beschleunigung unter etlichen g stattfinden, Bremsmanöver dauern Monate, solche Sachen eben.
Dann das Schiff selbst: ein Meisterwerk der Technik und zugleich ein Artefakt, hier verbinden sich Nanotechnologien mit der Geschichte der (Buch)Raumfahrt. Der Schiffskapitän wird "Meister" genannt. In meinen Augen ist die Athen eine der Hauptfiguren.
Was mich ebenfalls begeistert hat, war die Liebesgeschichte. Diese steht nicht im Vordergrund, nicht einmal in zweiter Reihe, sondern ist nur eine weitere Erfahrung, die Nbaro macht. Die Liebesbeziehung, die man bis zum Ende des ersten Bandes noch nicht einmal als solche bezeichnen kann, entwickelt sich langsam, fast ein wenig zart. Sie ist unaufdringlich, man merkt als Leser:in nicht einmal sofort, dass sie überhaupt da ist.
Die Geschichte wird in der dritten Person Singular erzählt, das hatte ich gar nicht erwartet. Als ich mir das Hörbuch herunterlud, stellte ich mich auf die übliche Ich-Perspektive ein. Es hätte aber ohne Verlust für die Handlung eine Ich-Perspektive sein können, denn als Leser:in begleitet man ausschließlich Nbaro und sieht alles durch ihre Augen.
Nbaro war dann auch die Einzige, mit der ich meine Probleme hatte. Sie ist eine Mary Sue, wie sie im Buche steht. Kein Problem ist für sie unlösbar, sie ist klug, sie ist schnell, sie ist einfach Supergirl. Vielleicht hat Miles Cameron ihr eine üble Vergangenheit beschert, um diesen Eindruck zu mildern. Das hat nicht funktioniert.
Stört das? Eigentlich nicht. Das Buch hat 670 Seiten und ist vollgepackt mit Unterhaltung, da ist ein einzelnes Supergirl zu verkraften.
Fazit: Unterhaltung mit Wohlfühlfaktor und Raumschiffen. Bitte mehr davon!
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MarsEule