Verena Dolovai - Dorf ohne Franz

  • Verlagstext:


    Maria erinnert sich, wie sie in den 1960er-Jahren auf einem Bauernhof mit ihren Brüdern Josef und Franz im Dorf aufgewachsen ist. Während Josef, der Älteste, in die Fußstapfen des Vaters tritt, entzieht sich Franz, Nesthäkchen und Liebling der Mutter, den traditionellen Erwartungen des rauen Alltags. Maria ist zerrissen zwischen Anpassung und Sehnsucht. Sie träumt von einem selbstbestimmten Leben außerhalb der engen Grenzen des Dorfes, bleibt aber, heiratet Toni und bekommt ein Kind. Mittellos und in Abhängigkeit gefangen, arbeitet Maria pflichtbewusst mit, wo sie gebraucht wird, und pflegt nahe Angehörige. Als Maria Toni eines Tages reglos am Boden vorfindet, sieht sie erstmals eine Chance, dem vorgezeichneten Leben zu entgehen. Verena Dolovai erzählt in ihrem Roman von patriarchal geprägten dörflichen Strukturen und der Schwierigkeit, auszubrechen. Gelingt es Maria, das Dorf hinter sich zu lassen? Und wo ist eigentlich Franz?

    Quelle: amazon.de


    Meine Meinung:


    Ich lese gern Romane, die in dörflichen Regionen spielen, das Leben dort beschreiben, aber auch die Frage thematisieren, was mit den Menschen geschieht, denen ein solches Leben eng oder trist erscheint. Insofern habe ich mit diesem Buch richtig gelegen: Es schildert auf ruhige Weise das vorhersehbare und auch weitgehend durch ihre Familie vorherbestimmte Leben des Kindes, später der Frau Maria, die immer nur die Erwartungen anderer zu erfüllen hat und nie nach ihren eigenen Wünschen gefragt wird. Dabei ist ein anderes Leben als zwischen Hof und Wirtschaft für sie denkbar: Sieht sie doch ihre Freundin Theresa vor sich, die es auf ein Internat in der Stadt geschafft hat und sich zunehmend vom Dorf entfremdet, oder ihren titelgebenden Bruder Franz, den es ebenfalls nicht am elterlichen Hof hält, der sein Erbe ausbezahlt bekommt, sich aufmacht, die Welt zu entdecken - und fortan ward von ihm nichts mehr gesehen. Auch Maria lockt die Stadt, die Ferne, Bildung, Kultur. Doch Maria, um ihren Anteil am Erbe betrogen - sie ist ja nur ein Mädchen und wird eh am Hof gebraucht - , bleibt. Sie füllt die ihr zugewiesenen Rollen als fürsorgende Tochter und Schwiegertochter, fürsorgende Ehefrau und fürsorgende Mutter aus und erlebt nur in der letzten einige Jahre echten Glücks, bis das Kind flügge wird. Sie lässt es ziehen; ihr eigenes Leben soll sich an der Tochter nicht wiederholen. Aber soll es das nun für sie, Maria, gewesen sein?


    Bis hierher bot der Roman wenige Überraschungen (und über die möchte ich hier nichts verraten), aber genau das ist ja auch dem Thema geschuldet, war für mich also stimmig. Auf die an dieser Stelle nun vom Klappentext angekündigte neue Chance war ich sehr gespannt. In dieser Hinsicht hat der Roman mich jedoch enttäuscht. Die folgenden Wendungen erschienen mir unglaubwürdig und wenig schlüssig; ich konnte ihnen nicht wirklich folgen. (Auch dazu möchte ich nicht mehr schreiben.)


    Dennoch bleibt am Ende der Gesamteindruck eines stillen Buches über ein stilles und gewöhnliches Leben, das anders verlaufen wäre, wenn die Herkunftsfamilie ihrer Tochter mehr Raum gegeben hätte oder wenn die Protagonistin stärker für ihre eigenen Rechte eingetreten wäre. Dieses Leben steht für Millionen von Frauenleben, die ausgefüllt, aber letztlich nicht erfüllt waren. Das löst bei mir Trauer und Mitgefühl aus - und den Wunsch, mich dafür einzusetzen, dass Mädchen in Regionen und Ländern, wo solche Rollenvorstellungen noch vorherrschen, eine Chance bekommen, etwas Anderes, Selbstbestimmtes aus ihrem Leben zu machen.


    Insofern bietet der Roman nicht wirklich viel Neues. Er ist für den Debütpreis des Österreichischen Buchpreises nominiert und ich kann mir vorstellen, dass er in dörflich, katholisch und patriarchalisch geprägten Strukturen, wo auch heute noch viele ältere, vielleicht auch jüngere Frauen ein solches Leben wie Maria führten und führen, immer noch einen Nerv trifft.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Han Kang - Unmöglicher Abschied

    :montag: Beate Maly - Mord im Böhmischen Prater (Ernestine Kirsch & Anton Böck Bd. 9)

  • Ich mag solche Bücher auch gerne und packe es mir mal auf die Wunschliste.


    Der Titel gefällt mir auch gut.

  • Im Patriarchat gefangen


    Dorf ohne Franz, Roman von Verena Dolovai, EBook, aus dem Septime-Verlag


    Debütroman der Autorin


    Maria ist in den 60er Jahren mit ihren Brüdern Josef und Franz in einem Dorf aufgewachsen, Josef der Ältere tritt in die Fußstapfen des Vaters und erbt den Hof. Franz das Nesthäkchen ist der Liebling der Mutter und wird von ihr verhätschelt. Dieses Buch beschreibt den rauen Alltag im Leben der Protagonistin.
    Das Buch enthält viel Lokalkolorit, bildhaft und flüssig beschrieben und durch die fesselnden Dialoge hat der Leser zu jederzeit im Gespür, dass dieser Roman auf dem Land und in Österreich spielt. Die Autorin hat als Erzählform den Ich-Stil, aus der Sicht der Protagonistin Maria gewählt. Eine hervorragende Innenansicht ist dadurch ermöglicht. Aufgeteilt in Leseabschnitte in idealer Länge.
    Ein hartes Leben für ein Mädchen, auf dem Land, zur damaligen Zeit, mit Regelschulabschluss und ohne Lehre. Josef der ältere Bruder kommt nach dem Vater und wurde von ihm unterstützt, als Hoferbe erzogen, Franz, Mutters Liebling, der schwächliche zarte Bruder, bekommt sein Erbe ausbezahlt und verschwindet ins Ausland. Und dazwischen Maria, die auf ihr Erbe verzichtet, die keine Chance bekam, auf eine höhere Schule zu gehen. Davon und vom Leben in der Stadt, hat ihr nur ihre damalige Freundin Theresa berichtet. Maria bekam nur immer zu hören sie sein dumm und ungeschickt. Nach der Schule eine Lehre? Wozu, man brauchte eine billige Arbeitskraft auf dem Hof … und Mädchen heiraten ja doch. Sie hat den Wirtssohn Toni geheiratet, aber auch hier wurde sie betrogen, denn nicht Toni der Ältere, sondern sein Bruder Ferdinand wird der neue Wirt. Toni ist Alkoholiker und Schürzenjäger. So bleibt Maria eine Dienstmagd, selbst als sie verheiratet ist muss sie ihrem Vater die Putzarbeiten machen, die Mutter pflegen und auf dem elterlichen Hof arbeiten. In der Wirtschaft ist sie nur eine billige Dienstmagd zum Spülen und niederen Arbeiten. Selbst den Schwiegervater pflegt sie bis zu seinem Ende. So ist das traurige Leben von Maria, von patriarchal geprägten dörflichen Strukturen und der Schwierigkeit, auszubrechen. Und soweit fand ich das Buch fesselnd und sehr unterhaltsam.


    Das Ende fand ich komisch, ich mag Bücher nicht die aufhören, bevor die Geschichte zu Ende ist. Immer wieder habe ich zurückgeblättert und geprüft ob ich etwas überlesen oder nicht mitbekommen habe, so ein abrupter Plottwist ist mir selten untergekommen. Schade.
    Bis auf den Schluss fühlte ich mich hervorragend unterhalten, meine Lieblingsfigur war nicht die Protagonistin, ich finde sie hätte sich einfach mehr durchsetzen sollen, keine Entwicklung bei ihr feststellbar. Eine richtig sympathische Figur war eigentlich am ehesten der Wirt Ferdinand oder Franz der jüngere Bruder. Ich finde allgemein, dass keine der Frauen im Buch gut weggekommen ist.


    Bis zum Plottwist war ich vom Buch begeistert. Die Nomination zum österreichischen Buchpreis fand ich angemessen. Der ernüchternde offene Schluss jedoch hat mich enttäuscht.
    Trotzdem möchte ich das Buch empfehlen und vergebe 4 Sterne. :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study::musik::montag:


    Und wenn mir alle Königskronen für meine Bücher und meine Freude am Lesen angeboten wären: Ich würde sie ausschlagen.
    François Fénelon

  • Klappentext (gekürzt):


    Maria erinnert sich, wie sie in den 1960er-Jahren auf einem Bauernhof mit ihren Brüdern Josef und Franz im Dorf aufgewachsen ist. Während Josef, der Älteste, in die Fußstapfen des Vaters tritt, entzieht sich Franz, Nesthäkchen und Liebling der Mutter, den traditionellen Erwartungen des rauen Alltags. Maria ist zerrissen zwischen Anpassung und Sehnsucht. Sie träumt von einem selbstbestimmten Leben außerhalb der engen Grenzen des Dorfes, bleibt aber, heiratet Toni und bekommt ein Kind. Mittellos und in Abhängigkeit gefangen, arbeitet Maria pflichtbewusst mit, wo sie gebraucht wird, und pflegt nahe Angehörige. Als Maria Toni eines Tages reglos am Boden vorfindet, sieht sie erstmals eine Chance, dem vorgezeichneten Leben zu entgehen.


    Mein Lese-Eindruck:


    Der kleine Roman versetzt uns in ein österreichisches Dorf in den 60er Jahren. Hier wächst Maria, die Ich-Erzählerin, auf einem kleinen Bauernhof auf. Sie ist das mittlere von drei Kindern und als einzige Tochter für beide Eltern nur als Arbeitskraft von Interesse. Sie verzichtet notariell auf ihr Erbteil, und so erhält Josef, der ältere Sohn, den Hof und den Grundbesitz. Franz ist als Nesthäkchen der Liebling seiner Mutter; er lässt sich auszahlen und verlässt das Dorf. Erst spät erkennt Maria den Grund für seinen Wegzug. Franz ist homosexuell und entzieht sich den starren Normen und den Rollenzuweisungen des Dorfes.


    Die Erzählerin bleibt eng an ihrer Protagonistin und zeichnet ein desillusionierendes Bild des ländlichen Lebens. Maria lässt sich widerspruchslos in starre patriarchalische und sehr raue Strukturen einordnen. Eine Ausbildung bleibt ihr verwehrt, weil die Eltern den Nutzen einer Tochter ausschließlich in der Haus- und Hofarbeit sowie in dem sehen, was man heute Care-Arbeit nennt.


    Bei der Partnersuche zeigt sich ihr anerzogener Sinn fürs Wirtschaftliche und Praktische, aber sie wird bitter enttäuscht. Immer wieder taucht Franz, der abwesende Bruder in ihren Gedanken auf, und Maria erkennt zunehmend, dass Franz ein selbstbestimmtes Leben lebt und sich von den strengen Rollenzuweisungen befreit hat. Insofern ist der Titel „Dorf ohne Franz“ zugleich ein Programm: Franz ist gerade wegen seiner Abwesenheit der Katalysator für Marias Entwicklung. Maria wagt schließlich auch den Schritt in die Selbstbestimmtheit, aber hier verschwimmt der Roman, das Ende ist allzu offen und unrealistisch.


    Das Besondere an dem Roman ist weniger der illusionslose Blick auf das dörfliche Leben und seine traditionellen Rollenerwartungen, sondern die Sprache der Autorin. So karg wie Marias Leben ist auch die Sprache, mit der sie in beklemmender Nüchternheit ihr Leben erzählt. Mit dieser nüchternen und einfach gehaltenen Sprache wirkt die Protagonistin beklemmend authentisch.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

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