J. Courtney Sullivan - Die Frauen von Maine / The Cliffs

  • Das Haus auf den Klippen


    In diesem Roman will Sullivan ziemlich viel und für mich ist das auch gelungen.

    Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Jane Flanagan, die an der Küste von Maine aufwächst und immer wieder von einem verlassenen Haus auf einer prägnanten Klippe angezogen wird. (Originaltitel daher auch: The cliffs) Als Erwachsene arbeitet Jane für die Schlesinger Bibliothek in Harvard (Library on the History of Women in America) und beschäftigt sich mit den Nachlässen von Frauen. Als sie das Haus ihrer verstorbenen Mutter in Maine ausräumt, kommt sie zufällig mit der aktuellen Besitzerin des Klippenhauses in Kontakt, die Jane bittet, Nachforschungen darüber anzustellen.


    Im Roman kommen mehrere Frauen in längeren Kapiteln zu Wort, die im Klippenhaus gelebt haben und deren Wege sich dort kreuzen, auch wenn Jahrhunderte dazwischen liegen. So setzt sich nicht nur die Geschichte des Gebäudes zusammen, sondern noch so viel mehr. Es geht um das Bewahren von Geschichte - im Großen und im Kleinen -, Feminismus, Spiritualismus, schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen, Alkoholismus, die Shaker-Bewegung, Native Americans und Epigenetik. Letzteres befasst sich mit sog. "Seelenwunden", Massentraumata durch Genozid, Versklavung, Kolonialisierung, die auf zellulärer Ebene an die nächste Generation weitergegeben werden.

    Der Roman hat mich sehr gefesselt und lange wach gehalten, ich konnte ihn nicht aus der Hand legen. Er läßt einen über vieles nachdenken, z. B. über die Art der Geschichtsschreibung, die bis vor kurzem ja erst mit der Besiedelung Amerikas begann. Was war mit den Menschen, die zuvor dort lebten? Oder: Große Teile des weiblichen Schreibens wurden über die Jahrhunderte nicht bewahrt, sondern gingen verloren oder wurden bewusst vernichtet, von den Autorinnen selbst oder Angehörigen. (Ein bekanntes Beispiel ist Jane Austen.)

    Insgesamt ein leicht zu lesender Roman, der eine große Palette an Themen zusammenbringt und wunderbar unterhält. Auch wenn manche Textstellen wie Einschübe wirken, ist es dennoch eine geschmeidige und stimmige Geschichte geworden. Ein toller Sommerroman mit Anspruch und zum Nachdenken.

  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „J. Courtney Sullivan - Die Frauen von Maine“ zu „J. Courtney Sullivan - Die Frauen von Maine / The Cliffs“ geändert.
  • Ein Haus mit Charakter


    Alte Häuser haben eine Persönlichkeit und ein Schicksal wie ein Mensch, deshalb bietet das Gebäude auf der Klippe in Maine mit einem Alter von mehreren Jahrhunderten den passenden Rahmen für Einblicke in die Geschichte der amerikanischen Ostküstenstaaten.


    Zufällig, aber durch eine eigentümliche Neigung forciert, recherchiert die Archivarin Jane über die Historie der Liegenschaft. Verängstigt durch eine Geistererscheinung will die neue Besitzerin Genaueres wissen, deshalb konsulieren sie auch ein parapsychologisches Medium und einen Antiquitätenhändler. Spiritismus und wissenschaftliche Forschung gehen Hand in Hand, wobei man für die durchaus seriöse Darstellung letzterer ein bisschen Geduld aufbringen muss.


    Schließlich treten als vergangene Bewohner die Ureinwohner, die Familie eines englischen Seemanns, eine junge Frau aus der Religionsgemeinschaft der Shaker, eine bildende Künstlerin und am Ende die Gattin eines reichen Industriellen in Erscheinung, deren jeweilige erschütternde Schicksale sie offenbaren und moralisch bewerten.


    Parallel zu den Ermittlungen nimmt Janes Alkoholkrankheit ihren tragischen Verlauf.


    Die Schicht um Schicht an die Oberfläche gelangenden Einblicke in die Dynamik der nordamerikanischen Historie haben mich sehr berührt und bereichert. Die Geistererscheinungen konnte ich akzeptieren als Anstoß für das Graben nach weiteren Informationen, aber für einen Mysteryroman sind sie zu wenig in sich begründet.


    Bei einigen Längen liest sich das Buch flott und angenehm, ich habe es nur nicht so ganz aus einem Guss gefunden.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Das Buch erscheint am 07.09.


    Klappentext:


    Auf einer abgelegenen Klippe an der Küste Maines steht ein Haus, das Geheimnisse aus einem ganzen Jahrhundert birgt. »Die Frauen von Maine« erzählt die Geschichte dieses besonderen Ortes und die Leben der Frauen, die mit ihm verwoben sind. Ein umwerfend schöner Generationenroman der amerikanischen Bestsellerautorin J. Courtney Sullivan.


    In ihrer Kindheit zieht es Jane Flanagan oft in das geheimnisumwitterte Haus, das einsam auf den Klippen von Maine steht. Als Erwachsene kehrt Jane in ihre Heimat zurück – nach einem schrecklichen Fehler, der ihre Ehe und ihren Beruf als Archivarin in Harvard bedroht. Erst ist sie skeptisch, als Genevieve, die neue Besitzerin des viktorianischen Hauses, sie bei den Nachforschungen zu dessen Geschichte um Hilfe bittet, doch dann erwacht ihr Spürsinn. Je tiefer sie gräbt, desto lebendiger werden die Frauen, die das Haus einst bewohnt haben, und mit ihnen ihre großen Sehnsüchte und Verluste. Und sie sind aufs Engste mit Janes eigener Vergangenheit verwoben – eine Entdeckung, die ihr Leben völlig verändert. „Die Frauen von Maine“ ist ein inspirierendes Buch über Mütter, Ehen, Freundschaften und Selbstfindung. Ein Roman über die Frauen, die vor uns kamen und mit denen wir über alle Zeiten hinweg verbunden sind. Ein mitreißender Roman über Familiengeheimnisse vor der atemberaubenden Kulisse Maines.


    Mein Lese-Eindruck:


    Ein altes verwunschenes Haus auf einer Klippe hoch über dem Meer – und Jane Flanagan, eine junge Frau, die sich diesem Haus auf unerklärliche Weise verbunden fühlt: damit sind die Koordinaten genannt, die den Roman bestimmen.


    Die Autorin spürt allen Frauen nach, die dieses Haus jemals bewohnten oder in irgendeiner Weise mit ihm in Verbindung standen. Sie konzentriert sich auf die Frauen, und den Männern wird nur eine Rolle als Randfigur zugewiesen, wenn überhaupt. Es sind sehr unterschiedliche Frauen, die die Autorin vorstellt, und ihre Biografien sind mit der Geschichte dieses Landstrichs verbunden, in dem das Haus steht. Dazu geht die Autorin bis zu den Erzählungen der indigenen Einwohner Maines zurück und spannt dann den Bogen über die ersten Einwanderer, die Sklaventransporte, über Glaubensgemeinschaft der Shaker, über indigene Traditionen bis hin zur Gegenwart. Die Themen sind daher vielfältig: Kolonialismus, Frauenbewegung, Ethnozid und Genozid, Spiritualismus, transgenerationale Traumatisierung u. a.


    Alle diese Geschichten werden verbunden durch Jane Flanagan, die mit ihren familiären Traumata, ihrem Alkoholismus und anderen privaten und beruflichen Desastern zu kämpfen hat. Sie erforscht die Geschichten der Frauen und vereint sie schließlich alle in dem Haus an den Klippen, das sie zu einem Museum ausgestaltet. Die Autorin verweigert sich dabei einer chronologischen Darstellung und ahmt dadurch die Art und Weise nach, wie Jane Flanagan ihre Themen findet. Nicht immer gelingt es ihr, die historischen Tatsachen mit dem Roman selber zu verweben, sodass sie zu Vorträgen bzw. Exkursen greifen muss. Sehr schön gelingt der Autorin die Erzählung, wenn sie Jane Flanagan Schritt für Schritt nicht nur ihre eigene leidvolle Familiengeschichte, sondern vor allem auch die unglückliche Verbindung mit dem Haus entdecken lässt. Eine psychologisch dichte und überzeugende Darstellung!


    Noch eine dritte Motiv-Linie zieht sich durch das Buch, und zwar Übernatürliches wie Geistererscheinungen. Ein ganzes Kapitel befasst sich mit Spiritualismus und seiner Geschichte, wenn sich Jane einen Vortrag darüber anhört. Sie kann allerdings noch keine Verbindung zum Haus und zu ihrer eigenen Geschichte ziehen, der Leser dagegen schon. Man mag zu Geistervisionen und Nachrichten aus dem Jenseits stehen, wie man will, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass Geister Murmeln aus dem Nichts heraus verteilen, Gegenstände verrücken und dergleichen. Die Geistererscheinungen haben dramaturgisch vermutlich die Aufgabe, Gegenwart und Vergangenheit auf geheimnisvolle Weise zu verbinden. Was nicht nötig gewesen wäre. Die Autorin leistet diese Verbindung in der Figur der Jane und ihrem Museumsprojekt hinreichend.


    Fazit: eine angenehme Sommerlektüre, der einige Straffungen gutgetan hätten.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Jesmyn Ward, So gehen wir denn hinab. Übersetzung: Ulrike Becker.

    :study: Irma Nelles, Die Gräfin.

    :musik: Andrew O'Hagan, Caledonian Road. Übersetzung Gabriele Kempf-Allié und Manfred Allié.

    Sprecher Maximilian Laprell.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Amerikanische Geschichte in Romanform 4*


    Die Szenerie spielt hauptsächlich in dem von Touristen frequentierten Küstenort Awadapquit, Maine – an der Ostküste nahe Canada. Speziell das einsam am Kliff gelegene " viktorianische lila Haus" und ihre gesamten Eigentümer stehen im Mittelpunkt der sehr umfangreichen Recherche. Diese wird von der Hauptfigur Jane Flanagan, Archivarin, betrieben. Nicht nur ihre Familiengeschichte mit Blick zurück bis zu ihrer Großmutter wird beleuchtet. Auch die vielen Familiengeschichten mit ihren speziellen Frauenschicksalen, Geheimnissen und Geistern rund um dieses lange vernachlässigte Haus werden im Auftrag von Genevieve, der neuen Besitzerin, in Auftrag gegeben. Überraschend stellt Jane nicht nur eine innige Verzahnung ihrer Familie mit den Bewohnern dieses geheimnisvollen Hauses fest. Der Verlust des geliebten Ehemanns an die See, langes romantisches Sehnen, schicksalhafte Verluste, künstlerisches Erwachen, der Verkauf von historischen Artefakten der indigenen Bevölkerung und die langen Schatten von Kolonisation durch die Engländer – all das entdeckt Jane neben ihrer Selbstfindung. Thematisiert werden weiterhin in diesem vielschichtigen und gut recherchierten Roman auch die düstere Seite von Alkoholismus, inniger Freundschaft, die Geschichte der Shaker, das Wirken von Spiritualisten. Der Schreibstil ist berührend, einfühlsam.


    Insgesamt ein interessanter, amerikanischer Generationenroman.

  • Der Friede beginnt im eigenen Haus. – Karl Jaspers

    Awadapquit/Maine. Jane Flanagan hat in einem verlassenen viktorianischen Haus direkt auf einer Klippe über dem Meer ihren persönlichen Zufluchtsort gefunden. Mit einer Alkoholikerin als Mutter und einer jüngeren Schwester, die immer im Vordergrund stand, hält sie es daheim kaum aus. Ihr Studium führt sie von Maine an die Universität Harvard, doch 20 Jahre später kehrt sie nach dem Tod ihrer Mutter zurück nach Awadapquit, um nicht nur deren Haus zur räumen, sondern auch Ordnung in die Trümmer ihrer eigenen Existenz zu bringen. Als die jetzige wohlhabende Besitzerin des alten Klippenhauses, Genevieve Richards, Jane bittet, mehr über die Geschichte des Hauses herauszufinden, erkennt Jane bei ihren Nachforschungen, dass diese auch viel mit ihrer eigenen Vergangenheit zu tun haben…


    J. Courtney Sullivan hat mit „Die Frauen von Maine“ einen unterhaltsamen Roman vorgelegt, der neben einer komplizierten Familiengeschichte auch starke Frauen und viel gut recherchierten historischen Hintergrund über die amerikanischen Ureinwohner bietet. Der flüssige, farbenfrohe und empathische Erzählstil der Autorin nimmt den Leser schnell gefangen und lädt ihn auf eine Reise ein, die ihn neben der Gegenwart auch in die Vergangenheit führt, um die unterschiedlichsten Frauenschicksale kennenzulernen. Janes Kindheit war nicht glücklich, einzig ihr Geheimplatz am Klippenhaus hat ihr eine Atempause gegeben. Das Studium ermöglichte ihr die Flucht aus Maine, doch die Vergangenheit kann man auch nach vielen Jahren einfach nicht abschütteln. Obwohl sie verheiratet ist und einen gutdotierten Job hat, setzt sie mit ihrem Verhalten fast alles aufs Spiel. Die Rückkehr nach Maine soll Atempause sein und gleichzeitig nach dem Tod ihrer Mutter mit der Räumung deren Hauses einen Schlusspunkt setzen. Doch dann kommt es mit der Begegnung von Genevieve alles ganz anders. Sowohl sie als auch Jane sind eng mit dem Klippenhaus verbunden, und die Nachforschungen fördern einiges zutage, was Janes Leben auf den Kopf stellt. Sullivan versteht es hervorragend, ihren Protagonisten sowohl Stärken als auch Schwächen zu verleihen und Historie gekonnt einen Rahmen zu geben. Die Vielfalt der Themen ist gut miteinander verstrickt, allerdings stören die esoterischen Abschweifungen eher und nehmen der Geschichte deutlich einiges an Tiefe. Zudem ist der erste Teil leider sehr langatmig, hier muss der Leser sich wirklich durchkämpfen, etwas Straffung hätte hier gut getan.


    Die Charaktere sind glaubwürdig mit menschlichen Ecken und Kanten versehen, so dass sie für den Leser authentisch wirken und diesen auf ihre Fährte locken. Jane ist eine zurückhaltende, intelligente und belesene Frau, die aufgrund ihres familiären Hintergrunds nicht nur mit Unsicherheiten und Einsamkeit zu kämpfen hat, sondern auch extrem misstrauisch geworden ist. Genevieve dagegen weiß genau, was sie will, dabei ist sie weltoffen und nicht so schnell zu verängstigen. Doch das alte Haus „atmet“ in ihren Augen etwas zu sehr und hinterlässt bei ihr ein ungutes Gefühl, dem sie sich gemeinsam mit Jane stellen will.


    „Die Frauen von Maine“ vereint starke Protagonistinnen, unterschiedliche Familienschicksale sowie historischen Hintergrund miteinander, wobei viele Themen wie amerikanische Geschichte, Geheimnisse, Verlust und Trauer eingebracht werden. Etwas Straffung und weniger Esoterik hätten der Handlung allerdings gut getan. Verdiente Leseempfehlung!


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


    "Wissen ist begrenzt, Fantasie aber umfasst die ganze Welt."
    Albert Einstein


    "Bleibe Du selbst, die anderen sind schon vergeben!"
    _____________________________________________


    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten