Klappentext/Verlagstext
Pia und Jakob sitzen im Klassenzimmer der 2B, ihnen gegenüber die Lehrerin ihres Sohnes. Es habe einen Vorfall gegeben, mit einem Mädchen. Pia kann zunächst nicht glauben, was ihrem siebenjährigen Kind da vorgeworfen wird. Denn Luca ist ein guter Junge, klug und sensibel. Sein Vater hat daran keinen Zweifel. Aber Pia kennt die Abgründe, die auch in Kindern schlummern, das Misstrauen der anderen erinnert sie an ihre eigene Kindheit. Sie lässt ihren Sohn nicht mehr aus den Augen und sieht einen Menschen, der ihr von Tag zu Tag fremder wird. Bei dem Versuch, ihre Familie zu schützen, wird Pia schließlich mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Ein fesselndes psychologisches Drama über die Illusion einer heilen Kindheit.
Die Autorin
Jessica Lind ist 1988 in St. Pölten, Österreich, geboren und lebt heute mit ihrer Familie als Drehbuchautorin und Schriftstellerin in Wien. Sie studierte an der Filmakademie Wien und schrieb u.a. mit der Regisseurin Magdalena Lauritsch den Science Fiction Film "Rubikon". 2015 gewann sie mit der Erzählung "Mama" den open mike, woraus ihr gleichnamiger Debütroman hervorging. Mit ihrem zweiten Roman, "Kleine Monster", erscheint sie erstmals bei Hanser Berlin.
Inhalt
Eine Klassenkameradin des 7jährigen Luca hat von einem Vorfall erzählt, bei dem die Kinder allein im Klassenzimmer waren. Da Luca beharrlich schweigt und seine Eltern prompt aus der Eltern-WhatsApp-Gruppe gelöscht wurden, bleibt zunächst unklar, was passiert ist und welche Rolle Luca dabei gespielt hat. Die Lehrerin ergreift spontan Partei, weil „Kinder sich das nicht ausdenken“, sorgt sich jedoch darum, was Lucas Verhalten ausgelöst haben könnte. Die Schule als Institution lässt nicht erkennen, ob sie fachlich für eine Situation wie diese vorbereitet ist. Pia und Jakob machen falsch, was Erwachsene nur falsch machen können. Sie stellen Suggestivfragen und legen Luca Wörter in den Mund, die ihn zu einem falschen Geständnis drängen könnten. Dass die Eltern sich in Erziehungsfragen uneinig sind und Pia noch nicht bereit ist, ihren Sohn loszulassen, ist nicht zu übersehen. Durch den Vorfall wird Pia selbst wieder zum Kind, indem Jakob ihr Verhalten maßregelt. Durch das Aufwachsen mit einer Adoptiv-Schwester und den Tod ihrer jüngsten Schwester im Kindesalter ist sie offenbar überzeugt davon, dass Kinder sehr wohl lügen und manipulieren können. Streng kontrolliert sie Luca von nun an, getrieben von der Furcht, sein Verhalten verschuldet zu haben.
Als Kinder wurden Pia und ihre Schwestern stets ermahnt, anderen Leuten nichts zu erzählen, (wofür ihre Mutter gute Gründe hatte); generell wurde wenig gesprochen und selten über die verstorbene jüngste Schwester Linda. Pia gelangt erst durch die Konfrontation mit den Werten von Eltern, Schwiegereltern und Jakobs Bruder auf schmerzhaftem Weg zu der Einsicht, dass Anekdoten unentbehrlich sind, um die Erinnerung an Verstorbene und Vermisste wachzuhalten. Wie zuverlässig Pias eigene Erinnerungen sind, steht erneut auf dem Prüfstand.
Im ersten Kapitel vermittelt Pia Reiserer als Icherzählerin sehr eindringlich die Macht von Sprache in Konflikten und wie verschlüsselte Botschaften zur Eskalation beitragen. Mit ihrer Bemerkung „Sie [Fau Bohl] weiß ja, wie er ist“ bleibt man als unwissender Leser zunächst allein. Schiebt sie die Verantwortung der Aufsichtsperson zu? Ist Luca evtl. neurodivers und hat deshalb eine persönliche Schulbegleitung? Die Bezeichnung Kindergärtnerin wird in Deutschland schon länger nicht mehr benutzt, so dass das Szenario um Lindas Kindheit auf mich zu altmodisch wirkte; die zahlreichen Mundartausdrücke bauten eine weitere Hürde zum Verständnis auf.
Fazit
Jessica Lind lässt ihre Leser:innen in den Alltag eines jungen Elternpaars blicken, in dem sich als Icherzählerin besonders die Mutter mit Geboten ihrer Herkunftsfamilie auseinandersetzen muss. Psychologisch wie sprachlich ein beindruckender Roman, zu dem ich durch die unklare Schulsituation des betroffenen Kindes und den Mundartanteil zunächst schwer Zugang gefunden habe.