Dies ist schon der 4. Teil der Ermittlerin Jessica Niemi, aber das hat mich nicht gestört und auch der Handlung nicht geschadet.
Der Prolog war schon spannend und spielt damals in dem Waisenhaus.
Dann lernte ich Jessica im Jetzt kennen, bei einer Psychiaterin, und mir wurde klar: „O-ha, du hast aber ne Menge Probleme…“
Die Bestätigung bekam ich dann im Laufe der Geschichte öfters und weiß im Nachhinein nicht so recht, was ich davon halten soll.
Aber erstmal zum Buch selbst.
Hier geht es um Personen, die früher als Kinder in dem Waisenhaus auf der Insel waren. Auch „Die Zugvögel“ genannt.
Kinder, die in Kriegszeiten ihre Eltern und Verwandten verloren haben, wurden dort mehr schlecht als recht durchgebracht. Das Personal kalt und auch grausam zu den Kindern und das Verhalten der Kinder untereinander lief eher nach dem Motto: Der Stärkere kommt weiter, wobei der Schwächere sehen musste wo er bleibt.
Die Schwächeren wurden drangsaliert und arge zugesetzt, womit wir auch schon bei Maija sind – der Hauptfigur in dieser Geschichte.
Sie ist die jüngste, spricht mit keinem, ist zurückgezogen und hat die Hoffnung nie aufgegeben, dass sie ihr Vater doch noch eines Tages unten am Steg mit einem Boot von der Insel abholt.
Jeden Abend schleicht sie sich aus dem Waisenhaus und wartet, mit Blick auf das Meer, mit ihrem blauen – und einzigen – Mantel bei Wind und Wetter auf ihren Vater.
Bestärkt wird sie von seinen Briefen, die nach einer langen Zeit wieder bei ihr eintreffen. Sie haben sich zwar verändert, aber sie können nur von ihrem Vater sein. Immerhin nennt er sie in seinen Briefen noch genauso wie in denen von früher, in die er ihr Mut auf ein Wiedersehen macht und die sie in einer kleinen Kiste in einem Geheimversteck aufbewahrt.
Ja, auch diese Briefe können nur von ihrem Vater sein. …
Tagsüber wird sie weiter von der Clique der Älteren geärgert, aber sie hält alles stumm aus, immer mit dem Gedanken, dass sie eines Tages von ihrem Vater dort rausgeholt wird.
Aber wird sie das?
In der Zeitebene Mitte der 40ger Jahre erfahren wir wie es Maija ergangen ist und was sie so erlebt hat. Dabei wird nie groß ausgeholt und konzentriert sich nur auf das Jetzt in Maijas Zeit.
Auch die Clique, die sie immer wieder drangsaliert, lernen wir dort kennen. Hauptsächlich Elisabeth, die mit ihrem 13 Jahren schon sehr frühreif ist und deren Freundin Elsa, genannt Haxe. Sie sonnt sich eher im Schatten von Elisabeth, ist deswegen aber nicht besser.
Alles in allem ist es ein trauriges Dasein für die kleine Maija, in das ich mich richtig hineinversetzten konnte.
In der jetzigen Zeitebene gibt es noch drei von den „Zugvögeln“, die sich jedes Jahr wieder im Gasthof auf Smörregård treffen, wo auch zufällig für eine Auszeit die Ermittlerin Jessica Niemi untergekommen ist. Aber die Insel ist von den „Zugvögeln“ nicht zufällig ausgewählt worden. Es ist die Insel, auf der früher das Waisenhaus betrieben wurde.
Jessica, die sich eigentlich von einem Vorfall zuhause erholen wollte, findet sich von der Geschichte des Waisenhauses und dem kleinen Mädchen im blauen Mantel angezogen. Erst recht, als die Leiche einer der „Zugvögel“ unten am Steg gefunden wird und Åke ihr die unheimliche Geschichte von Maija erzählt.
Sie wird bis heute auf der Insel immer mal wieder gesehen. …
Bei diesem Thriller hielt sich die Spannung am Anfang noch zurück, trotzdem hatte dieser Teil schon Potential und startet meine Gedanken zu den Personen.
Durch die zwei Zeitebenen schaffte es der Autor mich immer wieder weiter durch die Geschichte zu treiben. Das was am Anfang noch eine subjektive Spannung war, steigerte sich aber weiter, je mehr die Geschichte fortlief.
Mein Kopfkino lief wirklich mit meinem „Sherlock-Gen“ um die Wette!
Es gab so viele verdächtige Personen, so viele Spannungsmomente und dann drehte sich das Blatt wieder, dass man auf einmal wieder jemand anderen im Fokus hatte.
Immer wieder war ich am überlegen, wo die Verbindungen der einzelnen Personen waren, wer hat was mit wem zutun, warum verhält sich diese Person so auffällig, was haben die anderen Gäste mit der Sache zu tun, oder haben sie doch nicht damit zu tun?
Und vor allem, WER ist das Mädchen im blauen Mantel in der heutigen Zeit, das immer wieder gesehen wird, wenn ein Mord auf der Insel passiert. Genau, es gab noch weitere Morde auf der Insel, als nur der eine gerade.
Es gab so viele Fragen, in allen Richtungen.
Aber keine brachte mich wirklich weiter.
Max Seeck hat es wirklich verstanden, mich als Leser 1a zu verwirren und in die Irre zu leiten.
Und das hat mich voller Spannung immer weiterlesen lassen, so dass ich das Buch am liebsten in einem Rutsch durchgelesen hätte.
Dann kam der „Showdown“ und ich lag mit all meinen Vermutungen sowas von daneben!
Das spricht in erster Linie natürlich FÜR den Autor.
Komm ich jetzt zu meinem kleinen Aber.
Im Nachhinein, nachdem die Geschichte gesackt ist, hab ich doch ein bisschen was zu „meckern“.
1. Jessica
Als Ermittlerin scheint sie ihre Arbeit ziemlich gut zu machen. Allerdings ist sie auch voll mit tiefliegenden Problemen.
Die lassen sie immer wieder in Visionen, Wach-und Wahnvorstellungen und in unreale Situationen abdriften. Anders kann ich es nicht beschreiben. Ihr erscheinen tote Personen, mit denen sie sich unterhält und die ihr sogar Tipps zur Lösung des Falls geben.
Stellt sich mir jetzt die Frage, ist sie nur deswegen so gut in ihren Ermittlungen, oder haben diese Eigenarten einer psychischen Erkrankung erst später angefangen und sie war vorher schon eine Top-Ermittlerin?
2. Die Auflösung
Mit dem Täter und dem Motiv hätte ich nie im Leben gerechnet!
Irgendwie war es am Ende etwas weit hergeholt. Aber wer will schon behaupten, was alles in einem kranken Gehirn vor sich geht?
Alles zusammen hat es sich doch so gesehen stimmig aufgelöst, auch wenn ich noch mit ein paar Fragen zurückgeblieben bin. Es ist zumindest nichts von dem Fall offengeblieben, nur von einigen Randfiguren hätte ich noch gerne einen Abschluss gehabt.
Es war ein Thriller, der mich mit Spannung durch die ganze Geschichte gebracht hat – und darauf kommt es mir bei einem Thriller an.
Ich will bis zum Ende miträtseln und das mit viel Kopfkino und am Ende überrascht werden.
Genau DAS hat Max Seeck mit diesem Buch bei mir geschafft!
Alles andere, wenn die letzte Seite gelesen ist und die Geschichte gesackt ist, ist „mosern“ auf hohem Niveau 😉
Mein Fazit:
Ein spannender Thriller aus dem hohen Norden, mit viel Kopfkino. Undurchsichtig bis zum Schluss mit überraschendem Ende.
Wer beim Lesen nicht alles mit der Realität vergleicht und spannende Unterhaltung sucht, dem kann ich „Waiseninsel“ nur empfehlen!
Dass es der 4. Teil der Ermittlerin ist, ist nicht wirklich relevant für diese Geschichte, aber ich werde mir auf jeden Fall auch noch die Vorgänger holen.