Deepti Kapoor - Zeit der Schuld / Age of Vice

  • Deepti Kapoors "Zeit der Schuld" ist der erste Roman der indischen Autorin, der auf Deutsch erscheint: Ein literarisches Crime Drama, das in den höchsten Kreisen der indischen Unterwelt spielt, eine aufregende Geschichte um Treue und Verrat, zudem der Auftakt einer geplanten Trilogie.


    Meet the Wadias


    Die Geschichte dreht sich um drei Figuren, von denen Sunny Wadia der Fixpunkt ist. Sunny ist der einzige Sohn Bunty Wadias, dem wohl mächtigsten und einflussreichsten Mafioso Nordindiens. Sunny selber kommt kaum nach seinem skrupellosen und machtbewussten Vater, lebt aber ein ungehemmtes Leben im obszönen Luxus, finanziert vom väterlichen Imperium. Und Sunny hat ebenfalls große Pläne: Er will als Kunstmäzen und Bauherr reüssieren und Dheli in eine angesagte Metropole von Weltrang verwandeln. Dafür nutzt er auch die dubiosen Mittel seines Vaters, dessen Anerkennung er verlangt.


    Im Sog dieses charismatischen Bohème stehen die vielleicht einzigen Vertrauten Sunnys, Ajay und Neda. Ajay stammt aus einer ländlichen Region in Uttar Pradesh und wurde als junges Kind von seiner hochverschuldeten Mutter verkauft. Über einige Umwege traf er eines Tages entgegen aller Wahrscheinlichkeiten auf Sunny, der ihm eine Anstellung im Haushalt verschaffte. Durch seine Aufgewecktheit und unbedingte Loyalität konnte er zu Sunnys persönlichem Diener aufsteigen. Er mixt ihm Getränke und räumt dessen Zimmer auf, wurde aber auch zu dessen Leibwächter ausgebildet und übernimmt alle Aufgaben, die absolute Diskretion erfordern. Dieser bedarf es beispielsweise, als Sunny auf Neda trifft. Die junge Journalistin recherchiert eigentlich nur beiläufig in Sunnys Umfeld, die Begegnung ist bloß Zufall, aber schnell baut sich zwischen den beiden eine enorme Anziehung auf. Doch Neda gerät mit ihrem exklusiven Zugang zu Sunny bald in Gewissenskonflikte.


    Diese Beziehung wird weiter auf die Probe gestellt, als wegen eines Skandals im Rahmen eines größeren Bauprojekts ein offener Streit zwischen Vater und Sohn ausbricht. Plötzlich ist auch Nedas Leben in Gefahr und alle drei stehen vor bedeutenden Entscheidungen mit unabsehbaren Konsequenzen für alle.


    Once upon a Time in Delhi


    Mit "Zeit der Schuld" legt Deepti Kapoor einen beeindruckenden und vielschichtigen Roman über Familienbande, Treue und Verrat sowie die komplizierten Verwicklungen einer schwindelerregend komplexen indischen Gesellschaft vor. Es handelt sich dabei keineswegs um einen typischen Krimi, was man angesichts des Settings vielleicht denken könnte. Es ist mehr Drama erzählt im Mafia-Setting; der Roman hat mehr Ähnlichkeit mit dem Film "Once upon a Time in American" als mit "Goodfellas" (oder mehr mit dem ersten Teil der Godfather-Trilogie als mit dem zweiten, aber die vollmundigen "Der Pate"-Vergleiche scheinen in der allgemeinen Rezeption eher zu irritieren): Mit großer, epischer Geste erzählt Kapoor hauptsächlich ihre Figuren, ihre Widersprüche und die Abgründe, die sich zwischen ihnen auftun. Entsprechend ist das Erzähltempo gemächlicher.


    Die Autorin tut dies mit stilistischer Gewieftheit. Die Sprache, so weit es in der gelungenen Übersetzung durch Astrid Finke absehbar ist, ist geschmeidig wie flüssig und doch voller szenischer Details, die das städtische Chaos der pulsierenden Metropole wie auch die außerweltliche Dekadenz der Superreichen mit einer faszinierenden Lebendigkeit vor Augen führen. So lassen sich dem Roman auch manche Redundanzen verzeihen, die die voluminöse Geschichte ein wenig in die Länge ziehen.


    Die szenische Detailverliebtheit hat mich bisweilen an eine mögliche (und derzeit tatsächlich im frühen Stadium einer Skripterstellung befindliche) Verfilmung als Serie denken lassen. Der Eindruck entsteht gleich als Erstes, denn das Buch beginnt mit einem Cold Opening, der den Leser verwirrt, ehe es einen Gang zurückgeschaltet. Im Zentrum der Handlung stehen Episoden zwischen 2006 und 2008, nach dem Prolog geht Kapoor aber zurück in die frühen Neunziger, um sich dem erzählerischen Epizentrum Kreise ziehend anzunähern. Sie springt nicht oft zwischen den Zeiten, tut dies aber in beide Richtungen, vor und zurück, und bedient sich dabei der unterschiedlichen Perspektiven Ajays und Nedas, um so nach und nach ein Bild der Ereignisse zusammenzusetzen. Das ist clever gemacht und lässt den Figuren den Raum zur Entfaltung, Sunny bleibt als vornehmlich von außen Betrachteter ein Rätsel, was seine Figur ein Stück weit reizvoller macht.


    Fazit


    Ich bin hellauf begeisert von diesem Buch. "Zeit der Schuld" ist großartiges Crime Drama mit vielschichtigen Charakteren, die auf einer reich ausgestatteten Bühne agieren, alles großartig erzählt, wenn auch nicht immr auf dem kürzesten Wege. Das ungewöhnliche Setting gestattet einen unkonventionellen Blick auf das moderne Indien. Ich bin sehr gespannt, wann ich wieder von Deepti Kapoor hören werde.


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  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Deepti Kapoor - Zeit der Schuld“ zu „Deepti Kapoor - Zeit der Schuld / Age of Vice“ geändert.