Thore D. Hansen – Taupunkt

  • erscheint am 18.1.


    Klappentext/Verlagstext
    Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat Wissenschaftler Tom Beyer das auch im Weltklimarat umstrittene Phoenix-Programm entwickelt. Es fordert die Aufhebung von Welthandel und Globalisierung, dazu Climate-Engineering, komplette Umstellung der Landwirtschaft, rigorose Geburtenkontrolle, künstliche Sicherung der Polarkappen, gigantische Aufforstungen – allesamt schwerste Eingriffe in das gewohnte Leben der Menschen. Kein Wunder, dass die Regierungen der Welt nichts davon wissen wollen. Nach einer weiteren gescheiterten Klimakonferenz zieht sich Tom aus dem Weltklimarat zurück.

    Toms Bruder Robert ist Großlandwirt in Norddeutschland. Sein Land leidet unter der Dürre und er selbst an Alkoholsucht. Die ungleichen Brüder trennt ein alter familiärer Konflikt, während sich ihre ebenso ungleichen Töchter anfreunden. In Deutschland entschließt sich Tom, mit seinem Forderungskatalog an die Öffentlichkeit zu treten, und löst damit eine mediale Hetzjagd aus. Die Auseinandersetzungen zwischen Klimaleugnern und Klimaaktivisten werden immer gewalttätiger. Nicht nur Bruder Robert sieht seine wirtschaftliche Existenz bedroht und verliert sich in Verschwörungstheorien.

    Während das Thema Klimawandel die Brüder entzweit, stellen sich die Töchter zwischen die unversöhnlichen Geschwister und fordern ihre Zukunft ein. Plötzlich ist die lange vorhergesagte Klimakatastrophe Realität. Eine ungeheure Hitzewelle wälzt sich über Europa; Stromausfälle und Brände bringen das öffentliche Leben zum Erliegen, Zehntausende Menschen sind vom Hitzetod bedroht. Der Katastrophenschutz versagt. Alleingelassen auf Roberts Hof in Ostdeutschland kämpft Familie Beyer ums physische Überleben und muss sich ihren Dämonen stellen. Die Trümmer vor Augen wissen alle, dass etwas geschehen muss. Werden die Töchter Aktivisten einer epochalen Veränderung, setzt sich das Phönix-Programm durch?


    Der Autor
    Thore D. Hansen, Politikwissenschaftler und Soziologe, arbeitete erfolgreich als Journalist und ist Experte für internationale Politik sowie Autor futuristischer Politthriller wie Quantum Dawn und China Dawn. 2017 wurde seine kommentierte Biografie der Sekretärin von Joseph Goebbels, Ein Deutsches Leben, als Warnung vor dem neuen Rechtspopulismus weltweit in 20 Sprachen übersetzt. Seine Bücher extrapolieren die Folgen gegenwärtiger Trends für die nächste Zukunft.


    Inhalt
    In der unmittelbaren Zukunft nach Beginn der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs wirkt Tom Beyer ausgebrannt nach einem Jahrzehnt Einsatz für das Weltklima, zuletzt als Sprecher der Weltklima-Konferenz in New York. Sein Scheitern schreibt Tom u. a. der deutschen Regierung zu, die ihn hängen gelassen hätte. Auf den hochqualifizierten Wissenschaftler wartet in Deutschland schon eine neue Aufgabe in der Klimaforschung. Tom stammt von einem Bauernhof in Nordfriesland, den er als 17-Jähriger im Streit mit den Eltern verließ und den sein Bruder Robert übernommen hat. Anders als Tom ist Robert auf seinem zweiten Hof in Ostdeutschland direktes Opfer des Klimawandels; denn die Region mit typischem Kontinentalklima wird von einer nie dagewesenen Hitzewelle getroffen. Unbeweglich hängt ein Hochdruckgebiet über der Gegend um Fehrbellin, riesige ausgetrocknete Flächen stehen in Brand und es gab bereits zahlreiche Hitzetote.


    Die von Kapitel zu Kapitel steigende Tagestemperatur bildet einen beängstigenden Countdown ab: Temperaturen um die 40°C sind Standard, für die kommenden Jahre sagen Experten weitere Temperatursteigerungen voraus. Wenn er den Hof in Lentzke verkaufen will, ehe alles Futtergetreide verdorrt und sein Vieh verdurstet ist, muss Robert schnell handeln. Seiner Tochter Janne, Meteorologie-Studentin und Klimaaktivistin, hat er bisher offenbar nicht zugetraut, mit ihm Ideen für eine Landwirtschaft der Zukunft zu entwickeln. Während in New York Tom noch immer nicht mit Frau, Tochter und Geliebter über seine Zukunftspläne gesprochen hat, entfaltet Thore D. Hansen den Konflikt der Brüder Beyer, der sich nur geringfügig von Erbfolgekonflikten unterscheidet, wenn ein Nachkomme einen Hof übernimmt und die Geschwister ihn verlassen. Die Brüder eint die Sorge um ihre jeweils einzige Tochter, denen sie nicht zutrauen, der radikalen Umstellung ihrer Lebensweise gewachsen zu sein, die Tom in seinem Phönix-Programm fordert.


    Als in Lentzke Tom, seine Tochter Mareike, Robert, Janne und ihr Partner Tobias schließlich aufeinander treffen, sitzen sich an Roberts Küchentisch Klimaforscher, Klimaaktivisten und Klimaleugner gegenüber. Ihr Konflikt erhält besondere Brisanz, weil Robert zu ausgebrannt ist, um vernünftige Entscheidungen zu treffen und jeder erwartet, dass andere ihre Position aufgeben. Teilst du meine Einstellung nicht, bist du gegen mich. Da Robert in Brandenburg offenbar hauptsächlich Ferienhausbesitzer als Nachbarn hat und nicht gerade talentiert darin wirkt, sich ein berufliches Netzwerk zu schaffen, kann er nur scheitern.


    Ein Jahr später sehen sich Landwirte vor der Pleite, die in Unterkünfte für Touristen investiert haben, angesichts weiter steigender Temperaturen. Angefeuert von der Boulevardpresse, erstarrt Deutschland im Grabenkrieg radikaler Gruppierungen, gelähmt durch passive Politiker und handlungsunfähige Institutionen. Die Flucht aus dem brennenden Brandenburg wird zur Überlebensfrage: Wer der Beyers kann die Flucht an die geringfügig kühlere Nordseeküste schaffen – und wer wird auf politischer Ebene den Karren noch aus dem Dreck ziehen?


    Fazit

    Die Zuspitzung auf den Bruderkonflikt wirkt anfangs recht banal. Nüchterne Vorträge zu Klimafragen bremsen zwar die Spannung, aber wie von Dystopien gewohnt, hat mich - bei inzwischen angezeigten 50°C - das Bangen um die Figuren fesseln können.


    Der in der Besetzung männerlastige Klimaroman (Jannes Mutter ist bereits verstorben, weitere Frauenfiguren bleiben blass) vermittelt drängende Probleme: das weltweite Ausmaß des Klimawandels, Polarisierung der deutschen Gesellschaft quer durch die Familien, die Rolle Sozialer und anderer Medien dabei, Personalisierung von Konflikten bis zur Vernichtung von „Gegnern“, Vertrauensverlust in Wissenschaft und Wissenschaftler, bevorstehender Zusammenbruch des Staates und seiner Infrastruktur. Die Figuren des dystopischen Szenarios wirkten auf mich anfangs zwar blass, das Durchhalten, bis sie zum überraschenden Ende „auspackten“, hat sich jedoch gelohnt.


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    :study: -- Damasio - Gegenwind

    :study: -- Toibin - Long Island

    :musik: -- Catton - Gestirne; Rehear


    "The three most important documents a free society gives are a birth certificate, a passport, and a library card!" E. L. Doctorow

  • Autor: Thore D. Hansen
    Titel: Taupunkt
    Seiten: 270

    ISBN: 978-3-95890-470-5

    Verlag: Europa Verlag


    Autor:

    Thore D. Hansen wurde 1969 geboren und ist ein deutscher Journalist und Schriftsteller. Er studierte zunächst in Hamburg und Boston Politikwissenschaft und Soziologie, bevor er für verschiedene Tageszeitungen und Magazine in Europa zu arbeiten begann. Stationen waren u. a. Deutschland, Österreich und Spanien.


    Für das Magazin Tomorrow begleitete er den Aufstieg und Fall der New Economy 2001 als Wirtschaftsredakteur, bevor er als Pressesprecher verschiedener Banken arbeitete. Seit 2010 ist er vorwiegend als Schriftsteller tätig. Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland ist er seit 2019.


    Nach verschiedenen Arbeiten, etwa zu den Geheimdiensten oder zur Hochfinanzkrise, veröffentlichte er 2017 die Einordnung der Biografie Brunhilde Pomsels, welche die Sekretärin Joseph Goebbels gewesen ist. Basierend auf 30 Stunden Interviewmaterial des gleichnamigen Dokumentarfilms ("Ein deutsches Leben") nimmt er in einen historischen Vergleich Analogien der Gegenwart auf.


    Immer wieder verarbeitet Hansen so hochaktuelle und diskutierte Themen in seinen Werken.


    Inhalt:

    Unter Ausschluss der Öffentlichkeit hat Wissenschaftler Tom Beyer das auch im Weltklimarat umstrittene Phönix-Programm entwickelt, das schwerste Eingriffe in das gewohnte Leben der Menschen nach sich ziehen würde. Kein Wunder, dass die Regierungen der Welt nichts davon wissen wollen.

    Frustriert zieht sich Tom nach Deutschland zurück, wo er mit seinem Forderungskatalog an die Öffentlichkeit tritt. Damit löst er eine mediale Hetzjagd aus, die sogar sein Leben bedroht. Auch der seit Jahrzehnten schwelende Konflikt mit Toms Bruder Robert spitzt sich zu. Robert ist Großlandwirt in Norddeutschland, sein Land leidet unter der Dürre, er sieht seine wirtschaftliche Existenz bedroht und verliert sich in Verschwörungstheorien.


    Doch dann verändert eine nie da gewesene Hitzewelle den lauf der Geschichte. Alleingelassen auf Roberts Hof, kämpft Familie Beyer ums physische Überleben und muss sich ihren Dämonen stellen. Die Trümmer vor Augen, wissen alle, dass etwas geschehen muss ... (Klappentext)


    Rezension:

    Unser Klima verändert sich in einem atemraubenden tempo. Irgendwann wird diese Geschwindigkeit so sehr überhand nehmen, dass wir laufen müssen, um nicht zurückzubleiben. Das erfordert schon heute Maßnahmen im Kleinen wie Großen.


    Die wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten stehen uns zur Verfügung, zumindest in den Industrienationen auch das dafür notwendige Know How und Geld. Nur, die politischen Entscheidungsträger agieren zu zögerlich, entweder da sie um die nächste Wiederwahl fürchten oder von Wirtschaft und Lobbyismus getrieben, praktisch wissend der Katastrophe entgegengehen. Nur, wozu führt das?


    Der vorliegende Roman aus der Feder des Politikwissenschaftlers und Soziologen setzt einige Jahre danach an, nicht mehr weit, fürchtet man berechtigterweise beim Lesen und führt uns vor Augen, was es bedeutet, wenn alle notwendigen Maßnahmen soweit aufgeweicht wurden und zwangsläufig gescheitert sind, dass auch Mitteleuropa mit den unmittelbaren Wandel des menschengemachten Klimawandels zu kämpfen hat.


    Kurzweilig und auf neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen basierend entwirft der Autor ein Szenario, wie es eintreten könnte. Waldbrände an vielen Stellen in Deutschland gleichzeitig, dicht aufeinanderfolgende Dürreperioden, die auch hier Maßnahmen wie das Abstellen und Rationieren von Trinkwasser notwendig machen, flächendeckende Triage in Krankenhäusern, die aufgrund von dehydrierten Menschen vollkommen überlastet sind.


    Dies ist der Raum in dem sich die Handlungsstränge dieser modernen Dystopie bewegen. Einerseits verfolgen wir hier dem Weg des Wissenschaftlers, der sowohl auf taube Ohren bei der Politik als auch bei der Öffentlichkeit stößt, die die Wahrheit nicht erträgt, andererseits mit den Dämonen der eigenen Familie. Toms Bruder ist als Landwirt direkt betroffen, bekommt die Auswirkungen unmittelbar zu spüren und leugnet dennoch, was er sieht.


    In diesen Sphären bewegen wir uns im Laufe der Geschichte, in der Perspektive von Kapitel zu Kapitel wechselnd. Sehr sachlich ist das immer dann, wenn der Autor einem seiner Hauptprotagonisten praktisch "Fachvorträge" in den Mund legt.


    Die Dynamik in der Geschichte entsteht jedoch vor allem durch die Konfrontation der Gegensätze in Form der unterschiedlichen Ansichten der Figuren. Wohltuend ist es, dass sich der Autor nicht nur bemüht hat, eine Seite auszuformulieren. Man kann die Gründe für das Denken der Gegenseite, hier in Figur von Toms Bruder, dadurch zumindest nachvollziehen.


    Das gleicht entstandene Längen aus, führt dazu, dass man die spannende Geschichte weiterverfolgt, die innerhalb eines Zeitraums von wenigen Wochen spielt.


    Auch das Wechselspiel zwischen den handlungsorten, der weltpolitischen Bühne des Weltklimarats, der Großstadt Berlin und der ländlichen Einöde tragen maßgeblich dazu bei, dass die Erzählung nicht kippt, sondern immer neue Punkte hineinbringt, die auch konsequent weiterentwickelt werden.


    Der Autor hat sich in diesem Roman auf wenige Figuren konzentriert, diese auszugestalten, und zeigt dennoch gleichermaßen damit die Dramatik im Großen wie Kleinen gleichermaßen auf, während Nebenfiguren relativ blass bleiben. Diese spielen jedoch auch keine so große Rolle, als dass das entscheidend wäre. Die eine gewichtige Rolle spielenden Gegensätze sind nicht nur anhand dieser aber sehr minutiös ausgearbeitet, gerade das macht die Handlung oder die Entscheidungen der Figuren jedoch glaubhaft.


    Mit den Figuren wechselt auch die erzählerische Perspektive. Fakten werden innerhalb der eingearbeiteten Vorträge eingebracht. Alleine für dieses Zusammentragen von Informationen, der plastischen Beschreibung, was dies gerade für Deutschland bedeuten kann, muss man dem Autoren Respekt zollen.


    Beim Lesen hat man den Eindruck, dass Hansen immer wieder den Finger in die Wunde legen wollte, um aufzuzeigen, dass das, was heute gar nicht oder nur mit Lethargie angegangen wird, uns eines Tages auf die Füße fallen könnte, und nie dagewesene Maßnahmen erfordern würde. Und dafür ist ein Roman vielleicht die geeignetere Form. Einen solchen liest man eher als ein trockenes Sachbuch.


    Der Roman ist mit all diesen Punkten sehr schlüssig, dazu spannend geschrieben. Interessant ist zudem das halboffene Ende, was zwar in seiner Ausgestaltung nicht verraten werden soll, aber auch hier wieder ein Fingerzeig des Autoren und vieler Wissenschaftler darstellt. So könnte es aussehen, wenn wir nicht aufpassen. Bei uns und nicht irgendwo anders auf der Welt, wo uns das "egal" sein könnte. Das wirkt unglaublich stark.


    Ab Mitte der Erzählung gewinnt der Roman zudem gehörig an Erzähltempo, welches einem noch mehr in dieses Szenario hineinzieht, als man das zu Beginn des Lesens vielleicht ahnt. So schnell wie die Kapitel hochzählen, passend in Grad Celsius angegeben, die Anzeige des Thermometers klettert unerbittlich, so fix scheinen sich die Befürchtungen des einen Protagonisten zu bewahrheiten, wie auch ein immer bedrohlicher werdender Unterton im Text den Raum einnimmt.


    Da das alles in Deutschland spielt und nicht irgendwo anders kann man sich als hier lebender Lesender gut vorstellen, wissen wir doch um staubtrockene Böden in Ostdeutschland, stetig steigende Waldbrandgefahr im Hochsommer oder Niedrigpegel in Flüssen, die für die Binnenschifffahrt oder zum Betrieb von Kraftwerken wichtig sind. Auch wegen Hitze strapazierte Straßen gab es hierzulande ja schon.


    Thore D. Hansens Szenario lässt nachdenklich zurück. Möchten wir wirklich so etwas wie dieses erleben oder sollten wir nicht endlich etwas tun, klein im Privaten, groß in der Gemeinschaft. Wer mit wissenschaftlichen Studien nichts anfangen kann, diese schwer zugänglich findet, ist mit diesem wissenschaftlich unterfütterten Roman gut bedient, um Ansätze zu finden, wegen des Warums. Danach ist es vielleicht einfacher, sachlich über das Wie zu diskutieren. Wenn dazu Thore D. Hansens Text beitragen kann, ist viel gewonnen.