Brennpunkt Berlin: Zwischen Studentenbewegung und Spionage
Endlich geht mit "Kinder des Aufbruchs" die Geschichte um die Zwillinge Alice und Emma weiter.
Nachdem in "Kinder ihrer Zeit" die Flucht aus Ostpreußen nach Berlin, die Trennung der Zwillinge, der Mauerbau und schließlich die geglückte Flucht nach West-Berlin 1961 im Zentrum standen, sind nun sechs Jahre vergangen. Alice und Emma leben immer noch in Berlin. Emma arbeitet weiterhin als Dolmetscherin und hat Kontakt in hohe politische Kreise. Alice ist mittlerweile Journalistin und berichtet erschüttert über das brutale Vorgehen der Polizei gegen die Studentinnen und Studenten in Berlin 1967. Vor dem Hintergrund der Unruhen werden die Schwestern mit ihrer Vergangenheit konfrontiert und alte Bekannte aus der DDR tauchen auf und suchen den Kontakt zu ihnen. Zu ihnen gehört die Sängerin Irma Assmann, die früher für den KGB spioniert hat. Langsam baut sich ein Geflecht aus Schuld, Misstrauen und Angst auf. Zudem wird Alice in eine Fluchtvorbereitung verwickelt und Emma fühlt sich einem verängstigten Heimkind verpflichtet, das sie mit der Zeit mehr als lieb gewinnt. Dann geschieht ein Mord und Stasi und BND scheinen ihre Hände im Spiel zu haben.
Claire Winter hat mit dem zweiten Teil um Emma und Alice wieder einen tollen Schmöker vorgelegt, der genau richtig ist, um es sich damit auf dem Sofa für ein paar Stunden gemütlich zu machen und alles um sich herum zu vergessen. "Kinder des Aufbruchs" kann problemlos ohne Kenntnis des ersten Teils gelesen werden.
Wieder wird eine ausgefeilte fiktive Handlung in historische Ereignisse eingebunden und so eine überaus spannende und auch informative Geschichte gezaubert. Mit der bewegten Zeit von Schah-Besuch, Studentenunruhen, dem Tod von Benno Ohnesorg, den Protesten gegen die Allmacht des Springerkonzerns und der gespannten Lage zwischen Ost- und West-Berlin, hat die Autorin erneut einen überaus dramatischen Rahmen für ihre Geschichte gewählt. Die historischen Ereignisse sind hervorragend recherchiert und wunderbar aufbereitet, so dass sich die fiktive Handlung nahtlos einfügt. Das Berlin Ende der 1960er Jahre wird ganz wunderbar eingefangen. Der Schreibstil ist wie gewohnt sehr flott und leicht zu lesen, sehr bildhaft und die Geschichte ist von Beginn an spannend. Bis zum Ende wird die Spannungskurve aufrechterhalten, erst kurz vor Schluss laufen alle Fäden zusammen.
Die letzten Seiten hätten gerne noch etwas ausführlicher sein können, da ist für mich eine Leerstelle geblieben. Im Vergleich zum Rest des Buches, ging es etwas rasch zu Ende. Allerdings hat gerade diese Leerstelle das Potenzial für einen weiteren Roman.
Ich kann "Kinder des Aufbruchs" nur empfehlen, ein klasse Unterhaltungsroman mit Anspruch, der durch den lockeren und bildhaften Schreibstil, den Spannungsbogen und die eindrucksvolle Recherchearbeit besticht, die die Autorin nicht nur in das Archiv des Springerkonzerns, sondern auch in einen alten Fluchttunnel geführt hat. Das Nachwort von Claire Winter informiert ausführlich für die im Roman vorkommenden historischen Ereignisse.