Anna Seghers - Das siebte Kreuz

  • Die Autorin: Anna Seghers
    Titel: Das siebte Kreuz, erschien erstmals 1942 im mexikanischen Exilverlag El libro libre
    Seiten: 448 Seiten, unterteilt in sieben Kapitel
    Verlag: Aufbauverlag
    ISBN: 9783746634692


    Die Autorin:
    Anna Seghers wird am 19. Nov 1900 als Annette Reiling in Mainz geboren. 1924 promoviert sie in Heidelberg mit einer Dissertation über «Jude und Judentum im Werk Rembrandts». 1925 heiratet sie den ungarischen Soziologen Laszlo Radvanyi; gemeinsam haben sie zwei Kinder. 1933 müssen sie vor den Nazis aus Deutschland flüchten: über die Schweiz nach Paris, 1940 in den unbesetzten Teil Frankreichs, 1941 dann auf einem Dampfer von Marseille nach Mexiko.

    Nach dem Krieg kehrt sie 1947 nach Deutschland zurück, engagiert sich politisch in der SED, erhält den Nationalpreis der DDR und wird Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR. 1983 stirbt sie in Berlin und wird dort auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt.


    Inhalt und Meinung:
    Georg Heisler flieht mit sechs anderen Häftlingen an einem Montag Anfang 1937 aus dem KZ Westhofen. Der Lagerkommandant Fahrenberg setzt alles daran diese sieben Flüchtlinge einzufangen, denn er weiss: eine gelungene Flucht wird seine Karriere kosten. Oder mehr. Also lässt er sieben Platanen fällen um sieben Kreuze daraus aufzustellen, an die er die Ausbrecher als Mahnung an die übrigen Häftlinge anbinden möchte.


    In sieben Kapiteln werden die nächsten sieben Tage beschrieben. Hauptsächlich erleben wir die Flucht Georg Heislers, welche Ängste er auszustehen hat, wie er an Wachposten vorbeikommt, oder wo er über Nacht Unterschlupf findet. Mindestens ebenso wichtig sind aber die Gedanken und Beschreibungen der anderen Personen, die ihm begegnen, von denen er gejagt wird oder die sich um Georg sorgen.


    So entsteht ein Querschnitt durch die damalige Gesellschaft. Sei es der jüdische Arzt, die Bauersfrau im benachbarten Dorf, die Familie von Georg, ehemalige Genossinnen und Genossen, zufällige Begegnungen beim Bäcker, in der Kirche, aber auch Wachpersonal des KZs, die sich um ihre Karriere Sorgen, wenn der Kommandant mal nicht mehr ist, oder der Berufsschüler dessen Jacke geklaut wird, und dann mit dem Flüchtling mitfühlt, und und und


    Dutzende von Personen tauchen auf, man lernt sie kurz kennen und ist überrascht: kaum jemand ist wirklich böse. Die meisten haben Angst, aber solange sie sich aus Allem heraushalten geht es ihnen einigermassen gut, unter den Nazis.
    Heisler indessen weiss, dass ein Flüchtling nach dem anderen gefangen wird, dass seine Familie und ehemaligen Freunde überwacht werden. Er weiss nicht, von wem er Hilfe erwarten kann oder wer ihn abweist oder gar verrät.


    Mir gefiel diese rasante Fluchtgeschichte ausserordentlich gut. In über hundert knappen Szenen erhält man eine erstaunlich realistische Schilderung der damaligen Bevölkerung, über Sorgen und Hoffnungen, über gegenseitiges Misstrauen und der brutalen Unterdrückung Andersdenkender. Nichts Neues könnte man meinen, aber so vielschichtig beschrieben, habe ich es noch nirgendwo gelesen. Das alles mit einer spannenden Flucht verpackt, macht diesen Roman zu einem echten Highlight.


    Kein Wunder wurde die Geschichte nur wenige Monate nach ihrem Erscheinen bereits 1944 mit Spencer Tracy in der Hauptrolle verfilmt.

  • Wie es nach diesem Roman mit dem Scharführer Zillich weitergeht, kann man in der Geschichte "Das Ende" nachlesen, die 1946 in diesem Band erschien.


    In diesem erstaunlich differenzierten Text wird aus dem Täter der Gejagte. Ähnlich wie dem Heisler ergeht es nun Zillich - wem kann er trauen, wo kann er Hilfe erwarten, und wie ergeht es seiner Familie? Auch dieser Band mit drei Kurzgeschichten ist absolut empfehlenswert!

  • Vielen Dank Nungesser, dass du dieses Buch hier vorgestellt hast. Ich hab es vor langer Zeit als Schullektüre gelesen und erinnere mich, dass es mich sehr beeindruckt hat. Ich glaube, ich muss das unbedingt noch mal lesen. Und auch vielen Dank für dne Hinweis zur Fortsetzung - die kannte ich tatsächlich noch nicht.

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Es freut mich sehr, Dir Anna Seghers dann nochmals ins Gedächtnis gerufen zu haben Hirilvorgul !

    Ich las auf Wikipedia, dass Anna Seghers insbesondere in der damaligen DDR Pflichtlektüre in der Schule war. Ich weiss jetzt nicht, wo Du zur Schule gingst, aber ich (Abi 96) hatte in der Schule gar nichts von ihr gelesen - und das, obwohl ich als Wiesbadener quasi gegenüber von Mainz lebte, wo sie ja geboren ist und wo Texte von ihr wie eben "Das siebte Kreuz" und "Der Ausflug der toten Mädchen" handeln.

  • Ich las auf Wikipedia, dass Anna Seghers insbesondere in der damaligen DDR Pflichtlektüre in der Schule war. Ich weiss jetzt nicht, wo Du zur Schule gingst,

    Ja, genau da. :lol: Und mein Abi ist noch ein bisschen länger her als deins. Dann kannst du dir jetzt ungefähr ausrechnen, wie lange die Lektüre her ist. :-,

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • aber ich (Abi 96) hatte in der Schule gar nichts von ihr gelesen - und das, obwohl ich als Wiesbadener quasi gegenüber von Mainz lebte, wo sie ja geboren ist und wo Texte von ihr wie eben "Das siebte Kreuz" und "Der Ausflug der toten Mädchen" handeln.

    das war 1983 auch nicht anders, da hab ich mein Abi in Hofheim gemacht :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Der Vollständigkeit halber:

    Eher zufällig entdecke ich in meiner nächsten Anna Seghers-Lektüre schon wieder den Charakter Zillich. In diesem früheren Werk (etwa zehn Jahre, bevor sie Das siebte Kreuz schrieb) beschreibt sie den aufkommenden Nationalsozialismus in einem rheinhessischen Dorf, und der Bauern und Kommunistenhasser Zillich ist mit „Feuer und Flamme“ dabei.

  • Wir hatten das Buch auch als Schullektüre (Grundkurs Deutsch fürs Abi '99 in Bayern). Ich habe es als sehr eindrucksvoll in Erinnerung.

  • Gerade habe ich noch die Graphic Novel zum Roman gelesen. Wobei: 1942 wurde das Werk als "Pictorial novel" vermarktet. Der Begriff Graphic Novel tauchte gemäss Nachwort wohl erst 1978 auf, und der Begriff Comics klang "komisch" und eher etwas nach Kinderkram.

    Dabei hatte sich das King Features Syndicate (gehörte William Randolph Hearst) gemeinsam mit dem Book of the month-Club vorgenommen, zeitgenössische wichtige Literatur auf eine bebilderte Geschichte von ca 64 Seiten zu "kondensieren", damit Lesefaule, Vielbeschäftigte, etc "mitreden" konnten.


    Natürlich fällt in dieser Form vieles weg, und einige Szenen sind doch recht holprig, zumindest wenn man den ganzen Roman gelesen hat, und weiss, wie der Heisler nun dorthin kam, oder weshalb XY so handelt oder denkt. Aber okay, eine gestraffte Geschichte, aber dafür mit sehr eindrücklichen Illustrationen von Leon Schleifer, bzw William Sharp, wie er sich im amerikanischen Exil dann nannte. Die düsteren schwarz-weiss Bilder zeigen ausgemergelte Menschen mit angsterfüllten Augen, die von kräftigen, uniformierten Amtspersonen beobachtet und schikaniert werden. In der Regel finden sich auf einer Seite (in der oberen Hälfte) zwei Panels, und auf der unteren Seite dann der entsprechende Text dazu. Keine Sprechblasen, sondern Fliesstext.


    20 Seiten Nachwort von Thomas von Steinaecker bieten zudem eine Menge Hintergrundinformationen, weshalb das Buch zu jener Zeit (und immer noch) so erfolgreich war, inwiefern sich die deutsche zur amerikanischen Ausgabe unterscheidet, zudem wird die Publikationsgeschichte des Romans umrissen, und die Vita von Anna Seghers und William Sharp darf natrlich auch nicht fehlen.


    Eine schöne Ergänzung für Fans des Romans und Liebhaber von Zusatzmaterialien und Sekundärliteratur!