Alex Schulman - Verbrenn all meine Briefe / Bränn alla mina brev

  • Kurzmeinung

    Maesli
    Bücher über häusliche Gewalt habe ich schon einige gelesen; dies ist eine Klasse für sich
  • Kurzmeinung

    Bartie
    Beeindruckende Geschichte einfühlsam geschrieben, spannend, bewegend
  • Wie Ereignisse der Vergangenheit der Ahnen das heutige Leben der Nachkommen prägen können zeigt das hier vorliegende Buch von Alex Schulman. Genauso aber auch, das Vergangenheit kein unüberwindbares Schicksal ist, dem wir uns fatalistisch ergeben müssen, sondern wir immer die Wahl haben, wie wir die Zukunft gestalten und damit verändern.

    Im Mittelpunkt dieses autobiographischen Romans steht eine Wut des Autors, unter der die Ehefrau und die Kinder stark leiden. Schulman versucht gegenzusteuern und beschäftigt sich immer mehr mit einem Familiengeheimnis, das seine Großeltern Sven Stolpe, Karin Maria von Euler-Chelpin und den Schriftsteller Olof Lagercrantz umfasste. Anhand von Romanen, Briefwechseln und dem Besuch von Originalorten gelingt es Schulman in die Vergangenheit einzutauchen, sie zu verstehen und sich bewusst zu entscheiden, aus dem Hamsterrad der Gewalt und Wut auszusteigen.
    "Verbrenn alle meine Briefe" berührt vom ersten Moment an, gibt aber auch Hoffnung, das nichts so bleiben muss, wie es jetzt ist.

  • K.-G. Beck-Ewe

    Hat den Titel des Themas von „Alex Schulman - Verbrenn all meine Briefe“ zu „Alex Schulman - Verbrenn all meine Briefe / Bränn alla mina brev“ geändert.
  • Polyperspektive

    Auch in seinem zweiten Roman wendet Schulman das Kompositionsprinzip mehrsträngigen Erzählens an. So rezipiert der Leser insgesamt drei gänzlich unterschiedliche Romane, je nachdem, auf welchen Bereich sich gerade der Fokus richtet.
    Zu Beginn haben wir es mit einer modernen Betroffenheitsgeschichte zu tun. Der Ich-Erzähler registriert, wie dysfunktional sein Familienleben ist, kommt durch Reflexion zu dem Schluss, dass die Schuld bei ihm liegt, und nimmt therapeutische Hilfe in Anspruch. So weit, so gut - und so breit ausgewalzt, wie man auch leider zu Protokoll geben muss.
    In einer ersten Ebene des Rückblicks konzentriert sich dieser Protagonist sodann auf eine frühe Zeit eigenen Erlebens, Figuren und Ereignisse aus der Kindheit treten aus dem Schatten der Vergangenheit, um bei genauer Betrachtung ganz neu bewertet zu werden.
    Diese gewonnenen Erkenntnisse schließlich führen dazu, dass in detektivischer Kleinarbeit Zeugnisse und Hinweise aus dem Leben der Großeltern ans Tageslicht gefördert werden, die den Autor dazu motivieren, in einem schöpferischen Akt den Roman der toxischen Beziehung zwischen Sven, Karin und Olof zu imaginieren.
    Der Leser hat die Freiheit, diese drei Teile jeweils einem bestimmten Genre zuzuordnen: also zunächst dem introspektiv angelegten autobiografischen Roman, sodann der Gattung der Familiengeschichte als ‚memoir‘, sowie zuletzt dem Eheroman mit historisch-gesellschaftlich-psychologischem Schwerpunkt.
    Wie allerdings die Qualität dieser drei Teile bewertet wird, welches Interesse ihnen jeweils entgegengebracht wird, ist absolut subjektiv!

    Mein Urteil: 4 Sterne

  • Zu den Wurzeln der Wut

    Alex Schulmans 'Die Überlebenden' ist mir in sehr guter Erinnerung geblieben, denn es geht darin um traumatisierende Kindheitserlebnisse. Deshalb war ich sehr gespannt auf den Nachfolgeband und wurde nicht enttäuscht.

    Auch hier geht es um das familiäre Miteinander. Alex realisiert, dass seine Familie (seine Frau und seine Kinder) bisweilen Angst vor ihm hat. Dies beunruhigt ihn, denn er ist davon überzeugt, dass er eine Wut in sich trägt, die wegen unerheblichen Anlässen plötzlich ausbricht. Woher kommt diese Wut?

    Nachdem er gemeinsam mit einer Psychologin festgestellt hat, dass familiäre Disharmonien sich besonders häufig in der Familie mütterlicherseits befinden, beschließt er, dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Er befürchtet, dass diese innerlich festgelegte Wut sonst auch im Verhalten seiner Kinder Fuß fasst. Also beginnt er mit Recherchen und fokussiert diese auf seinen Großvater Sven Stolpe, der ein erfolgreicher Schriftsteller war und in seinen Werken viel Persönliches einfließen ließ.

    Der Roman beinhaltet drei Handlungsstränge. Zunächst die Gegenwart, in der sich Alex der Gefahr bewusst wird und handelt.

    Sehr signifikant ist das Jahr 1932, denn da lernt seine Oma Karin, die bereits mit Sven verheiratet ist, ihre große Liebe kennen und lässt sich darauf ein. Aber ihre Ehe ist ein Gefängnis, aus dem sie nicht ausbrechen kann, eine 'Amour fou', sehr leidenschaftlich, aber mit folgenschweren Auswirkungen für die Liebenden. Als Sven Karins Untreue bemerkt, macht er ihr das Leben zur Hölle, und es gibt für Karin kein Entrinnen.

    Der dritte Handlungsstrang beschreibt persönliche Erinnerungen, die Alex durch Besuche bei seinen Großeltern in den späten 80ern bewahrt hat und die seine Gedanken untermauern.

    Der Autor beschreibt atmosphärisch dicht, wie zerrissen sich Karin zwischen den beiden Männern fühlt und wie verfahren ihre Lage ist. Man leidet förmlich mit ihr. Überhaupt empfindet man tiefes Mitleid, denn schon kurz nach der Verlobung fängt sie an, sich Svens Wünschen unterzuordnen und damit ihr eigenes Glück aufzugeben. Sven erkennt ihre prekäre Situation und demütigt sie auf brutale Weise, manchmal nur wegen Kleinigkeiten. Einige Szenen sind sehr berührend, und man muss erstmal darüber nachdenken.

    Der Schreibstil gefällt mir außerordentlich gut, denn er vermittelt Spannung so intensiv, wie sie in vielen Krimis nicht entsteht. Deshalb möchte ich eine eindeutige Lese Empfehlung aussprechen.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Auf den Spuren des Familiengeheimnisses – Fiktion oder Wahrheit?


    Nach einem erneuten Wutausbruch und dem Streit mit seiner Frau versucht Alex nach den Ursprüngen seines unkontrollierbaren Verhaltens zu suchen. Dem Rat seiner Psychologin folgend recherchiert er in der Geschichte seiner Familie und stößt auf eine unglückliche Liebesgeschichte, die bisher für alle Familienmitglieder Tabu war.


    Im Jahre 1932 verliebte sich Alex Großmutter Karin in einen jungen Schriftsteller Olaf und war bereit für ihn sogar die Ehe mit dem berühmten Schriftsteller Sven Stolpe zu beenden. Um die Sache genau zu ergründen stöbert Alex im Nachlass seines Großvaters, findet Briefe und Tagebücher von damals, erinnert sich an seine Besuche bei den Großeltern im Jahr 1988.


    „Verbrenn all meine Briefe“ ist ein beeindruckender Roman, in dem Alex Schulman über die intimsten Geheimnisse seiner Familie spricht. Er verrät mehrere Details aus dem Leben der Familie seines Großvaters Sven Stolpe; die Romanfiguren sind authentisch, er nennt sie sogar mit ihren richtigen Namen.


    Einfühlsam beschreibt er die dramatische Liebesgeschichte seiner Großmutter, nennt Orten und Zeit des Geschehens, schildert die darauffolgenden Veränderungen im Leben des Ehepaars Stolpe. In einer ruhigen, leicht lesbaren Sprache skizziert der Autor das Porträt seines Großvaters: eines verbitterten, bösartigen Mannes, der seine Familie jahrelang tyrannisiert hat.


    Der Titel des Romans „Verbrenn all meine Briefe“ klingt dramatisch und verkündet unwillkürlich eine Tragödie. Dementsprechend ist die von Alex recherchierte Geschichte extrem spannend; sie nimmt einen unvorstellbaren -Verlauf.


    In der Danksagung spricht Alex Schulman über seine Arbeit an dem Buch und betont ausdrücklich, dass obwohl die Geschichte auf wahren Begebenheiten berührt, es ist ein Roman.


    Ich habe das feinsinnig geschriebene Buch mit großem Interesse gelesen und würde es wärmstens empfehlen.

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

  • Alex lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Stockholm. Immer wieder kommt es zu Wutausbrüchen und Ausfällen gegenüber seiner Familie, bis die Situation zu eskalieren droht und er, um sich und seine Familie zu retten, professionelle Hilfe sucht.


    Ich mochte diese Seite an mir nicht, hatte aber immer geglaubt, dass ich selbst am meisten darunter litt; es fühlte sich an, als verschwände ich in einer Dunkelheit – während es draußen noch hell ist.


    Die Analyse seiner dunklen Charakterseite führt ihn bald zu seinem Großvater, dem bedeutenden Schriftsteller Sven Stolpe, dessen auffälligster Charakterzug die Wut war. Er war ein Mann, der das Leben seiner Ehefrau und Kinder zerstörte und mit seinem Gift, das er reichlich und oft versprühte, dafür sorgte, dass auch die nachkommenden Generationen darunter litten.


    Kleine Zeichen, in Blicken und Gesten. Die Angst kam mit der Zeit.


    Während des Studiums des großväterlichen Nachlasses stößt Alex auf einen Vorfall, der sich 1932 ereignete. In einem Schreiben nennt sich Stolpe „Opfer eines sexuellen Attentats“. Es ist der Beginn einer legendären Feindschaft mit dem berühmten Olof Lagercrantz, die so extreme Ausmaße annimmt und die einem solchen Hass entspringt, dass das Leben seiner Großmutter, um die sich die beiden Männer bis aufs Blut bekämpften, in große Gefahr gerät.

    Langsam arbeitet sich Alex durch die etwa 7.000 Briefe und lernt seine Großeltern neu kennen.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    In „Verbrenn meine Briefe“ geht es um Wut und psychische Gewalt in der Familie und die Frage, ob Wut vererbbar ist. Dieser Frage widmet sich Alex Schulman mit diesem Buch und nimmt mich als Leserin mit auf Ahnenforschung. Zentrale Figuren in dieser Tragödie sind sein Großvater Sven Stolpe, seine Großmutter Karin Stolpe und Olof Lagercrantz, der wie sein Großvater ein bedeutender schwedischer Literat seiner Zeit war. Zufällig lernen sich Karin und Olof 1932 kennen und verlieben sich ineinander. Es entbrennt eine Leidenschaft, die Karin bald in Lebensgefahr bringt.


    Sie ist allein im Haus, mitten im Nirgendwo, mit einem Mann, der sich nicht unter Kontrolle hat und der sie vielleicht bei einem Vergehen erwischt hat, für das er ihr wiederholt mit dem Tod gedroht hat.


    Ich kann nicht anders, als mich auf Karins Seite zu stellen. Wie Alex wünsche ich mir, dass sie es schafft, diesem Widerling zu entfliehen, der sie mit seinem Hass bewusst und gewollt zerstört. Das Erschreckende dabei ist mitanzusehen, wie sich Karin ihrem Schicksal fügt, ja sich sogar am Vorbild ihrer Mutter, die ständig alles tat um das Risiko, dass der Vater wütend wurde, zu minimieren, orientiert. Dass sie schlussendlich aufgibt, um am Leben zu bleiben, auf ihr Glück und Wohlergehen verzichtet, wühlt mich sehr auf und beschäftigt mich, auch nachdem ich den Roman beendet habe.

    Sven Stolpe hat bewusst seine Frau vernichtet. Er hat dies auf eine teuflische, durchtriebene, manisch abartige und brutale Art gemacht und seine Herrschaft über ihr Leben auf perfide Weise tagtäglich demonstriert. Wie Alex Schulman das literarisch einfängt und mir die familiären Abgründe präsentiert, ist eine Klasse für sich.


    Fazit

    Mit "Verbrenn all meine Briefe" setzt sich Alex Schulman mit dem Thema Wut auseinander und versucht an seiner Familiengeschichte zu verstehen, ob Wut vererbbar ist. Er macht dies anfangs nicht freiwillig, sondern erst als seine unbeherrschten Gefühlsausbrüche drohen seine Familie zu zerstören.