Andrea Giovene - Ein junger Herr aus Neapel / L'autobiografia di Giuliano di Sansevero 1

  • Zum Autor (Quelle: Verlag)


    Andrea Giovene (1904–1995) war Spross der neapolitanischen herzoglichen Familie der Girasole, die sich bis ins 11. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Er besuchte eine Klosterschule und wurde nach dem Studium Autor. Als Kavallerieoffizier im Zweiten Weltkrieg geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft und war Zwangsarbeiter in Norddeutschland. Seine Romanfolge Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero (5 Bände zwischen 1966 und 1970) war ein sensationeller Erfolg, wurde preisgekrönt, für den Nobelpreis nominiert und in verschiedene Sprachen übersetzt. Jetzt erscheint sie erstmals vollständig auf Deutsch.


    Klappentext:


    Giuliano di Sansevero wächst auf in der verfallenden Pracht der Paläste seiner Vorfahren; während des Aufenthalts in einer nahe bei Neapel gelegenen Klosterschule bricht der Erste Weltkrieg aus. Im Schatten des Krieges und in der turbulenten Zeit danach erwachen im jungen Giuliano die Liebe zu den Büchern, das Interesse am weiblichen Geschlecht – und die Neugier auf die Welt.


    Mein Lese-Eindruck:


    Ein toller Plot: der Niedergang einer süditalienischen Adelsfamilie und der Untergang einer Welt im Umkreis des I. Weltkrieges! Der Roman war ein großer Erfolg, mehrfach übersetzt, preisgekrönt und sogar für den Nobelpreis vorgeschlagen. Liest man einen solchen Roman, nimmt man innerlich den Hut ab und legt die Hände an die Hosennaht!


    Dort blieben sie allerdings nicht lange; ich habe meine Hände gebraucht, um die vielen unverbundenen Erzählfäden festzuhalten...


    Das Werk umfasst insgesamt fünf Bände, deren Handlung vom Jahrhundertbeginn bis Ende der 50er Jahre reicht. Der vorliegende 1. Band stellt uns 5 Lebensphasen des Protagonisten in 5 Kapiteln vor. Ist der Roman tatsächlich eine fiktive Autobiografie? Das mögen andere entscheiden. Tatsache ist, dass sich das Leben des Autors und seines Protagonisten sehr ähnlich sind.


    Gleich zu Beginn wird der Leser in die hocharistokratische Familie eingeführt, wenn der junge Held zusammen mit seiner kleinen Schwester den Stammbaum der Herzöge von Sansevero spielerisch erkundet und dort seinen Platz in der Ordnung einer jahrhundertelangen Ahnenreihe findet. Im letzten Kapitel verlässt er schließlich seine Familie, und so schließt sich hier ein Kreis.


    Dazwischen liegen episodenhafte Erzählungen z. B. über den Schulbesuch in einem Benediktiner-Kloster, sein Einzelgängertum in der Familie, seine Hinwendung zur Literatur und Philosophie, seine ersten amourösen Erfahrungen, Kontakt zu recht zwielichtigen Onkeln in noch zwielichtigeren Kreisen und vor allem über seine Erkenntnis, dass das jahrhundertealt, gewaltige Vermögen der Familie schwindet und keinerlei Anstrengungen seitens seiner Eltern erfolgt, den drohenden Ruin aufzuhalten. Stattdessen liest man von einer märchenhaften Prachtentfaltung bei opulenten Festen, von Müßiggang und geheimnisvollen Familiendramen, von Mäzenatentum und gewaltigen Kunstsammlungen.

    Aber alle diese Episoden bleiben merkwürdig flach. Sie werden additiv aneinandergereiht, und ihre Bedeutung für die Entwicklung des Helden lässt sich nicht immer erschließen. Dazu kommt, dass auch die Zeitgeschichte – immerhin der I. Weltkrieg und das Aufkommen der Faschisten unter Mussolini – nur als periphere Hintergrundfolie dient. Der ältere Bruder, Stammhalter, verliert zwar ein Vermögen durch betrügerische Verwicklungen mit den Faschisten, aber was brachte den Bruder in die Nähe der Braunhemden? Wie sah der innere Zusammenhang zwischen Faschismus und Bankrott aus? Und was machte das mit dem Protagonisten?


    Der Vergleich mit Tommaso di Lampedusas „Il Gattopardo“ drängt sich natürlich auf, weil beide Werke den Niedergang einer alten Familie und den Zusammenbruch ihrer feudalen Weltordnung erzählen, aber im Unterschied zu Giovenes Werk weist „Il Gattopardo“ durchgehend die innere Stringenz der Handlung auf, die ich bei Giovenes „Roman“ vermisse.


    Fazit: ein Roman (?), der eine untergegangene Welt nochmals aufleben lässt, geschrieben in der Sprache des Bürgerlichen Realismus des 19. Jhdts, aber ohne innere Zielorientierung.


    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Squirrel

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  • Mario

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