John Burnside - In hellen Sommernächten (ab 01.09.2022)

  • Pensum 4

    Letzter Absatz: "Mutter fuhr mich" S. 195 - "ihm eine Postkarte zu schicken" S. 197

    Und Kyrre wirft Liv zum Abschied "einen langen Blick" zu (S. 197). Das ist alles so bedeutungsschwer, finde ich. Nichts Leichtes, keine guten Wünsche für den England-Aufenthalt, kein bisschen SmallTalk wie "Guten Flug!" oder was man halt so sagt.

    Bedeutungsschwer trifft es in der Tat bei diesem Abschnitt. Man hätte doch auch erwarten können, dass Kyrre ihr wenigstens eine gute Reise wünschen würde. Total zurückhaltend, auch was den Vater von Liv betrifft. Nur eine Postkarte darf sie ihm schicken. Immerhin.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Und Kyrre wirft Liv zum Abschied "einen langen Blick" zu (S. 197). Das ist alles so bedeutungsschwer, finde ich. Nichts Leichtes, keine guten Wünsche für den England-Aufenthalt,


    Man hätte doch auch erwarten können, dass Kyrre ihr wenigstens eine gute Reise wünschen würde.

    Vielleicht hat Kyrre, wie Ryvold, auch das Gefühl das irgendetwas Dunkles passieren

    wird. Oder er denkt, dass Liv, die ja auch in letzter Zeit etwas seltener in der Hytte

    auftaucht, ihm entgleitet. Jetzt auch noch die Reise, über die er auch vorher nicht

    informiert wurde. Ein sehr merkwürdiger Abschnitt, der auch nicht Gutes verheißt.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Vielleicht hat Kyrre, wie Ryvold, auch das Gefühl das irgendetwas Dunkles passieren

    wird. Oder er denkt, dass Liv, die ja auch in letzter Zeit etwas seltener in der Hytte

    auftaucht, ihm entgleitet. Jetzt auch noch die Reise, über die er auch vorher nicht

    informiert wurde. Ein sehr merkwürdiger Abschnitt, der auch nicht Gutes verheißt.

    Genau so habe ich das auch aufgefasst!

    Die Gestimmtheit der Personen fand ich interessant.

    Die Mutter: "amüsiert" (S. 196), sie lacht

    Kyrre: ist sehr überrascht, "mitfühlend", "bedenklich", langer nachdenklicher Blick, wirkt "enttäuscht", weil er nichts von der Reise erfahren hat (warum wohl??)

    Liv: wundert sich über die Offenheit der Mutter, was ihren Vater angeht.


    Ein ganz schönes Spannungs-Dreieck, das da zwischen diesen Personen besteht!

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Pensum 5 - Das Haus des Fischers

    (bis "...and I couldn`t do anything to help"


    Die Reise beginnt mit einigen Gedanken von Liv bezüglich Kyrre und Ryvold, den beiden

    "solitarys". Diese Gedanken über geschichten die unsere einzelnen Leben prägen und

    insgesamt auch zu einem kollektiven Gedächtnis werden fand ich sehr interessant, obwohl

    ich die Aussage, das abseits der Geschichten alles andere Illusion ist, noch einmal nachdenken muss.

    Zitat

    ...those two solitarys would not only have agreed that the stories are all there is,

    and that everything else is illusion, they would also have said (...) that the individual

    stories, the separate lives that we think we are living and the accounts we give of

    them, are continually assumed into one larger narrative.....

    Liv ist nun wirklich niemand der das Reisen als Erfahrung schätzen lernen kann. Sie macht

    sich, allein im Hotelzimmer, zunehmend Gedanken über ihre Heimat, was dann in Verlust-

    ängsten gipfelt. Ihre Entscheidung abends nicht mehr ins Krankenhaus zu ihrem Vater zu

    gehen liegt wohl auch an ihrer Angst vor Veränderungen die da auf sie warten könnten.

    Das alles schließt dann mit einem Albtraum über die nach Hilfe schreienden Sigfridson-

    Brüder ab. Das alles wird dann zu einem ganzen Chor von Stimmen und Liv kann nicht

    helfen.

    Ich hatte hier das Gefühl, dass all diese Erfahrungen der Reise kein gutes Zeichen für die weiteren Ereignisse sein können.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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  • Pensum 5 1. Absatz bis "...um den Jungen zu helfen"

    Diese Gedanken über geschichten die unsere einzelnen Leben prägen und

    insgesamt auch zu einem kollektiven Gedächtnis werden fand ich sehr interessant, obwohl

    ich die Aussage, das abseits der Geschichten alles andere Illusion ist, noch einmal nachdenken muss.

    Zu welchem Ergebnis bist Du gekommen?

    Dass viele Einzelgeschichten in das kollektive Gedächtnis wandern, ist sicher unbestritten; das ist im Kleinen so, z. B. einem Paar oder einer Familie, und das ist auch im Großen so, wenn man an die nationalen Mythen denkt. Hier geht es um Identität, die Herstellung eines Gemeinschaftsgefühls und so fort. Dass diese Geschichten nicht immer historisch korrekt sind, ist eine andere Sache.

    Aber der Umkehrschluss, den Burnside hier macht? Dass nur diese Geschichten "real" sind?

    Liv ist nun wirklich niemand der das Reisen als Erfahrung schätzen lernen kann.

    Ganz im Gegenteil! Sie sagt auch jetzt wieder, dass sie ihre Ruhe haben will. Und sie beschließt daher, erst am nächsten Morgen ins Krankenhaus zu fahren.

    In Gedanken ist sie noch in ihrer Heimat. Kyrre fällt ihr ein. Sie ruft zuhause an und gerät in einen Angstzustand, als sich nur der Anrufbeantwortet meldet - und ihre Angst manifestiert sich in diesem Alptraum: die ertrinkenden Kinder rufen um Hilfe, aber sie weiß nicht, was sie tun soll.

    Sie unternimmt nichts, sie stellt keine Überlegungen zu ihrer Rettung an, sondern sie sagt einfach, dass sie nichts tun konnte.

    Ich denke, dass dieser Angsttraum mit ihren Nicht-Besuch beim todkranken Vater zusammenhängt: sie hat offenbar ein schlechtes Gewissen und spürt, dass sie sofort ins Krankenhaus hätte fahren müssen. Sie geht davon aus, dass sie diesen Traum häufiger würde träumen müssen; das spricht auch dafür, dass es nicht um die beiden Jungen, sondern um das Versagen bei ihrem Vater geht.


    2. + 3. Absatz S. 208 "Früh am nächsten Morgen" bis S. 220 "wird Ihnen eine Tasse Kaffee gut tun"

    Obwohl Liv wieder Fluchtgedanken hat, geht sie ins Krankenhaus und trifft dort auf Kate Thompson, eine durchaus attraktive selbstbewusste Frau. Ihr Verhältnis zu Livs Vater war wohl nicht so eng, wie sie (Kate) es gerne gehabt hätte; er war "so eifrig damit beschäftigt, die ganze Welt zu lieben, dass er sich mit Einzelnen nie lange aufhielt" (S. 220).


    Livs Verhalten im Gespräch finde ich egoistisch, selbstgerecht, mitleidlos, ungezogen. Sie erfährt, dass der Vater auf sie gewartet habe und ihren Besuch ersehnt habe, aber sie bleibt bei ihrer stereotyp wiederholten Auffassung, dass er sie bisher nicht habe sehen wollen (woher weiß sie das so genau?) und deswegen solle er sie nun auch in Ruhe lassen. Man muss ja froh sein, dass sie diese Auffassung nicht laut äußert.

    Allerdings äußert sie diese Auffassung nonverbal. Sie hat keinerlei Empathie für die Frau, die gerade ihren Freund verloren hat. Am liebsten würde sie sofort wieder gehen, sie hat keine Fragen, will auch nichts hören von ihrem Vater.


    Grundsätzlich finde ich das merkwürdig. So viele Leute machen Ahnenforschung, Adoptivkinder wollen ihre Mutter kennenlernen, uneheliche Kinder ihren Vater - und Liv? Sie ist nur genervt.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


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  • Guten Abend,


    ich bin tatsächlich auch noch da.


    Beim Lesen schwanke ich in der Beurteilung von Mutter und Tochter immer hin und her. Die Fragen, die wir uns alle stellen, sind doch: Ist Liv gestört oder ist sie nur besonders sensitiv, sozusagen mit dem zweiten Gesicht begabt? Ist Maia eine reale Person, ist sie eine abgespaltene Persönlichkeit Livs oder ist sie eine von ihr nur imaginierte Gestalt, die für die dunklen, unheimlichen und unerklärbaren Mächte steht, die Liv in diesem Sommer zu schaffen machen.


    Die Mutter sehe ich mittlerweile auch wieder kritischer.


    Sie hat keinerlei Empathie für die Frau, die gerade ihren Freund verloren hat. Am liebsten würde sie sofort wieder gehen, sie hat keine Fragen, will auch nichts hören von ihrem Vater.

    Woher soll Liv diese Empathie auch haben, die Mutter bleibt ihrer Tochter gegenüber emotional doch genauso auf Distanz wie bei allen anderen Menschen.

    Die Sache mit Martin Crosby zum Beispiel: Er hat der Mutter offenbar erzählt, dass Liv andauernd zu ihm läuft. Die Mutter scheint anzunehmen, dass er Liv gefällt. Das einzige, was sie ihr dazu sagt: Es sei ihr schleierhaft, was sie an ihm fände. Dann gibt sie ihr noch den Rat, es dabei zu belassen, ihn also nicht mehr zu besuchen. Auch wenn sie sich vielleicht Sorgen wegen des Gemütszustands ihrer Tochter macht, ist das doch keine Art, so kalt auf deren Gefühle zu reagieren.

    Oder auch die Reise zu dem Vater: Liv ist noch ein Teenager, hatte wahrscheinlich noch nie mit einem sterbenden oder toten Menschen zu tun. Jetzt soll sie allein zu ihrem todkranken Vater reisen, den sie noch nie gesehen hat. Das ist für jeden "normalen" Menschen schon eine mit Angst und Stress einhergehende Situation. Warum begleitet die Mutter sie nicht? Sie braucht ja den Vater und dessen Lebensgefährtin nicht zu treffen, sie könnte im Hotel warten und einfach nur für Liv dasein. Will sie, dass Liv auf diese Weise lernt, mit den Schrecken der Realität umzugehen? Das wäre eine ziemlich rabiate Methode.


    In Gedanken ist sie noch in ihrer Heimat. Kyrre fällt ihr ein. Sie ruft zuhause an und gerät in einen Angstzustand, als sich nur der Anrufbeantwortet meldet - und ihre Angst manifestiert sich in diesem Alptraum: die ertrinkenden Kinder rufen um Hilfe, aber sie weiß nicht, was sie tun soll.

    Mir scheint manchmal, dass Livs scheinbar mangelnde Empathie ein mehr oder weniger bewusstes Abschotten gegen den Schmerz und das Chaos der Gefühle ist, das menschliche Beziehungen unweigerlich mit sich bringen. Ihre eigene Angst und Unsicherheit in dieser Situation, ihr "Versagen" dem Vater gegenüber und die Trennung von dem Ort, der ihr ein gewisses Gefühl von Stabilität und Sicherheit gibt, rufen diese Furcht vor Tod und Auflösung in ihr wach. Aber ich glaube, dieser Traum zeigt auch, dass sie den Tod der Jungen nicht verarbeitet hat, dass sie diesen dunklen Kräften, die sie auch in Martin Crosby erahnt - ich würde sie als Depressionen oder Todessehnsucht bezeichnen - hilflos gegenübersteht und aus diesem Grund auch nicht wahrhaben will, dass die beiden Brüder Selbstmord begangen haben.

    :study: Zsuzsa Bánk - Die hellen Tage

    :study: Claire Keegan - Liebe im hohen Gras. Erzählungen

    :study: David Abulafia - Das Mittelmeer
















  • Zu welchem Ergebnis bist Du gekommen?

    Ich denke, Burnside beschränkt das alles auf menschliche Erfahrung und sieht das

    das Geschichtenerzählen alles umfasst was der Mensch denkt und fühlt. Soweit folge

    ich ihm. Aber mit seiner Schlussfolgerung macht er ja alles was der Mensch wahrnimmt

    zur Illusion. Nichts hat festen Halt, nichts hat einen festen Punkt. Das alles könnte auch

    ein Traumbild sein. Das erinnert mich an einen Satz aus der Mythologie der Tolteken.


    Wir sind nur gekommen ein Traumbild zu sehen,

    wir sind nur gekommen zu träumen.

    Nicht wirklich - nicht wirklich sind wir gekommen

    auf dieser Erde zu leben.


    Dieser Satz verfolgt mich schon seit langen Jahren und auch darauf habe ich auch

    noch keine Antwort gefunden.


    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Das alles könnte auch

    ein Traumbild sein. Das erinnert mich an einen Satz aus der Mythologie der Tolteken.

    Und mich an Platon.

    So hat jeder seinen Bezugspunkt :winken:!


    Aber wir können festhalten: Burnside ist nicht der erste, der diesen Gedanken denkt.

    Vielleicht ist doch was dran.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Die Sache mit Martin Crosby zum Beispiel: Er hat der Mutter offenbar erzählt, dass Liv andauernd zu ihm läuft. Die Mutter scheint anzunehmen, dass er Liv gefällt. Das einzige, was sie ihr dazu sagt: Es sei ihr schleierhaft, was sie an ihm fände. Dann gibt sie ihr noch den Rat, es dabei zu belassen, ihn also nicht mehr zu besuchen. Auch wenn sie sich vielleicht Sorgen wegen des Gemütszustands ihrer Tochter macht, ist das doch keine Art, so kalt auf deren Gefühle zu reagieren.

    Ich habe einen anderen Eindruck: sie erkennt sehr wohl die besondere psychische Situation der Tochter (siehe Bild!) und setzt alles daran, sie wieder zu erden, d. h. sie aus dem esoterisch-mythisch-animistischen Einfluss von Kyrre zu entfernen und sie an die Realität zu binden. Daher bagatellisiert sie z. B. diese Crosby-Geschichte, sie bricht sie herunter auf eine jugendliche Schwärmerei Livs.


    Warum begleitet die Mutter sie nicht?

    Das stimmt. Ich hätte das an ihrer Stelle so gemacht.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Pensum 5

    1. Absatz bis "...um den Jungen zu helfen" + 2. + 3. Absatz S. 208 "Früh am nächsten Morgen" bis S. 220 "wird Ihnen eine Tasse Kaffee gut tun"



    Ich fand ja die Beschreibung des Fluges mit seinen ständigen Verspätungen äußerst zäh zu lesen. Wenn es auch mein Gefühl verstärkte, dass es Liv nicht besonders eilig hätte zu ihrem Vater zu kommen. Interessant fand ich den von euch schon besprochenen Gedanken über die Geschichten, die unser Leben prägen.


    Die Mutter sehe ich mittlerweile auch wieder kritischer.

    Ich ergänze noch deine Ausführungen damit, dass ich es sehr merkwürdig finde, wenn man noch nicht einmal auf einen Anruf seines Kindes wartet, dass es gut angekommen ist. Völlig unverständlich für mich.


    Mir fällt es schwer meine Überlegungen zu diesem Buch in Worte oder gar einer halbwegs verständlichen Zusammenfassung zu bringen. Am besten liste ich einfach meine Gedanken auf.


    Ganz oft finde ich Momente im Buch, die "typisch Burnside" sind, die ich bereits in seinen Memoires gelesen habe und die er hier mit verarbeitet hatte. Zum Beispiel als Liv zu Hause anruft und sich vorstellt, dass jemand anders ab sofort, statt ihrer dort wohnt.

    Ich mag es wenn ich wieder etwas typisch Burnside finde, aber frage mich, wie wirkt das auf jemand, der seine Memoires nicht kennt?


    So langsam driftet Liv noch mehr in - ja was nur? Wahnvorstellungen? - ab. Man beginnt sich wirklich (und das ja nicht zum ersten Mal) zu fragen, ob sie den Verstand verliert. Es ist ja unmöglich, dass zwei verschiedene Personen am Empfang sich derartig ähneln sollen, wie es Liv empfindet. Dazu passen Namen wie Aussehen und Dialekt nicht zusammen. Auch dieses nicht beachten von Liv, war für mich wie eine Steigerung des Irrealen.


    Unverständlich für mich, dass sie nicht am gleichen Abend zu ihrem Vater gefahren ist. Sie drückt sich mit allen möglichen an Ausreden. Man könnte doch meinen, dass sie froh sein müsste ihn endlich kennenlernen zu dürfen. Es ist ja nicht so, dass sie alle Zeit der Welt hätte. Sie weiß, dass er im Sterben liegt.


    Livs fehlende Empathie gegenüber der Freundin ihres verstorbenen Vaters war fast unerträglich zu lesen. Ich empfand diese Szene schrecklich und Livs Gedanken unmöglich.

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  • Pensum 5

    1. 2. und 3. Absatz


    Die Fragen, die wir uns alle stellen, sind doch: Ist Liv gestört oder ist sie nur besonders sensitiv, sozusagen mit dem zweiten Gesicht begabt? Ist Maia eine reale Person, ist sie eine abgespaltene Persönlichkeit Livs oder ist sie eine von ihr nur imaginierte Gestalt,

    Zur Zeit, (wie bei meiner Einschätzung von Mutter/Liv ändert sich meine Einstellung dazu

    leider sehr oft) bin ich der Meinung, dass Liv an einer psychischen Störung leidet.

    Also wäre Maia vielleicht die Personifizierung von all dem was Liv nicht ist. Maia ist

    sozial umgänglich, selbstbewusst und wirkt stark. Vielleicht sehnt sich Liv so sehr nach

    diesen Charakterstärken, das sie hier eine Art Alter-Ego erschaffen hat. Problem ist nur,

    das sie dann auch ein Teil der Huldra in sich tragen würde.

    Woher soll Liv diese Empathie auch haben, die Mutter bleibt ihrer Tochter gegenüber emotional doch genauso auf Distanz wie bei allen anderen Menschen.

    Das sehe ich ähnlich. Liv eifert der Mutter nach. Diese Verweigerung von Gefühlen, diese

    Distanz die die Mutter bis zur Perfektion beherrscht, ist für Liv aber nicht erreichbar. Sie

    hat noch Mitgefühl (Crosbie/Ryvold) das sie da auch offen zeigt, aber sie ist halt, wie

    das Portrait, noch unfertig.

    So langsam driftet Liv noch mehr in - ja was nur? Wahnvorstellungen? - ab.

    Zur Zeit wirkt sie wie ein Fähnchen im Wind. Immer hin und her gerissen zwischen

    Ablehnung und Akzeptanz. Leider zeigt sich ihre Ablehnung und Verweigerung hier

    an der falschen Stelle.

    Livs fehlende Empathie gegenüber der Freundin ihres verstorbenen Vaters war fast unerträglich zu lesen.

    Da musste ich auch oft die Luft anhalten. Ihr Verhalten ist eine bodenlose Unverschämtheit

    der Freundin gegenüber. Da wirkt sie einfach nur wie ein bockiges kleines Mädchen.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Bad Monkeys

  • Oder auch die Reise zu dem Vater: Liv ist noch ein Teenager, hatte wahrscheinlich noch nie mit einem sterbenden oder toten Menschen zu tun. Jetzt soll sie allein zu ihrem todkranken Vater reisen, den sie noch nie gesehen hat. Das ist für jeden "normalen" Menschen schon eine mit Angst und Stress einhergehende Situation.


    Ich fand ja die Beschreibung des Fluges mit seinen ständigen Verspätungen äußerst zäh zu lesen. Wenn es auch mein Gefühl verstärkte, dass es Liv nicht besonders eilig hätte zu ihrem Vater zu kommen.

    Dieses widerspiegelt in allen Facetten Liv, ihr Leben, ihr Denken ja ihr Sein. Sie wird in eine Situation hinein manövriert welcher sie überhaupt nicht gewachsen ist. Zudem ist es offensichtlich dass ihre Mutter ihr gar keinen Rückhalt bietet. Stimmt sie hat es nicht eilig ihren Vater zu sehen, warum auch - denn all die Jahre ist dieser etwas Unbekanntes gewesen in ihrem Leben, die Erziehung durch die Mutter wurde in dem Sinne gesteuert - wir sind uns genug - wir sind glücklich wie es ist. Die Tragweite was nun auf sie zukommen könnte, wird ihr allmählich bewusst, das kann nur Ängste in ihr auslösen.

    Bis zu jetzigen Zeitpunkt war die Insel ihr Lebensmittelpunkt, sie wird sich bewusst dass mit dieser Reise sich möglicherweise etwas ändern wird in ihrem Leben, und Veränderungen mag sie gar nicht.


    Unverständlich für mich, dass sie nicht am gleichen Abend zu ihrem Vater gefahren ist. Sie drückt sich mit allen möglichen an Ausreden. Man könnte doch meinen, dass sie froh sein müsste ihn endlich kennenlernen zu dürfen. Es ist ja nicht so, dass sie alle Zeit der Welt hätte. Sie weiß, dass er im Sterben liegt.


    Ganz im Gegenteil! Sie sagt auch jetzt wieder, dass sie ihre Ruhe haben will. Und sie beschließt daher, erst am nächsten Morgen ins Krankenhaus zu fahren.

    In dieser Situation verstehe ich Liv absolut. Sie muss erst zu Ruhe kommen, die Gedanken an wirklich unwichtiges - Kyrre hätte es gefallen all diese Bücher - es ist keine Zeit um im Freien zu spielen - sie wäre erschöpft von der Reise - mit diesen schützt sie sich vor dem unweigerlichen, mit einer Begegnung welcher sie mit Bangigkeit entgegen sieht. Auch wenn sie dies nie verbal äußert, jeder ihrer Gedanken welche sich auch mit Kate Thomson und Ardil Frederisken beschäftigen ist voll innerlicher Abwehr.

    Farast - eigentlich sagt Liv jedoch Seite 206 - keinen sterbenden Mann

    Zitat

    Natürlich wusste ich an jenem Abend nicht, wie ernst seine Krankheit war, sonst wäre ich sicher sofort gefahren. …

    Ich war gekommen, einen kranken Mann zu besuchen…



    Liv ist nun wirklich niemand der das Reisen als Erfahrung schätzen lernen kann. Sie macht

    sich, allein im Hotelzimmer, zunehmend Gedanken über ihre Heimat, was dann in Verlust-

    ängsten gipfelt. Ihre Entscheidung abends nicht mehr ins Krankenhaus zu ihrem Vater zu

    gehen liegt wohl auch an ihrer Angst vor Veränderungen die da auf sie warten könnten.

    Im Gesamten betrachtend bis zum Abend im Hotel, deckt dies genau das wie ich die Reise von Liv sehe. Auch das Telefonat mit zu Hause, am liebsten würde sie wieder umkehren - und ihr Albtraum ist die Bestätigung eines Verlustes dessen Zusammenhang sie jedoch nicht oder noch nicht versteht.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Farast - eigentlich sagt Liv jedoch Seite 206 - keinen sterbenden Mann

    Zitat

    Natürlich wusste ich an jenem Abend nicht, wie ernst seine Krankheit war, sonst wäre ich sicher sofort gefahren. …

    Ich war gekommen, einen kranken Mann zu besuchen…


    serjena Stimmt, du hast Recht. Zu diesem Zeitpunkt hatte Liv noch keine Ahnung, dass ihr Vater bereits im sterben lag. Da habe ich mich verlesen.

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  • Livs Verhalten im Gespräch finde ich egoistisch, selbstgerecht, mitleidlos, ungezogen. Sie erfährt, dass der Vater auf sie gewartet habe und ihren Besuch ersehnt habe, aber sie bleibt bei ihrer stereotyp wiederholten Auffassung, dass er sie bisher nicht habe sehen wollen (woher weiß sie das so genau?) und deswegen solle er sie nun auch in Ruhe lassen. Man muss ja froh sein, dass sie diese Auffassung nicht laut äußert.


    Woher soll Liv diese Empathie auch haben, die Mutter bleibt ihrer Tochter gegenüber emotional doch genauso auf Distanz wie bei allen anderen Menschen.

    Das ist eine völlig normale Reaktion von Liv, nicht anderes konnte man von ihr erwarten was ich bis jetzt von ihr weiß und ich sie mir vorstelle, hat sie noch nie Empatie gegenüber einer andern Person gezeigt. Mitleid wie ein oder zweimal von jemanden drawe? erwähnt, aber Mitgefühl, - Anteilnahme am Leid, an der Not anderer? ist kein Charakterzug von Liv. Erwähnt wurde auch taliesin? - das sie autistische Züge aufweist, was bedeutet, dass sie Mühe hat Gefühle zu zeigen, oder sich dementsprechend zu äußern. Das zeigt sich doch auch wie sie mit ihrem Fernrohr andere Personen ausspioniert, es ist ihr ein Bedürfnis, Gemeinsamkeiten zu entdecken.

    Gemeinsamkeiten welche aber gar nicht vorhanden sein konnten, der Erziehung ihrer Mutter geschuldet.

    Ganz sicher hat sie Kate Thomson eingeschüchtert, welche so gar nicht ihrer Vorstellung entsprach. Denn wie immer hat sich Liv schon im voraus ein Bild der Person gemacht welcher sie gegenüber stehen würde, ein Bild mit dem sie umgehen konnte.

    Ich wiederhole mich gerne - sie ist völlig überfordert mit dieser Situation - jede ihrer Reaktionen beweist das.

    Da jedoch Kate Thomson Liv genau so wenig kennt, entsteht ein unglückliches Missverhältnis , wobei beide nicht wissen wie die richtigen Worte zu finden sind.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • In dieser Situation verstehe ich Liv absolut.

    Das geht mir auch so. Ich sagte es schon mal: sie ist überfordert und wird hier einer Situation ausgesetzt, in der sie nicht weiß, wie sie sich verhalten soll.

    Woher soll Liv diese Empathie auch haben, die Mutter bleibt ihrer Tochter gegenüber emotional doch genauso auf Distanz wie bei allen anderen Menschen.

    Meinst Du, dass solche emotionalen Fähigkeiten, wie hier Empathie, nur durch ein Vorbild hervorgerufen werden?

    Ich denke schon, dass wir in den Tiefen unseres Gemüts Eigenschaften haben, die nicht auf dem Vorbild beruhen. Aber ich gebe Dir insofern Recht, als das Vorbild diese Eigenschaften hervorruft.

    Ich weiß nicht recht, ob die Mutter un-empathisch ist, keine Ahnung. Ich blicke nicht recht durch bei ihr.

    Dieses widerspiegelt in allen Facetten Liv, ihr Leben, ihr Denken ja ihr Sein. Sie wird in eine Situation hinein manövriert welcher sie überhaupt nicht gewachsen ist.

    Wenn es nicht so anzüglich und makaber wäre, könnte man sagen: sie wird ins kalte Wasser geworfen.

    Trotzdem: ich verstehe ihr Verhalten gegenüber der "Witwe", aber billige es nicht.

    :study: Edvard Hoem, Der Heumacher.


    "Der echte Bibliophile liebt mehr als Form und Inhalt eines Buches seine Existenz; er muss es erst gar nicht lesen" (Werfel, Die vierzig Tage des Musa Dagh, S. 49).

  • Pensum 5

    Absatz 4: von "The cafe wasn`t nice in fact" bis "Enjoy, he said"


    Zuerst einmal geht es weiter mit Livs Abwehrhaltung. Bis zu dem Punkt an dem Kate

    die Geduld verliert und deutlich wird. Das hat mir gefallen und Liv gibt sie zwar nicht

    beeindruckt aber hört sich zumindest die Lebensgeschichte ihres Vaters an.

    Zitat

    It is not my business. But it is yours. It was yours. (...)

    He was your father, she said. And that was your business.

    Eigentlich ist es die traurige Geschichte eines Mannes, der sein ganzes Leben für eine

    bestimmte Sachen kämpft, unerschütterlich dafür einsteht, aber am Ende nicht gehört

    wird. Nichts hat sich geändert. Trotzdem kämpft er weiter muss aber letztendlich seinen

    Tribut zahlen.

    Anfangs dachte ich, der Vater bildet eine Art Gegenbeispiel zur Mutter, aber letztendlich

    haben beide eine unerschütterliche Leidenschaft, für die sie private Dinge zurückstellen.

    Für die Mutter steht die Malerei im Vordergrund, für den Vater der Kampf für die Umwelt.

    Kate mag Arild geliebt haben, aber sie musste akzeptieren, dass Arild seine Sache verfolgt.

    Liv bewundert ihre Mutter, aber muss einsehen, dass die Malerei immer ihr erster Lebens-

    inhalt sein wird.


    Liv reagiert zuerst einmal mit der Suche nach einem Stück Heimat indem sie sich norwegisches Essen einverleibt. Das scheint sie zu beruhigen und zeigt auch, dass

    dieses Gespräch über den Vater sie aufgewühlt hat. Zugeben würde sie das natürlich

    nicht, aber so ein Hauch Empathie ist da nicht zu verleugnen.

    Unsicher ist allerdings, ob sie die Einladung von Kate annimmt. Bei Liv kann man sich

    auch vorstellen, dass sie wieder in ihr altes Muster zurückfällt.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

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  • Anfangs dachte ich, der Vater bildet eine Art Gegenbeispiel zur Mutter, aber letztendlich haben beide eine unerschütterliche Leidenschaft, für die sie private Dinge zurückstellen. Für die Mutter steht die Malerei im Vordergrund, für den Vater der Kampf für die Umwelt. Kate mag Arild geliebt haben, aber sie musste akzeptieren, dass Arild seine Sache verfolgt. Liv bewundert ihre Mutter, aber muss einsehen, dass die Malerei immer ihr erster Lebensinhalt sein wird.

    Zwei nicht mal so unterschiedliche Personen, beides starke Persönlichkeiten, welche jedoch jeder für sich seinen Lebensweg weiter gehen wollte. Allerdings kann ich keinen Grund erkennen wieso Angelika ihrer Tochter nichts erzählen mochte was für ein Mann Arild gewesen ist.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Allerdings kann ich keinen Grund erkennen wieso Angelika ihrer Tochter nichts erzählen mochte was für ein Mann Arild gewesen ist.

    Das ist ihre Art der Verweigerung. Ich könnte mir vorstellen, dass die Mutter den weiteren

    Lebensweg ihres Mannes gar nicht verfolgt hat. Warum sie aber das was sie über ihn wusste,

    ihrer Tochter vor der Reise nicht erzählte, verstehe ich nicht.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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  • Zuerst einmal geht es weiter mit Livs Abwehrhaltung.

    Das hat mir sprachlich schon so gut gefallen! Gleich der 1. Satz: das Café war gar nicht nett.

    Ein Widerborst ist sie!

    Kate mag Arild geliebt haben, aber sie musste akzeptieren, dass Arild seine Sache verfolgt.

    Liv bewundert ihre Mutter, aber muss einsehen, dass die Malerei immer ihr erster Lebens-

    inhalt sein wird.

    Verstehe ich Dich richtig: Du meinst, dass Kate und Liv etwas gemeinsam haben? Dass sie beide bei den Menschen, die für sie der Lebensmittelpunkt sind, immer in der 2. Reihe stehen?

    Und von daher ein Austausch durchaus interessant sein könnte? Und vielleicht hilfreich für Liv?

    Liv reagiert zuerst einmal mit der Suche nach einem Stück Heimat indem sie sich norwegisches Essen einverleibt.

    Ich fand sie sehr arrogant - oder wie man das nennen will. "Es war der erste Laden, in dem anständiges Essen verkauft wurde" (S. 234). Dort gibt es also heimatliches Essen.

    Mir kommt das vor, wie der Bayer, der auf Mallorca nach seiner Schweinshaxe giert.

    Wieso bedient Burnside hier das Klischee des schlechten englischen Essens?

    Das ich überhaupt nicht bestätigen kann.


    Liv stellt auch hier Überlegungen an, die über eine reine Beobachtung + Schlussfolgerung weit hinausgehen. Seite 225: "Ein Gefühl, dass es sinnlos geworden war, mir zu erzählen, was sie wusste". Der Eindruck betrifft Kates Mimik. Wieso kann Liv den Gesichtsausdruck so tiefgehend deuten?

    Ähnlich auf S. 223: "Kate Thompson gehörte zu jener Sorte Mensch, die anderer Leute Schmerz auf sich nehmen und den Groll spüren, den diese selbst nicht spüren, weil sie zu verletzt sind oder zu verblendet". Wenn Burnside uns dieses Bild von Kate vermitteln will, muss er das anders machen. Das übersteigt Livs Fähigkeiten - es sei denn, sie ist hellsichtig.

    Allerdings kann ich keinen Grund erkennen wieso Angelika ihrer Tochter nichts erzählen mochte was für ein Mann Arild gewesen ist.

    Das habe ich mich auch gefragt. ich dachte, da verbirgt sich ein Geheimnis - aber da ist offenbar nichts.

    Auf der anderen Seite: Liv hat auch vor der Abreise nicht danach gefragt, das finde ich auch merkwürdig.

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